6 Grundlagenforschung: Zur Historisierung eines
wissenschaftspolitischen Ordnungsprinzips am Beispiel der Max-Planck-Gesellschaft (1945–1970)

Carola Sachse

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10.34663/9783945561010-07

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Sachse, Carola (2015). Grundlagenforschung: Zur Historisierung eines wissenschaftspolitischen Ordnungsprinzips am Beispiel der Max-Planck-Gesellschaft (1945–1970). In: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“: Auf dem Weg zu einer Geschichte der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft (Second Extended Edition). Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

6.1 Einleitung

Die „Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.“ (MPG) gilt landläufig als Hort der Grundlagenforschung in der bundesrepublikanischen Wissenschaftslandschaft. Ihren bis heute unveränderten vollständigen Namen hatte sie bei der Neugründung 1948 wortgleich von ihrer Vorgängerin, der 1911 errichteten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), übernommen und lediglich den Namenspatron ausgetauscht. Anders als bei ihrem wissenschaftsorganisatorischen Pendant, der „Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.“, die ihre distinktive Zwecksetzung bereits seit ihrer Gründung 1949 im Namen trägt, findet sich der Begriff „Grundlagenforschung“ bei der MPG weder im Namen noch in den Satzungsversionen der letzten hundert Jahre von 1911 bis 2011. Dort ist vielmehr durchgängig, wenn auch in leicht variierenden Formulierungen, die Rede von „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ ihrer „wissenschaftlichen Forschung“.1 Gleichwohl führt sich die MPG in ihrem aktuellen Internetauftritt als „Deutschlands erfolgreichste Institution der Grundlagenforschung“ ein und untermauert diesen Anspruch mit einem leitmotivisch gesetzten Zitat Max Plancks: „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“2 Als ob das damit evozierte, von Vannevar Bush nach dem Zweiten Weltkrieg propagierte „lineare Modell“ des Wissenstransfers von der universitären oder im Fall der MPG außeruniversitären, ausschließlich auf Erkenntnis gerichteten Grundlagenforschung über die anwendbare Grundlagenforschung bis hin zur industriellen angewandten Forschung nicht seit langem heftig umstritten wäre – bei Vertretern und Vertreterinnen der Wissenschaftsforschung ebenso wie in der bundesdeutschen Forschungs-, Bildungs- und Technologiepolitik.3 Und als ob es nicht längst mit vielen anderen Modellen konkurrierte, wie etwa – um nur die prominentesten in Erinnerung zu rufen – dem von Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons propagierten „Mode 2“ problemorientierter, multidisziplinärer Projektforschung, typisch für moderne Wissensgesellschaften; der von Henry Etzkowitz und Loet Leydesdorff 1997 vorgeschlagenen „Triple Helix“ innovationsgenerierender Interaktionen zwischen Universität, Industrie und Regierung; oder dem im gleichen Jahr von Donald E. Stokes (1927–1997) entworfenen Quadrantenmodell, einer zweidimensionalen Anordnung unterschiedlicher, nach Heroen der Wissenschaftsgeschichte benannter Forschungstypen: der angewandten Forschung à la Edison, der erkenntnisorientierten Forschung à la Bohr und der anwendungsorientierten Forschung à la Pasteur.4

In der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, wie sie sich in den Denkorten, der zum hundertjährigen Jubiläum der MPG vorgelegten Festschrift, manifestiert, lässt sich ein ebenso selbstverständlicher, wie lockerer und inhomogener Umgang mit dem Terminus Grundlagenforschung feststellen. In seinem Vorwort attestierte der amtierende Präsident der MPG, Peter Gruss, der Grundlagenforschung in der MPG „Heterogenität und lebendige Vielfalt“ und bescheinigte ihr – anlassgerecht – eine hundertjährige Erfolgsgeschichte.5 Während einige Autorinnen und Autoren den Begriff in ihren Institutsporträts gänzlich vermieden, bestätigten andere etwa den Max-Planck-Instituten (MPI) für Metallforschung, für Eisenforschung oder für Züchtungsforschung, die ursprünglich – in den letzten Monaten des Ersten Weltkrieg beziehungsweise den 1920er Jahren – in enger Kooperation mit der Industrie gegründet worden waren, wie selbstverständlich, seit ihren Anfängen Grundlagenforschung betrieben oder diese später verstärkt zu haben.6 In ihrer Bilanz der „Forschungserfolge“ kennzeichneten Jürgen Renn und Horst Kant die Forschungsprogramme solcher Institute mit leichter Einschränkung als „angewandte“ oder „anwendbare Grundlagenforschung“.7 Den altehrwürdigen Platz dieser Institute in der MPG legitimierten sie mit Verweisen auf bewiesene und anhaltende Innovationspotenziale. Die Frage, wie nützlich Grundlagenforschung in der MPG sein darf, die in den Krisenjahren nach 1945 eine große Rolle spielte, stellte sich ihnen im Jubiläumsjahr 2011 nicht mehr. Der heute in der Konkurrenz um knappe Forschungsförderungsmittel offensichtlich drängenderen Frage, wie nützlich Grundlagenforschung in der MPG sein muss, begegneten sie mit einem Einstein zugeschriebenen und das eingangs zitierte Planck’sche Leitmotiv anschaulich popularisierenden Bonmot:

Wenn man die Forschung nur Ingenieuren überlässt, hätte man perfekt funktionierende Petroleumlampen, aber keinen elektrischen Strom.8

6.2 Diskursive Praktiken und Ordnungsmuster

Anders als die Wissenschaftsforschung beschäftigt sich die Wissenschaftsgeschichte tatsächlich erst in jüngster Zeit verstärkt mit der begrifflichen Entstehung des zumeist dichotomisch gesetzten Begriffspaars von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, den historischen Verwendungszusammenhängen dieser Terme, ihren sich wandelnden semantischen Bedeutungen und den zu verschiedenen Zeiten jeweils so bezeichneten Gegenständen. Im Fokus von Tagungen und Themenschwerpunkten in wissenschaftshistorischen Zeitschriften stand dabei zuletzt weniger die Grundlagenforschung als vielmehr ihr begrifflicher Gegenpart, die angewandte Forschung.9 Warum das so ist, und inwieweit dies mit der seit einigen Jahrzehnten dominierenden Argumentationspraxis, Grundlagenforschung als zukünftig nützlich auszuweisen, korrespondiert, bleibt zu überlegen. Grundsätzlich einig sind sich die beteiligten Historikerinnen und Historiker über die unabgeschlossene Historizität sowohl der beiden Terme, die je eigene, unterschiedlich weit zurückreichende begriffsgeschichtliche Traditionen haben, als auch ihrer dichotomischen Verwendungsweise, die überhaupt erst ein Phänomen der Zeitgeschichte nach 1945 ist.

Komplizierter wird es dann, wenn auch das Verhältnis der Bezeichnungen zu dem damit jeweils Bezeichneten als historisch wandelbar verstanden und beschrieben werden soll. Dann kann es nicht darum gehen, die von der Wissenschaftsforschung angebotenen Modelle der Wissensgenerierung und Wissenschaftsorganisation empirisch zu überprüfen und ihrer möglichen Gültigkeit eine Zeitspanne historischer Wirklichkeit zuzuweisen oder abzusprechen. Ebenso wenig reicht es aus, die Rede von der Grundlagenforschung und ihrer Abgrenzbarkeit von der angewandten Forschung als rhetorische Strategien in allfälligen historisch-politischen Kontexten zu „entlarven“. Dies wäre im Fall der MPG in der Phase ihrer Umgründung nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ und in nachträglicher Absetzung davon leicht zu zeigen.10 Es ließe aber noch nicht erkennbar werden, wie das fortan als Grundlagenforschung Akzeptierte und das als angewandte Forschung Ausgegrenzte zueinander in Beziehung gesetzt wurden, wie sich die unterschiedlich bezeichneten Gegenstände und die Verständigung darüber weiterentwickelten, welche institutionellen, forschungsorganisatorischen und epistemisch relevanten Entscheidungen und Handlungen damit einhergingen.

