Einleitung
Der Weg zu Antworten auf die Frage, wer wann was über das Bauen wusste, führt in Ägypten über eine Verschiedenheit und Menge von Quellen, die in dem hier abgesteckten Rahmen nur gestreift werden können. Die vorgelegte Überblicksdarstellung maßt sich nicht an, diese Quellen auch nur ansatzweise erschöpfend zu behandeln oder dem, was andere über Architektur, Kunst, Verwaltung, Ausbildung, Wissenschaft oder Technikgeschichte gesagt oder geschrieben haben, gerecht zu werden. Überdies wird hier als ein scheinbar einheitlicher kulturhistorischer Block betrachtet, was tatsächlich ein sich über drei Jahrtausende entwickelndes und veränderndes Gebilde war. Der Text wird für Ägyptologen vielfach Selbstverständliches wiederholen, das aber für außerhalb dieses Faches Stehende wichtig zu wissen ist.12 Den eigentlichen Ertrag der hier versammelten Informationen verspricht ihre Vergleichbarkeit mit den in diesem Band vorgelegten Untersuchungen über andere zeitliche und geographische Räume.
1.1 Vorbemerkungen zur altägyptischen Kultur
Ägypten gehört mit den mesopotamischen Kulturen und China
1.1.1 Naturräumliche Gegebenheiten
Das
Die Geographie beeinflusste die Kultur in vielen Bereichen. Der Fluss war der wichtigste Verkehrsweg und das Rad spielte eine untergeordnete Rolle; durch die regelmäßige Überschwemmung begünstigte der Nil die Erfindung des Kalenders; seine Fruchtbarkeit setzte Ressourcen für die kulturelle Entwicklung frei. Jedoch waren die Wüsten keineswegs unüberwindbar, sondern von Nomaden bevölkerte Gebiete regen Austauschs zwischen den angrenzenden Kulturen. Aufgrund ihres Rohstoffreichtums waren die Wüsten für das Bauwesen von besonderer Bedeutung.
Die wesentlichen Baumaterialien waren Stein (Sandstein, siehe Abb. 1.1, Kalkstein und diverse Hartgesteine) und meist ungebrannte Ziegel aus Nilschlamm (Abb. 1.2). Holz war relativ knapp, daher wurden viele Bauhölzer bereits zu Beginn der historischen Zeit importiert. Kupfer konnte auf dem

