4 Häuser der Zeit von 1150 bis 1250

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10.34663/9783945561058-06

Citation

Flüge, Bernhard (2015). Häuser der Zeit von 1150 bis 1250. In: Domus solaratae: Untersuchungen zu Steinhaus und Stadtentstehung um 1100 in Cluny. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

4.1 Auswahl der Untersuchungsobjekte

Romanische Reihenhäuser, für die Cluny ja bekannt ist, wurden in die Untersuchung aufgenommen, soweit sie exemplarisch als Vergleichs– bzw. Nachfolgebauten der Häuser aus der Zeit vor 1150 zu beachten sind,1 einen Beitrag zur Stadtgenese liefern,2 den Umgang der mittelalterlichen Baumeister mit dem Gelände illustrieren3 oder anderweitig zur Planungsgeschichte beitragen.4 Sie alle tragen dazu bei, nach neuartigen Kriterien die typologische Entwicklung des Stadthauses und die Stadtentstehung von Cluny zu verstehen und überdies auch dem Geist hochmittelalterlichen Planens und Bauens näherzukommen. Es sind darunter auch zwei bekannte und relativ gut erhaltene Objekte vertreten, die seit 1995 Umbau– und Restaurierungsmaßnahmen erfahren haben.5 Der analytische Zugang zu Bausubstanz und archäologischen Schichten, besonders bei Umbauten, führte auf allen genannten Ebenen zu neuen Ergebnissen. Die gruppenunterscheidende Datierung der Häuser nach 1150 erfordert vorausgreifend den Hinweis, dass alle bisher von anderen Autoren veröffentlichten romanischen Reihenhäuser in Cluny nicht früher als etwa 1160 entstanden sind.

Die nachfolgend besprochenen Bauwerke wurden größtenteils neu dokumentiert und sind mit wesentlichen Ergänzungen und Korrekturen der bisherigen Interpretationen dargestellt. Die zur Auswahl führenden Beobachtungen und Voruntersuchungen sind nicht von der jeweiligen Baubeschreibung zu trennen; oft hinterfragen sie zentrale Ergebnisse der vorhandenen Literatur. Aus diesem Grund ist die Begründung der Objektwahl Teil der Einleitung der individuellen Baubeschreibung. Nicht eigens in die Reihe der Objekte aufgenommen wurde das 2007 untersuchte Haus 14, rue du Merle, in dem der SDAP einen Kernbau nach dem Modell des Hauses 20, rue du Merle vermutete. Dies ist nicht der Fall, sondern das Haus kann als Reihenhaus der Zeit gegen 1200 dargestellt werden. Es bestätigt z. B. am Haus 6, rue dʼAvril gemachte typologische Beobachtungen. Außerdem ist in seiner Seitenwand die an den älteren Häusern beobachtete Gliederung mit zwei Fenstern aufgegriffen. Die Raumhöhen des spätromanischen Baus wurden, wie auch an anderen Häusern beobachtet, im Spätmittelalter reduziert, und es wurde ein zweites Obergeschoss geschaffen. Neue Ergebnisse zu Haus 1–3, rue de la Chanaise, die dessen spätromanischen Zustand der Zeit gegen 1200 betreffen, sind oben in Teil III, S. 92, behandelt. Sie ergänzen als Umbauphase die Darstellung eines neu entdeckten, ursprünglich hochromanischen Bauwerks vom Beginn des 12. Jahrhunderts.

4.2 Haus 9, rue du Merle (um 1160–80)

Reihenhaus 2. H. 12. Jahrhundert

Aufstockung gegen 1400

Pl. 9.19, 9.20, 9.38, 9.39

Pl. 9.1: D

Zeittafel S. 342351: 20

Abb. 4.1: Haus 9, rue du Merle.
Fassade 2007 vor der Restaurierung.

Abb. 4.1: Haus 9, rue du Merle.
Fassade 2007 vor der Restaurierung.

4.2.1 Bau– und bodenarchäologischer Befund (Pl. 9.38)

Das Haus 9, rue du Merle steht östlich gegenüber dem ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 (20, rue du Merle). Beide Häuser zusammen können im Straßenquerschnitt die typologische Entstehung des städtischen Reihenhauses komprimiert und übersichtlich illustrieren (Pl. 9.19, 9.20). Das Objekt war seit 1858 Gegenstand baugeschichtlichen Interesses, wie fast alle Häuser Clunys mit nach außen sichtbaren, romanischen Fenster– oder Arkadenöffnungen (Abb. 4.1).6 Typologisch wurde es seitdem als dreigeschossiges romanisches Reihenhaus aufgefasst, das von der Bauzeit bis heute nicht wesentlich verändert wurde.

Abb. 4.2: Haus 9, rue du Merle.
Präparierter Ort der rußgebräunten romanischen Giebelmauer in der Grenzwand zu Haus Nr. 7.

Abb. 4.2: Haus 9, rue du Merle.
Präparierter Ort der rußgebräunten romanischen Giebelmauer in der Grenzwand zu Haus Nr. 7.

Während der laufenden Untersuchung 1997 im Haus 20, rue du Merle wurde im Haus Nr. 9 vom SDAP in der Grenzwand zu Haus Nr. 7 ein tiefer gelegener Ort festgestellt, dessen First gegenüber dem aktuellen rückwärtig lag (Pl. 9.38 und Abb. 4.2). Die Situation wurde zunächst nach dem Vorbild des Kernbaus im Haus Nr. 20 als frühes Steinhaus mit Vorhof interpretiert und dem Bearbeiter mitgeteilt. Da allerdings keine von der Straße zurückgesetzte Fassade feststellbar war, konnte dem nicht vorbehaltlos zugestimmt werden.7 Zur Klärung wurde eine eingehende Untersuchung notwendig, die den raumweisen Renovierungsarbeiten zwischen 1997 und 2008 folgte.

a. Bauzeitliches Niveau und Stratigraphie
Abb. 4.3: Haus 9, rue du Merle.
Östlicher Arkadenfuß der Fassade des 12. Jh.s mit Fundamentbankett 0.60 m unter Straßenniveau 2008 (Markierung).

Abb. 4.3: Haus 9, rue du Merle.
Östlicher Arkadenfuß der Fassade des 12. Jh.s mit Fundamentbankett 0.60 m unter Straßenniveau 2008 (Markierung).

Im Sommer 2008 konnte das Fundamentbankett (Straßenniveau der Bauzeit) mit einer Sondage am romanischen Arkadenfuß exakt bestimmt werden; es liegt 0.60 m unterhalb des aktuellen Straßenniveaus (Abb. 4.3). Das Schichtenbild zeigt die sukzessive Auflagerung von Straßenschichten im Wechsel mit Bauschichten des Spätmittelalters und der Neuzeit, die mit Bauvorgängen im Haus zu verbinden sind. An der innenliegenden Querwand wurde zuvor ein Fundamentbankett etwa 0.05 m tiefer als an der Fassade festgestellt. Zur Rückwand hin ist das natürliche topographische Niveau steigend rekonstruierbar. Die einschalig abgemauerten, späteren Eintiefungen, die Gegenwart geologisch anstehenden Lehms hinter den Resten der ursprünglichen Innenecke und die höhere Lage des rückwärtigen Gartens weisen darauf hin. Möglicherweise war das Haus rückseitig etwa 1.00 m tief in den Hang eingeschnitten. Im Spätmittelalter wurde das Erdgeschoss beiderseits der Rückwand weiter abgegraben. Der Innenraum wurde als wenig tiefer Keller abgemauert und frühneuzeitlich mit Lehm und Bruchsteinen wieder verfüllt. Darauf liegen neuzeitliche Schichten, Bauschutt und Fußböden des 19. und 20. Jahrhunderts.

b. Kanal des Médasson (Merdasson)
Abb. 4.4: Der Médasson wenig oberhalb der Eintrittsstelle in der Stadtmauer.

Abb. 4.4: Der Médasson wenig oberhalb der Eintrittsstelle in der Stadtmauer.

Abb. 4.5: Der mit Beton gedeckelte Bach hinter den Häusern der oberen Rue du Merle. Im Hintergrund schwenkt der Bach nach links und fließt als cloaca unter den Häusern weiter.

Abb. 4.5: Der mit Beton gedeckelte Bach hinter den Häusern der oberen Rue du Merle. Im Hintergrund schwenkt der Bach nach links und fließt als cloaca unter den Häusern weiter.

Der kleine Bach Médasson entspringt wenige Kilometer westlich oberhalb von Cluny und durchfließt vor seiner Mündung in die Grosne den Stadtkern (Abb. 4.4, 4.5). Der Bach wurde über Jahrhunderte als Abwasserkanal genutzt. Im Haus 9, rue du Merle war der das Vorderhaus querende, gedeckte Kanal über eine kleine Luke im Fußboden (s. Pl. 9.38) sicht– und ansatzweise messbar. Scheitelpunkt, Gewölbeform und –breite sowie die Sohlentiefe konnten annähernd bestimmt werden; sie stimmen mit den Beobachtungen des Kanals in der unteren Rue de la Barre überein.

Im „Terrier Bollo“ (Plans Geometraux de la Ville de Cluny et des Environs. Avec Les Cartes de la Rente Noble Abbatialle dudit Lieu. Echelle de 200 pieds 1693) ist bereits die heutige Eintrittsstelle des Bachs unter die Häuserzeile dargestellt (Abb. 4.6). Das geographische Relief grenzt die Rekonstruktion des Bachverlaufs in nächster Beziehung zur Straße ein. Es käme für die hochmittelalterliche Situation ein offener Verlauf in der Straßenmitte in Frage (nach dem Beispiel der Freiburger „Bächle“), ein gedeckter Verlauf unter der Straße und ein zunächst offener, ab dem 12. Jahrhundert nach und nach überbauter Verlauf neben der Straße. Letzteres erscheint, nach allen Beobachtungen, wahrscheinlich. Die konstant geringe Straßenbreite (stellenweise unter 7 m), die zur Straße hin offene Konzeption der Fassade des untersuchten Hauses mit Arkadenöffnung und das Schichtenbild im Straßenbereich lassen nicht auf einen Bach vor dem Haus schließen, der mit Böschungen wenigstens zwei Meter breit zu rekonstruieren wäre. Vielmehr scheint der Bach bereits im 12. Jahrhundert in seinem Verlauf an die Riemenparzellen der Rue du Merle angepasst worden, vom Treppenvorbau der Häuser überbaut und als cloaca genutzt worden zu sein. Ein Indiz dafür ist neben der Bezeichnung „Merdasson“ auch, dass bisher keine gemauerten Kloaken im Bereich der Straßen am Talboden gefunden wurden, und dass außerdem im „Terrier Bollo“ Latrinen am Bach schon oberhalb des Eintritts unter die Häuser eingetragen sind. Der Kanalquerschnitt wurde im Übrigen sekundär vergrößert, um temporär wetterbedingt größere Wassermengen besser aufnehmen zu können. Der straßenbegleitende Verlauf des Médasson wurde seit gotischer Zeit auch längs der Pfarrkirche Notre-Dame von Häusern überbaut, so dass dort kleine, untiefe Parzellen entstanden, die den Bachverlauf nachzeichnen. Ebenso verhält es sich mit der spätmittelalterlichen Überbauung des Vorfluters Rivière de la Chaîne in der Nachbarschaft des Hauses 23, rue Filaterie / 1, pte. rue des Ravattes, ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 (d).

Abb. 4.6: „Terrier Bollo“ von 1693.
Einlaufstelle des Médasson unter die Häuser südlich der Straße unweit oberhalb des heutigen Hauses Nr. 9.
Blatt Rue du Merle Süd, Ausschnitt.

Abb. 4.6: „Terrier Bollo“ von 1693.
Einlaufstelle des Médasson unter die Häuser südlich der Straße unweit oberhalb des heutigen Hauses Nr. 9.
Blatt Rue du Merle Süd, Ausschnitt.

c. Typischer Aufriss des Reihenhauses nach 1150 (Pl. 9.38)
Abb. 4.7: Haus 9, rue du Merle.
Hauseingang mit gewölbtem Leibungssturz, flacher Türblattnische und Ausriss der (oberhalb) erhaltenen Treppe des 12. Jh.s. Die charakteristische Mauertechnik dieser Zeit wird an diesem Detail deutlich.

Abb. 4.7: Haus 9, rue du Merle.
Hauseingang mit gewölbtem Leibungssturz, flacher Türblattnische und Ausriss der (oberhalb) erhaltenen Treppe des 12. Jh.s. Die charakteristische Mauertechnik dieser Zeit wird an diesem Detail deutlich.

Grenzwand zu Haus Nr. 7 . Das romanische Haus auf der Parzelle 9, rue du Merle ist um 14.00 m lang und etwa 6.00 m (Parzelle) bzw. 5.50 m (Innenraum) breit und war im 12. Jahrhundert bis zur Traufe ca. 7.45 m und zum First ca. 11.00 m hoch. Die aufschlussreichsten Befunde zur Rekonstruktion der ursprünglichen Kubatur des Hauses enthält die Grenzwand zum benachbarten Haus Nr. 7 (Abb. 4.15). Nach Abschluss des Umbaus von 1999 bis 2007 wurden sie großteils wieder verdeckt. Es wurde eingangs auf einen älteren Giebel mit Pfettensassen hingewiesen, den diese Wand enthält. Deren Untersuchung im Erdgeschoss ergab, dass die erhaltene Steintreppe zum selben Bau gehört, das Haus also bis hin zur Straße reichte (Abb. 4.7). Das Treppengewölbe mit in Richtung des oberen Auflagers absteigender Linie ist zeitlich nach 1150 einzuordnen. Es unterscheidet sich vom ausschließlich aufsteigenden Viertelkreis des Treppengewölbes im ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 (d). An der hinteren Innenecke des Erdgeschosses wurde die Abbruchstelle der ursprünglichen Rückwand gefunden. So kann die Kubatur des romanischen Hauses verlässlich dargestellt werden. Es bestand aus einem Treppenvorbau mit einem Obergeschoss und rückwärtig dem Hauptteil des Hauses, auf dem mittig der First saß. In der Baudokumentation (vgl. Pl. 9.38 oben) führt die Verlängerung des vorderen Giebelschenkels zur Straße hin zu einem Abschluss der Straßenfront oberhalb des Arkadenfensters im 1. OG, so dass die Fassade des Ursprungsbaus dem Haus 15, rue dʼAvril oder den Häusern 23 bzw. 25, rue de la République entspricht: Es waren ein Erdgeschoss mit Arkade und Türöffnung vorhanden, darüber ein Obergeschoss mit Arkadenfenster.

Die Podesttiefe und Türblattnische innen am Hauseingang definieren eine symmetrisch zweiflüglige Tür von 1.15 m lichter Breite und 2.25 m Höhe, die nach innen aufschlägt (Abb. 4.7). Die anschließende einläufige Treppe führt unmittelbar in den rückwärtig gelegenen Hauptraum des Obergeschosses (Pl. 9.38, Tür 1, Türblatt rekonstruiert). Von dort aus führte eine Tür etwa mittig in das Obergeschoss des Treppenvorbaus ((Abb. 4.10) und Pl. 9.38, Tür 2). Die Mauer, die den Treppenraum vom Raum mit den Arkadenfenstern trennt, ist sekundär eingestellt. Ob und wie das Treppenauge ursprünglich vom Raum getrennt war bleibt offen: Das Schlitzfenster scheint als Licht für die Treppe gedient zu haben; das benachbarte Arkadenfenster ragt in die Treppenbreite hinein und kann nicht durch eine geradlinige Wand vom Treppenraum getrennt gewesen sein.8

Die Bauornamentik des Arkadenfensters der Straßenfassade ist in der Literatur mehrfach beschrieben worden und wird derzeit erneut behandelt.9 Es ist ein spätromanischer, reicher, angulärer Stil festzustellen, der vor Ende des 12. Jahrhunderts zu datieren ist (Abb. 4.8, 4.9). Die Brüstung in voller Mauerstärke entspricht allen vorliegend untersuchten Häusern des 12. Jahrhunderts; Sitznischen scheinen erst ab dem 13. Jahrhundert aufzutreten.10

Abb. 4.8: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Lichtfenster der Treppe (links) und Arkadenfenster des straßenseitigen solarium ohne Sitznischen (2. H. 12. Jh.)

Abb. 4.8: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Lichtfenster der Treppe (links) und Arkadenfenster des straßenseitigen solarium ohne Sitznischen (2. H. 12. Jh.)

Abb. 4.9: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Arkadenfenster, Ansatz mit Arcature lombarde (Bogenfries), Halbrose, Waffelband und kanneliertem Pfeiler (2. H. 12. Jh.).

Abb. 4.9: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Arkadenfenster, Ansatz mit Arcature lombarde (Bogenfries), Halbrose, Waffelband und kanneliertem Pfeiler (2. H. 12. Jh.).

Abb. 4.10: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Details der Quermauer des Hauses, vom straßenseitigen solarium aus gesehen. Rechts das Fragment des gewölbten Leibungssturzes der Verbindungstür zum Hauptraum (Pl. 9.38, „Tür 2“), links Innenecke mit sekundärer, gemauerter Einhausung der Treppe. Charakteristisch der Gebrauch von Lehmmörtel bei Innen– und Grenzmauern gegenüber Kalkmörtel in der Fassade.

Abb. 4.10: Haus 9, rue du Merle, 1. OG.
Details der Quermauer des Hauses, vom straßenseitigen solarium aus gesehen. Rechts das Fragment des gewölbten Leibungssturzes der Verbindungstür zum Hauptraum (Pl. 9.38, „Tür 2“), links Innenecke mit sekundärer, gemauerter Einhausung der Treppe. Charakteristisch der Gebrauch von Lehmmörtel bei Innen– und Grenzmauern gegenüber Kalkmörtel in der Fassade.

Der hier vorhandene monolithische Sturz wird wie der Segmentbogen ab der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts üblich, um Arkadenfenster zu überbrücken, und löst den älteren Halbkreisbogen ab. Oberhalb der Arkadenfenster ist die Fassade des 12. Jahrhunderts um einige Dezimeter abgetragen. Das im Steinplan dargestellte Dach des dazugehörigen Baus lässt sich bis zur Fassade fortsetzen; ein kurzes, im romanischen Bauverband stehendes Wandstück jenseits der Quermauer im Vorbau konnte 2008 nachträglich in die Dokumentation aufgenommen werden. Ein niedrigeres Dachgeschoss über dem Hauptraum des Ursprungsbaus kann nur vermutet werden. Balkensassen oder der Abdruck einer Zwischendecke des 12. Jahrhunderts waren bisher nicht zu bestimmen. Allerdings könnte ein Mauerabsatz (12. Jahrhundert) oberhalb von Tür 1 (Pl. 9.38) auf eine frühere Deckenunterkante hinweisen. Beide Modelle – mit und ohne Zwischendecke – existierten nach 1150 nebeneinander.11 Die Einführung der Zwischendecke im typologisch alten Saal eines romanischen Hauses wurde nach 1150 mit der Verbreitung relativ raucharmer Kamine möglich; die Raumhöhe konnte von ca. fünf auf ca. drei Meter reduziert werden.

d. Aufstockung gegen 1400 im romanischen Stil
Abb. 4.11: Haus 9, rue du Merle, 1. und 2. OG.
Fassade nach der Restaurierung 2007/08.

Abb. 4.11: Haus 9, rue du Merle, 1. und 2. OG.
Fassade nach der Restaurierung 2007/08.

Das sekundäre 2. OG (Abb. 4.11) korrigiert die Verformung der leicht gekippten romanischen Fassade (s. Pl. 9.38). Die Höhe der Aufstockung beträgt von Fensterbank zu Fensterbank 3.15,8 m und entspricht der generell eruierten pertica als Grundmaß zwischen ca. 3.14,00 und 3.16,25 m. Das Datum der Aufstockung kann insofern eingegrenzt werden, als diese sicher nach dem 13. Jahrhundert vorgenommen wurde. Der Zugang zum 2. OG wurde im oberen Teil der romanischen Quermauer eingebrochen und besteht aus einer steinernen Türfassung des 13. oder 14. Jahrhunderts, vielleicht in Wiederverwendung.12

Abb. 4.12: Haus 9, rue du Merle, 2. OG, Fassade.
Im Spätmittelalter wiederverwendetes Arkadenfenster aus einem anderen Bau. Bei der Remontage um 1400 wurde die Kämpferzone gestreckt, im Inneren wurden Sitznischen und ein Falz zur Aufnahme eines hölzernen Fensterrahmens hergestellt.

Abb. 4.12: Haus 9, rue du Merle, 2. OG, Fassade.
Im Spätmittelalter wiederverwendetes Arkadenfenster aus einem anderen Bau. Bei der Remontage um 1400 wurde die Kämpferzone gestreckt, im Inneren wurden Sitznischen und ein Falz zur Aufnahme eines hölzernen Fensterrahmens hergestellt.