Die sprachliche Trennung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung sowie die dichotomische Verwendung beider Terme, die in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik so dominant wurde, sollen hier als Teil einer diskursiven Praxis verstanden werden. Vor dem Erfahrungshintergrund der engen Verflechtung von Wissenschaft und Politik im Nationalsozialismus einerseits, des Abwurfs der US-amerikanischen Atombomben über Hiroshima und Nagasaki andererseits schrieb diese Praxis „wissenschaftliche Forschung“ als seit 1911 gleichlautenden Vereinszweck der MPG um. Sie stellte neue wissenschaftspolitische, institutionelle und epistemische Ordnungen her, die die MPG in der bundesrepublikanischen Wissenschaftslandschaft anders positionierten als zuvor ihre Vorgängerin, die KWG, im Wissenschaftsgefüge des Deutschen Reichs. Insofern fungierte die diskursiv immer wieder herzustellende Trennung von Grundlagenforschung – wie sie in der MPG stattfinden sollte – von der angewandten Forschung – die anderenorts betrieben werden sollte – als ein prominentes „Ordnungsmuster“, also ein Ensemble aus Semantik, Perzeptions- und Erfahrungsmustern, das die Wahrnehmung und Gestaltung von gesellschaftlichen „Basisprozessen“, in unserem Fall der Generierung wissenschaftlichen Wissens, durch die Akteure sowohl innerhalb der MPG als auch im Konzert mit anderen Akteuren der bundesdeutschen Wissenschaftspolitik steuerte.11

Um diese diskursiven Praktiken und ihre Veränderungen über einige Jahrzehnte der bundesrepublikanischen Wissenschaftsgeschichte einigermaßen kompakt und aussagefähig zu rekonstruieren, wäre angesichts der bis in die 1990er Jahre wachsenden Anzahl der Institute und der disziplinären Vielfalt innerhalb der MPG ein größeres Forschungsprojekt vonnöten. Es müsste sich nicht nur die Selbstbeschreibungen der MPG und ihre Zuständigkeitsabgrenzungen gegenüber anderen Forschungsinstitutionen vornehmen, sondern vor allem die Entscheidungsprozesse über Schließung und Gründung von Instituten und damit über die Forschungsgegenstände analysieren, die als Grundlagenforschung im Sinne der MPG gelten oder nicht gelten sollen. Idealiter wären selbstverständlich auch Designs und Veränderungen von Forschungsprogrammen in den verschiedenen Instituten zu rekonstruieren. Darüber hinaus wären Debatten über rechtliche, ethische und finanzielle Grenzen der Wissenschaftsfreiheit zu untersuchen, die seit den 1980er Jahren verstärkt geführt wurden und in denen Grundlagenforschung, institutionelle Unabhängigkeit und wissenschaftliche Autonomie häufig einen argumentativen Dreiklang bildeten, um größere Spielräume für die Forschung zu begründen und Einschränkungen zu minimieren.12

Dies alles kann der vorliegende Essay nicht leisten; er begnügt sich – nach einer knappen begriffsgeschichtlichen Rekapitulation – vielmehr mit der Beschreibung einiger Momentaufnahmen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die späten 1960er Jahre. Sie zeigen zweierlei, nämlich dass Grundlagenforschung als Ordnungsmuster tatsächlich Selbstwahrnehmungen, Selbstdarstellungen und Entscheidungsprozesse durchdrang, dass dies aber keineswegs im diskursiven Selbstlauf geschah, sondern zumeist mit mühseligen begrifflichen Anstrengungen verbunden war, die nicht immer von Widerspruchsfreiheit gekrönt, gleichwohl aber wirklichkeitsgestaltend wirksam wurden.

6.3 „Grundlagenforschung“ als stumpfes zweischneidiges Schwert

Grundlagenforschung und angewandte Forschung beziehungsweise fundamental science (seit den 1940er Jahren häufiger: basic research) und applied science (später häufiger: applied research), wie die äquivalenten, aber nicht zu jeder Zeit bedeutungsidentischen Begriffe im Englischen lauten, traten nicht immer schon als dichotomes Begriffspaar auf.13 Gemeinsam ist ihnen zwar eine je eigentümliche Transfergeschichte, genauer gesagt: mehrfaches Hin- und Herreisen im transatlantischen Länderdreieck Deutschland-Großbritannien-USA mit gelegentlichen Abstechern nach Frankreich. Aber der Begriff angewandte Forschung war mit mehr als zweihundert Jahren etwa doppelt so lange unterwegs wie der Begriff Grundlagenforschung.

Robert Bud hat erst kürzlich gezeigt, wie Kants von „reiner Wissenschaft“ zu unterscheidender „angewandter Vernunftkenntnis“ (1786) und die von seinen Schülern davon abgeleiteten Formulierungen wie „angewandte Wissenschaft“, „angewandte Mathematik“ oder „angewandte Chemie“ um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im Gepäck des britischen Kantianers Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) von Göttingen nach Großbritannien reisten.14 In dessen Treatise on Method (1817) amalgamierten sie zu applied sciences und inspirierten schließlich die Encyclopaedia Metropolitana (1845), die sich vorgenommen hatte, das gesamte Wissen ihrer Zeit gemäß seiner eigenen Struktur und nicht in alphabetischer Reihung darzustellen.15 War hier in der kantianischen Tradition noch vor allem empirisch und experimentell gewonnenes Wissen im Unterschied zu theoretischen Ableitungen gemeint, so verschmolz applied science bald auch mit practical science, worunter in Anlehnung an das französische Verständnis von science appliquée aux arts technisch nützliches Wissen, wie es polytechnische Ausbildungsstätten lehrten, gefasst wurde.16

Der Aufstieg der applied science im Amerika der Reconstruction, der sich unter anderem im Relaunch der Zeitschrift Science 1883 durch Alexander Graham Bell (1847–1922), den dank seines Telefonpatents zu eigenem Forschungslabor und Unternehmen gekommenen Bostoner Professor für Sprachphysiologie, manifestierte, mündete in eine heftige und bis heute nachhallende Auseinandersetzung. Jetzt erst wurden pure science und applied science gegeneinander in Stellung gebracht. Den Gegenpart übernahm der amerikanische Physiker Henry Rowland (1848–1901), der in den frühen 1870er Jahren die Arbeitsbedingungen an Helmholtz’ Forschungsinstitut an der Berliner Universität schätzen (und womöglich auch dessen Ansichten über reine Wissenschaft kennen) gelernt hatte und diese Erfahrungen in die neu gegründete Johns-Hopkins-Universität, die erste primär auf Forschung orientierte Universität der USA, einbrachte. Urteile über die moralische Höherwertigkeit des nicht auf industrielle Verwertung und Gewinn spekulierenden Forschers gegenüber dem profitsüchtigen Erfinder oder, vice versa, des auf das Wohl seiner Mitmenschen bedachten Anwenders gegenüber dem solipsistischen Wissenschaftler mischten sich mit Aussagen über die erkenntnistheoretische Vorrangigkeit reiner vor angewandter Forschung. Es ging, wie Paul Lucier den Streit zwischen den Protagonisten Bell und Rowland pointiert hat, um Format, Leitbild, Organisation und Finanzierung der zukünftigen amerikanischen Wissenschaft und darüber hinaus um das Selbstbild der amerikanischen Gesellschaft zwischen Ethos und Kommerz.17

Damit war die Bühne bereitet für den Auftritt der fundamental research. Für den englischen Sprachraum hat Sabine Clarke gezeigt, dass sich diese Formulierung zum ersten Mal 1895 in der Zeitschrift Science nachweisen lässt und zwar in Artikeln, die sich mit der Organisation und Finanzierung von Agrarwissenschaften befassten.18 Der Begriff wurde dort in Abgrenzung zu pure science verwendet und bezog sich im Unterschied dazu nicht auf ein wie immer geartetes Wissenschaftsverständnis, sondern auf die Art und Weise der Förderung von Wissenschaft. Ganz ähnlich wurde das Adjektiv fundamental in den Diskussionen um die Einrichtung und das Aufgabenfeld des Department of Scientific and Industrial Research (DSIR) in Großbritannien eingesetzt. Es war 1916 mitten im Ersten Weltkrieg gegründet worden, um der als weit überlegen wahrgenommenen Rüstungsforschung des deutschen Kriegsgegners – inklusive der militarisierten Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) und insbesondere Fritz Habers KWI für physikalische Chemie entgegenzutreten. Als staatliche Einrichtung sollte das DSIR die industrierelevante Forschung unterstützen, Forschungsprogramme auflegen und die britische Industrie ermuntern, mehr Mittel für die Forschung aufzuwenden.19 In diesen förderpolitischen Kontexten grenzte das Adjektiv fundamental die Aufgaben von agrarwissenschaftlichen Forschungszentren in den USA ebenso wie diejenigen des DSIR von zweckfreier wissenschaftlicher Neugier ab und beschrieb sie als erkenntnistheoretisch wichtig und praktisch nützlich zugleich. In dieser Verwendung trat fundamental research einerseits Befürchtungen von amerikanischen Farmern und britischen Industriellen entgegen, die wenig Anlass sahen, die science-for-its-own-sake esoterischer Grübler mit ihren Steuern zu finanzieren. Andererseits grenzte es die zu fördernden Forschungsbereiche von unmittelbarer industrieller Verwertung ab und beschrieb sie als solche, die sich auf breite, allgemeine, mehrere industrielle Anwendungsbereiche überspannende Fragen richteten. In dieser doppelten Abgrenzung bediente das Adjektiv fundamental zwei Zielgruppen zugleich: Wissenschaftler, die ihren akademischen Ruf nicht mit industrieller Auftragsforschung beschädigen wollten, sowie marktliberale amerikanische und britische Politiker und Unternehmer, die jegliche staatliche Einmischung in industrielle Belange ablehnten.20

Abb. 6.1: Fritz Haber mit Ladislaus Farkas im KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, ca. 1930.