Abb. 1.1: Die Sandsteinbrüche in Silsila

Abb. 1.2: Ziegelherstellung aus Nilschlamm in
1.1.2 Die Gesellschaft und ihre Bauaktivitäten
Relativ kurze Zeit nachdem es einer der oberägyptischen Dynastien gelang, das ganze Land unter seiner Herrschaft zu vereinen (um 3000 v. Chr.), kam es zur Bildung des Gott-Königtums und gegen Ende der 3. Dynastie zur Entwicklung der Beamtenhierarchie. Diese Voraussetzungen erlaubten dem Herrscherhaus, die reichen Ressourcen des Landes für seine Bauprojekte einzusetzen, wobei insbesondere im Alten Reich der größte Aufwand für die königliche Grabarchitektur (Pyramiden, Pyramidentempel) betrieben wurde. Diese Gewichtung verschob sich ab dem Mittleren Reiches allmählich zugunsten der Göttertempel, ab dem Neuen Reich waren diese Tempel die Hauptbauaufgabe des Staates16 und wichtige Verwaltungszentren. Zu allen Epochen wurde viel in Grabarchitektur und -ausstattung investiert, sowohl vom Herrscherhaus als auch von nichtköniglichen Eliten, den so genannten Privatpersonen.
Während die Sakralarchitektur idealerweise für die Ewigkeit gebaut wurde, haftete allem Diesseitigen, also auch Wohnarchitektur und Nutzbauten, ein vergleichsweise temporärer Charakter an. Auch wenn diese Bauten aus ungebrannten Ziegeln errichtet wurden, waren sie durchaus kenntnisreich angelegt und konnten aufwändig und repräsentativ sein. Sie waren jedoch dem Verfall stärker ausgesetzt und sind archäologisch wesentlich schwieriger zu erfassen. Daraus ergibt sich ein Ungleichgewicht in der Forschung. Insgesamt muss jedoch betont werden, dass es öffentlich-profane Repräsentationsbauten wie etwa Versammlungs- und Gerichtsgebäude, Marktarchitektur, Bäder etc. nicht gegeben hat und viele der andernorts dort stattfindenden Tätigkeiten unter freiem Himmel oder in anderen baulichen Kontexten stattfanden. Aufwändige technische Anlagen errichtete man vor allem in den Bereichen des Wasserbaus und der Festungsarchitektur.
Das gesellschaftliche Leben war hierarchisch stark strukturiert. Der breiten Masse der Bevölkerung stand eine dünne, gebildete Oberschicht gegenüber. Diese bestand aus den führenden Familien des Landes und stand oft, aber nicht zwingend, in Verwandtschaftsbeziehung zum Herrscherhaus. Aus dieser Oberschicht rekrutierten sich Beamte, Militärs und Priester, die das Land verwalteten. Eine strikte Trennung in Priester und Laien bzw. Militärs und Zivilisten gab es nicht: Tempel übernahmen wesentliche Verwaltungsaufgaben, ein Verwaltungsbeamter konnte beispielsweise mit einem Feldzug betraut werden. Die gesamte Steuerung des Landes lag in den Händen dieser Oberschicht. So kam es nie zur Herausbildung einer freien Wirtschaft im modernen Sinne. Die Produktionsüberschüsse wurden zentral eingesammelt und als Bezahlung für öffentliche Aufgaben umverteilt. Dies geschah mit einem Aufwand an Verwaltung und Kontrolle, der sich in den Schriftquellen niederschlägt und den man sich schlechterdings nicht zu hoch vorstellen kann.
1.1.3 Kontinuitäten und wichtige Zäsuren
Die Architekturformen wandelten sich in Ägypten durchaus mit den historischen Abschnitten des Alten, Mittleren und Neuen Reiches sowie der griechisch-römischen Zeit (siehe Tab. 1.1). Die wichtigsten bautechnischen Zäsuren fanden jedoch zu Beginn des Alten Reiches (um 2700 v. Chr.)17, Mitte des Neuen Reiches (Mitte des 14. Jh. v. Chr.) und gegen Beginn der Spätzeit (etwa um 700 v. Chr.) statt. Das Alte Reich entwickelte von der Schlammziegelarchitektur ausgehend innerhalb zweier Generationen monumentale Werksteinarchitektur höchster Präzision – eine Entwicklung, der der Ausbau der Verwaltung unmittelbar vorausgegangen war. Pharao
Epochenbezeichnung | Zeitraum | Baugeschichtliche Ereignisse1 | |
---|---|---|---|
Prädyn. Zeit Badari-Periode Naqada-I-Per. Naqada-II-Per. |
PD | 5.–4. Jts. | Naqada II: ausgedehnte Siedlungen und Fürstengräber in Naqada und Hierakonpolis; erstmals Verwendung von Schlammziegeln; erstmals Bau von Holzbooten. |
Frühzeit 1.–2. Dyn. |
FZ | 3030–2700 v. Chr. | Erstmals Massenproduktion von Schlammziegeln; Gründung der Hauptstadt |
Altes Reich 3.–6. Dyn. |
AR | 2700–2220 | Erstmals monumentale Steinarchitektur: Pyramiden von Saqqara, Dahschur, Gisa u. a.; vollständiger Landesausbau mit Festungen an den Grenzen, erste Staudämme, Lastentransporte bis 220 t. |
1. Zwischenzeit | 1. ZZ | 2220–2120 | gr. Fürstengräber in Provinzstädten |
Epochenbezeichnung | Zeitraum | Baugeschichtliche Ereignisse1 | |
---|---|---|---|
Mittleres Reich 11.–12. Dyn. |
MR | 2120–1800 | Tempel des Mentuhotep in Deir el-Bahri; Pyramiden von el-Lahun, Lisht u. Hawara, Ausbau des Fayum, Festungen in Nubien (Buhen) |
2. Zwischenzeit 13.–17. Dyn. |
2. ZZ | 1800–1550 | Königsgräber in Dra’ Abu el-Naga; Paläste und Siedlungsstrukturen in Tell el-Daba; Einführung von Pferd und Streitwagen |
Neues Reich 18.–20. Dyn. |
NR | 1550–1070 | Tempel in Karnak, Luxor, Theben West (Medinet Habu, Deir el-Bahri, Qurna), Abydos, Abu Simbel; Gräber im Tal der Könige; Paläste in Amarna, Malqatta, Qantir; Arbeiterdorf Deir el-Medine; größte territoriale Ausdehnung |
3. Zwischenzeit 21.-25. Dyn. |
3. ZZ | 1070–740 | Städteausbauten und Tempel im Delta (Tanis, Bubastis), Gräber im Asasif |
Spätzeit2 26.–31. Dyn. |
SpZ | 740–332 | Städteausbauten und Tempel im Delta (Sais), Bauten in Medinet Habu, Hibis-Tempel in Charga, Serapeum in Saqqara, 1. Pylon im Karnak-Tempel, erstmals Eisenwerkzeuge |
koptische (christliche) Epoche | Kopt. | Anfang 2. Jh. n. Chr.– 641 n. Chr. | Christianisierung ab 61 n. Chr., Kirchen- und Klostergründungen, 391 n. Chr. Verbot der „heidnischen“ Kulte durch Theodosius3, Aufgabe bzw. Zerstörung der Tempel bis etwa 535 n. Chr.4 |
Tab. 1.1: 1Hier werden vornehmlich allgemein bekannte Bauten genannt, um diese in ein Zeitgerüst einordnen zu können. Die Liste stellt weder eine Wertung dar, noch beansprucht sie Vollständigkeit. 2Der Begriff umfasst bei manchen Autoren auch die griechisch-römische Zeit. 3Griffith 1986. 4Atiya 1991, Bd. 6, S. 1868f.. Zwischen 535 und 537 n. Chr. ließ Kaiser Justinian den Tempel von Philae per Dekret schließen.
Tab. 1.1: 1Hier werden vornehmlich allgemein bekannte Bauten genannt, um diese in ein Zeitgerüst einordnen zu können. Die Liste stellt weder eine Wertung dar, noch beansprucht sie Vollständigkeit. 2Der Begriff umfasst bei manchen Autoren auch die griechisch-römische Zeit. 3Griffith 1986. 4Atiya 1991, Bd. 6, S. 1868f.. Zwischen 535 und 537 n. Chr. ließ Kaiser Justinian den Tempel von Philae per Dekret schließen.
1.1.4 Die Quellenlage
Der bei weitem überwiegende Teil der altägyptischen Quellen stammt aus sakralen, königlichen und elitären Kontexten, von den unteren oder mittleren Schichten oder dem alltäglich-praktischen Leben der Ägypter insgesamt wissen wir prozentual noch weniger, als dies für andere Kulturen und Epochen der Fall ist. Dieses Ungleichgewicht in der Quellenlage gilt es stets im Auge zu behalten.