Datierend sind für das 2. OG vor allem mehrere Eigenschaften des Arkadenfensters (Abb. 4.12, 4.13). Bisher wurde es stets als dem 12. Jahrhundert zugehörig und einheitlich mit demjenigen des 1. OG eingestuft, obgleich durchaus ein Unterschied im Stil und in der Qualität der Ausführung bemerkt wurde.13 Die Beobachtung des Bauzusammenhangs der Fensternischen verifizierte eine aus Backstein aufgemauerte Brüstung, einen Falz für einen festen Holzrahmen in der Fensterbank und den Gebrauch von Zahneisen für Werkstein. Diese Baueigenschaften treten in Cluny erst nach dem 12. Jahrhundert auf. Die Zahneisenfläche in der vorliegenden, mittelbreiten Art entspricht dem Gebrauch des 13.–16. Jahrhunderts, ebenso das einfache Schrägprofil der Fensterbank in der Fassade.14 Feste Holzrahmen mit Fensterflügeln erscheinen frühestens im 13. Jahrhundert. Backstein ist in Cluny vor allem an Reparaturen des 15. Jahrhunderts feststellbar und an älteren Bauten bisher unbekannt; die Backsteinpyramide des Turms von Saint-Marcel etwa wurde im 14.15 oder 16.16 Jahrhundert errichtet.

Abb. 4.13: Haus 9, rue du Merle, 2. OG, Sturz des Arkadenfensters.
Stilistisch gegenüber der Bauornamentik des 1. OG unterscheidbares Relief.

Abb. 4.13: Haus 9, rue du Merle, 2. OG, Sturz des Arkadenfensters.
Stilistisch gegenüber der Bauornamentik des 1. OG unterscheidbares Relief.

Abb. 4.14: Haus 9, rue du Merle.
Rekonstruktion Bauzustand 12. Jh.
Pl. 9.20, Ausschnitt.

Abb. 4.14: Haus 9, rue du Merle.
Rekonstruktion Bauzustand 12. Jh.
Pl. 9.20, Ausschnitt.

Schließlich wurde bei der Freilegung der Fassade 2007 sichtbar, dass die vorhandenen obersten Geschosse der Nachbarhäuser der Aufstockung des Hauses 9, rue du Merle vorausgingen. Haus 11, rue du Merle wurde nach dem Aussehen der Fensterreihe im 2. OG und der im selben Verband stehenden Eckausbildung in der Grenzwand im 14. Jahrhundert aufgestockt, so dass mit der Erhöhung des Hauses 9, rue du Merle etwa in der Zeit gegen 1400 gerechnet werden kann. Bei dieser Aufstockung wurde für das Fenster teilweise romanische Bauskulptur verwendet, die den Eindruck einer rustikalen Annäherung des 13. Jahrhunderts macht, und es wurden fehlende Teile eigens nachgehauen. Bank und Seiten des Arkadenfensters wurden nachgefertigt, desgleichen die auf die romanischen Säulen aufgesetzten Kämpfer, die eine höhere Proportion der kleinen Fenster herstellen. Der gekehlte Ablauf dieser neueren Elemente verweist in die Spätgotik. Die zeitgleiche Nacharbeitung eines fehlenden romanischen Sturzteils über dem dritten Fensterbogen eröffnet vollends den Blick in einen quasi denkmalpflegerischen Umgang mit der Architektur, der möglicherweise aus der Not des Hundertjährigen Kriegs (1339–1453) geboren, aber nicht ausschließlich mit einer schlechten Wirtschaftslage zu erklären ist.

4.2.2 Datierung

Die Zeitstellung des Hauses kann über die Datierung des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 (d) und das ‚Haus eines Händlers‘, Bauzeit um 1193–1208 (d) eingegrenzt werden. Der stilistische Unterschied der reichen Bauornamentik des Hauses 9, rue du Merle gegenüber derjenigen des Hauses von 1136 ist erheblich, während die Bauform dem Typus des Saalbaus von 1136 folgt. An einen straßenbegrenzenden Treppenvorbau mit Obergeschoss, der die Fassade des Hauses bildet (Abb. 4.14), schließt rückwärtig der höhere Hauptteil des Hauses mit einem saalartigen Raum im Obergeschoss an. Die angulär geartete Ornamentik am Arkadenfenster des Hauses 9, rue du Merle hat bereits spätromanische Züge, ist allerdings im Gesamteindruck noch sicher und kräftig. Die Säulenbasen sind noch nicht, wie bei späteren Häusern die Regel, als attische Basen ausgebildet, sondern in Variation des gekehlten Schrägprofils der Basen am Haus von 1136 mit zungenartigen Blättern belegt und vom Säulenschaft abgesetzt. Auch sind die Säulenschäfte noch mit glatter Fläche gestaltet, nicht mit Ornament überzogen, wie es später üblich wurde. Die Sturzplatten tragen das kräftige Relief eines Bogenfrieses, die drei das Arkadenfenster konstituierenden Biforien sind durch jeweils drei Stege mit zwei Kanneluren voneinander abgesetzt. Die Art der Ornamentik scheint die älteste Stilstufe innerhalb der sculpture civile der Reihenhäuser von Cluny darzustellen, die in der Folge zu überreichem Ornament, zu mechanischer Verflachung und schließlich zu einer nüchternen, kantigen Frühgotik entwickelt wird.17 Für die Entwicklung des Stilunterschieds zum typologisch überaus repräsentativen Haus von 1136 sind wenigstens zwanzig Jahre anzunehmen. Andererseits ist auch der typologische Unterschied zum ‚Haus eines Händlers‘ beachtlich – das Haus 9, rue du Merle verfügte beispielsweise noch nicht über eine unabhängige Erschließung des Obergeschosses im Vorbau von der Zugangstreppe aus. Eine Zwischenstufe, stilistisch wie typologisch, stellt das Haus 25, rue de la République dar. Aus dem Bauvergleich ergibt sich für das Haus 9, rue du Merle eine Datierung etwa zwischen 1160 und 1180.18

4.2.3 Zusammenfassung

Abb. 4.15: Cluny, Haus 9, rue du Merle.
Grenzwand zu Haus Nr. 7.
Typischer Aufriss eines Reihenhauses der 2. Hälfte des 12. Jh.s
(grau markiert).
Pl. 9.38, nachbearbeitet.

Abb. 4.15: Cluny, Haus 9, rue du Merle.
Grenzwand zu Haus Nr. 7.
Typischer Aufriss eines Reihenhauses der 2. Hälfte des 12. Jh.s
(grau markiert).
Pl. 9.38, nachbearbeitet.

Am Haus 9, rue du Merle konnte erstmals die Typologie des Aufrisses geklärt werden, der den bekannten romanischen Stadthäusern der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts in Cluny zu eigen ist (Abb. 4.15),19 soweit sie nicht durch Zwänge des Parzellenzuschnitts in der Haustiefe verkürzt sind.20 Das Straßenniveau der Rue du Merle lag um 1150 ca. 0.60 m unter der heutigen Straßenoberkante (vgl. Abb. 3.98). Der kleine Fluter Médasson existierte wahrscheinlich seit der Bauzeit an der jetzigen Stelle als gedeckter Abwasserbach, jedoch mit geringerem Kanalquerschnitt als heute. Die Raumaufteilung des Hauses entspricht dem Saalteil des Hauses von 1136: Auf einem Sockelgeschoss erhebt sich ein relativ dunkler Hauptraum, zur Straße hin steht ein Treppenvorbau, dessen Obergeschoss (solarium) durch Arkadenfenster belichtet wird.

Die Dachlinie des 12. Jahrhunderts über dem 1. Obergeschoss zeigt an, dass der Schwerpunkt des Hauses weit hinten lag, exakt über dem Hauptraum. Der Treppenvorbau mit dem solarium im Obergeschoss liegt an der Stelle des typologisch „alten“ Vorhofs, wie er vor dem gegenüber liegenden ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 existierte. Der Treppenvorbau ist in dem Haus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch die typologisch alte Hausfront noch deutlich vom Hauptraum getrennt, und er ist nur von dort aus zugänglich. Die erstmals festgestellte, zweigeschossige Typologie des Aufrisses mit niedrigerem Treppenvorbau und höherem Haupthaus unter einem Dach ist exemplarisch für das so genannte klassische romanische Stadthaus in Cluny. Sie geht auf Vorbilder wie den ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 und generell auf Saalbauten mit vorgelagertem Treppenvorbau zurück, zu denen auch die Aula von 1108 (d) gehört. Alle diese Häuser sind typologisch als domus solaratae zu beschreiben.21

In der Literatur ist das Haus 9, rue du Merle stets als dreistöckiges romanisches Haus beschrieben. Das kann nicht gehalten werden: Das zweite Obergeschoss, das bislang bauzeitlich ins 12. Jahrhundert interpretiert wurde, ist in Wirklichkeit eine Aufstockung aus der Zeit um 1400 mit romanischen Fensterteilen, die den First des Hauses zur Straße hin verschiebt, über die Mitte des Gesamtgrundrisses.22 Das Haus entsprach nach diesem spätmittelalterlichen Umbau keinesfalls mehr einer hochmittelalterlichen Typologie, sondern erhielt eine zeitgemäßere Kubatur und Raumaufteilung. Nach dem Haustypus, der Konstruktionsweise und der bereits spätromanisch ausgeprägten, jedoch noch frisch und fest wirkenden Bauornamentik ist der zweigeschossige Ursprungsbau des Hauses 9, rue du Merle um 1160–80 datierbar. Er gehört zu den ältesten straßenraumbegrenzenden, gereihten Stadthäusern in Cluny.

4.3 Haus 15, rue dʼAvril (um 1160–80)

Reihenhaus 2. Hälfte 12. Jahrhundert

Pl. 9.409.41

Stadtübersicht Pl. 9.1: A

Zeittafel S. 342351: 21

Abb. 4.16: Haus 15, rue dʼAvril.
Fassade der 2. Hälfte des 12. Jh.s vor der Restaurierung 1999/2000.

Abb. 4.16: Haus 15, rue dʼAvril.
Fassade der 2. Hälfte des 12. Jh.s vor der Restaurierung 1999/2000.

4.3.1 Bauhistorischer und und –archäologischer Befund

Abb. 4.17: Haus 15, rue dʼAvril.
Fassade der 2. Hälfte des 12. Jh.s nach der Restaurierung 1999/2000.

Abb. 4.17: Haus 15, rue dʼAvril.
Fassade der 2. Hälfte des 12. Jh.s nach der Restaurierung 1999/2000.

Das 1999–2000 umgebaute und neu untersuchte Haus ist vor allem wegen seiner romanischen Fassade bekannt, welche die am weitestgehenden erhaltene in Cluny darstellt (Abb. 4.16, 4.17).23 Die vorhandenen Publikationen erzeugen ein insgesamt gefestigt anmutendes Bild von der typologischen Erscheinung des Hauses. Der Blick auf den Baubefund stellte dem gegenüber fest, dass nur die Fassade und die innenliegende Querwand bis zur Oberkante der Tür– und Fensteröffnungen im Obergeschoss erhalten sind. Außerdem lässt sich noch die Lage der größtenteils abgängigen Grenzwände relativ problemlos ergänzen. Für den Aufriss mit Bezug zum bauzeitlichen Niveau bzw. auch den archäologischen Kulturschichten, für Rückwand und Dach gab es bisher keinerlei gefestigten Ergebnisse; außerdem ist auch die einläufige Treppe vom straßenseitigen Eingang zum Obergeschoss im Spätmittelalter erneuert und stark verändert worden; sie ist im romanischen Bauzustand ohne oberes Podest zu rekonstruieren. Dieser Sachverhalt wurde in den bisherigen Rekonstruktionen noch nicht berücksichtigt.

a. Bauzeitliches Niveau und Stratigraphie (Pl. 9.409.41)
Abb. 4.18: Haus 15, rue dʼAvril, Fassade.
Straßenschichten und gedeckter Kanal (Fragment) am westlichen Arkadenfuß (vgl. Pl. 9.40). Links Arkadenkante mit überstehender Euthynterie, diese auf den Deckplatten des kleinen Kanals.

Abb. 4.18: Haus 15, rue dʼAvril, Fassade.
Straßenschichten und gedeckter Kanal (Fragment) am westlichen Arkadenfuß (vgl. Pl. 9.40). Links Arkadenkante mit überstehender Euthynterie, diese auf den Deckplatten des kleinen Kanals.

Abb. 4.19: Haus 15, rue dʼAvril, Fassade.
Aufsicht des gedeckten Kanals (Fragment) am westlichen Arkadenfuß (vgl. Pl. 9.40). Lehmboden des Kanals, Steinfassung, Deckplatte, darauf Arkadenfuß mit überstehender Euthynterie (links oben).

Abb. 4.19: Haus 15, rue dʼAvril, Fassade.
Aufsicht des gedeckten Kanals (Fragment) am westlichen Arkadenfuß (vgl. Pl. 9.40). Lehmboden des Kanals, Steinfassung, Deckplatte, darauf Arkadenfuß mit überstehender Euthynterie (links oben).

Während der Befund des bauzeitlichen Straßenniveaus mit späteren Aufhöhungen von erstrangiger Bedeutung für die Erkundung der Stadtanlage von Cluny ist, führt die Stratigraphie im Hausinneren zu Erkenntnissen über den bauzeitlichen Umgang mit der topographisch vorgegebenen Hangneigung des Baugrundstücks, das zur Rückwand hin nicht ansteigt, wie bei den meisten anderen untersuchten Häusern, sondern abfällt. Die Straßenschichtung wurde am westlichen (rechten) Arkadenfuß der Fassade sondiert (Abb. 4.18 und 4.19). Dort wurde vor Abschluss des rezenten Umbaus der Gasanschluss gelegt; wahrscheinlich sind die hier beschriebenen Befunde heute zerstört. Die geologische Deckschicht (gelbgrauer Lehm) liegt um 0.40 m unterhalb des aktuellen Straßenpflasters. Darüber wurde eine mittelalterliche Straßenschicht (Lehm mit Kies) gefunden, die an das Haus anstreicht, ähnlich wie vor dem Haus von 1136. Weitere Schichtauflagen wurden für die modernen Pflasterungen fast vollständig beseitigt. Im bauzeitlichen Horizont liegt das kurze Fragment einer in hammerrechtem Stein gefassten Quellenrinne mit Lehmboden, die mit Steinplatten abgedeckt ist (ca. 0.30 m tief und 0.20 m breit). Die Rinne kam vom Hügel bei Saint-Mayeul und führte durch das Haus hindurch hangabwärts zum älteren Haus von 1091 (20, rue du Merle).24 Die Rinnenabdeckung wird von der Euthynterie des Arkadenfußes überschnitten, der Kanal war beim Bau des Hauses vorhanden und wurde beibehalten.

Im Hausinnern zeichnet sich ein Gefälle des geologischen Horizonts ab. Die bauzeitliche Fläche ist nicht mehr erhalten, da sie spätestens neuzeitlich zusammen mit allen auflagernden Kulturschichten abgegraben wurde. Um 1800 wurde das Haus mit Bauschutt und Keramikscherben bis zum Straßenniveau hin aufgefüllt; bei der jüngsten Renovierung wurde das Niveau bis zur OK des Mauerpfropfs in der Querwandarkade wieder reduziert (Pl. 9.40 oben). Die nachträglichen Auffüllungen und Mauerstreifen im Hausinnern stammen sämtlich aus dem 18.–20. Jahrhundert. Das Fußbodenniveau der Zeit um 1200 kann nur anhand der vorhandenen Fundamentoberkanten rekonstruiert werden.

Beim ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 ist zu sehen, dass es Höhenunterschiede zwischen den Fundamentbanketten der Außenmauern und der innenliegenden Bauteile geben kann, da das Niveau im Hausinnern während des Baus sukzessive abgesenkt wurde. Das Ergebnis ist dort ein stufenloser Lehmboden mit Gefälle, ebenso im Haus von 1091. Die Fundamente im EG des Treppenvorbaus im Haus 15, rue dʼAvril geben ein Gefälle von 2,7 Grad an, während das geologische Gefälle der Gesamtlänge des Hauses durchschnittlich 5 Grad beträgt. Dieses Niveau ist im hinteren Teil des Nachbarhauses noch vorhanden (Pl. 9.41, Einspiegelung des rückwärtigen Teils des Nachbarhauses mit Strichlinie). Der rekonstruierte bauzeitliche Fußboden ist auf Pl. 9.41 dargestellt (Strichpunktlinie). Vielleicht war das Gefälle des Bodens, mit dem auch der wasserführende Kanal floss, an der Querwand durch eine Stufe gemildert. Dort verspringt die Bankettoberkante, doch weist die beobachtete Zertrümmerung des Bankettüberstands darauf hin, dass der Bankettversprung erst bei einer sekundären Abgrabung erzeugt wurde.25 Wie oben gesagt, steigt der ursprüngliche Fußboden im Unterschied zu den Häusern am Talboden nicht nach hinten an,26 sondern fällt ab. Wenn das Haus 15, rue dʼAvril auch in der Rückwand eine breite Arkade hatte – die notwendige Raumhöhe ist vorhanden – konnte das Sockelgeschoss so durchgängig geöffnet werden wie eine Gasse. Diese Disposition entspricht dem Befund des Hauses 25, rue de la République.

b. Befund und Ergänzung des Aufgehenden
Abb. 4.20: Haus 15, rue dʼAvril.
Das Hausinnere während des Umbaus 1999.
Blick vom Hauptraum durch das Vorderhaus zur Straße.
Im OG rechts der Zugang vom Treppenaufgang in den betrachterseitigen Saal, von hier aus führt eine zweite Tür ins solarium des Vorderhauses.

Abb. 4.20: Haus 15, rue dʼAvril.
Das Hausinnere während des Umbaus 1999.
Blick vom Hauptraum durch das Vorderhaus zur Straße.
Im OG rechts der Zugang vom Treppenaufgang in den betrachterseitigen Saal, von hier aus führt eine zweite Tür ins solarium des Vorderhauses.

Im Aufgehenden sind die Arkade in der Fassade, die Eingangstür mit Treppe zum Obergeschoss, die abgegangene RückwÏand und das Dach zu diskutieren (Abb. 4.21). Zunächst konnte an der Fassadenarkade festgestellt werden, dass dort ein muret, eine brüstungsartige Vermauerung mit schmalem mittlerem Durchgang, nicht existierte.27 Dies wurde auch am Haus 9, rue du Merle festgestellt, und es ist nach dem Fugenbild sowie nach historischen Fotografien davon auszugehen, dass die geläufige Rekonstruktion eines „muret“ am Haus 25, rue de la République ein Irrtum ist. Die Arkaden der Häuser Clunys sind auf größtmögliche Durchlässigkeit der Sockelgeschosse von der Fassade bis zur Rückwand angelegt, bis hin zum rückwärtigen Garten, wenn dieser auf Erdgeschossebene liegt.

Abb. 4.21: Cluny, Haus 15, rue dʼAvril.
Längsschnitt mit Rekonstruktion von abgängigem Hauptraum und Zugangstreppe zum 1. OG.
Pl. 9.41, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Abb. 4.21: Cluny, Haus 15, rue dʼAvril.
Längsschnitt mit Rekonstruktion von abgängigem Hauptraum und Zugangstreppe zum 1. OG.
Pl. 9.41, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Die Eingangstür des Hauses 15, rue dʼAvril kann anstatt bisher ca. 1.80 m etwa 2.05 m hoch rekonstruiert werden. Die UK der Werksteineinfassung des kleinen Querdurchgangs vom Erdgeschoss des Vorbaus zur Treppe liegt eine Stufe unterhalb des ursprünglichen Podestniveaus (vgl. Pl. 9.40, Mitte links). Das Podestniveau entspricht dem Eingangsniveau, ein herausstehender Schwellstein existierte nicht. Vor dem Haus können als Aufgang vom ergrabenen Straßenniveau vier Stufen rekonstruiert werden, deren oberste bündig mit der Fassadenfläche liegt. Die Oberkante dieser Stufe bildete die Ausgangshöhe der ursprünglichen, etwa 34 Grad steilen Treppe zum Obergeschoss. Die Treppe führte – wie auch beim Haus 9, rue du Merle – in den Saal des Obergeschosses, von dort aus ging eine zweite Tür ins Obergeschoss des Vorbaus (Abb. 4.20). Das Treppengewölbe ist, wie beim vorgenannten Haus, als Kreisbogen mit zum hinteren Auflager wieder absteigender Linie zu ergänzen; unterschiedlich ist jedoch der Knick im Bogenansatz, der das Treppengewölbe als Segmentbogengewölbe kennzeichnet. Auch die Überwölbung der Arkadenfenster im Obergeschoss ist als Segmentbogengewölbe ausgeführt. Es ist der bisher früheste festgestellte Gebrauch des Segmentbogens an einem Haus in Cluny. Ein oberes Treppenpodest gab es zur Bauzeit nicht; das heute vorhandene wurde erst im Spätmittelalter oder noch später eingebaut, um den straßenseitigen Raum des Obergeschosses unabhängig vom Hauptraum zu erschließen. Dies stellt eine Anpassung an den seit ca. 1200 üblich gewordenen Erschließungstypus dar.28 Um die für das Podest notwendige Fläche zu gewinnen, wurde die Treppe stark und unkomfortabel versteilt und außerdem das Podest innerhalb des Hauseingangs um eine Stufe höher gelegt. Da Türsturz und Leibungen in situ verblieben, erscheint der Hauseingang seit diesem Baueingriff als breite, unproportioniert niedrig wirkende Tür, die allerdings in alle bisherigen Rekonstruktionsversuche der romanischen Fassade und auch in die Restaurierung 1999/2000 übernommen wurde.