Abb. 6.1: Fritz Haber mit Ladislaus Farkas im KWI für physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem, ca. 1930.

Es war der besonderen Situation des Großen Krieges geschuldet, dass der Chef-Administrator des DSIR, John Fletcher Moulton (1844–1921), die akademischen Oxbridge-Kampfhähne aufforderte, ihre Abwehrschriften gegen den Aufstieg der applied science endlich zu den Akten zu legen. In seinem Vorwort zu einem im Kriegsjahr 1917 erschienenen Sammelband von Cambridge Absolventen verschiedener Disziplinen mit dem patriotischen Titel Science and the Nation konstatierte Moulton:

The distinction between Pure Sciene and Applied Science is vague and artificial and [...] does not exist as a guiding principle in the minds of those classes to whom we must look for the force which will place Science in its right position in England. It is a distinction which is more actively present to the minds of those who are engaged in abstruse research than to the mind of the general public.21

Fundamental science war die öffentlich zu fördernde Wissenschaft der kriegerischen Gegenwart. Sie sollte die obsolet gewordene Unterscheidung zweier Wissensformen ersetzen und sich allenfalls graduell durch eine gewisse Ferne ihrer Forschungsergebnisse von direkter industrieller Verwertung und durch eine etwas umfassendere Bedeutung ihrer Fragestellungen, aber nicht mehr prinzipiell von unternehmerisch zu finanzierender applied science abheben. Fundamental science wurde also von Anfang an als ein hybrider und relativer Begriff eingeführt. Ihre Nähe zur angewandten Forschung war gerade Ausweis ihrer Modernität gegenüber einer reinen, aber verstaubten Wissenschaft, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden hatte. Erst am Ende des nächsten Weltkrieges sollten fundamental oder, wie es dann meistens hieß, basic reseach und applied research beziehungsweise Grundlagenforschung und angewandte Forschung wieder in ein dichotomes Abgrenzungsverhältnis zueinander gesetzt werden.22

Ob die Briten, als sie sich bei der späten Gründung des DSIR an der Organisation der deutschen Rüstungsforschung im Ersten Weltkrieg und nicht zuletzt auch an der KWG orientierten, das dort zu dieser Zeit allenfalls sporadisch verwandte deutsche Wort Grundlagenforschung übernahmen und in die eigene Sprache übersetzten, bedürfte noch einer genaueren philologischen Recherche. Die Graphen der Verwendungshäufigkeit der englischen und deutschen Terme (fundamental/basic science/research vs. Grundlagenforschung) seit 1870, die der Ngram viewer anbietet, lassen eher eine Wortwanderung in die Gegenrichtung vermuten.

6.4 Grundlagenforschung als (Wieder-) Gründungsmythos der MPG

Inhaltlich hybride und zwischen reiner und angewandter Forschung changierend sowie intermediär zwischen akademischer und industrieller Forschung institutionalisiert, hätten sich das Programm der KWG und ein großer Teil der dort betriebenen Forschungen seit ihrer Gründung und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zutreffend mit dem auch damals schon kursierenden Wort Grundlagenforschung beschreiben lassen. Wenn die Satzung von 1911 dennoch auf dieses Wort verzichtete, dann vermutlich deshalb, weil es zu dieser Zeit in Deutschland im Unterschied zu Großbritannien oder den USA gar nicht nötig war, die Forschungsfelder der KWG genauer von denen der Industrie einerseits und der öffentlich finanzierten Forschung in Universitäten und Akademien andererseits abzugrenzen. Letztere mochten die neue Konkurrenz bei der öffentlichen Mittelvergabe fürchten, aber industrielle, militärische und staatliche Macht waren sich – jedenfalls im Grundsatz – über die Notwendigkeit außeruniversitärer nicht-industrieller naturwissenschaftlicher Forschung einig. Ebenso stimmten sie darin überein, dass sie als unabhängiger Verein institutionalisiert und durch eine Kombination öffentlicher und privater Stiftungen finanziert werden sollte – ein Konsens, der auch über das Kaiserreich und den Ersten Weltkrieg hinaus anhielt, wobei der öffentliche Anteil an der Finanzierung immer größer wurde.23 In den Verhandlungen innerhalb des NS-Regimes war das Argument der Grundlagenforschung, wenn es überhaupt verwendet wurde, nur dann hilfreich, wenn es gelang, den staatlichen Geldgebern die tatsächlichen oder potentiellen Anwendungsbezüge beziehungsweise mit fortschreitendem Krieg die Rüstungs- oder Kriegsrelevanz der in der KWG betriebenen Forschungen plausibel zu machen und mit den eigenen Projekten möglichst weit oben in der Hierarchie der militärischen Dringlichkeitsstufen platziert zu werden.24

Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg und der alliierten Besatzung wurden andere Akzentuierungen opportun. Zum einen hatte sich die Bedeutung von basic research seit den 1940er Jahren erneut verschoben. Aus dem fluiden englischen Begriff war der distinkte Teil eines nun wieder dichotom konstruierten und im militärischen Jargon formulierten Begriffspaars von basic research – verstanden als „long range strategic investigations“ – und applied science – verstanden als „immediate tactical investigations“ – geworden.25 Auf Seiten der basic research versammelten sich Bedeutungsgehalte der älteren, als ausschließlich erkenntnisorientiert, interesselos und selbstgenügsam verstandenen pure science zusammen mit neuen Aufladungen aus dem frühen Kalten Krieg. Dieser Krieg wurde nicht zuletzt als Kulturkampf einer „demokratischen“, „freien“, nicht staatlich gelenkten oder gar kontrollierten Wissenschaft gegen eine „totalitäre“ kommunistische Planwissenschaft ausgetragen, die ganz ähnlich wie zuvor die NS-Wissenschaft beschrieben wurde, nämlich als an ideologische Vorgaben und gesellschaftliche beziehungsweise militärische Interessen gebunden.26 Selbst wenn man solche Forschungen der gegnerischen Seite als „unwissenschaftlich“ oder „pseudowissenschaftlich“ abzuqualifizieren versuchte, waren ihre rüstungswissenschaftlichen Gefahrenpotentiale dennoch zu fürchten.27

Auf US-amerikanischer Seite bestanden am Ende des Zweiten Weltkriegs Vorstellungen, dass der alte Kontinent insgesamt, insbesondere aber Deutschland, kein Standort für Forschungen mehr sein dürfe, die irgendwelche militärische Konsequenzen haben könnten. Die KWG, deren Beitrag zur NS-Rüstungswissenschaft und besonders zum „Uranverein“, dem Atomprojekt des NS-Regimes, besonders hoch eingeschätzt wurde, sei deshalb ersatzlos aufzulösen. Andere amerikanische Stimmen besonders aus den Naturwissenschaften und der Rockefeller Foundation sowie die britische Seite hielten dagegen: Der Westen könne auf das intellektuelle Potential Europas nicht verzichten. Sie versuchten zu moderieren und differenzierten deshalb – wider besseres Wissen um die unauflöslichen Wechselbeziehungen zwischen Erkenntnis und Interesse: applied research, deren technische Entwicklungen tendenziell gefährlich werden könnten, sollte bis auf weiteres in sicherer Distanz vom europäischen Schauplatz des Kalten Krieges auf dem amerikanischen Kontinent konzentriert werden. Im Bereich der basic research, die einerseits geeignet war, die Fahne der Wissenschaftsfreiheit gegen den Ostblock hoch zu halten, und deren Aufgaben andererseits hinreichend weit vor der Gefahrenzone technologischer Umsetzungen enden würden, sollten hingegen die europäischen einschließlich der westdeutschen Kompetenzen und hier insbesondere derjenigen der KWG/MPG weiter genutzt werden.28