Abb. 1.3: Stele des Irtisen,
Die hohe Bedeutung des Bauens für die ägyptische Gesellschaft spiegelt sich im reichen Textmaterial zum Bauwesen: Verwaltungstexte (Briefe, Akten, Onomastika, Steinbruchexpeditionsinschriften), diejenigen mathematischen Schultexte, die Aufgaben zur Architektur enthalten, autobiografische Inschriften der Beamten (Abb. 1.3) sowie an den Bauten selbst angebrachte Bauinschriften demonstrieren das Ausmaß, in dem das Bauwesen den gesamten ägyptischen Staat durchdrang. Auch Baupläne und -skizzen sind in geringer Zahl erhalten (Abb. 1.4, 1.5, 1.6, 1.7), größer ist die Menge der Detailmodelle

Abb. 1.4: Dieses Kalksteinostrakon aus dem Tal der Könige zeigt in einer Grundrisszeichnung in roter und schwarzer Tinte aller Wahrscheinlichkeit nach das Grab

Abb. 1.5: Papyrus Turin

Abb. 1.6: Kalksteinostrakon mit Skizze einer Bogenkonstruktion, das im Grabbezirk des Djoser in

Abb. 1.7: Maßstäblich verkleinerte Werkzeichnung eines Kapitells, Pylon des Tempels von

Rechts: Modell eines vierreihigen Lilienkapitells aus Kalkstein, 7,5 cm. Das Objekt zeigt einen früheren Produktionsstand mit noch nicht ausgearbeiteten Details; an einigen Stellen sind Vorzeichnungen in Tusche zu erkennen (Foto: Ägyptisches Museum Kairo, JE 45078).
Abb. 1.8: Links: Modell
Rechts: Modell eines vierreihigen Lilienkapitells aus Kalkstein, 7,5 cm. Das Objekt zeigt einen früheren Produktionsstand mit noch nicht ausgearbeiteten Details; an einigen Stellen sind Vorzeichnungen in Tusche zu erkennen (Foto: Ägyptisches Museum Kairo, JE 45078).