Für die Rekonstruktion der Hauslänge wurde die Länge des im Bauzusammenhang stehenden Nachbarhauses 15bis, rue dʼAvril übernommen (Pl. 9.41). Auf diese Weise entsteht ein dem Haus 9, rue du Merle vergleichbarer Gebäudeschnitt mit einer überraschend übereinstimmenden Hauslänge von 14 m, der neben ornamentalem Stil und Erschließungstypus eine dritte Gemeinsamkeit zwischen den beiden Bauwerken bildet. Einen Unterschied würde das Vorhandensein einer großen Arkadenöffnung in der Rückwand des Hauses 15, rue dʼAvril ausmachen, da ja hier das Gelände zum Garten hin abfällt. Diese Disposition ermöglicht den ebenerdigen Zugang zum rückwärtig gelegenen Garten bzw. Hinterhof. Ein letztes Detail betrifft die Frage der Dachlinie des romanischen Hauses. Der Hauptraum des Hauses kann nicht niedriger als der anschließende Raum im Vorbau gewesen sein. Die entsprechende Firstlinie ist in Pl. 9.41 als Mindesthöhe fixiert. Nach der neuen Typologie des Reihenhauses entspräche die in Pl. 9.41 und auf Abb. 4.22 höher angegebene Firstlinie dem Bauzustand des 12. Jahrhunderts, diese ist nach dem Vergleich mit den vorliegend untersuchten Bauten die weitaus wahrscheinlichere.

4.3.2 Datierung

Abb. 4.22: Haus 15, rue dʼAvril.
Rekonstruktion mit Bezug zum bauzeitlichen Straßenniveau und neuer Proportionierung von Erdgeschoss und Dach.
Pl. 9.41, Ausschnitt.

Abb. 4.22: Haus 15, rue dʼAvril.
Rekonstruktion mit Bezug zum bauzeitlichen Straßenniveau und neuer Proportionierung von Erdgeschoss und Dach.
Pl. 9.41, Ausschnitt.

Der Fassadentyp mit Tor, Tür und Arkadenfenster, die Bauornamentik und die Ausführung des Mauerwerks weisen auf eine Datierung hin, die dem Ursprungsbau des Hauses Haus 9, rue du Merle entspricht (Abb. 4.22). Der Fassadentyp ist der eines Reihenhauses.

Im Bauverband schließt der Zugang zum Nachbarhaus Nr. 15bis an, die Grenzwand ist halbscheidig. Das Arkadenfenster entspricht der Stilstufe der claire-voie am Haus 9, rue du Merle. Die nur wenig ausladenden Basen sind mit zungenartigen Blättern behängt, die Doppelsäulen zwischen den das Arkadenfenster konstituierenden Biforien durch Kanneluren geteilt. Beide Merkmale treten gegen 1200 nicht mehr auf. Das Mauerwerk mit angeflächten Steinen und Kalkmörtel in der Fassade und um die Öffnungen sowie mit hammerrechten Steinen und Lehmmörtel in anderweitigen Mauerverbänden entspricht ebenfalls dem Haus 9, rue du Merle und weiteren Bauten nach 1150. Die Bauzeit kann erstmals durch fest datierte Referenzbauten innerhalb einer typologischen Reihe eingegrenzt werden, zwischen ca. 1155 (20 Jahre nach dem ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136) und ca. 1190 (Holzeinschlag für das jüngere ‚Haus eines Händlers‘ von 1208 in der Zeit um 1193 (d)).29 Die Unterschiede gegenüber diesen beiden Bauten entsprechen exakt den am Haus 9, rue du Merle beobachteten, so dass für das Haus 15, rue dʼAvril ebenfalls ein Baudatum zwischen etwa 1160 und 1180 gefolgert werden kann. Wegen der Segmentbögen an Treppe und Fensterstürzen ist es tendenziell das jüngere von beiden.

4.3.3 Zusammenfassung

Der romanische Ursprungsbau des Hauses 15, rue dʼAvril entspricht bis ins Detail dem am Haus 9, rue du Merle festgeschriebenen Typus (Abb. 4.21). Gleichartig sind die Fassade, die Erschließung und die Aufteilung in Treppenvorbau und Haupthaus. Das Erdgeschoss ist an das zur Rückwand hin abfallende Gelände angepasst. Die neuartige Rekonstruktion der Treppe zum Hauptraum im 1. OG weist diesem Saal die zentrale Stelle im Haus zu, so dass auch die abgängige Rückwand und das Dach fast mit Sicherheit nach dem Modell des Hauses 9, rue du Merle rekonstruiert werden können. Die rekonstruierte Position der Rückwand entspricht überdies derjenigen des im Bauzusammenhang stehenden Nachbarhauses 15bis, rue d’Avril. Das Haus 15, rue dʼAvril kann als eines der früheren Beispiele in die typologische Reihe der domus solaratae in Cluny eingeordnet werden. Es wurde zwischen etwa 1160 und 1180 errichtet.

Die Rue dʼAvril hat seit dem 12. Jahrhundert eine Niveauerhöhung von ca. 0.35 m erfahren. Dieses Ergebnis führt zu einer entsprechend höher proportionierten Rekonstruktion der romanischen Fassade des untersuchten Hauses und kann stellvertretend für anderweitige Bauanalysen im höhergelegenen Bereich der Pfarrei Saint-Mayeul gebraucht werden. Die Stratigraphie weist die teils noch stehenden Häuser der Zeit nach 1150 als Erstbebauung der Rue dʼAvril aus. Die geradlinige Straße steht unzweifelhaft im Zusammenhang mit der Stadtanlage der Periode Cluny III. Ein steingefasster Quellkanal mit Lehmboden floss vom Hügelrücken her durch das Haus 15, rue d’Avril hindurch hangabwärts zum Haus von 1091 und in den Médasson. Er konnte sowohl als Brauch– wie auch als Abwasserkanal genutzt werden.

4.4 Haus 10, rue Saint-Odile (vermutlich letztes Drittel 12. Jh.)

Spätromanisches Hinterhaus.

Pl. 9.42.

Stadtübersicht Pl. 9.1: O.

Zeittafel S. 342351: 13.

Abb. 4.23: Haus 10, rue Saint-Odile.
Das dreigeschossige Hinterhaus, vom Lichthof aus gesehen.

Abb. 4.23: Haus 10, rue Saint-Odile.
Das dreigeschossige Hinterhaus, vom Lichthof aus gesehen.

4.4.1 Bauhistorischer und –archäologischer Befund

Nach der Ergrabung und Datierung des ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 wurde dem Bearbeiter 1998 das Hinterhaus der Parzelle 10, rue Saint-Odile als mögliches Parallelbeispiel eines Rechteckhauses aus dem 11. Jahrhundert von der örtlichen Denkmalverwaltung zur Untersuchung anempfohlen. Das Gebäude mit einräumigem Rechteckgrundriss bildet das Hinterhaus der Parzelle 10, rue Saint-Odile und ist vom straßenseitigen, ebenfalls im Ursprung romanischen Vorderhaus durch einen Lichthof getrennt (Abb. 4.23). Es hat drei Geschosse und ist mit einem flachen, sehr einfach und grob konstruierten Satteldach (Pfettendach mit improvisierten Firstsäulchen) gedeckt. Die Höhe beträgt ca. 8.70 m vom heutigen Hofpflaster bis zur Traufkante.

Nur im steinsichtigen Erdgeschoss sind Bauphasen überprüfbar. Zum rückwärtigen Garten hin ist das Erdgeschoss des Hauses in den Hang eingeschnitten. Es stand zur Bauzeit an der Rückwand wahrscheinlich bis in Fensterhöhe im Erdreich, neuzeitlich wurde dann das Gartenniveau bis zur heutigen Geschossdecke (Raumhöhe 2.40 m) angehoben, um einen bequemen und unmittelbaren Zugang vom Obergeschoss zum Garten zu schaffen. Die Anordnung der Öffnungen in Front– und Rückwand ist dem Haus von 1091 im Prinzip ähnlich, allerdings sind beide Mauern nahezu vollständig sekundär erneuert. Die vornehmlich in den Seitenwänden erhaltenen romanischen Wandteile bestehen aus hammerrechtem Mauerwerk, das mit kalkhaltigem, relativ hellen Lehmmörtel gebunden ist. Es ist ausschließlich Oolith verbaut. Das Fundament ist nach Maßgabe unterschiedlicher Banketthöhen an Ost– und Südwand in der SO-Ecke wahrscheinlich mehrlagig; der moderne Fliesenboden erlaubte keine tiefe Sondierung. Die Mauersteine sind im Durchschnitt über 0.10 m hoch und mehr als doppelt so lang.

In allen Eigenschaften entspricht die Konstruktionsweise der im 12. Jahrhundert üblichen Praxis und kann nicht davon unterschieden werden, wohl aber von der Konstruktion des Hauses von 1091. Im Ganzen entsteht der Eindruck eines romanischen Hinterhauses aus dem fortgeschrittenen 12. Jahrhundert, das zusammen mit dem straßenseitigen Vorderhaus konzipiert und gebaut wurde und mit dem Lichthof zur intensiveren Nutzung der langen Riemenparzelle beiträgt. Das erklärt auch die dessen weit rückwärtige Lage in 22 m Entfernung von der Straße. Ob der seitlich zum Garten führende Gang zur Bauzeit geschlossen oder offen war, konnte nicht definitiv geklärt werden; allerdings sind die Rückwand des Gangs und die Seitenwand des Hauses durch eine Baufuge getrennt, und die Seitenwand läuft an dieser Stelle bis zur Außenseite der Rückwand durch. Wie derartige Hinterhäuser im Spätmittelalter mit Laubengängen im Lichthof erschlossen wurden, zeigt Jean-Denis Salvèque an einem Beispiel des 14. Jahrhunderts und einem weiteren (fragmentarischen) an dem bekannten Haus 25, rue de la République (vor 1200).30

4.4.2 Abmessungen und bauzeitliche Grundmaße

Abb. 4.24: Haus 10, rue Saint-Odile.
Hochliegende Nische im EG des Hinterhauses. Aus den Lichtnischen des Hauses 10, rue Saint-Odile wurden erstmals Grundmaße ermittelt, mit denen die romanischen Bauwerke Clunys dimensioniert wurden.
Lichtnische Hinterhaus, EG, Nordwand: H 0.31,5 m, B 0.50,5 m, T 0.32 m, entsprechend 1 Fuß bzw. Elle.
Lichtnische Vorderhaus, Haupttreppe, 1. OG: H um 0.51,5 m, B 0.51–0.55,5 m, T 0.31,5 m, entsprechend 1 Elle bzw. Fuß.

Abb. 4.24: Haus 10, rue Saint-Odile.
Hochliegende Nische im EG des Hinterhauses. Aus den Lichtnischen des Hauses 10, rue Saint-Odile wurden erstmals Grundmaße ermittelt, mit denen die romanischen Bauwerke Clunys dimensioniert wurden.
Lichtnische Hinterhaus, EG, Nordwand: H 0.31,5 m, B 0.50,5 m, T 0.32 m, entsprechend 1 Fuß bzw. Elle.
Lichtnische Vorderhaus, Haupttreppe, 1. OG: H um 0.51,5 m, B 0.51–0.55,5 m, T 0.31,5 m, entsprechend 1 Elle bzw. Fuß.

Der Einraum des EG im Hinterhaus 10, rue Saint-Odile misst im Inneren 7.68 m an der südlichen, 7.65 m an der nördlichen Längswand. Die Raumbreite am Eingang beträgt 5.12 m in der Breite, an der Rückwand 0.06 m weniger. Nur die Längswände des ursprünglichen Hauses sind weitgehend erhalten; die heutigen Innenecken befinden sich jedoch an alter Stelle. Die erhaltene nördliche Längsmauer hat eine übliche Dicke von 0.56 m. Die Außenbreite des Baus beträgt 6.24 m, wenn als Dicke der südlichen Grenzwand ebenfalls 0.56 m angenommen wird. Dieses Außenmaß entspricht knapp der am Haus von 1091 bzw. am ‚hohen Wohnhaus‘ von 1136 festgestellten Breite von 2 perticae (um 6.30 m). Die Proportion des Grundrisses beträgt 1 : 1.423 (B : L =  6.24 m : 8.88 m), wenn für die abgegangene Frontwand eine ursprüngliche Stärke von 0.61 m angenommen wird, wie sie an der Rückwand noch greifbar ist.31 Unter Berücksichtigung einer Verkürzung der Grundrissprojektion durch die natürliche Hangneigung32 resultiert die Hauslänge nicht etwa aus der Diagonalen des Quadrats der Fassadenbreite, sondern viel eher und einfacher aus deren anderthalbfachem Maß (3 perticae).

4.5 Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes
‚Haus eines Händlers‘, Bauzeit um 1193 – um 1208 (d)

Stadthaus mit Verkaufsladen (so genannte „Maison du Pontet“)

Pl. 9.449.45

Stadtübersicht Pl. 9.1: Q

Zeittafel S. 342351: 24

Abb. 4.25: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes.
Fassade mit Durchfahrt der Rue du Pontet.

Abb. 4.25: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes.
Fassade mit Durchfahrt der Rue du Pontet.

4.5.1 Vorbemerkungen

Das Haus 23, rue Filaterie (genannt „Maison du Pontet“) galt nach der bisherigen Datierung „1109–1149“33 als zeitnaher Vergleichsbau des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1135/36 (d). Es gehörte zum Vergleichskontext der vorliegend detailliert dokumentierten Hauptobjekte, der durch zahlreiche Publikationen als gesichert vorauszusetzen war und die baugeschichtliche Einordnung der Häuser von 1091 und 1136 erwartete. Im Ergebnis allerdings wurde der gesamte Vergleichskontext, insbesondere bezüglich der Typologie und Entstehungsgeschichte des Stadthauses, in Abhängigkeit der Untersuchungsergebnisse zu den Hauptobjekten aus der Zeit vor 1150 neu strukturiert und datiert.

Für das Haus 23, rue Filaterie bedeutete das, vorweggenommen, eine dendrochronologische Umdatierung in die Zeit um 1200 und die vollkommen neue Darstellung und Einordnung des romanischen Hauskörpers, der die heutige Nachbarparzelle 1, petite rue des Ravattes mit einnimmt und nun als großes, längsgerichtetes, dreigeschossiges Stadthaus beschrieben werden kann (Abb. 4.25). Freilich kann die vorliegende Untersuchung nicht erschöpfend alle vorhandenen Details des Baus erfassen, sondern widmet sich den hauptsächlichen Baueigenschaften, die ihrerseits nur unter Beobachtung und Verknüpfung zahlreicher Einzelheiten herauszuarbeiten waren. Typologisch ist die Abhängigkeit dieses Hauses vom Haus von 1136 noch an der Abfolge der Raumarten erkennbar, während für die äußere Gestalt neue Lösungen gefunden sind. Die Errichtung des Hauses unmittelbar am Mühlkanal und die Anpassung von Grundriss und Raumanordnung an die mehr und mehr verdichtete Stadttextur sind siedlungsgeschichtliche Schlüsselbefunde.

Seit dem 19. Jahrhundert wurden bauhistorische Betrachtungen zum Haus 23, rue Filaterie publiziert; seit etwa 1990 hat das Centre d’études clunisiennes es in Grundriss, Aufriss und Konstruktion zu dokumentieren begonnen und die Rekonstruktion eines schmalen dreigeschossigen Reihenhauses mit großteils erhaltenem Dachstuhl und einer bauzeitlichen Ladenöffnung im Erdgeschoss vorgelegt.34 Seit 1991 war das Haus 23, rue Filaterie mit der bisherigen dendrochronologischen Datierung 1109±20 als „klassisches“ Reihenhaus bekannt.

4.5.2 Dendrochronologische Datierung

a. Vorbemerkungen

Die letzte von insgesamt fünf dendrochronologischen Untersuchungen legte 2002/03 des Baudatum des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ endgültig auf 1135/36 (d) fest. Das Haus 23, rue Filaterie mit seiner Zeitstellung 1129±20 (d)35 galt als vergleichbar früh, wenn nicht vorausgehend. Nach baugeschichtlicher Beurteilung aber wiesen signifikante Eigenschaften – konstruktiv, stilistisch wie typologisch – auf eine deutlich höhere Zeitstellung des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ hin. Typologisch vertritt dieser einen älteren feudalen Saalbautypus, stilistisch charakterisieren ihn Rundbogenarkaden, eine durchweg als älter einzuordnende, weniger reiche Bauornamentik und ein noch nicht geflächter Mauerverband, konstruktiv die massigere, weniger raffinierte und dabei sorgfältigere Ausführung von Mauerwerk und Dachstuhl.36 Die etwa gleiche Datierung beider Häuser hätte die Anwendbarkeit baugeschichtlicher Methodik in Frage gestellt und eine neue Diskussion erfordert. Aus diesem Grund wurde eine erneute, umfassende dendrochronologische Analyse mit 23 Proben von Dachstuhl und Erdgeschoss des Hauses in der Rue Filaterie vorgenommen, deren Ergebnis mit 18 Proben das Erbauungsjahr um 75 Jahre auf „um 1208 (d)“ korrigierte.37 Damit ist dieser Bau derzeit 800 Jahre alt. Die Bauzeit um 1200 ist sowohl stilistisch als auch typologisch überzeugend (s.u.). Durch das neue Datum wurde die vermutete Differenz der Zeitstellung gegenüber dem Haus von 1136 bestätigt.

b. Datierungsergebnisse

Probennummer (PN) nach Datierungsbericht

Ermitteltes Fällungsjahr nach durchschnittlicher Splintringzahl in Klammern

Deckenbalken des Erdgeschosses in situ

Zählung von der erhaltenen Spitzbogenarkade in der Südmauer her

PN 2: Deckenbalken (DB) 6, Splint: 15, letzter Ring 1193, gefällt Frühjahr 119438

3: DB 8, Splint: 16, letzter erhaltener Ring 1193, gefällt Frühjahr 1194

8: DB 4, Splint: 17, letzter erhaltener Ring 1192, gefällt Frühjahr 1193

5: DB 10, Splint: 14, letzter erhaltener Ring 1192, gefällt Frühjahr 1193

9: DB 3, Splint: 1, letzter erhaltener Ring 1180, gefällt um 1193 (1195)

1: DB 7, Splint: 5, letzter erhaltener Ring 1185, gefällt um 1193 (1196)

4: DB 9, Splint: 4, letzter erhaltener Ring 1180, gefällt um 1193 (1192)

7: DB 11, kein Splint, letzter erhaltener Ring 116439

Deckenbalken des Erdgeschosses in Wiederverwendung:

20: Oberer Längsbalken Südwand Passage, Splint: 2, letzter Ring 1182 (1196)

Ladengeschäft der Bauzeit im Erdgeschoss in situ:

16: Sturz-Anschlagholz Ladenöffnung, Splint: 1, letzter Ring 1177 (1192)

17: Mauersturz Ladenöffnung, kein Splint, letzter Ring 1174

22: Streichbalken Südwand Ladenraum: Splint: 1, letzter Ring 1179 (1194)

23: Streichbalken über Ladenöffnung, Splint: 1, letzter Ring 1180 (1196)

Dachstuhl

13: Sattelholz mittlere Hochsäule, Splint: 1, letzter Ring 1176 (1192)

14: Mittelpfette Dach Nordseite, Splint: 9, letzter Ring 1189 (1196)

15: DB nördl. Gebinde, wv. als Unterzug, Splint: 16, letzter Ring 1187 (1187–1190)

11: Dachbalken südl. Gebinde, kein Splint, letzter Ring 1188, Fällung nicht vor ca. 1203 möglich, nach Angabe des Dendrochronologen wahrscheinlich um 1208

12: Rähmbalken (faux-entrait) südl. Gebinde, Splint: 4, letzter Ring 1188 (um 1200)

Sekundäre Hölzer des Gassendurchgangs im Erdgeschoss

18: Südwand, unt. Längsbalken Südwand, Splint: 8, letzter Ring 1237 (um 1244)

19: Südwand, Pfosten Ladenöffnung, Splint: 1, letzter Ring 1467 (um 1483)

21: Nordwand, rechter Pfosten Kielbogentür, Splint: 4, letzter Ring 1472 (um 1483)

10: Rückwand, Streichbalken Arkade, Splint: 15, letzter Ring 1587 (1588–1589)

Als Hauptphasen können drei Zeitstufen festgehalten werden. Auf den Hausbau im 12.–13. Jahrhundert folgt nach dem Hundertjährigen Krieg (1339–1453) eine spätmittelalterliche Instandsetzung und Modernisierung, danach weitere Baueingriffe in der Zeit vor 1600. Diese Zeitstufen sekundärer und tertiärer Baumaßnahmen entsprechen denjenigen, die auch an anderen untersuchten Häusern dokumentiert wurden.40 Möglicherweise sind es Hauptphasen der Stadterneuerung von Cluny.

c. Baudauer und Bauorganisation um 1200

Zwei der Stämme für die Deckenbalken des Erdgeschosses wurden im Frühjahr 1193 eingeschlagen, zwei weitere im Frühjahr 1194.41 Die festzustellende Anzahl von Splintholzringen beträgt im Durchschnitt 16,5 bis zur jahrgenau bestimmten Schalkante. Bei Projektion dieses Mittelwertes erhält man für den jüngsten bauzeitlichen Deckenbalken ein Einschlagdatum um 1196/97, so dass das Einlegen der Decke etwa 1195 bis vor 1200 anzunehmen ist.