Präsident Otto Hahn und sein Generalsekretär Ernst Telschow nutzten dieses Argumentationsangebot in ihrem letztlich erfolgreichen Kampf gegen den von der amerikanischen Besatzungsmacht forcierten Auflösungsbeschluss und die Re-Etablierung der MPG im zunächst bi- und dann trizonalen Raum Westdeutschlands.29 Das Organisationsprofil, das sie in einer an den Chef der amerikanischen Militärregierung, General Lucius D. Clay, gerichteten Denkschrift im Februar 1947 für die bundesdeutsche Zukunft der MPG entwarfen, resultierte nicht aus einer kritischen Evaluation der Forschungsprogramme und deren Einbindung in die drei seit der Gründung 1911 durchlebten politischen Herrschaftssysteme. Es war ausschließlich eine Reaktion auf die drei zentralen Vorwürfe, die die amerikanische Besatzungsmacht gegen die KWG, ob zu Recht oder nicht, ins Feld führte:

1Gegen den unzutreffenden Vorwurf, die KWG sei ein straff organisierter research trust gewesen, wurde die wissenschaftliche Autonomie der Institute gesetzt, auch wenn damit nur die als „Harnack-Prinzip“ bekannte Autonomie der Direktoren gemeint war, ihre Forschungsfelder selbst zu bestimmen und das Ausmaß ihrer Kooperation mit Wirtschaft, Staat und Militär weitgehend selbst zu regulieren.

2Dem ebenfalls unzutreffenden Vorwurf, die KWG habe 1933 ihre Selbständigkeit verloren und fortan als Handlanger der Nationalsozialisten funktioniert, wurde naheliegender Weise nicht mit einer korrekten Beschreibung der integralen Teilhabe der KWG am NS-Regime begegnet. Dieser Vorwurf wurde vielmehr offensiv gewendet und die zukünftige institutionelle Unabhängigkeit der MPG von allen politischen Instanzen umso vehementer eingefordert.

3Der zutreffende Vorwurf, die KWG habe Kriegsforschung betrieben, wurde mit der Versicherung gekontert, die KWG habe, „wie es ihrer Tradition entsprach“, auch in Kriegszeiten weit überwiegend „Grundlagenforschung“ betrieben. Die näheren Beschreibungen, was das genau bedeutete, spielten auf das komplexe zeitgenössische britische und amerikanische Verständnis von basic research in den frühen Nachkriegsjahren an. Zum einen: Wenn „in gewissem Umfange Aufgaben durchgeführt (wurden), die für die Kriegswirtschaft von Bedeutung“ waren, so seien sie „aber auch immer von wissenschaftlicher Bedeutung“ gewesen.30 Hier klang das britische Verständnis von Grundlagenforschung als long range strategic research durch. Zum anderen: „Von zahlreichen wissenschaftlichen Kommissionen der Alliierten bei den Besuchen der Kaiser-Wilhelm-Institute unmittelbar nach der Besetzung (ist) mit Erstaunen festgestellt worden, in welch hohem Umfange in den KWI reine Forschungsarbeit gepflegt wurde.“31 Hier wurde das ältere Motiv der pure science wieder aufgenommen, das die westliche Grundlagenforschung im Kalten Krieg gegen politisch-totalitäre Überformung in nunmehr stalinistischer Ausprägung immunisieren sollte.

Insgesamt bewegte sich diese Antwort auf die amerikanischen Vorwürfe durchaus im diskursiven Feld der transatlantischen Wissenschaftspolitik des beginnenden Kalten Krieges, formulierte aber zugleich spezifische Argumente für die zukünftige Positionierung der MPG in der bundesdeutschen Wissenschaftslandschaft. Sie konstruierte ein Begriffsdreieck von Grundlagenforschung, wissenschaftlicher Autonomie und politisch-institutioneller Unabhängigkeit, in dem jeder Eckpunkt die beiden anderen mit definierte und alle zusammengenommen eine stabile argumentative Einheit herstellten. Demokratisch legitimiert wurde dieses Gefüge durch seine dezidierte Absetzung von jenem totalitären Konstrukt, gegen das die amerikanische Militärregierung glaubte ankämpfen zu müssen. Dieser stabile, demokratisch legitimierte argumentative Dreifuß kam immer wieder zum Einsatz, wenn es in späteren Jahren darum ging, der Forderung nach hinreichender öffentlicher Finanzierung, weitestgehender wissenschaftlicher Autonomie und institutioneller Unabhängigkeit der MPG gegenüber nunmehr bundesrepublikanischen Wissenschaftspolitikern und Aufsichtsbehörden Nachdruck zu verleihen. Wie er sich darin bewährte, bleibt ebenso zu untersuchen, wie die Frage, inwieweit er sich im Kontext der bald darauf einsetzenden internationalen wissenschaftstheoretischen und -soziologischen Debatten über das Verhältnis von Grundlagen- und angewandter Forschung veränderte.

6.5 „Grundlagenforschung“ als institutionelles
Ordnungsmuster innerhalb der MPG

Die Unterscheidung zwischen Grundlagenforschung und angewandter, zweckbestimmter oder industrienaher Forschung sei so unvermeidlich wie problematisch, hieß es einige Jahre später im Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für das Geschäftsjahr 1953/54.32 Die maßgebliche Instanz der bundesdeutschen Wissenschaftsförderung hatte dieses unvermeidliche Problem kurz zuvor vom Deutschen Forschungsrat (DFR) übernommen, jener kurzlebigen wissenschaftspolitischen Institution der frühen Bundesrepublik, mit der sie 1952 fusioniert worden war. Der DFR sollte nach dem Willen seiner wichtigsten Protagonisten, der Nobelpreisträger und prominenten MPG-Mitglieder Werner Heisenberg und Adolf Butenandt, das Verhältnis von Wissenschaft, Staat und Wirtschaft, von Industrieforschung und öffentlich finanzierter Forschung an Universitären und außeruniversitären Einrichtungen regulieren oder, wie es Heiko Stoff in Anlehnung an Bruno Latour (*1947) formuliert hat, zugleich dissoziieren und assoziieren.33

Das Geschäft des Dissoziierens und Assoziierens von Grundlagen- und angewandter Forschung ließ sich allerdings nicht auf Abgrenzung und Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen der wissenschaftlichen Forschung, etwa der MPG für die Grundlagenforschung, der Fraunhofer-Gesellschaft für die angewandte Forschung und der Industrielabore für die unmittelbar verwertbare Zweckforschung beschränken. Es musste auch innerhalb dieser Institutionen und insbesondere innerhalb der MPG stattfinden, die sich zwar nach dem Krieg als exklusive Institution der bundesdeutschen Grundlagenforschung identifizierte, die aber von ihrer Vorgängerin, der KWG, gewissermaßen einen Gemischtwarenladen im Sinne des bis in die frühen 1940er Jahre vorherrschenden hybriden Verständnisses von basic research übernommen hatte. Diese internen Grenzregulierungen sollte sich als grundsätzlich nicht abschließbar erweisen; mit jeder Entscheidung über Eröffnung, Schließung, Weiterführung oder Ausgliederung von kompletten Instituten oder einzelnen Abteilungen mussten sie neu und im Einzelfall oft kontrovers verhandelt werden. Vermittelt über diese Aushandlungsprozesse wirkte die in den frühen Nachkriegsjahren etablierte Selbstverpflichtung zur Grundlagenforschung als Ordnungsmuster in die MPG sowohl als Ganzes als auch in ihre einzelnen Institute und die Konzeptionierung ihrer Forschungsprogramme hinein.

Abb. 6.2: Der 2013 in Betrieb genommene Freie-Elektronen-Laser zur Erzeugung der Synchrotronstrahlung im Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (Bildquelle: FHI).

Abb. 6.2: Der 2013 in Betrieb genommene Freie-Elektronen-Laser zur Erzeugung der Synchrotronstrahlung im Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (Bildquelle: FHI).