Abb. 1.9: Dieses Kalksteinmodell gibt das Gang- und Verschlusssystem in der Pyramide des Königs

Abb. 1.10: Darstellung eines Monumentalskulpturtransports, Grab des Nomarchen
1.1.5 Der Wissensbegriff im pharaonischen Ägypten und das Wissen der Ägypter in den Augen anderer Kulturen
Die Vorstellungen, die die Ägypter mit Wissen verbanden, sind nur in Ansätzen untersucht; umfängliche Selbstzeugnisse zu dieser Frage sind kaum erhalten. Das Verb rx hat eine vielfältige Bedeutung: „wissen, erfahren, (jmd./etw.) kennen, unterscheiden, (sich einer Sache) bewusst sein, kundig/gelehrt/wissend/erfahren sein“ etc.19 Daneben gibt es das seit dem Neuägyptischen gebräuchliche Verb am, das „wissen, erfahren, kennen lernen, verstehen, herausfinden“ bedeutet, aber auch „verschlucken, verschlingen, in sich aufnehmen, einatmen“ heißen kann.20 Das Verb siA steht für „erkennen“, das Substantiv siA für „Erkenntnis, Verstand“.21 SsA wird mit „erfahren sein“, das Substantiv SsAw mit „Erfahrung, Geschicklichkeit“ übersetzt.22 Das Nichtwissen wird wiederum mit dem Verb xm ausgedrückt, das auch mit „nicht kennen, verkennen“ übersetzt wird.23 Weiterhin erwähnenswert ist ein seit der 18. Dynastie belegter Begriff für „Geheimnis“, StA.w, der auch „geheimes Wissen“ bedeuten kann.24 Die ägyptische Sprache kennt hingegen kein Wort für Wissenschaft, was kaum überrascht, da diese Kultur Wissen in anderen kognitiven Formaten gespeichert hat. Man kann Religion und mit Westendorf die Mythologie als „die den Ägyptern adäquate Form der Wissenschaft“ bezeichnen.25
Bisherige Untersuchungen zum Wissensbegriff und der Bedeutung von Wissen im Alten Ägypten beschränken sich in erster Linie auf die Frage nach Geheimwissen in religiösen Kontexten, Mysterien und Mysterienkulten.26 Wiederholt wurde der König als Träger allen Wissens beschrieben,27 wobei sich diese Eigenschaft jedoch hauptsächlich auf seine Stellung als oberster Priester und Wahrer des kosmischen Gleichgewichts bezog. Besonders hervorgehoben wurde sein privilegiertes Wissen über das Jenseits, das ihm nach seinem Tod den Weg in dieses Reich ebnete.28 Das Monopol praktischen Wissens, das dem König in Mesopotamien zugeschrieben wird,29 scheint nicht generell im Bereich des Pharao gelegen zu haben. Einige Könige des Neuen Reiches betonen zuweilen ihre Eigenleistung bei Bauvorhaben,30 doch ist dieses Thema kein fester Bestandteil von Bauinschriften.
Anders verhält es sich bei nichtköniglichen Personen, die sich in autobiographischen Inschriften durch ihre Leistungen und Kenntnisse auszuzeichnen wünschen – hier begegnen wir dem Wissen als hierarchischem Instrument. Dagegen scheint sich die Lehre des Ptahhotep auszusprechen, die mit der Maxime beginnt: „Sei nicht stolz, dass du etwas weißt. Berate dich mit dem Laien wie mit dem Fachmann. Letzte Vollendung des Könnens erreicht man nicht. Kein Künstler ist voll ausgestattet mit seiner Kompetenz. Vollendete Rede ist verborgen, verborgener noch als der grüne Edelstein. Man findet sie bei den Mägden, die über die Mahlsteine gebückt sind.“31 Diese Idee einer flachen Wissenshierarchie dürfte aber die Ausnahme gewesen sein.
Die Betonung von Wissen, ohne dieses Wissen auch preiszugeben, hat vermutlich zum Ägyptenbild der Griechen als Hort der Weisheit beigetragen, ohne dass es auch nur einem Griechen gelungen wäre, etwas von dieser Weisheit zu erlangen.32 Ägypten als Quelle des Wissens
1.2 Inhalte des Wissens
1.2.1 Bauverwaltung
Bauherren
Die große Menge an Bauinschriften, die Bauherren und Stifter42 an prominenter öffentlicher Stelle auf ihren Sakralbauten anbringen ließen, zeugen von intensivem Bewusstsein und hohem Prestige des Bauherrentums. Die sakrale Bauaktivität ist auf die göttliche Sphäre gerichtet – an diese wenden sich die Inschriften in erster Linie – aber zu Beginn des Neuen Reiches wird auch die Menschheit als Adressat königlicher Bauaktivitäten in Inschriften explizit genannt.43 Hier wird also ein Begriff von Öffentlichkeit fassbar, wenngleich dieser keineswegs mit demjenigen im antiken Griechenland
Die auf private Gräber bezogenen Inschriften des Alten Reiches betonen formelhaft, das Grab sei aus Eigenkapital finanziert und die Arbeiter zu ihrer Zufriedenheit entlohnt worden, außerdem seien keine älteren Grabanlagen zerstört worden.44 Dieser scheinbare Ausdruck eigenverantwortlichen Bauherrentums steht zur Zeit der frühen 4. Dynastie in krassem Gegensatz zu dem nicht vorhandenen Handlungsspielraum hinsichtlich Form und Lage der Gräber – beides war zweifellos vorgegeben, wie ein Blick auf die rasterförmig angelegten Nekropolen dieser Zeit lehrt.45 Für spätere Epochen ergibt sich jedoch ein anderes Bild.
Das Bauwissen
Beauftragte und Mittler
Die Bauausführenden staatlicher Bauten wurden per Dekret bestimmt bzw. gehörten ohnehin einer staatlichen Institution an. Wettbewerb fand in der ägyptischen Wirtschaft nicht statt. Es ist lediglich denkbar, dass gleichrangige Beamte sich innerhalb der Beamtenhierarchie um die Ehre (und das Verdienst) stritten, als Organisatoren beauftragt zu werden.
Auch die Auswahl der Ausführenden erfolgte vermutlich zunächst nach Zugehörigkeit zu der betreffenden Institution und der internen Hierarchie. Erst innerhalb dieses Kreises werden Qualifikation und soziale Verbindungen als sekundäres Kriterium eine Rolle gespielt haben. Nicht nur Institutionen, auch wohlhabende Haushalte verfügten über eigene Handwerker, wovon Maler und Bildhauer jedoch offenbar eine Ausnahme bildeten.47 Das überrascht kaum, da man Maurer, Schreiner, Schmiede usw. für alle möglichen Arbeiten benötigte, Maler und Bildhauer aber vornehmlich für Tempel- und Grabarchitektur.48