Im Dachstuhl sind nach dem ermittelten Durchschnittssplint folgende Fällungsjahre wahrscheinlich (in der Reihenfolge des Dachaufbaus):

längster giebelseitiger Dachbalken:42 Datierung um 1187, wahrscheinlich vor 1191

Dachbalken vor der Querwand: Datierung nicht vor 1203, wahrscheinlich nach 1205

Querholz am Stuhl vor der Querwand: Datierung um 1200, wahrscheinlich vor 1205

Pfette der Dachseite zur Fassade: Datierung um 1196/97, wahrscheinlich vor 1200

Das leicht variierende Fälldatum der Bauhölzer weist darauf hin, dass zum Zeitpunkt des Errichtung des Dachstuhls – nach dem jüngsten Holz wahrscheinlich nach 1205 – der Großteil der Stämme nicht mehr „grün“ war.43 Die Baudauer des Hauses kann auf das Jahrzehnt zwischen 1195 und 1205 eingegrenzt werden.44 Die Stämme wurden zum größeren Teil im Vorhinein um 1193 geschlagen. Das wäre ein Indiz für eine umfassende Bau– und Kostenplanung im Vorfeld des Baus. Insgesamt wurden die Stämme zwischen ca. 1191 und ca. 1201 gefällt, mit einem Ausreißer „um 1208“ (wahrscheinlich nach 1205), der durch seine Zugehörigkeit zur Konstruktion auch dem Zeitrahmen des Baus angehört und das Abzimmern des Dachstuhls in die Jahre nach 1205 datiert. Wahrscheinlich wurde während der Errichtung Holz für ein zusätzliches Gebinde beschafft, weil man sich kurzfristig dazu entschied, auch in den kürzeren Dachabschnitt drei statt nur zwei Gebinde einzubauen (vgl. Abb. 4.29).

4.5.3 Bauhistorischer und –archäologischer Befund

a. Lage am Mühlkanal Rivière de la Chaîne

Bei der zeichnerischen Rekonstruktion des Hauses wurde ein Plandokument, das ausschnitthaft den schematischen Hausgrundriss und einen vorbeifließenden Bach mit Brücke zeigt, in Kongruenz mit dem modernen Kataster gebracht.45 Nach Beschriftung und Strich stammt das Dokument aus dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert. Der Vergleich mit dem „Terrier Bollo“ in der Neufassung nach 1770 (Abb. 4.26) zeigt Übereinstimmung mit der dargestellten Situation. Das Plandokument ist etwas jünger, da die frühere „Rue de la vielle [sic!] Sonnerie“ bereits den heutigen Namen Rue du Pontet trägt. Die Länge der Brücke „Pont aux Fours“ ist mit „21 pieds“ angegeben, das entspricht ca. 6.60 m. Aufgrund der zeichnerischen Darstellung lässt sich die Breite des durchfließenden Bachs mit ca. 4.00 m beschreiben. Es handelt sich um den Mühlkanal Rivière de la Chaîne, der heute an dieser Stelle vollständig gedeckt ist. Der Verlauf des Mühlkanals zwischen Rue de la Liberté und Rue du Pontet ist im heutigen Kataster nur mehr am Parzellenzuschnitt der Häuser erkennbar, die den Kanal seit dem Spätmittelalter überbauten.

Abb. 4.26: Haus 23, rue Filaterie / 1, pte. rue des Ravattes im „Terrier Bollo“ (18. Jh.).
Nordrichtung oben.
Dargestellt neben dem Haus (Markierung) die Rivière de la Chaîne (im unterirdischen Verlauf blass ergänzt), darüber der „Pont des Fours“, daneben ein 2–3 m breiter Abfluss („Egout“) in der Straßensenke zwischen Rue Mercière und der Brückenwölbung. Der Abfluss zeigt vielleicht die mittelalterliche Lage der Médasson-Mündung in den Kanal, bevor diese unter das Haus verlegt wurde, könnte aber auch zur Entwässerung der Straße angelegt worden sein. Ebenfalls im Terrier eingetragen ist die Durchfahrt im EG des Hauses („Pontet du dit Sr Martin“).
Markierungen: Verfasser.

Abb. 4.26: Haus 23, rue Filaterie / 1, pte. rue des Ravattes im „Terrier Bollo“ (18. Jh.).
Nordrichtung oben.
Dargestellt neben dem Haus (Markierung) die Rivière de la Chaîne (im unterirdischen Verlauf blass ergänzt), darüber der „Pont des Fours“, daneben ein 2–3 m breiter Abfluss („Egout“) in der Straßensenke zwischen Rue Mercière und der Brückenwölbung. Der Abfluss zeigt vielleicht die mittelalterliche Lage der Médasson-Mündung in den Kanal, bevor diese unter das Haus verlegt wurde, könnte aber auch zur Entwässerung der Straße angelegt worden sein. Ebenfalls im Terrier eingetragen ist die Durchfahrt im EG des Hauses („Pontet du dit Sr Martin“).
Markierungen: Verfasser.

Der Grundrisszuschnitt des untersuchten spätromanischen Hauses berücksichtigt den Kanalverlauf. Daraus folgt, dass der Mühlkanal schon im 12. Jahrhundert existierte und nicht erst kurz vor Errichtung des Mühlturms der Abtei im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts angelegt wurde, wie bisher angenommen. Für die Interpretation der Stadtgenese ergibt sich aus diesem Sachverhalt, dass das Kanalnetz der Handwerkerpfarrei St-Marcel älter als der Mühlturm ist. Es hat frühere Ursprünge, auf die möglicherweise bereits die Gründungsurkunde der Abtei um 910 Bezug nimmt, wenn sie Gewässer mit Abzweigungen und Getreidemühlen als Bestandteile der villa Cluniacum aufzählt.46

b. Abmessungen

Das Haus ist an der Fassade 17.95,5 m lang. Die größte Breite beträgt um 11.00 m (10.78 m in der durchgeführten Gasse), die geringste Breite an der schmalen Giebelwand etwa 7.70 m. Die Höhe beträgt bis zur Traufe ca. 10.40 m, das Sockelgeschoss misst bis zur Unterkante der Balkendecke um 2.95 m. Für die bauzeitliche Höhe sind jeweils ca. 0.50 bis 0.80 m an Aufhöhungen des Straßenniveaus zu addieren, so dass sich eine Traufhöhe um 11.00 m ergibt.47 Darüber erhebt sich der Dachstuhl. Die Dachneigung beträgt an der Querwand in der Hausmitte exakt 30 Grad.

c. Dachstuhl

Ausgangspunkt der Untersuchung seit 2005 war der Dachstuhl aus Eichenholz (Abb. 4.27), der als zeitnaher Vergleich zu den Fragmenten des Dachstuhls im Haus von 1136 galt.48 Insbesondere die Konstruktion des Dachfußes und die individuelle Gestalt der Bauteile wurde zu Vergleichszwecken erstmals detailliert dokumentiert (Pl. 9.45). Das betrifft die Fußausbildung mit Mauerlatte und Fußpfette, die Rofenauflager sowie individuelle Dimension und Fasenschnitt der Hölzer.

Abb. 4.27: Haus 23, rue Filaterie.
Detail des stehenden Stuhls um 1208 (d) mit Dachbalken, Stuhlsäule, Rahmenbalken und Pfette. Der Unterzug ist sekundär eingebracht. Im Hintergrund Wandfläche der Querwand des Hauses (vgl. Isometrie Pl. 9.44).

Abb. 4.27: Haus 23, rue Filaterie.
Detail des stehenden Stuhls um 1208 (d) mit Dachbalken, Stuhlsäule, Rahmenbalken und Pfette. Der Unterzug ist sekundär eingebracht. Im Hintergrund Wandfläche der Querwand des Hauses (vgl. Isometrie Pl. 9.44).

Die Konstruktion des einfachen stehenden Stuhls mit Pfettensparrendach kann Pl. 9.44 entnommen werden. Charakteristisch sind die unterschiedlich breite Fasung und die unterschiedlich steilen, geraden An– und Abläufe, die manchmal auch ganz fehlen und generell steiler sind als die An– und Abläufe an den Konstruktionshölzern des Dachstuhls im ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136. Es ist außerdem an den Dachbalken zu beobachten, dass der bis zum Ende der Romanik übliche quadratische Querschnitt zugunsten eines materialsparenden hochrechteckigen Querschnitt zurücktritt. Insgesamt ist die sparsame Dimensionierung der Hölzer auffällig, deren Querschnittsmaße angesichts von Stuhlachsabständen bis ca. 2.83 m sowie Spannweiten der parallelen Dachbalken bis ca. 9.50 m nur zwischen 0.15 und 0.28 m betragen. Die bauzeitlichen Pfetten sind im Mauerwerk verankert und können zu den Enden hin verbreitert sein, ebenso auch die Dachbalken. Die Verbreiterung ist als schulterartiger, kleiner Absatz ausgebildet. Die Quermauer des Dachgeschosses wurde schon zur Zeit ihrer Errichtung bis unter den First hochgezogen, da ein Kamin an sie angelehnt war. Dieser Befund entspricht dem Kamin an der Quermauer im Haus 17, rue de la République, außerdem auch dem Bauzustand der Mittellängsmauer im ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 in der Zeit um 1200, als daran ein Kamin angelehnt und die Mauer bis unter die Dachfläche aufgehöht wurde.

Im Dach des Hausteils 1, petite rue des Ravattes sind 2007 durch die vorliegende Untersuchung Fragmente der straßenseitigen Mauerlatte und Dachschwelle und eine im Ganzen erhaltene Pfette des romanischen Dachstuhls erkannt und dokumentiert worden. Die Bauteile erlauben die detailscharfe Rekonstruktion eines Dachstuhls, dessen Konstruktion dem bekannten Dachstuhl der anderen Haushälfte entspricht (vgl. Isometrie Pl. 9.44). Trotz der Umdatierung auf um 1208 (d) bleibt der Dachstuhl die bisher älteste erhaltene Dachkonstruktion eines Stadthauses in Frankreich, zugleich die einzige eines romanischen Hauses.

d. Merkmale von Dachhölzern des 12. Jh.s in Cluny (Pl. 9.45)

Die identifizierten Bauhölzer der Zeit vor Ende des 12. Jahrhunderts haben einen quadratischen oder querrechteckigen Querschnitt. Die Sparren sind breit und stark (B 0.16–0.17 m, H 0.11–0.13 m in den Häusern von 1136 bzw. um 1208; B 0.27,5 m, H 0.27,5 m in der Aula von 1107/08). Im Haus von 1208 ist erstmals die Tendenz zum hochrechteckigen, nachromanischen Dachbalken festzustellen. Die Verklauung der Sparren auf den Dachschwellen setzt an der Innenkante an und ist rechtwinklig geschnitten. Das Zahnprofil reicht daher tief in die Dachschwelle hinein. Die Befestigung der Balken auf den Dachschwellen kann als einfache Überschneidung (Aula von 1108) oder als Überblattung mit geradem Blatt ausgebildet sein (Haus von 1208). Die Aussteifung der stehenden Stühle ist mit Verzapfungen und Bändern bewerkstelligt.

e. Steinerne Bausubstanz der Zeit um 1200

Haushälfte 23, rue Filaterie. Vom Arkadenfenster in der Fassade sind die beiden Endelemente mit anschließender Mauerfläche, einzelne Teile eines Blendarkadenfrieses unter dem Sturzprofil und das Fragment des darunter liegenden Rundbogensturzes der dritten Arkade von Süden erhalten. Beginnend mit bekannten Fragen, soll zunächst die Rolle des kannelierten Pfeilers am Arkadenfenster betrachtet werden, der das südliche (von außen: rechte) Endelement dieses Fensters bildet. Er wurde bislang als Zwischenglied einer größeren Öffnung gedeutet.49 Das entspräche durchaus seiner Form und wohl auch der Absicht der Fertigung, allerdings schließt dieses Bauelement, entgegen bisheriger Darstellungen, seitlich an originale, ruhige Mauerfläche aus unbeschädigten Steinen mit Spitzflächung an; es ist an dieser Stelle trotz der Symmetrie des monolithischen Pfeilers und des kleinen Absatzes zwischen Pfeilerschaft– und Mauerfläche kein Anzeichen eines Sekundäreingriffes zwischen dem erhaltenen Brüstungs– und Sturzprofil zu erkennen. Das angeschlossene Mauerwerk steht zweifelsfrei im bauzeitlichen Verband, und ober– und unterhalb des Mauerstücks sind die Gesimse erhalten.

Abb. 4.28: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Blick aus der „Grande rue Mercière“ („Terrier Bollo“). Links zeigt die Straße die Wölbung des Pont aux Fours, rechts Durchfahrt durch das Haus in die Rue du Pontet, das Relikt eines der ältesten Wege des Orts. Durch Rahmen markiert (Verf.) der Umriss des Arkadenfensters in der Fassade.

Abb. 4.28: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Blick aus der „Grande rue Mercière“ („Terrier Bollo“). Links zeigt die Straße die Wölbung des Pont aux Fours, rechts Durchfahrt durch das Haus in die Rue du Pontet, das Relikt eines der ältesten Wege des Orts. Durch Rahmen markiert (Verf.) der Umriss des Arkadenfensters in der Fassade.

Es kommt hinzu, dass die Querwand im Hausinnern (die heutige Grenzmauer) dem Pfeiler so nahe steht, dass zwischen Wand und Pfeiler keine weitere Fensteröffnung Platz hätte. Auch enthält die senkrechte Begrenzung der Mauerfläche über dem Endpfeiler noch das Negativ des nördlich anschließenden, später herausgebrochenen Sturzsteins.50 Es ergibt sich die Rekonstruktion eines Arkadenfensters mit acht statt bisher neun Öffnungen. Der vorgefertigte Pfeiler wurde als Endglied eingebaut. Das ist insofern interessant, als es einen mechanistischen Umgang mit der vorgefertigten Bauskulptur zeigt, die nicht mehr konsequent mit dem Bau verzahnt ist. Es fallen nicht nur die Fragmente spätromanischer Bauornamentik der Fassade ins Auge, die dieses Haus vom ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 unterscheidet. Das Mauerbild mit gespitzter Oberfläche und relativ geraden Steinkanten, die straßenseitige Traufhöhe von drei Geschossen, der unmittelbare und offene Straßenbezug mit der bekannten Ladenöffnung und die Anpassung von Lage und Grundriss an stärkste Verdichtung der Stadttextur mit Durchführung einer Gasse im Erdgeschoss (Abb. 4.28) weisen auf ein städtisches Reihenhaus hin, das um einige Jahrzehnte jünger einzustufen ist als das Haus von 1136.

Zunächst stellte sich die Frage, ob dieses Haus gegen 1200 umgebaut und aufgestockt wurde, ob die Fassade neu gestaltet und ein älterer Dachstuhl („1109–1149“) erneut eingebaut wurde. Nach der Baubeobachtung ist dies nicht der Fall. Fassade und rückseitige Arkadenöffnung gehören zusammen und unterliegen gemeinsam mit der Balkendecke des Erdgeschosses einem durchgängigen Verformungsbild, das auf starke Setzungen zurückzuführen ist. Das Maß der Verformung stellt sich im Verhältnis wie folgt dar:

Fassade Hausmitte (Kaufladen / Eingangstür): ± 0.00 m

Nordecke des Hauses (Isometrie: „Setzung“): ca. – 0.15 m

Rückwand des Hauses, Arkade, südliche Wange: ca. – 0.08 m

Ostaußenecke der Rückwand am Kanal: ca. – 0.17 m

Deckenbalken EG nahe der Ostecke: bis ca. – 0.47 m

Das Maß der Verformung steht in Abhängigkeit von der Nähe zum komplett gedeckten Kanal und trug dazu bei, dessen Lage zu fixieren. Die Verformung betrifft am stärksten die Balkendecke des Erdgeschosses, die im Bauzusammenhang mit der innenliegenden Querwand mit Kamin steht. Die Querwand ist ihrerseits sowohl mit der Rückwand als auch der Fassade verbunden. Die Verformung setzt sich bis in den Dachstuhl hinein fort. Es grenzt an ein Wunder, dass dieser so weitgehend erhalten ist, denn die Außenmauern des Hauses sind großteils abgängig. Der Mittelbereich der Fensterarkade ist durch einen Fensterdurchbruch oberhalb der romanischen Ladenöffnung und durch eine großflächigen Reparatur zerstört, die Schäden infolge der Verformung ausglich. Möglicherweise war der Reparatur ein Einsturz der Fassade mit schuppenförmigem Abgang der Wandschale oberhalb der heutigen Durchfahrt vorausgegangen.51 Die spätmittelalterlichen Baumaßnahmen (Fassade: Durchfahrt mit geradem Holzsturz; Rückwand: Neuerrichtung ab OK Arkadenöffnung) sind von den Verformungen nicht oder um soviel weniger betroffen als der Bau von 1200, dass sie klar von diesem unterschieden werden können.52

Sämtliche romanischen Bauglieder des Hauses 23, rue Filaterie stehen demnach im selben Zusammenhang; Haustyp und Dachkonstruktion gehören zweifelsfrei zusammen. Interessant ist, dass die Deckenbalken des Erdgeschosses an der Querwand auf einem Streichbalken aufliegen, der von Konsolen getragen wird. Durch die Vermeidung mauereingreifender Holzbauteile wird die Schwächung des Mauerquerschnitts verhindert; durch Weglassen eines ebenfalls als Auflager üblichen Geschossabsatzes konnte die Mauer vom Erdboden ab mit 0.50 m sparsam dimensioniert werden. Die Konstruktion mit Konsolen wurde seit der Spätromanik in Cluny regelmäßig angewendet und bezeugt als einfaches Beispiel die Verbesserung der Bautechnik und die Optimierung des Materialeinsatzes. Die weitere Geschichte des Hauses kann nur gestreift werden. So sind beispielsweise die heutige Durchfahrt in der Fassade, die Ladenöffnungen in der Querwand im Erdgeschoss und die Mauer auf der anderen Seite der Passage nach 1483 eingebaut worden, vielleicht erst im 16. Jahrhundert unter Verwendung älterer Elemente.

Betreffend das bodenarchäologische Schichtenbild, wurde die geologische Deckschicht – gelbgrauer Lehm – im Raum hinter der Ladenöffnung 0.65 m unterhalb des heutigen Straßenniveaus festgestellt. Darauf liegen Reste eines wahrscheinlich spätmittelalterlichen Tonplattenbodens und Bauschutt.53 Das Maß der Aufhöhung des Straßenniveaus von 0.59–0.60 m entspricht der Beobachtung am Haus 9, rue du Merle.

Haushälfte 1, petite rue des Ravattes. Ein erster dreidimensionaler Rekonstruktionsversuch des Hauses 23, rue Filaterie als schmales Reihenhauses nach dem bisher verbreiteten Fassadenbild mit Eingangstür an der Nordecke führte zu keinem Ergebnis, da eine Treppe von der Straße zum Obergeschoss an dieser Stelle nicht den notwendigen Raum fand. Die weitere Baubeobachtung stellte den Bauzusammenhang der Eingangstür des heutigen Hauses 1, petite rue des Ravattes mit der romanischen Ladenöffnung im Haus 23, rue Filaterie fest. Bis ins Dach hinein wurde in der Folge ein zusammenhängender Hauskörper auf trapezoidalem Grundriss beobachtet. Die Ausführung des Mauerverbands an der West-Außenecke (Petite rue des Ravattes) entspricht der Ostecke (Rue Filaterie). Die Eingangstür liegt symmetrisch mittig zwischen beiden Hausecken. Die im Bauverband rechts angrenzende Segmentbogenöffnung entspricht in ihrer Anordnung der Ladenöffnung linker Hand der Tür. Von dort bis zur Westecke ist das Mauerwerk erneuert. Vielleicht befand sich hier ursprünglich eine zweite Toröffnung.