6.5.1 Das agrarwissenschaftliche Erbe der NS-Zeit

Schon in den letzten Kriegsjahren waren Stimmen laut geworden, denen die zahlreichen Neugründungen vor allem im agrarwissenschaftlichen Bereich zu viel wurden, für die insbesondere der langjährige Generalsekretär der MPG, Ernst Telschow, im Verbund mit Herbert Backe, dem Senator der KWG, Staatssekretär und seit 1941 Reichminister für Ernährung und Landwirtschaft, verantwortlich gezeichnet hatten.34 Für die Zeit nach dem Krieg mahnten etwa die „Tübinger Herren“, die in der französischen Besatzungszone versammelten KWG-Wissenschaftler Adolf Butenandt, Alfred Kühn, Max Hartmann und Georg Melchers eine stärkere Berücksichtigung der biowissenschaftlichen Grundlagenforschung an, worunter sie zu diesem Zeitpunkt vor allem ihre eigenen biochemischen, pflanzenphysiologischen, zoologischen und genetischen Forschungsansätze verstanden.35 Tatsächlich beschloss der Senat der MPG in seiner Märzsitzung 1949 in Reaktion darauf, dass die elf Länder der zukünftigen Bundesrepublik den Finanzierungsforderungen der MPG nicht voll entsprochen hatten, insgesamt drei Institute, darunter zwei agrarwissenschaftliche Einrichtungen, nämlich die Forschungsstelle für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung und das Institut für Seenforschung und Seenbewirtschaftung, sowie das Institut für Phonometrie nicht weiter aus dem eigenen, zu knapp bemessenen Budget zu finanzieren.36

Auch später wurde verschiedentlich die Absicht geäußert, die MPG auf die Kernbereiche der Grundlagenforschung gesundzuschrumpfen. Tatsächlich wurden aber so gut wie alle Institute, die sich in den Westen hatten retten können, einschließlich der übrigen agrarwissenschaftlichen Kriegsgründungen weitergeführt.37 Erst anlässlich von Pensionierungen der über das Kriegsende hinweg durchgängig amtierenden Direktoren wurden zuerst 1957 das MPI für Bastfaserforschung, dann 1968/69 das MPI für Kulturpflanzenforschung und vermehrt in den 1970er Jahren Institute vorwiegend im Bereich der Agrarwissenschaften und Züchtungsforschung geschlossen oder in andere Trägerschaft übergeben.38 Die Dissoziierung der biowissenschaftlichen Grundlagenforschung von der agrarwissenschaftlichen angewandten Forschung wurde dem Alterungsprozess ihrer Vertreter in der MPG überlassen.

6.5.2 Wiedereingliederung der Deutschen Forschungsanstalt
für Psychiatrie 1954

In der Deutschen Forschungsanstalt/KWI für Psychiatrie (DFA) im amerikanisch besetzten München, fanden nach schweren Bombenschäden, der unvermeidlichen Entlassung ihres Direktors, Ernst Rüdin, der sich wie nur wenige andere KWI-Wissenschaftler in der NS-Rassenhygiene hervorgetan hatte, und einiger anderer führender Mitarbeiter sowie der Beschlagnahme ihrer klinischen Abteilung durch die Besatzungsorgane kaum mehr Forschungsarbeiten statt. Angesichts der Vorbehalte der amerikanischen Siegermacht gegen die Weiterführung der KWG/MPG überhaupt und von außeruniversitären Forschungsinstituten in ihrer Zone im Besonderen konnte die in der britischen Zone angesiedelte Göttinger Generalverwaltung der KWG/MPG die DFA nicht unterstützen, selbst wenn sie es gewollt hätte. Die verbliebenen Mitarbeiter unter dem geschäftsführenden Direktor Willibald Scholz (1889–1971) finanzierten sich und die provisorische Aufrechterhaltung der verbliebenen Infrastruktur aus Zuschüssen der bayerischen Landesregierung sowie einigen vom bayerischen Rechnungshof bemängelten Rücklagen, aber dank der „Zunahme der Syphiliserkrankungen“ und der „Seuchenangst der Besatzungsmacht“ vor allem mit jährlich mehr als 60.000 serologischen Tests, statt der zuvor üblichen 6.000.39 Die MPG hatte die fast gänzlich in die medizinische Versorgung der Stadt München einbezogene DFA aus ihren Haushaltsplanungen schon gestrichen, als die Ländervertreter im März 1949 mit Blick auf die trizonale Wiederzusammenführung der KWI/MPI beschlossen, den Zuschuss für die DFA in die Gesamtfinanzierung der MPG dennoch einzubeziehen. Die MPG erklärte sich vorerst nur zur „erneuten Betreuung“ der DFA in administrativer Hinsicht bereit und das auch nur unter „der Voraussetzung, dass die Max-Planck-Gesellschaft den Direktor im Einvernehmen mit der bayerischen Staatsregierung bestellt“.40 Mit dem Hirnforscher Willibald Scholz wurde zwar ein langjähriges wissenschaftliches Mitglied der KWG und bewährter Abteilungsleiter in diese Position berufen, der die DFA durch die Wirren der Nachkriegszeit hindurch manövriert hatte. Aber erst fünf Jahre später im März 1954 sollte die DFA als MPI für Psychiatrie wieder als gleichberechtigtes Forschungsinstitut in die MPG eingegliedert werden.

Es lag nahe, diesen Akt mit einem Beitrag zum Jahrbuch der MPG zu würdigen und das neu ernannte MPI als Institut der Grundlagenforschung auszuweisen. Der Beitrag wurde allerdings nicht vom noch immer amtierenden Direktor Scholz, sondern von dem erst 1952 berufenen Leiter des Klinischen Instituts der DFA geschrieben. Werner Wagner, der 1956 zu jung starb, um in den Annalen der MPG-Geschichte merklichere Spuren zu hinterlassen, sah sich veranlasst herauszuarbeiten, inwiefern sich seine Abteilung „aus der Reihe“ der „angewandte Naturwissenschaft“ betreibenden Institute der klinischen Medizin außerhalb der MPG hervorhob und zu Recht einen Platz innerhalb der MPG beanspruchte. „Grundlagenforschung“, wie er sie verstand, fragte nicht nach den „Ursachen“, sondern nach dem „Wesen der Geistesstörungen“, ähnlich wie der Kollege Heisenberg, auf den er sich berief, längst nicht mehr „physikalische Ursachenforschung“ betreibe, sondern nach „Wesen und Weisen der Materie“ frage. Anleihen machte Wagner bei der geisteswissenschaftlich orientierten Anthropologie, mit deren Hilfe man zum Beispiel die psychopathologischen Symptome des alternden Menschen nicht als Folge arteriosklerotischer Prozesse, sondern aus dem „Wesen“ seines individuellen „In-der-Welt-Seins“ verstehen könne. Von da war es nicht weit zu Martin Heidegger (1889–1976), dessen „‚fundamental-ontologisches‘ Denken“ den „Seinsgrund alles Seienden“ und also auch einer Geistesstörung phänomenologisch zugänglich machen könne. „Psychiatrie“, so fasste er zusammen, „wird hier Anlass und liefert zugleich den Stoff für Grundlagenforschung im eigentlichen Sinne.“41

Wagners Verständnis von Grundlagenforschung war vermutlich weit entfernt von dem, was sich die britischen und amerikanischen Aufsichtsbehörden darunter vorgestellt hatten, als sie nach mehr oder weniger langem Zögern die Weiterführung der KWG/MPG schließlich doch befürworteten. Aber es lag mit Sicherheit im Trend des bundesrepublikanischen intellektuellen Diskurses der frühen 1950er Jahre, an dem Heisenberg und Heidegger nicht nur gleichermaßen prominenten Anteil hatten, sondern in dem sie auch explizit aufeinander Bezug nahmen, wenn sie etwa im Herbst 1953 in einer von Heidegger arrangierten Vortragsreihe in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste auftraten und mit Beiträgen zum „Naturbild der Physik“ (Heisenberg 1956) beziehungsweise zur „Frage nach der Technik“ (1956) über die „Künste im technischen Zeitalter“ nachdachten.42