Abb. 1.11: Eilbestellung von vier Fenstern bei einem Handwerker mit vermaßter Skizze, Kalksteinostrakon. Tonscherbe (1395–1186 v. Chr.). bpk | RMN - Grand Palais | Franck Raux.
Von staatlichen Baumaßnahmen sind schriftliche Aufträge an untergebene Beamte erhalten, bspw. Baumaterial von A nach B transportieren zu lassen, inklusive detaillierter Anweisungen, wie die Arbeiter zu behandeln seien, damit das Vorhaben zügig durchgeführt werden konnte.49 Technische Details werden darin nicht erwähnt, der Fokus liegt auf dem Verwaltungswissen. Ähnliches gilt beispielsweise für Privatverträge zwischen Bauherr und Handwerker aus dem Alten Reich, etwa über die Errichtung eines Grabes.50 Aus dem Neuen Reich sind uns Verträge bekannt, welche die Vertragspartner, die zu liefernden Objekte, den vereinbarten Preis in Kupfereinheiten (dbn), die Art der Bezahlung (Menge und Wert der Naturalien) und ggf. die Herkunft der Materialien (gehört dem Bauherrn – gehört dem Handwerker) benennen. Hier geht es offenbar in erster Linie um die Bezahlung, die Waren werden nicht detailliert beschrieben:
„Handwerksarbeiten, die der Arbeiter Bak-n-werl dem Schreiber Hori-sheri gegeben hat: […] ein db-Kasten, macht 2 dbn […] ein Sarg, macht 15 dbn – das Holz ist von mir; […] ein Bett, macht 20 dbn – das Holz ist von mir, das Ebenholz ist von ihm, aus der Hand seines Sohnes Neb-nefer [etc.]“.51
Ein aussagefähiges Beispiel für einen Auftrag ist ein mit einer Skizze des gewünschten Gegenstandes versehenes Ostrakon aus
„Nakhtamon, you will make me four like this, exactly like this and very, very quickly, by tomorrow! Here is the information about them: width, four palms; height, five palms and two fingers! Four of this type!“52
Der Auftraggeber war also nicht nur sehr ungeduldig, sondern hatte in diesem Fall auch detaillierte Vorstellungen von dem, was er wollte. Die Angabe des Materials sowie des Preises fehlen hier. Dies weist darauf hin, dass es sich nicht um einen Informationsaustausch zwischen Privatmann und Handwerker sondern zwischen Handwerker und ‚Subunternehmer‘ gehandelt hat bzw. ein Abhängigkeitsverhältnis vorlag und Weisungspflicht bestand. Skizze und Maße gaben dem Handwerker eine klare Vorstellung von den Wünschen des Auftraggebers: vier Fensterverschlüsse mit zehn Vertikalstreben, einer Mittelstrebe und einem oberen Rahmen mit Hohlkehle, 30 cm breit und gut 40 cm hoch. Als selbstverständlich wird offenbar das Material vorausgesetzt, sicherlich Holz. Die Bezahlung konnte in einem solchen Fall aus den unregistrierten Materialresten bestehen, die beim Bau anfielen.53 Die Verschriftlichung selbst solch kleiner Aufträge ist bemerkenswert.54 Hier wird auch deutlich, dass ein Teil der Handwerker schreib-/lesekundig war: Nachtamun
Die Verständigung zwischen Auftraggeber und Ausführenden über die genaue Gestalt des gewünschten Objekts und die Art und Weise seiner Herstellung tritt uns nicht klar vor Augen. Waren Architektur und Kunsthandwerk so kanonisiert, dass die in den Quellen nicht genannten Details als bekannt vorausgesetzt werden konnten? Oder handelt es sich bei den Texten meist nur um die schriftliche Niederlegung von Verwaltungsvorgängen – Vorgänge, mit denen Leute betraut waren, die technische Details gar nicht kannten oder verstanden? Vermutlich trifft beides zu.
Inwieweit die uns erhaltenen Pläne und Modelle
Bei der bäuerlichen Bevölkerung kann man ein Bauwissen
„Year 3, third month of summer, day 16. What the workman Pa-neb gave to the draughtsman [—] […] for the construction work he did in my house: a workroom, and another wall makes 1sacks [of grain].“57
Paneb wurde später Vorarbeiter – wenngleich angeblich durch Bestechung58 – und war zweifellos selbst in der Lage, die Arbeiten auszuführen, zog es aber offenbar vor, sie zu beauftragen. Dass der Auftragnehmer als Zeichner im Königsgrab arbeitete und nicht etwa als Steinmetz o. Ä., deutet auf weite Verbreitung einfachen Bauwissens zumindest in der Handwerkerschaft hin.
Baubetriebe