Bei Renovierungsarbeiten wurden 2007 zwei stilistisch den Arkadenfenstern gleiche Biforienfragmente freigelegt, deren Fensterbänke um 0.40 m unterhalb der Höhe des Brüstungsgesimses des Arkadenfensters liegen. Das bedeutet, dass der Fußboden des Raums der Biforien um eine oder zwei Stufen tiefer als der Raum mit dem Arkadenfenster lag. Diese Tatsache hilft, die ursprüngliche Erschließung des Hauses zu klären: Zuerst gelangte man von der Straße her auf ein Podest in Höhe des Fußbodens im Raum der Biforien und trat dann durch eine Tür in der Querwand über eine Stufe in den Raum der Arkadenfenster. Typologisch entspricht diese Reihenfolge dem System, wie es auch anderen untersuchten Häusern zueigen ist.54 Die Treppe von der Straße führt zunächst in den (dunkleren) Hauptsaal. Von dort geht eine Tür in den Raum mit Arkadenfenstern, der auch als solarium bezeichnet werden kann.55

Nach all diesen Beobachtungen steht die Einheitlichkeit des spätromanischen Hauses, das heute in zwei Parzellen geteilt ist, außer Frage. Sie entspricht überraschenderweise der ältesten baugeschichtlichen Notiz von 1858 von Aymard Verdier,56 die das Haus „Nº 9“ – ohne weiteren Nachweis – über beide Parzellen 23, rue Filaterie und 1, petite rue des Ravattes kartierte. Da auf den Urkatastern des 17. und 18. Jahrhunderts beide Parzellen schon vorhanden sind, ist davon auszugehen, dass Verdier die Einheitlichkeit des romanischen Hauskörpers nicht aus der Überlieferung, sondern aus der Baubeobachtung erschloss.

4.5.4 Rekonstruktion (Anmerkungen zu Pl. 9.44)

Die Ergebnisse der baugeschichtlichen Analyse wurden in einer isometrischen Rekonstruktion zeichnerisch zusammengefasst (Abb. 4.29). Die Zeichnung dient zugleich der Überprüfung der Ergebnisse in einer räumlichen Zusammenschau.

a. Lage des Hauses

Der isometrischen Rekonstruktion liegt der aktuelle Kataster zugrunde, der auf das Straßenniveau der Zeit um 1200 projiziert wurde. Im Bereich der Brücke sind die Eintragungen des „Terrier Bollo“ in der aktualisierten Form nach 1779 und das erwähnte, zeitnahe Lagedokument der Brücke maßgeblich. Der heute überbaute Kanal „Rivière de la Chaisne“57 ist in offenem Verlauf eingetragen, da die ältesten Hausfragmente der Überbauung aus dem Spätmittelalter stammen.58

Abb. 4.29: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
‚Haus eines Händlers‘, um 1193 bis um 1208 (d).
Isometrische Rekonstruktion.
Pl. 9.44, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Abb. 4.29: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
‚Haus eines Händlers‘, um 1193 bis um 1208 (d).
Isometrische Rekonstruktion.
Pl. 9.44, nachbearbeiteter Ausschnitt.

Freilich ist ungewiss, ob im Hochmittelalter noch ein hölzerner Steg oder schon eine Steinbrücke über die Rivière de la Chaîne führte. Das Niveau des Wasserspiegels ein Meter unterhalb des Straßenniveaus wurde nach zugänglichen Stellen des Kanals im ehemaligen Gerberviertel östlich der Abtei bestimmt.

Der Verlauf des Médasson steht in engem Zusammenhang mit der Hausgestalt (vgl. Abb. 4.30). Er floss nach dem Urkataster („Terrier Bollo“ 1693) an dieser Stelle unterirdisch. Die Kanalnetzkarten um 1800 machen widersprüchliche Angaben zu seinem Verlauf. Eine der gebotenen Möglichkeiten in Pl. 9.44 ist gestrichelt dargestellt59; sie stimmt mit der Beobachtung einer bisher undatierten Arkadenöffnung in der Giebelwand des Hauses 23, rue Filaterie überein,60 durch die sich der Bach in den Kanal ergießt. Der mittelalterliche Verlauf in der Straßenmitte ist nach dem Vorbild des historischen Verlaufs der Straßenbäche in Freiburg im Breisgau rekonstruiert. An der Hausecke ist auf der eingangs erwähnten Zeichnung aus der Zeit um 1800 ein nach Westen offenes, kleines Mauergeviert dargestellt, das bisher als Treppenabgang gedeutet wurde. Es wird im „Terrier Bollo“ als Halbrund dargestellt und ist als „Egout“, als Abfluss, bezeichnet (Abb. 4.26). Der Gebrauch des Bachs als Abwasserkanal, wie schon die alte Bezeichnung „Merdasson“ verrät, wird früh eine gedeckte Kanalisierung nach sich gezogen haben, deren Verlauf unterhalb der Bebauung sinnvoll ist.61 Der Abfluss kann durchaus auch zur Aufnahme des straßenmittig anströmenden Regenwassers gedient haben, da die von Notre-Dame her abschüssige Straße ab dieser Stelle zur Brückenmitte hin wieder ansteigt. Eine archäologische Dokumentation des mittelalterlichen Bachs fehlt bisher. Der durch die Zeichnung eingegrenzte Bereich könnte bei künftigen Straßenbauarbeiten Informationen hierfür bereithalten.

Die durch das Haus geführte Gasse Rue du Pontet (Abb. 4.31) geht nach der Beobachtung der Topographie und der Siedlungsentstehung auf einen der ältesten Wege des Ortes zurück. Es handelt sich um den Überrest eines präurbanen Talsaumwegs, der sich, von Südosten kommend, von der Stelle des untersuchten Hauses ab nach Westen bis hin zum Tour des Fromages mit der Ost-West-Talquerung überschnitt, am Turm nach Norden abzweigte und, am Rand des Grosne-Tals entlangführend, den Ort durch die Porte des Prés verließ.62 Der Weg ist im Rückbereich des Hauses etwa 70 m weit als Straße erhalten, von dort bis zur Stadtmauer überbaut und taucht erst jenseits der Mauer am Talrand südöstlich der Stadt wieder auf.

Abb. 4.30: Das Haus 23, rue Filaterie / 1, Petite rue des Ravattes (Markierung) im Gewässernetz der Stadt. Angrenzend der Mühlkanal Rivière de la Chaîne, von oben kommend der Médasson, der den Hauskörper als Kanal unterquert. Unten der mäandrierende Lauf der Grosne, darüber die Brücke Pont de la Levée. Die Häuserzeile in der Bildmitte wird rückseitig von der Petite Rivière flankiert.
Nordrichtung rechts.
Cluny, Musée dʼart et dʼarchéologie, Plans et Cartes. Ponts / Ponceaux / Aquéducs nodate.
Markierung: Verfasser.

Abb. 4.30: Das Haus 23, rue Filaterie / 1, Petite rue des Ravattes (Markierung) im Gewässernetz der Stadt. Angrenzend der Mühlkanal Rivière de la Chaîne, von oben kommend der Médasson, der den Hauskörper als Kanal unterquert. Unten der mäandrierende Lauf der Grosne, darüber die Brücke Pont de la Levée. Die Häuserzeile in der Bildmitte wird rückseitig von der Petite Rivière flankiert.
Nordrichtung rechts.
Cluny, Musée dʼart et dʼarchéologie, Plans et Cartes. Ponts / Ponceaux / Aquéducs nodate.
Markierung: Verfasser.

Es wurde zu Beginn der Untersuchung die Überlegung geführt, dass die Durchfahrt mit Stichgasse eventuell sekundär einen nachverdichteten Stadtbereich erschlösse. Die zwischenzeitlichen Beobachtungen führen zum Schluss, dass die Durchfahrt eine primäre Wegesituation reflektiert. Beim Bau des Hauses, das typologisch als Produkt städtischer Verdichtung anzusprechen ist, wurde die Überbrückung der alten Straße in Kauf genommen, etwa um die unmittelbare Lage an der Hauptstraße und am Kanal herzustellen, sowie um zusätzliche Geschossfläche zu erzeugen.63

Abb. 4.31: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Südostseite.
Rückwand und durch das EG geführte Gasse Rue du Pontet.

Abb. 4.31: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Südostseite.
Rückwand und durch das EG geführte Gasse Rue du Pontet.

b. Hauskörper

Das auf Pl. 9.44 und Abb. 4.29 dargestellte Hausvolumen um 1208 gibt den Baubefund wieder, ebenso der ergänzte Dachstuhl, die innenliegende Querwand, die teilergänzten Fenster der Traufseite, die Ladenöffnung im Erdgeschoss, die Eingangstür mit gefastem Oberlichtrahmen und die Segmentbogenarkade rechts dieses Eingangs. Auf der Rückseite ist die breite Spitzbogenarkade erhalten, am Boden des Nebenraums ein Kanaldurchtritt von rechteckigem Querschnitt. Aus dem Spätmittelalter stammen die in einer Achse übereinander stehenden Öffnungen der Rückwand, jeweils in Fußbodenebene der Obergeschosse. Sie können mit einem Hebekran verbunden werden.64 Ungedeutet bleiben als sekundäre Bauteile eine Nische (?) und drei Steine der Fassung einer Öffnung an der nördlichen Hausecke.65 Beide Elemente sind nicht mit den Geschossen der Bauzeit zu vereinen.

Als Gesamtform ergänzt sind die beiden großen Arkaden im EG der Fassade und die ehemalige Haupttreppe des Hauses. Die linke der Arkaden ist als Pendant zur erhaltenen an der Rückseite verstanden. An ihrer Stelle befindet sich heute die Durchfahrt der Rue du Pontet mit geradem Holzsturz. Die festgestellten Setzungen scheinen eine ursprüngliche Arkadenöffnung und die darüber stehende Fassadenpartie derart verformt und aufgerissen zu haben, dass beides im 16. Jahrhundert herausgebrochen und geflickt wurde. Dabei wurde das Arkadenfenster bis auf zwei Stümpfe entfernt. Die Doppelarkade am südlichen Ende des Arkadenfensters, die im 1850 publizierten Aufmaß von Verdier noch enthalten ist, wurde im 19. Jahrhundert von einem Lochfenster durchbrochen, so dass heute nur noch die Ansätze des Arkadenfensters zu sehen sind. Die Arkade im Erdgeschosses der Haushälfte 1, petite rue des Ravattes folgt der in der im Grundzug symmetrischen Auffassung des Gesamtbaus. Sie müsste nach der Anordnung der darüber stehenden Biforien niedriger als die linksseitige gewesen sein. Da romanisches Mauerwerk an dieser Stelle – einschließlich des unteren Bereichs der Hausecke – großflächig fehlt, kann eine Arkadenöffnung durchaus angenommen werden; deren exakte Form und Größe bleibt allerdings offen.

Die rekonstruierte Haupttreppe des Hauses entlang der Querwand liegt an der Stelle der heutigen Treppe. Sie war nach Maßgabe der Tür ca. 1.15 m breit, etwas breiter also als die heutige Treppe. Wie üblich, begleitet die rekonstruierte Treppe eine Mauer. Ihre Steigung ist etwas steiler als die der erhaltenen Treppe im Haus 9, rue du Merle. Treppenhöhe und Stufenzahl ergeben sich aus der Differenz des bauzeitlichen Straßenniveaus und der Oberkante der vorhandenen Erdgeschossdecke. Geht man von der etwas tieferen Lage der nachträglich gefundenen und in die Rekonstruktion aufgenommenen Biforien in der Fassade aus, wird die Treppe bei gleicher Länge um eine Stufe niedriger und etwas bequemer zu begehen sein, als es die Isometrie noch zeigt.

Der Dachstuhl ist in der linken Haushälfte weitgehend erhalten, ansonsten nach dem Befund der erhaltenen Fragmente lückenlos rekonstruierbar. In der rechten Haushälfte können die Abstände der Gebinde bestimmt, Stuhl und Säulchen nach Maßgabe der erhaltenen, detailliert dargestellten Pfette ergänzt werden. Die Schildgiebelmauer der Schmalseite steht noch aufrecht. Die zum Kanal weisende Schildmauer ist nach den Angaben des „Terrier Bollo“ mit einem Knick im Grundriss dargestellt, der nur annähern dem heutigen, abgerundeten Befund entspricht.66 Da die Form der ursprünglichen Giebelmauer, die durch Setzungen schwer geschädigt wurde, ohne Steinsichtigkeit nicht eindeutig zu bestimmen ist, wurde in der Rekonstruktionszeichnung statt eines ebenfalls möglichen, polygonal-abgerundeten Grundrisses der beschriebene Grundrissknick dargestellt, der deutlich die Anpassung des Hausgrundrisses an die Kreuzung von fünf Straßen und zwei Gewässern illustriert.

c. Typologische Beobachtungen

Zur Klärung der Typologie bleibt die Frage nach der Anzahl der bauzeitlichen Obergeschosse, die mit Hilfe einiger Beobachtungen am Bau beantwortet werden kann. Das Haus ist nach seiner Errichtung nicht mehr erhöht worden. Es wurde durch den nachträglichen Einzug von Geschossdecken drei– bis viergeschossig ausgebaut. Vom Fußboden des Raums mit Arkadenfenster sind es fast sieben Meter bis zur Traufe, darüber erhebt sich der Dachstuhl. Es existiert der Vorschlag eines sehr hoch proportionierten Saals als einzigen Obergeschosses.67 Eine Raumhöhe von sieben Meter wird allerdings von keinem der anderen Saalhäuser in Cluny erreicht.68 Der Grundriss des Kaminsaals ist mit 8 x 9 m zwar beachtlich groß, doch hatten gerade repräsentative Häuser in Cluny ab der Zeit um 1200 immer seltener offene Dachstühle, sondern flache oder als Holzgewölbe ausgeführte Raumdecken. An den vorhandenen Dachbalken konnten keine Spuren einer derartigen Verbretterung gefunden werden, wie sie etwa im Saalhaus von 1136 als sekundäre Maßnahme zu finden ist; eine Raumdecke wurde in Höhe der Dachbalken nicht eingefügt. Auch ist der Dachstuhl nicht auf Ansicht gezimmert: Die Fasen, An– und Abläufe und der Kantholzzuschnitt der Dachelemente sind stellenweise unregelmäßig.69 Hochfenster können nicht festgestellt werden.70

Stattdessen hat Jean-Denis Salvèque schon vor einigen Jahren die Spur eines älteren Zwischenbodens ca. 0.62 m über dem heutigen Fußboden des 2. OG im Haus 23, rue Filaterie gefunden.71 Dieser Befund erklärt die vorgenannten Beobachtungen und spiegelt demnach die bauzeitliche Geschossteilung wider: Die mit dem Zwischenboden entstehende Geschosshöhe von ca. 4.10 m für das 1. OG72 belässt dem 2. OG, das bis heute den offenen Dachstuhl behielt, eine lichte Raumhöhe von 2.40 m. Für einige Häuser des späten 12. und des 13. Jahrhunderts sind zwei Obergeschosse zwischen drei und vier Metern Höhe bekannt, die sich durch Zwischendecken oder Malerei abzeichnen.73 Das Haus 25, rue de la République (letztes Viertel 12. Jh.) hat an der Rückwand das Fragment einer Türöffnung eines 2. Obergeschosses. Der Unterschied zum untersuchten Haus liegt bei den „gewöhnlichen“ Reihenhäusern auf Riemenparzellen in der Unterteilung in einen zweigeschossigen Vorbau und einen höheren Hauskern, der gegen 1200 auch dreigeschossig auftritt. Da das Dach des untersuchten Hauses längsgerichtet ist, haben beide Hausteile dieselbe Traufhöhe, und die Dreigeschossigkeit tritt erstmals bis an die Straße. Der neue Befund der niedrig liegenden Biforien im 1. OG der Haushälfte 1, petite rue des Ravattes unterstreicht den Eindruck der Dreigeschossigkeit seit der Bauzeit um 1208. Sicher ist allerdings, dass das zweite Obergeschoss kein Arkadenfenster, und nahezu sicher, dass es kein Biforium hatte. Es waren dort relativ dunkle, trockene Räume, vielleicht mit kleinen Lichtfenstern, die sich eher als Lagerraum als zum Wohnen eigneten, da sie im Winter sehr kalt und im Sommer sehr warm werden konnten. Es ist etwa an ein Speichergeschoss zu denken, zumal im Erdgeschoss wegen der Durchführung einer Gasse Stau– und Arbeitsraum wegfällt.

Die typologische Erscheinung des gesamten Hauses entspricht viel enger derjenigen der Reihenhäuser auf Riemenparzellen, als es zunächst den Anschein hat. Die Beständigkeit der Typologie drückt sich weniger in einem rigiden Grund- und Aufrissmuster aus, als in den zusammengefügten Raumarten und der Raumabfolge.

Abb. 4.32: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Spätmittelalterliche Verkaufsöffnungen in der Durchfahrt des Hauses.
Blick von der Fassade nach Südosten in die Rue du Pontet.

Abb. 4.32: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Spätmittelalterliche Verkaufsöffnungen in der Durchfahrt des Hauses.
Blick von der Fassade nach Südosten in die Rue du Pontet.

Die Bauglieder sind dieselben wie bei den zeitlich entsprechenden Reihenhäusern. Auf einem offenen Sockelgeschoss, das hier eine Gasse durchlässt, sitzt das Hauptgeschoss, das sich durch Biforien und ein Arkadenfenster auszeichnet. Um 1200 ganz auf der Höhe der Zeit ist der Kaminsaal mit Arkadenfenstern, der das helle Obergeschoss des typologisch alten Treppenvorbaus durch die Einführung einer Heizung zum repräsentativen Wohnraum macht. Die Erschließung bleibt wie gewohnt: Von der Straße führt eine einläufige Treppe in den typologisch alten Hauptraum, von dort gelangt man in den Kaminsaal an der Stelle des bei den älteren Häusern loggienartigen solarium, dessen Arkadenfenster noch heute das Hauptmerkmal der romanischen Häuser in Cluny ist. Nicht mehr vorhanden ist die typologische Gliederung des Baukörpers in das eigentliche, rückwärtige Haus und einen Treppenvorbau.

d. Überlegungen zur Baunutzung

Die aus der Bauzeit erhaltene Ladenöffnung im Erdgeschoss diente mit Sicherheit zum Warenverkauf. Um die Frage zu beantworten, mit welcher Art Waren gehandelt wurde, können nur Indizien gesammelt werden. Bis zum Spätmittelalter wurde die Anzahl der Verkaufsboutiquen im Haus auf mindestens drei erhöht. Diese Ladenöffnungen sind in der Durchfahrt des Hauses noch erhalten (Abb. 4.32). Das bedeutet zum einen, dass das Haus eine lange und alte Handelstradition hatte, zum anderen, dass die Warenauslage reich war. Es ist denkbar, dass der Name der angrenzenden Straße Rue Filaterie auf eine Spinnerei (filature) zurückgeht. Durchaus würde sich die neu erkannte Bauform, –größe und –ausstattung für eine Nutzung als Manufaktur mit Verkaufsstelle eignen, die der Faden– oder Tuchherstellung, –lagerung und dem Verkauf diente.

4.5.5 Zusammenfassung

Die Rolle des Hauses 23, rue Filaterie hat sich im Untersuchungszeitraum 1994–2009 grundlegend geändert. Zunächst diente das scheinbar gewöhnliche städtische Reihenhaus mit seiner bisherigen dendrochronologischen Datierung 1129±20 als zeitliche und typologische Referenz ante quam für die Einordnung des „Hauses mit Rundbogentor“ und des „Saalbaus mit hohem Wohnhaus“ in die Zeit vor 1100.74 Als der ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ definitiv mit dem dendrochronologischen Datum 1135/36 verbunden werden konnte, galt das Haus 23, rue Filaterie als zeitnaher Vergleichsbau, der vor der Diskussion typologischer und stilistischer Anachronismen stand und zum Vergleich verschiedener Details näher untersucht wurde. Ergebnis war die dendrochronologische Umdatierung des Hauses auf „um 1208“, und die Bauzeit kann auf die Jahre zwischen ca. 1195 und ca. 1205 eingegrenzt werden. Die Neudatierung wurde zusätzlich von einer typologischen Neubestimmung begleitet, die das Nachbarhaus 1, petite rue des Ravattes demselben Baukörper zurechnet (vgl. Isometrie Pl. 9.44). Schließlich kann das völlig neu verstandene Haus bei allen äußerlichen Unterschieden typologisch in der Nachfolge des „Saalbaus mit hohem Wohnhaus“ beschrieben werden. Es spielt außerdem eine entscheidende Rolle für die Klärung der Stadtentstehung von Cluny.