6.5.3 Von der Humangenetik zur Molekulargenetik 1958–1964

In dem komplizierten und sich über mehrere Jahre von 1958 bis 1964 hinziehenden Übergang vom MPI für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie (MPI-VEE) zum MPI für molekulare Genetik (MPIMG) verschoben sich die Gewichte im Verständnis von Grundlagenforschung in anderer Weise.43 Der scheidende Direktor Hans Nachtsheim, der seine bevorzugt an Kaninchen ausgeführten erbpathologischen Forschungen bereits seit 1940 unter dem Dach des schon bald nach 1945 berüchtigten KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik betrieben hatte, gehörte zu denen, die den diskursiven Wandel der Nachkriegsjahre zugunsten der Grundlagenforschung hartnäckig ignorierten. Ob Grundlagenforschung oder nicht: Die Bedeutung seiner am Tiermodell gewonnenen Erkenntnisse für die humangenetische, genauer für die eugenische Praxis entsprechend des Zwangssterilisationsgesetzes von 1933, das er unverdrossen als nicht genuin nationalsozialistisch, sondern vielmehr wissenschaftlich begründet und im internationalen Vergleich besonders fortschrittlich verteidigte und wieder in Kraft gesetzt sehen wollte, war und blieb die ultima ratio seiner Forschungen.44

Für den emeritierten Direktor der Medizinischen Forschungsanstalt der MPG in Göttingen, Karl Thomas (1883–1969), der im Konflikt um die Nachfolge Nachtsheims zu moderieren versuchte, schlossen sich hingegen Humangenetik und Grundlagenforschung gegenseitig aus:

Die Hauptaufgaben der Max-Planck-Institute liegen auf dem der Grundlagenforschung. Kann Humangenetik solche leisten? Würde man sie nicht viel eher bei der angewandten Forschung unterzubringen zu haben, wenn zwischen beiden überhaupt eine Grenze zu ziehen ist? Auch diese Überlegung unterstützt meiner Ansicht nach die Überführung [der humangenetischen Abteilung des MPIVEE, CS] in die Freie Universität als neuen Kostenträger.45

Tatsächlich setzte sich diese Ansicht am Ende in der MPG durch; die Humangenetik mit ihrem Abteilungsleiter, dem Nachtsheim-Schüler Friedrich Vogel (1925–2006), wurde zwar nicht an die Freie Universität, dafür aber an die Universität Heidelberg verlagert – und zwar trotz der lockenden Fördermillionen, die das bundesdeutsche Atomministerium der MPG in Aussicht gestellt hatte, wenn sie sich der Erforschung humangenetischer Folgen der im „Atomzeitalter“ zu erwartenden steigenden Strahlenbelastung weiter zuwenden würde.46

Der direkte Nachfolger Nachtsheims, Fritz Kaudewitz (1921–2001), der sich allerdings schon nach wenigen Jahren als MPI-Direktor aus der Frontstadt des Kalten Kriegs an die Münchner Universität flüchtete, interessierte sich mitnichten für den humangenetischen Anwendungsbezug seiner Molekulargenetik. Wenn er, wie in seinem Antrittsvortrag über „Genetische Grundlagenforschung – Heute“ vor der Jahresversammlung der MPG 1963, mit dem er sich auch sogleich wieder verabschiedete, sein Publikum mitnehmen wollte, war er zu Zugeständnissen bereit. Nach ausführlichen und komplizierten Darlegungen der neueren Erkenntnisse über die molekularen Abläufe der DNS-Duplikation und der Übertragung „genetischer Informationen“, die vor allem in Experimenten mit Mikroorganismen gewonnen worden waren, griff er, um die Relevanz dieser Forschungen auch den Laien in seinem Publikum zu verdeutlichen, auf ein Schulbuchexempel aus der Humangenetik, die Sichelzellanämie, zurück.47 Kaum zehn Jahre zuvor hatte der britische Pathologe A. C. Allison mithilfe höchst fragwürdiger Humanexperimente an afrikanischen Männern den mit Malariaresistenz verkoppelten Erbgang dieser Krankheit rekonstruiert.48 Kaudewitz konnte nun – dank der vergleichenden Analyse von Aminosäuresequenzen im „Normalhämoglobin“ und im „Sichelzell-Hämoglobin“ – zeigen, an welcher Stelle genau die „winzige Änderung“ der Polypeptidketten „vor Jahrtausenden in Keimzellen eines Menschen vor sich gegangen“ sei, und demonstrieren, wie mithilfe molekulargenetischer Methoden gelegentlich auch Aussagen über die menschliche Evolution getroffen werden konnten:

Wir erkennen an diesem Beispiel, dass die biologische Grundlagenforschung, auch wenn sie heute als Versuchsobjekte Mikroorganismen bevorzugt, mitunter dem ‚tua res agitur‘ mindestens ebenso gerecht wird wie die Human-Genetik.49

Wann die Humangenetik unter Kaudewitz’ Nachfolgern wieder ins MPIMG zurückfand und in welcher Weise sie sich zuvor als Grundlagenforschung beweisen musste, bleibt zu untersuchen.

6.5.4 Gründung des Max-Planck-Instituts zur Erforschung
der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen
Welt, 1967–1969

Die kontroversen Diskussionen im Vorfeld der Gründung des MPI mit dem schwer eingängigen offiziellen Namen „zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“ (MPIL) zwangen auch die Geisteswissenschaftliche Sektion der MPG, über das Gebot der „Grundlagenforschung“ nachzudenken. In seinem Gründungsvorschlag von 1967 hatte Carl-Friedrich von Weizsäcker, Initiator und designierter Direktor des Instituts, das bald landläufig verkürzt nach seinem Starnberger Standort bezeichnet und so bekannt werden sollte, das Zauberwort nicht benutzt. Er sprach dort vielmehr von „Grundwissenschaften“ und nannte als Beispiele „Informationstheorie, Spieltheorie, Systemforschung, Kybernetik“. Sein „ehrgeiziges Ziel“ war es, „das Verhältnis dieser Wissenschaften zueinander“ und zu anderen Wissenschaften“, aber auch „zu möglichen praktischen Anwendungen“ „grundsätzlich“ zu klären. Darüber hinaus sollten diese „abstrakten Wissenschaften“ in seinem Institut mit „konkreten Themen von direkter praktischer Relevanz“ konfrontiert werden. Hier reichte das Themenspektrum von „Welternährung“ und „Strukturproblemen hochindustrialisierter Gesellschaften“ über „Ziviltechnologie“, „Auswirkungen der Biologie“, „Waffentechnik und Strategie“ bis hin zu den möglichen „Zielvorstellungen der Weltpolitik“ und der „zukünftigen Struktur Europas“.50

Was sein Institut von den zeitgleich stattfindenden zahlreichen Neugründungen im Bereich der Politikberatung unterscheiden sollte, war also keineswegs die Ferne von praktischen Problemen und angewandter Forschung. Im Unterschied etwa zur Stiftung Wissenschaft und Politik im benachbarten Eggenberg, die „außenpolitische und strategische Analysen vorzugsweise im Regierungsauftrag“ betreibe, mit der man aber dennoch kooperieren wolle, sollten in Starnberg die „Arbeitsthemen ohne jeden Einfluss durch Auftraggeber“ frei gewählt und im Übrigen „hinreichend verantwortlich über das Ganze nachgedacht“ werden.51

Weizsäckers Vorstellungen von wissenschaftlicher Autonomie bei der Themenwahl und institutioneller Unabhängigkeit von staatlichen Geldgebern stimmten sicherlich mit denen der meisten anderen MPG-Mitglieder überein, die darüber abzustimmen hatten, ob das von Weizsäcker konzipierte Institut tatsächlich in die MPG aufgenommen werden sollte. Was aber das Nachdenken übers Ganze bei der Fülle der möglichen Themenfelder bedeuten sollte, war den wenigsten von ihnen klar. Begriffe wurden durchgespielt, auf dass – wie der Völkerrechtler Fritz Münch (1906–1995) anmahnte – im Namen des Instituts „etwas Manierliches und Verständliches zum Ausdruck“ käme.52 Die Rede war von „Zukunftsforschung“, „Futurologie“ „Friedensforschung“ oder „Grundlegung der Planungswissenschaften“; vor „theoretischer und experimenteller Prognostik“ als allzu deutlicher Anspielung auf die Physik wurde allerdings gewarnt. Weizsäcker selbst bevorzugte „Mellontik“, was aber sonst niemand verstand.53 Am Ende blieb es bei dem von Weizsäcker von Anfang an propagierten Namen, ohne dass den Diskutanten die inhaltlichen Konturen des zu gründenden Instituts wirklich erkennbarer geworden wären. In der kritischen letzten Runde in der Geisteswissenschaftlichen Sektion im Februar 1969 brach dann der Vorsitzende, Wolfgang Lotz (1912–1981) von der Bibliotheca Hertziana, die entscheidende Lanze für Weizsäcker:

Die Max-Planck-Gesellschaft betreibt nach der Definition, die jetzt im allgemeinen gegeben wird, Grundlagenforschung. Wenn es eine Grundlagenforschung gibt, dann scheint mir dieses Projekt […] den Namen zu verdienen und Grundlagenforschung zu erfordern. Die Einzelprojekte, die verfolgt werden sollen, können nur dann verfolgt werden, wenn die Grundlagen dafür in der Gestalt oder in den Vorstellungen von Herrn von Weizsäcker oder des Direktors vorhanden sind.54

Gegen die Zweifel an der Machbarkeit des Weizsäcker’schen Programms rief er den Geist Max Webers in den Zeugenstand:

Ich glaube, wenn Herr Max Weber hier in unserem Kreise wäre, würde er wohl auch für dieses Institut stimmen, denn diese Richtung, die Max Weber gegeben hat mit seinen Arbeiten, scheint mir ganz unmittelbar in das hineinzuweisen, worüber wir hier sprechen.55

Grundlagenforschung in den Geisteswissenschaften blieb offensichtlich an die hinreichend imposante intellektuelle Statur des heroischen Forschers gebunden, dem sie zugeschrieben wurde und der sie für sich beanspruchen durfte. Dieser im Kreis der MPG-Mitglieder anerkannte Anspruch Weizsäckers sagte aber wenig über die Art der zukünftig in Starnberg durchzuführenden Forschungsprogramme aus. Vor allem aber schloss er mitnichten praktische Politikberatung aus, wie sie der MPI-Direktor Weizsäcker zum Beispiel von 1974 bis 1977 als Vorsitzender des Beratenden Ausschusses beim Bundesminister für Forschung und Technologie (BAFT) betrieb.56

6.6 Vorläufig Resümierendes

Wir haben gesehen, wie die Worte fundamental/basic research um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in spezifischen wissenschaftspolitischen Konstellationen in den USA und Großbritannien als ein hybrides, zwischen den Begriffen von reiner und angewandter Forschung oszillierendes Konzept im englischen und eher beiläufig als Grundlagenforschung auch in den deutschen Sprachraum eingeführt wurden. Unter den ganz anders gearteten, aber wiederum spezifischen wissenschaftspolitischen Bedingungen der mittleren 1940er Jahre, in denen sich das Ende des Zweiten Weltkriegs, mit dem Beginn des Kalten Krieges überlappte und der westliche Teil des endlich unterworfenen „Dritten Reiches“ schon bald als unvermeidlicher Juniorpartner des westlichen Bündnisses in Betracht gezogen werden sollte, wandelte sich unter überwiegend US-amerikanischer Diskurshoheit das bis dahin hybride Verständnis von Grundlagenforschung in ein dichotomes Konzept: Grundlagenforschung wurde begrifflich der angewandten Forschung gegenübergestellt und als von dieser klar abgrenzbar beschrieben. Zudem wurde sie mit Anspielungen auf ältere Vorstellungen von reiner Forschung angereichert und als Symbol der Freiheit, für die die westlichen Demokratien gegen den stalinistischen als dem einzig verbliebenen totalitären Gegner einstanden, präsentiert. Grundlagenforschung galt jetzt als anwendungsfern, politisch oder militärisch nicht unmittelbar relevant und frei im Sinne des westlich-demokratischen Selbstverständnisses.

Erst in dieser politischen Konstellation und mit dieser semantischen Aufladung wurde Grundlagenforschung für die in Umgründung befindlichen KWG/MPG programmatisch und leistete ein Dreifaches: Vergangenheitspolitisch half der neue, im und für den Kalten Krieg geschmiedete Begriff von Grundlagenforschung den Charakter jener mehr oder weniger hybriden Forschungen, mit denen sich die KWG als Teil des NS-Regimes gerade auch in der Rüstungsforschung bewiesen hatte, zu verwischen. Gegenwartspolitisch trug er in der unmittelbaren Nachkriegszeit erheblich dazu bei, die organisatorische Integrität der MPG wieder herzustellen, ihre institutionelle Unabhängigkeit zu verteidigen und die wissenschaftliche Autonomie ihrer Mitglieder zu behaupten. Zukunftspolitisch blieb die Verpflichtung auf Grundlagenforschung ein sich stets erneuernder Auftrag. Aber wie wir an den hier beispielhaft skizzierten Diskussionen aus den ersten drei Jahrzehnten der neuen MPG sehen konnten, war den beteiligten Akteuren keineswegs klar, wie dieser Auftrag etwa im Zuschnitt von Instituten, Forschungsfeldern und Projekten umzusetzen sei.

Man könnte geneigt sein, die hier vorgeführten mühseligen Begriffsanstrengungen als Einträge in eine Stilblütensammlung zum Thema Grundlagenforschung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik abzutun. Jeder der hier zitierten Sprecher hatte ein anderes Verständnis von Grundlagenforschung, ob generell als Auftrag der MPG oder speziell in seinem Fach. Aber selbst jene, die ihr mangelndes Vorstellungsvermögen, was Grundlagenforschung im konkreten Fall einer forschenden Person, einer Abteilung oder eines ganzen Instituts bedeuten könnte, offen artikulierten, bezweifelten mit keinem Wort die Selbstverpflichtung der MPG, ihrer Institute, jedes ihrer gegenwärtigen und erst recht der neu aufzunehmenden Mitglieder, zukünftig Grundlagenforschung zu betreiben. In den hier betrachteten Debatten um Schließung, Umgestaltung oder Neugründung von Instituten oder Abteilungen wurden die Forschungspläne an der Latte „Grundlagenforschung“ gemessen, ohne dass eine verbindliche Kalibrierung erkennbar gewesen wäre. Für die unmittelbaren Nachkriegsjahre war dies sicherlich kaum zu erwarten. Sofern die Debatte um die Gründung des Starnberger Instituts als symptomatisch gewertet werden darf, hatte sich in den Gremien der MPG aber auch zwei Jahrzehnte später noch keine inhaltlich beschreib- und belastbare Übereinkunft über das herausgestellt, was dennoch unangefochten als Entscheidungsparameter galt. Mit welchem in den Forschungspraxen ihrer Mitglieder und Institute begründeten Verständnis von Grundlagenforschung die MPG in die Ende der 1960er Jahre erneut aufflammende gesellschaftliche Debatte um Wissenschaft und ihre soziale Verantwortung und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen um die knapper werdenden öffentlichen Fördergelder ging, wäre einer weiteren Untersuchung wert.

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Fußnoten

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http://www.mpg.de/kurzportrait (Zugriff am 16. Januar 2015).

Paul Lucier (2012, 535) bezeichnete das lineare Modell kürzlich erst als „entirely dead“ und berief sich dabei auf Grandin, Worbs und Widmalm (2004). Aus der kaum noch überschaubaren Literatur zu den verschiedenen Modellen hier nur einige einschlägige Titel: Rosenberg (1990); Stichweh (1994); Felt et al. (1995); Galison und Stump (1996); Weingart (2001); Stehr (2003); Lengwiler (2005); Weingart et al. (2007); Carrier und Nordmann (2011); Wilholt (2012, 328–345).

Gibbons et al. (1994); Nowotny et al. (2001); Etzkowitz und Leydesdorff (2001); Stokes (1997); Fuller (2000).

Gruss (2010, 11).

Flachowsky (2010, 134); Maier (2010, 332); so Kaulen in Heim und Kaulen (2010, 357).

Renn und Kant (2010, 75 und passim).

Ebd., 78.

Die Zeitschrift History and Technology: An International Journal publizierte 2007 einen monographisch dimensionierten Artikel von Paul Forman: „The Primacy of Science in Modernity, of Technology in Postmodernity, and of Ideology in the History of Technology“ (2007) und ergänzte ihn mit vier eingeladenen Diskussionsbeiträgen von Martin Collins, Ronald Kline, Chunglin Kwa, und Philip Mirowski. Im März 2011 veranstalteten Thomas Wieland und Désirée Schauz im Münchner Zentrum für Wissenschafts- und Technikgeschichte eine Tagung zur „Anwendungsorientierung in der universitären Forschung. Historische Perspektiven auf eine aktuelle Debatte“, vgl. den Bericht von Lax (2011). Die Zeitschrift Isis widmete im September 2012 einen „Focus“ dem Thema „applied science“. Eine andere Perspektive wird in dem Themenheft „Zweckfreie Forschung?“ der Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen (26/Herbst 2011) eingenommen.