Die Untersuchung des Baukörpers ergab, dass die angrenzende Treppe der Nachbarparzelle 1, petite rue des Ravattes ursprünglich in der Mittelachse eines einzigen, großen Hauses lag (Abb. 4.33). Der bekannte romanische Dachstuhl setzte sich jenseits einer Kaminmauer auf der heutigen Nachbarparzelle 1, petite rue des Ravattes in der gleichen Konstruktionsweise fort. Die bekannte Ladenöffnung im Erdgeschoss ist durch die dendrochronologische Datierung des Sturzholzes um 1193 (d) als zum einheitlichen, spätromanischen Hauskörper zugehörig erwiesen und erhält im Kontext des großen Baus eine neue Bedeutung. Nach den erhaltenen Teilen zu urteilen, dürfte das niedrigere zweite Obergeschoss (fast) fensterlos gewesen sein und, vom offenen Dachstuhl gedeckt, als trockenes Speichergeschoss gedient haben, das den anderen romanischen Reihenhäusern bisher fehlt. Es ist denkbar, dass der Straßennahme „Rue Filaterie“ auf Textilherstellung, –lagerung und –verkauf in diesem Haus zurückgeht, dessen ursprüngliche Bauform, –größe und –ausstattung sich durchaus für eine Nutzung als Manufaktur mit Verkaufsstelle eignete.

Am ‚Haus eines Händlers‘ um 1208 ist derselbe ordnungsstiftende Sinn für Symmetrie vorhanden, wie er am ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091, dem ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 und zwei weiteren Saalhäusern festgestellt wurde. Die Symmetrie ist eine wesentliche Ordnungshilfe und Grundlage der Gebäudeplanung im Hochmittelalter. Die graduell unterschiedliche Ausstattung der Haushälften reagiert auf unterschiedliche Repräsentations– und Nutzungsbedingungen und illustriert die zeittypische Praxis pragmatisch motivierter Disgression von einer konsequenten und strengen Symmetrie.

Typologisch scheint das Gebäude sich von den Häusern aus der Zeit vor 1150 entfernt zu haben. Beim näheren Hinsehen wird allerdings deutlich, dass alle konstituierenden Bauglieder in variierter Anordnung erhalten sind: Ein offen konzipiertes Sockelgeschoss, hier von einer Gasse durchquert; eine einläufige Treppe, die hier in der Hausmitte von der Straße in den Hauptsaal des Obergeschosses führt; im Obergeschoss, das zugleich das Hauptgeschoss ist, außerdem der Raum mit Arkadenfenster (das typologisch alte solarium des Treppenvorbaus), in den man noch immer vom Hauptsaal aus gelangt. Das solarium bildet weiterhin den vorderen Hausteil und gewährt den Blick auf die Hauptstraße Clunys.

Abb. 4.33: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Eingang auf der Mittelachse der Fassade, links Ladenöffnung, rechts Segmentbogenarkade der Bauzeit. Das Brüstungsgesims des Arkadenfensters im OG ragt bis über die lichte Öffnung des Eingangs: Beide heutigen Haushälften waren Teil ein und desselben Gebäudes.

Abb. 4.33: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue Ravattes.
Eingang auf der Mittelachse der Fassade, links Ladenöffnung, rechts Segmentbogenarkade der Bauzeit. Das Brüstungsgesims des Arkadenfensters im OG ragt bis über die lichte Öffnung des Eingangs: Beide heutigen Haushälften waren Teil ein und desselben Gebäudes.

Neuartig erscheint die Ausstattung mit einem Kamin, die aus dem loggienartigen Repräsentationsraum einen heizbaren, hellen Wohnraum macht, wie es in der Zeit um 1200 aufkommt.75 Bei der Konzeption des Hauses hatte die Tradition der Raumarten und die Abfolge der Räume größere Bedeutung als die Umsetzung eines rigiden Grund– oder Aufrissmusters. Das zwei– bis dreigeschossige Haus war um 1200 bereits Standard in den Städten, nun ging es darum, es in der verdichteten Stadttextur unterzubringen und es komfortabel nutzbar zu machen.

Durch die Korrektur der Datierung erhält die typologische und stilistische Entwicklung des Reihenhauses insgesamt einen angemessenen Zeitrahmen. Die ersten derartigen Häuser können ab ca. 1150 errichtet worden sein. Eine stilistische Chronologie der Bauornamentik ist jetzt möglich. Es kann eine Entwicklung beschrieben werden, die vom rustikalen Flachrelief am Haus von 1091 über den einfachen Blattvolutenstil des Hauses von 1136 und den reichen, angulären und schweren Ornamentüberzug der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu einem mechanisch verkümmerten romanischen Stil um 1200 führt. Danach setzt die kantige, schmuckarme Frühgotik des 13. Jahrhunderts ein, wie sie etwa am Haus 6, rue dʼAvril, dem so genannten „Hôtel des Monnaies“, zu finden ist.

Die Lage des Hauses am Mühlkanal Rivière de la Chaîne an der Stelle der Einmündung des Abwasserbaches Médasson wurde als bauzeitliche städtebauliche Situation dokumentiert. Der unmittelbare Kontakt zum Gewässer und zur Hauptstraße der Stadt wurde beim Bau des Hauses durch die Überbrückung eines alten Weges erkauft.76 Der Grundriss des Hauses berücksichtigt den Mühlkanal. Durch den Nachweis der Bauzeit des Hauses um 1200 ergibt sich für den Kanalbau, der bisher im fortgeschrittenen 13. Jahrhundert gesehen wurde, eine Datierung ins 12. Jahrhundert oder noch früher. Dies verweist auf eine frühe, intensive gewerbliche Gewässernutzung, etwa durch Mühlen, im Bereich des Handwerkerviertels Saint-Marcel. Mehrere überörtliche Wege trafen zur Bauzeit bei dem Haus zusammen. Es steht in stark verdichtetem städtebaulichen Kontext und kann mit seinem engen, offenen Straßenbezug als exzellentes Beispiel für die Anpassung der Hauskonzeption an die seit etwa 1150 aufkommende Verdichtung der Städte dienen.

4.5.6 Résumé

La maison 23, rue Filaterie est bien connue pour sa boutique médiévale au rez-de-chaussée, ses fragments dʼune claire-voie à lʼétage, et pour sa charpente dʼorigine. Comme cette maison est constituée en référence fondamentale servant dʼappui à tous les articles et études récents traitant de la maison romane clunisoise, ce résumé aidera à actualiser lʼétat de lʼart.

La maison est présentée pour la première fois dans une reconstitution amplective comme ‹ Maison d’un marchand ›. Au Moyen Âge, elle nʼoccupait non seulement la parcelle 23, rue de la Filaterie, avec la boutique au rez-de-chaussée, mais encore lʼactuelle parcelle 1, petite rue des Ravattes, avec laquelle elle formait un seul corps de logis (voir reconstitution fig. 4.29). La boutique faisait définitivement partie de la maison initiale. La porte dʼentrée sʼouvrant à lʼescalier correspondait à la porte de lʼactuelle maison 1, pte. rue des Ravattes. Lʼescalier longeait le mur de refend et se terminait sur un palier dans lʼangle dʼune salle ajourée par deux baies géminées dans le mur ouest. À travers une porte du mur de refend, on accédait à la salle avec la claire-voie. Cette salle était équipée dʼune cheminée. La claire-voie ne peut être reconstituée quʼavec huit baies. Un deuxième étage, qui ne disposait pas de larges baies pour lʼéclairage, était ouvert à la charpente, et il a toutes les qualités dʼun comble. Les fragments conservés de la charpente permettent dʼen présenter une reconstitution exacte et détaillée.

Suivant les nouveaux résultats de datation par dendrochronologie de 18 échantillons datant du tournant XIIe/XIIIe siècles, provenant du rez-de-chaussée et de la charpente (voir ci-dessus, p. 273),77 la construction de la maison a été exécutée dans les années entre 1193 et 1208, ce qui révèle lʼancienne datation 1129±2078 autant quʼenviron 75 ans trop haute. Située à lʼintersection de cinq rues et de deux rivières, la maison sʼadaptait au tissu urbain se densifiant à la fin du XIIe siècle. Son plan respectant le cours de la Rivière de la Chaîne témoigne de lʼexistence dʼun système de chenaux à Cluny bien avant la construction de la Tour du Moulin de lʼabbaye au XIIIe siècle.

La demeure paraît, a priori, sʼéloigner de la typologie des maisons de la première moitié du siècle. En regardant de plus près, on retrouve pourtant tous les éléments typologiques de celles-ci : Le rez-de-chaussée, ici traversé par une ruelle très ancienne; dans lʼaxe de la façade, lʼescalier menant de la rue à la salle de lʼétage; à lʼétage, le solarium79 avec sa claire-voie et sa cheminée adossée au mur de refend, accessible depuis la salle. Le solarium constitue toujours la partie « avant » de la maison, et il donne sur la rue principale de la ville. Le toit est orienté dans le sens de la longueur du bâtiment, ce qui distingue celui-ci des maisons alignées en front de rue. La façade est disposée sur la longueur du mur gouttereau. Cʼest lʼune des premières maisons urbaines dʼépoque médiévale connues et conservées qui disposent dʼun comble au-dessus de lʼétage, pour agrandir lʼespace de stockage. Lʼhomo oeconomicus commence par se manifester dans lʼarchitecture. À partir du XIIIe siècle, un deuxième, voire troisième étage sera courant dans la typologie de la maison urbaine européenne.

4.6 Saalhaus 17, rue de la République (gegen 1200)

Saalhaus gegenüber den Portes dʼHonneur der Abtei

Pl. 9.43

Stadtübersicht Pl. 9.1: E

Zeittafel S. 342351: 19

Abb. 4.34: Haus 17, rue de la République.
Neuzeitliche Straßenfassade, links Abzweig in die Rue dʼAvril.
Die Hausfront reflektiert eine mittelalterliche Gliederung: im EG Arkaden und seitlicher Eingang, das OG ist Hauptgeschoss.

Abb. 4.34: Haus 17, rue de la République.
Neuzeitliche Straßenfassade, links Abzweig in die Rue dʼAvril.
Die Hausfront reflektiert eine mittelalterliche Gliederung: im EG Arkaden und seitlicher Eingang, das OG ist Hauptgeschoss.

4.6.1 Vorbemerkungen

Ein großes romanisches Haus lag an der rechten Seite des Eingangs zur Rue dʼAvril auf der heutigen Parzelle 17, rue de la République, gegenüber dem Haupttor der Abtei. Von diesem Haus existiert noch ein imposantes Fragment wenige Meter hinter der aktuellen Fassade (Abb. 4.34). Es ist eine im Erdgeschoss von drei Arkaden durchbrochene, 1.44 m starke Mauer, die im Hausinneren in ca. 6.00 m Entfernung parallel zur Rue de la République steht.80 Sie wurde als Steinplan dokumentiert (Pl. 9.43); dabei wurde festgestellt, dass es sich um eine Giebelmauer handelt. Die Untersuchung erkannte mehrere Besonderheiten, die dieses Hausfragment für die Erkundung der Stadtanlage und vor allem für die Entstehungsgeschichte des Stadthaustypus interessant machen. Nach den Beobachtungen zur Stadtanlage ist die Rue de la République in diesem unteren Abschnitt im 12. Jahrhundert geradlinig neu angelegt worden. Die Straße wurde vormals „Rue de lʼAbbaye“ und noch früher, bis ins 18. Jahrhundert, „Rue de Saint Mayeul“ genannt.81 Sie flankiert die Westerweiterung der Abtei, die mit der Periode Cluny III einhergeht. Das Haus gehört zur Bebauung der neuen städtebaulichen Situation, die mit der Abteierweiterung entstand. Der privilegierten Lage gegenüber dem Haupttor der Abtei entspricht die vorgefundene, repräsentative Bauausführung mit relativ großformatigem Mauerwerk. Es ist mit einem Haus zu rechnen, das auch konzeptionell und typologisch auf der Höhe seiner Zeit steht.

4.6.2 Bauhistorischer Befund

Wie im Dachraum anhand der erhaltenen Strecke eines Orts (Pl. 9.43) festgestellt werden konnte, handelt es sich bei der erhaltenen Quermauer um eine Giebelmauer mit 30 Grad steilem Dach. Das Baumaterial ist Oolith in verhältnismäßig großformatigem, hammerrechten Zuschlag, teils mit der Spitzfläche geglättet, der an den Öffnungen in Werkstein übergeht. Diese verhältnismäßig hohe Qualität der Bauausführung findet sich bei anderen Häusern ab der Zeit um 1150 vor allem in der Fassade, während Innen– und Grenzmauern aus kleinformatigen Hammerrechten bestehen. In dem Giebel steht das Fragment einer Öffnung mit Schrägsohle (vgl. Abb. 4.35, diese Öffnung mit geradem Boden). Es war 1998 der erste Hinweis darauf, dass der dahinter liegende Raum ursprünglich ein hoher Saal war; in der Folge dieser Beobachtung wurde der hohe Saal des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 identifiziert. Die Rolle der Öffnung konnte noch nicht vollkommen geklärt werden; die weitere Untersuchung erkannte sie als innenliegendes Fenster, das wahrscheinlich als Zugangsluke vom Hauptsaal zum rekonstruierbaren Spitzboden über dem Kaminsaal des Vorbaus diente (s.u.). Das romanische Haus war ein Eckhaus, dessen Traufseite zur Rue dʼAvril ging und abgebrochen ist.82 Der Eingang zum Hauptsaal (Pl. 9.43, Ansicht, Tür OG rechts) wurde nicht, wie gewöhnlich, nach der Traufseite ausgerichtet, sondern steht in der Giebelmauer.

Abb. 4.35: Dem Öffnungsfragment der Giebelwand von Haus 17, rue de la République vergleichbarer Befund im Dachraum von Haus 1–3, rue de la Chanaise, dort kommunizierte die Deckenzone des Saals über vier Rechtecköffnungen mit dem Dachraum des Treppenvorbaus.

Abb. 4.35: Dem Öffnungsfragment der Giebelwand von Haus 17, rue de la République vergleichbarer Befund im Dachraum von Haus 1–3, rue de la Chanaise, dort kommunizierte die Deckenzone des Saals über vier Rechtecköffnungen mit dem Dachraum des Treppenvorbaus.

Von der Straße führte eine Treppe auf Viertelkreisgewölbe zum Saaleingang. Erhalten sind ein Teil des Gewölbes und das obere Podest. Auffällig ist der Mauerabsatz zwischen Erd– und Obergeschoss, in dem zu Beginn der Untersuchung die Substruktion etwa eines Laubengangs vermutet wurde.83 Die drei Arkaden im Erdgeschoss mit geringer Spitze des Bogenscheitels sowie auch Art und Flächung des Mauerwerks verweisen darauf, dass das Haus keinesfalls vor 1150 gebaut wurde. Die ungewöhnlich schmalen Arkaden kennzeichnen das Erdgeschoss als durchlässiges Sockelgeschoss und durchbrechen zu diesem Zweck eine sehr starke Mauer. Die Orientierung der Arkaden und des Hauseingangs zur Rue de la République lassen das Haus als giebelständiges Gebäude erscheinen. Das Fundament der Arkadenpfeiler und der hangseitigen Grenzmauer wurde nachträglich abgegraben und der Fußboden des Erdgeschosses geebnet.

Die komplexe nachromanische Baugeschichte des Hauses konnte nicht erschöpfend dokumentiert werden. Veränderungen des Ursprungsbaus wurden nur insoweit erfasst, als darin die für die Typologie des Stadthauses wichtigsten Bauphasen sichtbar werden. Im Spätmittelalter wurden die Geschossebenen verändert und das Haus wahrscheinlich dreigeschossig ausgebaut (vgl. Pl. 9.43, Bodenniveau an der Tür linker Hand und am überwölbten Waschbecken rechterhand des Kamins). Die Reduzierung großer Raumhöhen ist im Spätmittelalter kein seltener Eingriff. Die Gründe können Raummangel und die bessere Heizwirkung des Kamins in niedrigeren Geschossen sein. Im 16. Jahrhundert folgte der Einbau einer Spindeltreppe unmittelbar am Hauseingang, die den direkten Zugang zu allen Geschossen ermöglichte. Spätestens im 18. Jahrhundert wurde dann das ursprüngliche Fußbodenniveau im ehemaligen Treppenvorbau wiederhergestellt. Der lange, hinter der Quermauer liegende Hauptsaal mit Sockelgeschoss wurde neuzeitlich abgebrochen, so dass das romanische Haus auf einen Rumpf beiderseits der beschriebenen Querwand verkürzt und äußerlich zu einem traufständigen Haus an der „Rue de Saint Mayeul“ umgestaltet wurde. Der rückwärtige Großteil des ehemaligen Hausgrundrisses ist seitdem von einem ummauerten Hof oder Garten belegt.84

4.6.3 Rekonstruktion des Vorbaus mit Kaminsaal

Zwei Schlüsselbefunde für die Rekonstruktion eines Kaminsaals im Treppenvorbau des romanischen Saalhauses sind die tiefen Arkaden des Erdgeschosses, deren Oberkante einen 0.80 m tiefen Absatz zwischen Erd– und Obergeschoss bildet, sowie das auf derselben Höhe oberhalb der Haupttreppe identifizierte Podest (s. Abb. 4.37). Das Podest signalisiert einen direkten seitlichen, vom rückwärtigen Hauptsaal unabhängigen Zugang zum Obergeschoss des Treppenvorbaus. Diese Art Zugang wurde in anderen Häusern mehrfach nachträglich geschaffen.85 Sie ist eines der Merkmale, an denen abzulesen ist, wie der ehemals dem Haus vorgelagerte Treppenvorbau zum integralen Bestandteil des Wohnhauses avancierte. Ein weiteres derartiges Merkmal ist der rekonstruktiv ergänzte Kamin. Ihm dienten die brückenartigen Arkaden des Erdgeschosses als Substruktion (Abb. 4.36). Arkaden mit ungewöhnlicher Tiefe können am Bestand romanischer Häuser in Cluny an zwei weiteren Stellen beobachtet werden. Sie sind in beiden Fällen nicht repräsentativer Selbstzweck, sondern haben tragende Funktion: Im ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 stehen darauf Mauertreppen, im Haus 6, rue dʼAvril (1. H. 13. Jh.) tragen die Arkaden einen imposanten Kamin in der Fassadenmitte. Tatsächlich zeigt im untersuchten Haus 17, rue de la République der Steinplan im Bereich des Dachgeschosses eine schräge Abrisslinie, die von einem an der Mauer hochgeführten Kamin übriggeblieben ist (siehe Pl. 9.43).86

Abb. 4.36: Haus 17, rue de la République.
Brückenartige Arkadenkonstruktion im EG zur Aufnahme eines großen Kamins im Saalgeschoss. Die unterschiedlich hoch grau verputzte Zone am Arkadenfuß markiert die topographisch bedingt ansteigende OK des romanischen Fundaments. Blick nach Süden.

Abb. 4.36: Haus 17, rue de la République.
Brückenartige Arkadenkonstruktion im EG zur Aufnahme eines großen Kamins im Saalgeschoss. Die unterschiedlich hoch grau verputzte Zone am Arkadenfuß markiert die topographisch bedingt ansteigende OK des romanischen Fundaments. Blick nach Süden.

Es kann ein Kamin nach dem Vorbild des Hauses 6, rue dʼAvril ergänzt werden, der allerdings nicht an der Fassade, sondern an der innenliegenden Querwand steht, die den Treppenvorbau vom Hauptsaal trennt (Abb. 4.37). Diese Anordnung ist im Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes (um 1200) ganz vergleichbar zu finden, mit dem Unterschied, dass die Treppe dort von der Traufseite her an der Querwand entlang ins Saalgeschoss geführt, und dass der Unterbau des Kamins durch einen von der Querwand abgehenden Mauerstumpf gebildet wird. In der Rekonstruktion von Haus 17, rue de la République tritt der Schornstein in sinnvoller Position seitlich des Firstes aus dem Dach. Die Last des Kamingewichts wird auf die tiefen Arkadenpfeiler abgetragen. Die unterschiedliche Breite der Arkadenöffnungen ist der Lastverteilung zuzuschreiben. Der um 4.38 m hoch rekonstruierbare Kaminsaal hatte eine Flachdecke; eine Konsole zur Aufnahme eines Streich– oder Deckenbalkens ist in der entsprechenden Höhe als Fragment erhalten. Die Haupttreppe konnte in Länge und Steigung nach dem Vorbild des „Saalbaus mit hohem Wohnhaus“ ergänzt werden, nachdem derselbe Radius des Stützgewölbes festgestellt wurde.

Lag der Gedanke der Rekonstruktion zunächst beim üblichen Pultdach des Treppenvorbaus, scheitert dies an der niedrigen Höhe des Giebelansatzes der Querwand, an die das Pultdach des Vorbaus angefügt wäre: An der Rue de la République würde die lichte Raumhöhe 2.50 m oder weniger betragen; die mindestens erforderliche Höhe für Biforien oder Arkadenfenster würde oberhalb nicht genügend Höhe für den Decken– und Dachaufbau lassen. So kann davon ausgegangen werden, dass das Satteldach des Hauptsaals bis zur Rue de la République reichte und erst bei einem großen Umbau, wahrscheinlich demjenigen des 16. Jahrhunderts, abgetragen wurde.87

4.6.4 Typus und Datierung

Das romanische Haus erscheint in der Rekonstruktion als langes Saalhaus mit Satteldach, das mit der Giebelseite zur Rue de Saint Mayeul“ („TerrierBollo“ 1693), heute Rue de la République, und mit der langen Traufseite zur „Rue Darvi“ (Rue dʼAvril) orientiert war.88 Es steht typologisch in der Nachfolge der älteren untersuchten Saalhäuser mit Sockelgeschoss, wie des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 oder des Saalhauses der Zeit um 1100, das den ersten Bauzustand des Hauses 1–3, rue de la Chanaise bildete. Im Unterschied zu diesen Häusern lagen Haupttreppe und –eingang auf der Giebelseite. Der Treppenvorbau war nicht mehr, wie zuvor üblich, am Hauskörper abgestuft, sondern Bestandteil desselben einheitlichen Volumens. Das typologisch alte solarium im Obergeschoss des Vorbaus erscheint als repräsentativer, nicht nur heller, sondern auch heizbarer Wohnraum. Darin gleicht das Haus dem ‚Haus eines Händlers‘ von 1208.89 Typologisch gehört es in die Zeit um 1200, könnte aber auch – nach der Form der Arkaden, den Sturzkonsolen des Saalzugangs und dem Viertelkreis-Stützgewölbe der Zugangstreppe – etwas früher, also noch in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts gebaut worden sein. Der besondere Rang des Hauses, der seinen Ausdruck in der exponierter Lage und der vergleichsweise hohen Bauqualität der erhaltenen Quermauer mit massigen Arkaden findet, steht der Vorstellung nicht entgegen, dass das Haus auch bezüglich der Konzeption des Hauskörpers und der inneren Erschließung wegweisend war.

Abb. 4.37: Haus 17, rue de la République.
Rekonstruktion der typologisch zentralen Zone mit Arkaden im EG, Zugangstreppe zum Saalgeschoss mit oberem Podest und Zugang zum Hauptsaal; Zugang vom Podest zum betrachterseitigen Kaminsaal projiziert und grau hinterlegt, Kamin projiziert. Blick nach Norden.
Pl. 9.43, Ausschnitt.

Abb. 4.37: Haus 17, rue de la République.
Rekonstruktion der typologisch zentralen Zone mit Arkaden im EG, Zugangstreppe zum Saalgeschoss mit oberem Podest und Zugang zum Hauptsaal; Zugang vom Podest zum betrachterseitigen Kaminsaal projiziert und grau hinterlegt, Kamin projiziert. Blick nach Norden.
Pl. 9.43, Ausschnitt.

4.7 Saalhaus 6, rue dʼAvril (so genanntes „Hôtel des Monnaies“), 1. H. 13. Jh.

Doppelsaalhaus

Stadtübersicht Pl. 9.1: C

Abb. 4.38: Haus 6, rue dʼAvril, Südseite.
Straßenfassade mit ostentativem, zentralen Kamin.

Abb. 4.38: Haus 6, rue dʼAvril, Südseite.
Straßenfassade mit ostentativem, zentralen Kamin.

4.7.1 Vorbemerkungen

Zu den bisherigen Darstellungen dieses bekannten Hauses90 können einige Bemerkungen ergänzt werden. Sie betreffen den symmetrischen Haustyp, dessen Herkunft und Erschließung, den Kaminsaal an der Fassade und dessen typologische Stellung sowie die Datierung des Hauses und dessen Lage an der Rue dʼAvril.

Das Haus ist eines der wenigen untersuchten Gebäude, die nicht in städtebaulich exponierter Lage auffallen. Es steht im vorderen Drittel der Rue dʼAvril, das alle dort bekannten mittelalterlichen Häuser aufnimmt (Abb. 4.38). Durch die Stratigraphie am Haus 15, rue dʼAvril und durch die Untersuchung des Straßennetzes bei der Erkundung der Stadtanlage wurde festgestellt, dass die Straße frühestens Mitte des Jahrhunderts angelegt und ab dieser Zeit mit Häusern besetzt wurde. Zum Ende des Hochmittelalters scheint gerade ein Drittel der Straße von Häusern gefasst gewesen zu sein; die parallel oberhalb liegende Rue Saint-Mayeul war nach Maßgabe der Befundstreuung noch ohne nennenswerten Hausbesatz. Der Lagevorteil des Hauses bestand in der Nähe zum Haupttor der Abtei, dessen Anlage kurz vor oder um 1150 die Verstädterung des Quartiers beschleunigte. Nach der Befundverteilung waren die städtebaulich prominenteren Stellen rund um die Abtei bereits mit Häusern besetzt, als das Haus 6, rue dʼAvril gebaut wurde.

4.7.2 Haustyp des Doppelsaalbaus

Es handelt sich um eine zweigeschossige domus solarata. Auf einem in der Haustiefe durchlässigen Sockelgeschoss sitzt ein Saalgeschoss. Das achssymmetrisch konzipierte Haus91 mit zwei Aufgängen von der Straße her gliedert sich in einen Treppenvorbau mit Kaminsaal und einen rückwärtig anschließenden Doppelsaaltrakt mit Mittellängsmauer. An den rechten, kürzeren (östlichen) der Doppelsäle ist auf der Breite des Saals nach hinten ein quadratischer Gewölberaum angeschlossen, der rückseitig in derselben Wand wie der längere westliche Saal endet. Nach den bisher dargestellten Bauzusammenhängen scheint das Haus in einem Bauvorgang errichtet worden zu sein. Dafür sprechen die Stilausprägung der Fassade, des Kamins im Ostsaal und das deutlich spitze Kreuzgratgewölbe des Gewölberaums. Bis auf den Gewölberaum92 steht der Typus grundsätzlich in der Nachfolge des untersuchten Saalbaus von 1136;93 typologische Modifizierungen sind den vorliegend festgestellten Entwicklungen im Lauf des 12. Jahrhunderts zuzurechnen.

4.7.3 Neue typologische Elemente des Stadthauses um 1200

Das Obergeschoss des Treppenvorbaus ist nicht nur mit einer Fensterreihe, sondern zusätzlich ostentativ mit einem offenen Kamin ausgestattet, der die Fassade dominiert. Der Raum ist neuartig als heller und heizbarer Wohnraum konzipiert,94 nicht mehr nur als eine Art tiefe Loggia, die allein im Sommer komfortabel und dauerhaft genutzt werden konnte. Dieser Kaminsaal wurde von einem Podest der Zugangstreppen her direkt und unabhängig erschlossen, so dass man nicht mehr zunächst den rückwärtigen (Haupt-)Saal betreten musste, um dann durch eine zweite, vielleicht hier zusätzlich vorhandene Tür ins Obergeschoss des Treppenvorbaus zu gelangen (Abb. 4.39). Der direkte Zugang ist zwar nicht erhalten, allerdings mit Sicherheit zu rekonstruieren: Die Eingangstüren des Hauses schlugen nach außen auf. Der Anschlag ist erhalten; die Tiefe und die Breite der Öffnung lässt an Doppelflügeltüren denken.95 Die Treppe stieg nach diesem Befund ohne Unterbrechung bis zum Fußboden des Obergeschosses und ließ am oberen Ende Platz für ein geräumiges Podest, das den unabhängigen Zugang zum Kaminsaal des Vorbaus ermöglichte (Abb. 4.40). Nach den Beobachtungen an anderen Häusern der Zeit um 1200 wurde ein solches Podest speziell für diesen Zugang gebaut und genutzt; bei älteren Häusern wurde der Zugang nachträglich geschaffen.96

Eine weitere Neuerung betrifft die innenliegende Quermauer (mur de refend), die bei älteren Bauten den Treppenvorbau vom Saaltrakt trennte. Diese Mauer ist etwa beim Saalbau von 1136 noch stärker als die Außenmauern des Vorbaus dimensioniert und setzt im Grundriss den Saaltrakt vom Vorbau ab. Der Durchmesser der Quermauer wurde bei den Häusern nach 1150 an die Mauerstärke der Fassade angeglichen,97 wenn nicht geringer aufgeführt.98 Hier, im Haus 6, rue dʼAvril, ist diese Querwand nur noch als Trennwand ausgebildet, die im Sockelgeschoss von bauzeitlich eingestellten Säulen und einem Unterzug getragen wird. Vorbau und Hauskern sind endgültig zu einem einheitlichen, traufständigen Hauskörper verschmolzen, dessen First über der Hausmitte oder noch näher an der Straße liegt. Gegenüber dem älteren System ist um 1200 der Schwerpunkt des Hauses vom rückwärtigen Hausteil an die Straße gerückt.99 Diese neuartige Hausform ist seitdem so sehr zur Selbstverständlichkeit geworden, dass der ursprüngliche Typus bisher unerkannt blieb.

Abb. 4.39: Haus 6, rue dʼAvril.
Axonometrische Rekonstruktion.
Eingefügt und markiert: Podest und Zugang zum Kaminsaal.
Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 134 Abb. 107.
Ausschnitt und Einfügungen: Verfasser.

Abb. 4.39: Haus 6, rue dʼAvril.
Axonometrische Rekonstruktion.
Eingefügt und markiert: Podest und Zugang zum Kaminsaal.
Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 134 Abb. 107.
Ausschnitt und Einfügungen: Verfasser.

Abb. 4.40: Haus 6, rue dʼAvril.
Grundriss Saalgeschoss mit Erschließungspodesten bei Verdier (Markierung: Verfasser).
Die unrichtig dargestellte Hausrückwand ist beschnitten.
Aymard Verdier, Archives des Monuments Historiques (1850), pl. 4582.
n. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 27 pl. III.
Ausschnitt und Nachbearbeitung: Verfasser.

Abb. 4.40: Haus 6, rue dʼAvril.
Grundriss Saalgeschoss mit Erschließungspodesten bei Verdier (Markierung: Verfasser).
Die unrichtig dargestellte Hausrückwand ist beschnitten.
Aymard Verdier, Archives des Monuments Historiques (1850), pl. 4582.
n. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 27 pl. III.
Ausschnitt und Nachbearbeitung: Verfasser.

Das Haus 6, rue dʼAvril ist zwar nicht der älteste Doppelsaalbau in Cluny, jedoch der einzige, dessen symmetrische Fassade erhalten ist. Sein Hauptmerkmal ist der auf tiefen Arkaden stehende Kamin100 in der Fassadenmitte, der überdeutlich die Heizbarkeit des typologisch aus dem alten solarium hervorgegangenen Kaminsaals nach außen trägt. Mit dem Kamin und der frühgotisch schmuckarmen Horizontalität des Fensterbandes mit flachen Stürzen muss der Bau als sehr modernes und komfortabel bewohnbares Haus aufgefallen sein.101 Seine Mächtigkeit wurde von der Forschung als Besonderheit ins Feld geführt, doch erreicht der Bau weder die Länge und Breite, noch die Höhe des älteren „Saalbaus mit hohem Wohnhaus“ von 1136. Er entspricht etwa den Ausmaßen des Hauses 1–3, rue de la Chanaise im Bauzustand gegen 1200. Dieses ganz in der Nähe an prominenter Stelle stehende Haus ist ebenfalls durch eine Mittellängsmauer und typologische Symmetrie gekennzeichnet, die allerdings wegen der beengten Lage des Hauses in einer Straßengabel nicht bis zur Fassade durchdringt. Nachdem bisherige Vorschläge wenig fundiert sind,102 scheinen bei der künftigen Suche nach der Nutzung des Hauses 6, rue dʼAvril die Beachtung des Doppelsaaltypus, dessen ältestes bekanntes Beispiel der ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 darstellt, und die vertiefte Untersuchung des hohen Gewölberaums im hinteren Hausbereich am ehesten Erfolg zu versprechen.103

4.7.4 Datierung

Nach allen Beobachtungen kann die Datierung von Halbach „nach 1200, 1. Hälfte des 13. Jahrhundert, vermutlich 1. Viertel des 13. Jahrhunderts“104 durch die neue typologische Stellung des Hauses gestützt werden, die zuletzt verbreitete Ansicht, der Bau gehöre ins 12. Jahrhundert, dagegen nicht. Nach der Neudatierung um 1208 des Hauses 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes, dessen Bauornamentik ältere Stilmerkmale trägt als diejenige des Hauses 6, rue dʼAvril, kann davon ausgegangen werden, dass letzteres nicht vor 1210 erbaut wurde. Ein Merkmal, das die Datierung von unten her einschränkt, ist die Bearbeitung der Werksteine durch Beilflächung und Spitzung. Beides wird gegen Mitte des 13. Jahrhunderts von der Zahneisenflächung abgelöst, wie an der gotischen Kirche Notre-Dame zu beobachten ist.105 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Bauzeit zwischen ca. 1210 und 1250 festschreiben.

Fußnoten

Häuser 9, rue du Merle und 15, rue dʼAvril.

Häuser 15, rue dʼAvril und 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes.

Häuser 15, rue dʼAvril und 17, rue de la République.

Haus 10, rue Saint-Odile.

Häuser 15, rue dʼAvril und 9, rue du Merle.

Verdier and Cattois 1858, Bd. II, Tafel 102; Halbach 1984, S. 330–336 mit Datierungsvorschlag 1160–1170; Garrigou Grandchamp 1997; Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 121 Abb. 87 (Grund- und Aufriss), S. 155 (Fassade).

Bei der typologischen Bestimmung eines Hausfragments können nur die entscheidenden Merkmale schnell zur richtigen Rekonstruktion führen. Falls solche fehlen, können sie ggf. aus Indizien rekonstruiert werden. Dabei ist die Gefahr der Überinterpretation stets im Auge zu behalten. Auch im Haus 14, rue du Merle wurde – nach der Ergrabung und Datierung des ‚Haus mit Rundbogentor‘ von 1091 – das Parallelbeispiel eines Rechteckhauses aus dem 11. Jahrhundert vermutet und dem Bearbeiter von der örtlichen Denkmalverwaltung zur Untersuchung anempfohlen. Die Untersuchung 2007 ergab, dass es sich um ein straßenbegrenzendes, traufständiges Reihenhaus der Zeit um 1200 handelt, dessen First wie beim Haus 9, rue du Merle weit von der Straße entfernt liegt. Interessant ist die als Nebenergebnis dokumentierte frühneuzeitliche Absenkung der Geschossböden, um bei nur geringer Aufhöhung des gesamten Hauses ein zweites Obergeschoss unterzubringen, des Weiteren die Belichtung des romanischen Dachgeschosses durch zwei symmetrisch in der Giebelwand angeordnete Lichtfenster.

Vgl. die Häuser 15, rue dʼAvril und 1–3, rue de la Chanaise: Dort gehen die Arkadenfenster über die gesamte Hausbreite, so dass das Treppenauge im Innern nicht bis an die Fassade reichend, sondern nur mit Abstand zu dieser rekonstruiert werden kann.

Die von Garrigou Grandchamp und Salvèque dem 12. Jahrhundert zugerechneten Sitznischen können nicht bestätigt werden: Die Fensternischen wurden nach Baubefund erst sekundär eingebrochen. Außerdem ist der Verlauf der Grenzwand zu Nr. 7 irrtümlich mit einem deutlichen Winkel dargestellt, woraus man unterschiedliche Bauphasen erschließen könnte (Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 121 Abb. 87 b). Das frühgotisch anmutende Haus 7, petite rue Lamartine – mit Sitznischen – ist im 12. Jahrhundert mit Sicherheit zu hoch datiert und eher gegen 1250 anzusiedeln (vgl. a.a.O., S. 146 Abb. 124, übernommene Darstellung von Verdier 1850). Eine weitere Schemazeichnung, die ein Arkadenfenster des 12. Jahrhunderts mit Sitznischen vereint, stellt keinen konkreten Befund dar, sondern ist eine rein didaktische Zusammenstellung (a.a.O., S. 141 Abb. 119).

Den älteren Typus bildet ein Saal ohne Zwischendecke, wie am ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 nachgewiesen. Dieser Saaltyp ist bis ins 13. Jahrhundert hinein geläufig (vgl. Haus 1–3, rue de la Chanaise). Im Haus 25, rue de la République (vor 1200) ist nach dem fragmentarischen Befund eines hochgelegenen Ausgangs zu einem Laubengang von einem zweiten Obergeschoss über dem Hauptraum des Hauses sicher auszugehen, während der niedrigere Treppenvorbau zur Straße hin nur ein Obergeschoss zeigte.

Am selben Ort gab es zuvor keine Tür; falls über dem Hauptraum des 12. Jahrhunderts ein zweites Obergeschoss existiert hat, wurde es von anderer Stelle her erschlossen.

Der Unterschied wurde bereits von Jean-Denis Salvèque bei der Planwerkserstellung für das Centre dʼétudes clunisiennes beobachtet, blieb aber ohne Folge für die Interpretation des Bauwerks.

Ein vergleichbares Profil bildet die Fensterbank des romanischen Biforiums im Haus 4, rue Lamartine. Es wäre zu prüfen, ob es sich nicht auch dort um die Folge eines Umbaus handelt.

Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 100 Abb. 71 (Bildunterschrift).

Die Einschätzung entstand aus der Beobachtung der Entwicklung von Haustyp und der Konstruktionsweise, in sukzessiver Entfernung von den am ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 dokumentierten Baueigenschaften.

Vgl. Halbach 1984, S. 336: „[...] 60er und 70er Jahre des 12. Jahrhunderts bis gegen 1200“.

Der vereinfachte Gebäudeschnitt wurde erstmals im Vorbericht 2001 dargestellt (Flüge 2001, S. 31 Abb. 6). Allerdings folgte die Datierung des Ursprungsbaus noch dem unrichtigen dendrochronologischen Datum „1109–1149“ des Hauses 23, rue Filaterie. Das 2. OG wurde nach seinem romanischen Arkadenfenster in das Ende des 12. Jahrhunderts datiert.

Beispielsweise gehen die besonderen Grundstücksformen der südlichen Häuserzeile in der Rue Lamartine auf topographische Zwänge zurück (vgl. Pl. 9.1, 9.2 und 9.3).

Vgl. Kap. 5, Typologie, S. 307338.

Auch das bekannte Nachbarhaus 11, rue du Merle wurde im Spätmittelalter aufgestockt.

Der Erhaltungszustand übertrifft denjenigen der Fassade des noch bekannteren, größeren und jüngeren Hauses 25, rue de la République, bei dem 1912/13 restaurierende Ergänzungen der Arkadenfensterbrüstung, des Arkadenfensters und (verfälschend) der Erdgeschossarkade vorgenommen wurden. Das Haus 15, rue dʼAvril wurde seit Aymard Verdier (Verdier and Cattois 1858) mehrfach Gegenstand von Katalogen, ansatzweise analytischen Bestandsaufnahmen und Rekonstruktionsversuchen: Verdier, Archives des Monuments Historiques, pl. 4587 (1850); Halbach 1984, S. 301–304, S. 540, Tafel VI (Foto Fassade), S. 568 Tafel 10 (schematisch rekonstruierter Grundriss und Ansicht); Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 114 Abb. 82 (Foto Fassade), S. 118 Abb. 83 (Ansichten und rekonstruierte Schnitte), S. 119 Abb. 84 (rekonstruierte Grundrisse), S. 140 Abb. 117 (Rekonstruktionsversuch Fassade), S. 191 Abb. 196 (Bauskulptur).

Später wurde der Kanallauf ins westlich angrenzende Nachbarhaus 15bis hinein verlegt.

Dieselbe Praxis ist an der Westwand im EG des Hauses von 1136 zu beobachten.

Dieses bei den Häusern am Talboden beobachtete Phänomen ist auch am Grauen Haus in Winkel im Rheingau festzustellen (wahrscheinlich um 1072 (d)). Auch dort steigt der Fußboden des Sockelgeschosses nach hinten an (vgl. Meyer-Barkhausen 1958, Gebäudeschnitt).

Vgl. Beschreibungen der Häuser 6, rue d’Avril; 23, rue Filaterie / 1, pte. rue des Ravattes; 17, rue de la République.

Vgl. dazu Halbach: „60er und 70er Jahre des 12. Jahrhunderts bis gegen 1200“ (Halbach 1984, S. 304).

Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 138 Abb. 113: Haus 19, rue Lamartine (14. Jahrhundert). Eine vergleichbare Erschließung ist aus dem Türbefund im Obergeschoss der Rückwand des romanischen Hauses 25, rue de la République (vor 1200) rekonstruierbar (vgl. a.a.O., S. 127 Abb. 96 und Rekonstruktion auf S. 126). Diese Rekonstruktion zeigt das Haus mit zwei Obergeschossen, was durchaus am Befundfoto begründet werden und als Hinweis dienen kann, dass der Hauptraum des Hauses gegen 1200 von einer Zwischendecke in zwei Geschosse geteilt war. Sicherlich nicht richtig an der Rekonstruktion ist der zu hoch und zu nah an der Straße liegende First, der eine dreigeschossige Straßenfassade voraussetzt. Die Kubatur des Hauses hat mit einiger Sicherheit dem Typus mit Schleppdach zur Straße hin entsprochen, wie er am Haus 9, rue du Merle nachgewiesen wurde.

Die sekundäre Aufmauerung ist über 0.71 m stark.

Vgl. Abb. 3.24.

Lambert and Lavier 1991, Bericht der dendrochronologischen Datierung.

Verdier and Cattois 1858, Bd I, Tafeln 19 (Lageplan) und 22 (Zeichnung Fragment des Arkadenfensters); Halbach 1984, S. 271–273 (Beschreibung und Datierung (1160–1200) des Fragments nach vorgenannter Zeichnung von Verdier); Garrigou Grandchamp and Salvèque 1992, S. 290–295; Garrigou Grandchamp 1992, S. 102–103; Garrigou Grandchamp and Salvèque 1994; Garrigou Grandchamp 1997, S. 216–226 (mit Planzeichnungen und Rekonstruktionen); Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 143 Abb. 122 (axonometrische Rekonstruktion), S. 145 Abb. 123 i (Rekonstruktion Arkadenfenster), S. 165 Abb. 154, S. 229–233 (dendrochronologische Datierung zwischen 1109 und 1149) sowie S. 239 (axonometrische Rekonstruktion / Glossar); Garrigou Grandchamp and Salvèque 2002, S. 143 und 145 („La datation des maisons de Cluny“).

Vgl. Salvèque and Garrigou Grandchamp 2002, S. 145, bezugnehmend auf die Datierung durch Lambert und Lavier (Lambert and Lavier 1991).

Vgl. Kap. 3.5.7, S. 197228 – Aus den genannten Gründen wurde der ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ in Abhängigkeit von der dendrochronologischen Datierung „1109–1149“ des Hauses 23, rue Filaterie im Vorbericht Flüge 2001 noch als Bau des 11. Jahrhunderts dargestellt.

Dormoy 2005a, Archéolabs réf. ARC 05/R3325D. Probenentnahme– und Laborkosten wurden von der Gerda-Henkel-Stiftung übernommen.

Probenentnahme am 1. Juli 2005 sowie Analyse durch Christian Dormoy im Auftrag des Verfassers nach gemeinsamer Auswahl der Hölzer. Die jahrgenaue Datierung der Probennummern 2, 3, 5 und 8 geht auf die Beobachtung jeweils eines bastangrenzenden Jahrringes zurück (Dormoy 2005a, S. 9, VI).

Splint bei Probenentnahme beobachtet, jedoch unzugänglich.

Vgl. den bauhistorischen Überblick der Häuser 20, rue du Merle (Kap. 3.2.3, S. 3744) bzw. 11–13, place Notre-Dame (Kap. 3.5.6, S. 192196).

Die übrigen Deckenbalken wurden um 1193 datiert („1193 environ“, Dormoy 2005a), ebenso die vorhandenen Streichbalken und der zweizügige Sturz der Ladenöffnung, dessen feine Fase mit passendem An– und Ablauf die Erstverwendung an dieser Stelle signalisiert.

Heute als Unterzug im selben Dach wiederverwendet.

Es ist eine verbreitete Ansicht, dass Bauhölzer „grün“ bearbeitet und auch verbaut wurden, so dass ein eine im Bauzusammenhang stehende dendrochronologische Datierung als exaktes Baudatum eines Bauwerks interpretiert werden kann. Die vorliegende Beobachtung schränkt diese Annahme insofern ein, dass das dendrochronologische Ergebnis ggf. nur als zeitnaher Terminus post quem aufzufassen ist.

Vgl. die nachrichtliche, eher kurze Bauzeit eines in der Zeitstellung vergleichbaren romanischen Hauses in Bayern: „[...] ut domum super lapideam structuram, que fuit in ipsa area, infra tres annos edificent“ (Haus um 1190 für die Hofstatt Weihenstephan; Strobel 1976, S. 35). Bau– und Instandsetzungsphasen einzelner Häuser können beobachtungsgemäß in Cluny zehn und mehr Jahre lang dauern.

Centre dʼétudes clunisiennes / Classeur Filaterie 23 (Kopie ohne Quellenangabe).

„[...] villam, [...], cum omnibus rebus ad ipsam pertinentibus, villis siquidem, capellis, mancipiis utriusque sexus, vineis, campis, pratis, silvis, aquis earumque decursibus, farinariis, [...]“ (C 112, Gründungsurkunde der Abtei vom 11. September 909 oder 910, zit. n. Bernard 1876–1903, S. 125). Vgl. umfassenderen Textauszug S. 373 Anm. 108.

Die OK der geologischen Deckschicht im Raum hinter der Ladenöffnung liegt 0.65 m unter dem angrenzenden Straßenniveau (gemessen 2005).

Vgl. Vorbemerkungen, Kap. 4.5.1, S. 272.

Vgl. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 239 und weitere Abbildungen der bisherigen Publikationen.

Die Annahme einer zusätzlichen, südlich an den Pfeiler anschließenden Arkadenöffnung entfällt nicht nur aufgrund der intakten Mauerstruktur an dieser Stelle. Die maximal mögliche Fensterbreite von ca. 0.50 m ist durch die innen anschließende Mauerecke vorgegeben, während der ermittelbare Rhythmus der Arkaden anhand der vorhandenen Fragmente ein realistischeres Maß von ca. 0.61,5 m definiert. Nach der Bauaufnahme des Centre d’études clunisiennes beträgt der Abstand vom Pfeiler bis zur rekonstruierbaren, in einer Aufnahme des 19. Jahrhunderts noch vorhandenen Doppelsäule unterhalb des Sturzfragments der dritten Arkadenöffnung von Süden ca. 1.55 m; zwischen diesem Punkt und dem kannelierten Pfeiler sind die Breite der Doppelsäule (ca. 0.20 m), ein einfacher Fenstersäulenquerschnitt (ca. 0.12 m) und zwei lichte Öffnungen (à ca. 0.61,5 m) unterzubringen. Die Fortsetzung dieses Rhythmus endet, wie schon die Rekonstruktion von Salvèque zeigt, mit dem erhaltenen nördlichen Endelement des Arkadenfensters. Die in derselben Rekonstruktion untergebrachte zusätzliche Öffnung, die den kannelierten Pfeiler freistellt, ist nicht möglich.

Der heutige Bauzustand der Einfahrt scheint nach den Eckausbildungen und der Form und Bearbeitung der Konsolen auf das 16. oder 17. Jahrhundert zurückzugehen. Eine entsprechende dendrochronologische Datierung liegt bei dem tertiär ergänzten Streichbalken von 1588 oder 1589 am anderen Ende der Durchfahrt vor. Die Durchfahrt besteht mit der südlichen seitlichen Abmauerung schon seit ca. 1483 (Dendrodatierung von Holzbauteilen beider Begrenzungswände). Die nördliche Abmauerung ist unter Wiederverwendung älterer Holzteile mit der Neugestaltung der Durchfahrt im 16. Jahrhundert errichtet worden: Die Wand bildet im Grundriss eine gerade Linie und ist nicht von der damals neu aufgesetzten Ecke der Einfahrt an der Fassade zu trennen.

Über diese Setzung hinaus ist beispielsweise die Arkade der Rückwand nach außen geneigt, das oberhalb stehende Mauerwerk dagegen annähernd lotrecht (vgl. dazu den horizontalen, phasentrennenden Knick über dem 1. OG in der Fassade des Hauses 9, rue du Merle).

Falls einmal Renovierungsarbeiten im Erdgeschoss des Hauses vorgenommen würden, wird zur Beobachtung der Bodenschichten geraten, die sich weiter differenzieren lassen.

Vgl. Häuser 9, rue du Merle (nach 1150); 15, rue dʼAvril (nach 1150); 1–3, rue de la Chanaise (gegen 1200).

Vgl. Kap. 5.4, Der Terminus domus solarata und das solarium, S. 325338.

Vgl. Verdier and Cattois 1858, Abb. mit aquarellierter Stadtübersicht.

Name des Mühlkanals nach Prévost 1670 (vgl. Pl. 9.4).

Vgl. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, Appendice 2, Inventaire des maisons des XIIe, XIIIe et XIVe siècles au 1er avril 1994, nºs. 19 (1, rue Bénetin), 57 und 117 (41 und 43, rue de la Liberté) mit gotischen Elementen. Diese gehören zu den späteren der gotischen Stilstufe in Cluny (freundliche Auskunft von Jean-Denis Salvèque).

Wasserbauakten des 18.–19. Jahrhunderts, Cluny, Musée dʼart et dʼarchéologie, série C133.

Freundlicher Hinweis von Jean-Denis Salvèque.

Vgl. Beobachtungen am Haus 9, rue du Merle, Kap. 4.2.1.b, Kanal des Mé r dasson, S. 242244.

Vgl. Pl. 9.1 und Kap. 6.3.3, Präurbane Wege, S. 361364.

Nach den Angaben des historischen Katasters („Terrier Bollo“) ist ein solches Brückenhaus in Cluny kein Einzelfall. Dieser gibt noch zwei oder drei weitere Beispiele derartiger „pontets“ wieder, die aber nicht mehr erhalten sind. Beispielsweise überbrückte ein Haus die Rue Filaterie unweit östlich (vgl. Abb. 4.28).

Vgl. die Wickelkräne in den Häusern von 1136 (Kran um 1593) und von 1091 (Kran um 1596).

Vgl. CEC (c).

Eine der drei detaillierteren Darstellungen des Terrier enthält im Grundriss dieser Wand einen weiteren Winkel, allerdings im hinteren Hausbereich, der in der heutigen Grundrissform tatsächlich auch vorhanden ist.

Vgl. Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 239, ganzseitige Abb. mit einem einzigen, sehr hoch proportionierten Obergeschoss.

29–31, rue Mercière (13. Jh.), mit Oberlichtern und flächendeckender Ausmalung: um 5.75 m; 11–13, place Notre-Dame, ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136: um 5.50 m; 1–3, rue de la Chanaise, Westsaal (um 1200): 5.40 m; 6, rue dʼAvril, so genanntes „Hôtel des Monnaies“, großer Kaminsaal: 5.50 m.

Vgl. die sorgsame Ausführung der bemalten Decken des „Haus der Pfarrei Saint-Marcel“ (gegen Mitte 13. Jahrhundert). Hier sind außerdem zwei Obergeschosse vorhanden (Garrigou Grandchamp and Salvèque 1999, mit ausführlicher Darstellung auf S. 64–81).

Vgl. Saal des Hauses 29–31, rue Mercière (13. Jh.) und sekundäre Hochfenster im ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 (13.–14. Jh.).

CEC (c).

Lichte Raumhöhe ca. 3.60 bis 3.70 m.

Vgl. Häuser 6, rue dʼAvril und 17, rue de la République (gegen bzw. kurz nach 1200), desgleichen Haus 1–3, rue de la Chanaise (Bauzustand um 1200). Vgl. auch in Kap. 5.3 und 5.4, S. 325337 sowie Kap. 6.4.3.c, Hausbesatz der Stadt, S. 380383.

Vgl. Pl. 9.1 mit Erläuterungen.

Rapport de datation Dormoy 2005a, Archéolabs réf. ARC05/R3325D.

Cf. chapitre 5 (Typologie), en particulier p. 321 et 335 avec fig. 5.19.

Vgl. CEC (h), noch ohne den Dachraum des Hauses Nr. 17.

„Terrier Bollo“ (1693, Plans Geometraux de la Ville de Cluny et des Environs. Avec Les Cartes de la Rente Noble Abbatialle dudit Lieu. Echelle de 200 pieds 1693). Vgl. auch C 4903 mit Datum Februar 1247 (neuzeitl. Datum 1248) und Straßenbeschreibung „vicum qui tendit apud Sanctum Maiolum“ (zit. n. Bernard 1876–1903, Vl, S. 405). Vgl. Textauszug der Urkunde S. 84 Anm. 70.

Die in Pl. 9.43 eingetragenen Vorschläge zur Ortergänzung geben mögliche Minimalhöhen des Giebels an. Es ist nach dem zwischenzeitlichen Befund des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 allerdings anzunehmen, dass die Firstkonstruktion zusätzlich einige Dezimeter seitlich des Kamins zur Dachmitte hin beanspruchte, so dass das gesamte Dach noch bis zu 0.50 m höher aufstiege als der gezeigte Rekonstruktionsvorschlag. Das Haus war also insgesamt ca. 2.50–3.00 m breiter als die eingetragene, zunächst vermutete Hausbreite.

Vgl. Flüge 2001, S. 32 Abb. 8. Die dort angegebene Datierung ins frühe 12. Jahrhundert wurde in Abhängigkeit von der bisherigen, zu hohen dendrochronologische Datierung „1109–1149“ des Hauses 23, rue Filaterie erschlossen (vgl. Kap. 4.5.1, S. 272 und Kap. 4.5.2, S. 272275, ,Haus eines Händlers‘, Bauzeit zwischen ca. 1193 und ca. 1208).

Im „Terrier Bollo“ (Aktualisierung des 18. Jh.s) ist der heutige, verkürzte Hausgrundriss wiedergegeben. Der Brunnen in der Hofmauer an der Rue dʼAvril existiert bereits. Der mögliche Zusammenhang des Brunnens mit dem romanischen Saalhaus bleibt zu klären.

Vgl. untersuchte Häuser 9, rue du Merle und 15, rue dʼAvril.

Vgl. auch den sekundären Kamineinbau (Beginn 13. Jh.) im Saal des ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136, daneben die Kamine in Vorbau und Hauptsaal von Haus 6, rue dʼAvril (1. H. 13. Jh.).

Vgl. Abtragung des Giebels am ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ in den Jahren um 1593.

Vgl. Kap. 6.4.3, Straßennetz der Stadtanlage, S. 388396.

Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes.

Halbach 1984, S. 289–296 mit Literatur und Bildquellenangaben seit 1850; Garrigou Grandchamp 1992, S. 28–29 (Kurzbeschreibung, Ansicht, Längsschnitt, Querschnitt, Grundriss (zum Teil ergänzt)); Garrigou Grandchamp 1997, Beschreibung mit Planabbildungen von Jean-Denis Salvèque; Garrigou Grandchamp et.al. 1997, S. 134 Abb. 107 (axonometrische Rekonstruktion von Jean-Denis Salvèque), S. 149 Abb. 128 (Kamin des östlichen Saals vor Restaurierung 1958), S. 150 Abb. 129 (Kamin der Fassade von innen, Darstellung von Viollet-le-Duc), S. 168 Abb. 159 (Zeichnerische Rekonstruktion der Fassade von Jean-Denis Salvèque), S. 170 Abb. 163 (Zustand vor Restaurierung 1958) sowie S. 173 Abb. 169 („Dessin dʼÉ.[mile] Sagot, Musée Ochier“ [= Musée d’art et dʼarchéologie], Mitte 19. Jh.).

Allerdings ist es kein Doppelhaus (vgl. Halbach 1984, S. 289: „[...] traufständiges, zweigeschossiges Doppelhaus, [...]“). Der Kaminsaal im vorderen Teil geht über die gesamte Hausbreite, und die rückwärtigen Säle sind durch eine Tür verbunden.

Der Gewölberaum erinnert nach Größe und Anordnung an Architekturen des 13. Jahrhunderts, die als so genanntes Steinwerk an Häuser angefügt werden; erhaltene Beispiele in Freiburg i. Br. in Haus Münsterplatz 40–42 sowie in Haus Salzstr. 20 (Fragment); von Immo Beyer als feuerfester Trakt bezeichnet.

Vgl. ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136, 11–13 place Notre-Dame / 3, rue de la Barre, Einzelbeschreibung Kap. 3.5, S. 150236 und Pl. 9.219.34.

Vgl. Haus 17, rue de la République, Kap. 4.6.4, S. 299.

Vgl. Haus 9, rue du Merle, Kap. 4.2.1.c, S. 246.

Vgl. untersuchte Häuser um 1200: Haus 23, rue Filaterie / 1, petite rue des Ravattes (‚Haus eines Händlers‘ um 1208 (d)), desgleichen Haus 17, rue de la République (Saalhaus, gegen oder um 1200); diesen gegenüber unterschiedlich die älteren Häuser 9, rue du Merle und 15, rue dʼAvril (beide 2. Hälfte 12. Jahrhundert). In den beiden letztgenannten Häusern wurde der unabhängige Zugang zum solarium sekundär eingerichtet: Im Haus 15, rue dʼAvril wurde die Treppe versteilt und ein oberes Podest eingebaut, im Haus 9, rue du Merle wurde eine seitliche Tür durchgebrochen und zusätzliche, reichlich unbequeme seitliche Zugangsstufen auf die vorhandene Treppe montiert. Heute ist im Haus 6, rue dʼAvril die sekundär oder tertiär eingebaute Wand an den besprochenen Zugangsstellen zum Kaminsaal geschlossen. Bei Verdier and Cattois 1858 Abb. 160, sind noch die typologisch richtigen Türöffnungen eingetragen. Diese wurden allerdings bei den späteren Rekonstruktionen und dem rückführenden Umbau 1958 nicht berücksichtigt, wohl vor dem Eindruck der andersartigen Erschließung bei den älteren romanischen Häusern.

Beispielsweise im Haus 9, rue du Merle: Fassaden– und Quermauerstärke um 0.63 m.

Vgl. Mauerstärken in Haus 15, rue dʼAvril: Fassade um 0.62 m, Quermauer um 0.53 m. Eine Ausnahme bildet das Haus 17, rue de la République (wohl gegen 1200), dessen Quermauer so stark wie die Fassade des Hauses 6, rue dʼAvril dimensioniert ist – allerdings aus demselben Grund, um nämlich die Last des hohen Kamins aufzunehmen.

Vgl. Haus 9, rue du Merle. Der primäre Bau entspricht dem älteren System, die Aufstockung dem jüngeren mit vorgerücktem First.

Vgl. Haus 17, rue de la République in nächster Nachbarschaft, Baudokumentation Pl. 9.43 und Beschreibung Kap. 4.6, ab S. 294300.

Schmuckarme, kantige Fensterbänder mit flachen Stürzen bleiben im 13. und 14. Jahrhundert in Cluny dominant.

„Backhaus oder Münzstätte“ (Halbach 1984, S. 294). Das „Backhaus“ scheint auf eine Interpretation des „Terrier Bollo“ zurückzugehen, der im unterhalb gelegenen Häuserblock einen (heute nicht mehr vorhandenen) Weg als „Rue du Four“ bezeichnet, der dem Haus gegenüber in die Rue dʼAvril mündet. Der Terrier macht keine Angabe zur Lage dieses Ofens, der wahrscheinlich im Inneren des Straßenkarrees lag. Die Interpretation als „Münzstätte“ bezieht sich wahrscheinlich auf die tiefen, kamintragenden Arkaden der Fassade, die an eine Befestigung erinnern (vgl. Thélier 2009, S. 190). Der ungewöhnliche Gewölberaum an der Rückseite des Hauses ist vom Grundriss Aymard Verdiers noch gar nicht erfasst, so dass er als Begründung für die tradierten Interpretationen der Funktion wohl nicht herangezogen wurde.

Für den Doppelsaaltypus kommt eine Nutzung für Versammlungen und als Besucherunterkunft in Betracht, unter anderem, da er vorzugsweise an exponierten Stellen in der Stadt unweit der Abtei auftritt (vgl. ‚Saalbau mit hohem Wohnhaus‘ von 1136 und Saalhaus 1–3, rue de la Chanaise).

Freundlicher Hinweis von Jean-Denis Salvèque. – Halbach vergleicht das Haus 6, rue dʼAvril mit dem bekannten romanischen Haus in Saint-Antonin-Noble-Val (Tarn-et-Garonne), das bislang Mitte 12. Jahrhundert datiert wird (Verdier and Cattois 1858, S. 142–148, Bd. I; Viollet-le-Duc 1868, Bd. 6, S. 89–94; Garrigou Grandchamp 1997, S. 161 Abb. 147). Der Fassadentypus des Hauses von Saint-Antonin mit (später aufgestocktem) turmartigen Teil, die spätromanische Stilausprägung und die Werksteinausführung des Mauerwerks scheinen allerdings in die Zeit um 1200 zu weisen. Das Haus wäre nicht der einzige Bau, der von Verdier / Cattois noch ins 12. Jahrhundert datiert wurde, wahrscheinlich aber erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden ist.