Ausführlicher dazu: Sachse (2009); vgl. auch Haller (2006).

Vgl. zu gesellschaftlichen Ordnungsmustern und Basisprozessen: Raphael (2008) und Dipper (2010).

Vgl. dazu beispielsweise die Dokumentation des Symposiums der Max-Planck-Gesellschaft „Forscher und Forschungspolitik: Der Beitrag der Forscher zur forschungspolitischen Diskussion“ im Mai 1991 auf Schloss Ringberg/Tegernsee und darin insbesondere den Beitrag des damaligen DFG- und späteren MPG-Präsidenten Hubert Markl: „Warum soll der Staat heute die autonome Grundlagenforschung finanzieren?“ (1992) sowie die anschließende Diskussion von Max Syrbe: „Grundlagenforschung, angewandte Forschung und industrielle Entwicklung: Autonomie, Instrumentalisierung oder Vernetzung der Teilsysteme?“ (1992).

Vgl. zu Funktionsäquivalenten in historischen Gesellschaftsvergleichen: Schriewer (1999, 89–93).

Bud (2012).

Zum Gebrauch von (applied) science in früheren Enzyklopädien vgl. Schatzberg (2012, 557–559).

Vgl. Lucier (2012), der leider nicht auf Rowlands Erfahrungen in Deutschland und mögliche Bezüge zwischen den Vorstellungen von reiner Wissenschaft im Gefolge Helmholtz’ und Rowlands Konzept der pure science eingeht. Eine ähnliche Debatte fand in den 1870er und 1880er Jahren in Großbritannien statt mit Alexander William Williamsons „plea for pure science“ (1870), auf das sich Rowland direkt bezog, und Thomas Henry Huxleys Plädoyer für „science as culture“ (1880), vgl. Gooday (2012, 548f.).

Als Beispiel: Arthur: Development of Vegetable Physiology, hier zit. nach Clarke (2010, 286).

Vgl. Marsch (2000); Szöllösi-Janze (1998); H. Maier (2007, Bd. 1, 85–174).

Vgl. Clarke (2010).

Moulton: Introduction, in Seward (1917, viii–xx, hier ix), zitiert nach Gooday (2012, 553).

Nach Clarke (2010, 305) gebrauchte das DSIR seit seinem 33. Annual Report (1947–48) das Adjektiv basic als Synonym für fundamental research.

Vgl. zur frühen Geschichte der KWG: Hachtmann (2007, 56–59, 81–258).

Zu Rüstungsforschung innerhalb der KWG: Schmaltz (2005); H. Maier (2007).

So das DSIR in seinem 33. Annual Report (1947–1948), hier zitiert nach Clarke (2010, 305).

Diese Debatte hatte ihren Vorlauf in den Auseinandersetzungen zwischen den marxistisch orientierten britischen Wissenschaftlern um John Desmond Bernal (The Social Function of Science, London: Routledge 1939) und der Society for Freedom in Science, die Michael Polanyi und John Randall Baker 1940 als Reaktion darauf gegründet hatten, vgl. McGucken (1978); Werskey (1988); Clarke (2010, 307–310). Fortgesetzt wurde sie im US-amerikanischen Congress for Cultural Freedom; Polanyi (1954, 17–27); vgl. auch Berghahn (2004, 175–178).

Zum Kampfbegriff „Pseudowissenschaft“ im Kalten Krieg vgl. Thiel und Walther (2008).

Unter besonderer Berücksichtigung von Frankreich hat Krige (2006, 3) die amerikanische Förderung von basic research in Europa als „key node articulating American hegemony with the postwar reconstruction of science in Europe“ beschrieben. Zur Rolle der Rockefeller Foundation als Moderator der US-amerikanischen Sicht auf die KWG und zum Folgenden vgl. Sachse (2009).

Zur Umgründung der KWG/MPG vgl. Hachtmann (2007, bes. 1159–1168).

Alle Zitate: MPA, II/1A/(5–5)12: Denkschrift vom 14. Februar 1947.

Ebd., ausführlich dazu: Sachse (2009, 124–128).

Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bericht (1.4.1953 bis 31.3.1954), 18, hier zitiert nach einem Vortragsmanuskript von Heiko Stoff für die Tagung „Anwendungsorientierung“ (März 2011, vgl. Fußnote 10), das mir der Autor freundlicherweise überlassen hat.

Ebd.; zum DFR vgl. Carson und Gubser (2002); Stoff (2004, 394–400); Carson (2010, 192–205).

Zu den Agrarwissenschaften innerhalb der KWG und zur Rolle Backes vgl. Heim (2003). Zu Telschow ausführlich: Hachtmann (2007, Bd. 2, Kap. 9).

Lewis (2004, 416); Gausemeier (2005, 290, 305–311).

MPA: Niederschriften von Senatssitzungen, Nr. 4–6 (1949), Sitzung vom 18./19. März 1949, 4.

Hier sind zu nennen: KWI/MPI für Bastfaserforschung, KWI/MPI für Tierzucht und Tierernährung, KWI/MPI für Kulturpflanzenforschung.

Darunter: MPI für Zellphysiologie (1970), MPI für Eiweiß- und Lederforschung (1973), MPI für Tierzucht und Tierernährung (1974 an die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft), MPI für Landarbeit und Landtechnik (1976), MPI für Pflanzengenetik (1978); als einziges aus einem anderen Forschungsfeld wurde das MPI für Silikatforschung 1970 an die Fraunhofer-Gesellschaft übergeben. Im Bereich der Physik wurden hingegen überwiegend ältere thematisch umfassendere Institute in Teilgebiete aufgespalten und innerhalb der MPG weitergeführt. Vgl. im Einzelnen Henning und Kazemi (2011). Für eine Auflistung ehemaliger und geschlossener MPI danke ich Florian Schmaltz.

MPA Vc/4, KWG Nr. 1: Die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft 1945–1949, Göttingen 1949 (Festschrift zum 70. Geburtstag des MPG-Präsidenten Otto Hahn), 259.

MPA: Niederschriften von Senatssitzungen, Nr. 4-6 (1949), Sitzung vom 18./19. März 1949, 5.

Heisenberg (1956); Heidegger (1956); vgl. Carson (2010, 109–113).

Vgl. dazu ausführlich Sachse (2011).

von Schwerin (2000, 2004).

MPA II/1A-IB, MPIVEE, Kaudewitz, Bd. 1, Thomas an Ballreich vom 12. Mai 1961.

Ausführlicher dazu Sachse (2011).

Kaudewitz (1963, 34–64).

Allison (1954, 290–294). Noch im Erscheinungsjahr dieser Publikation hatte Nachtsheim bei ähnlicher Gelegenheit die versammelten MPG-Mitglieder über diesen humangenetischen Durchbruch informiert, vgl. Sachse (2011, 44f.).

Kaudewitz (1963, 60f.).

Alle Zitate: MPA II/9/13: Vorschlag zur Gründung eines Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt vom 1. November 1967, unterzeichnet von Carl Friedrich von Weizsäcker, Wolfgang Bargmann (1906–1978), Klaus von Bismarck (1912–1997), Hermann Heimpel (1901–1988), Walther Gerlach (1889–1979) und Werner Heisenberg.

Alle Zitate: ebd.

MPA II/1A-IB, IL1/Lebensbedingungen: Abschrift der Tonaufzeichnung der Sitzung der Geisteswissenschaftlichen Sektion 11. Februar 1969, 65.

MPA II/IA 76. VP, Bd. 2: Niederschrift über die Sitzung des Beratungskreises über die Errichtung eines MPIL 2. Februar 1968; Niederschrift über die 76. Sitzung des Verwaltungsrats und des Vorstands der MPS 4. März 1968.

MPA II/1A-IB, IL1/Lebensbedingungen: Abschrift der Tonaufzeichnung der Sitzung der Geisteswissenschaftlichen Sektion 11. Februar 1969, 61 f. (Orthographische und grammatikalische Korrekturen der lückenhaften Transkription: CS).

Ebd., 74 (Orthographische und grammatikalische Korrekturen der lückenhaften Transkription: CS).

MPA II/9/20: MPG-Spiegel 4/1974, 20; Beratungsplan des Bundesministeriums für Forschung und Technologie 1974; Gottstein an Weizsäcker 24. Juni 1974, Weizsäcker an Gottstein 1. Juli 1974.