Abb. 1.12: Arbeiterbaracken in der Pyramidenstadt des

Abb. 1.13: Das Arbeiterdorf
Besonders reiche Quellen liegen aus dem Arbeiterdorf der Königsnekropole von
Bei der männlichen Bevölkerung handelte es sich überwiegend um hoch qualifizierte und – in Naturalien – hoch bezahlte Kunsthandwerker. Sie unterstanden direkt dem Wesir, dem für das Königsgrab zuständigen Beamten.64 Die Arbeiterschaft, die in den zugehörigen Verwaltungsdokumenten mit dem Terminus jz.t, also ‚Mannschaft‘ bezeichnet wurde, war stets in zwei Gruppen unterteilt, die ‚rechte Seite‘ und die ‚linke Seite‘. Jeder Seite stand jeweils ein Vorarbeiter vor, denen zusammen ein Schreiber65 beigeordnet war. Dieser führte detailliert Buch über die Arbeiten, jedoch haben auch die Handwerker selbst Textzeugnisse hinterlassen.
Den Grad der Selbstorganisation dieser Handwerkerschaft zeigt u. a. ein Fall aus den 1150er Jahren v. Chr., als die Menschen nach Ausbleiben der Zuwendungen die Arbeit niederlegten und einen Protestmarsch zur Hauptverwaltung im Tempel von
Für gildenartige Berufsverbände gibt es Indizien. Basis für diese Theorie sind Jenseitstexte aus dem Mittleren Reich, die dem Verstorbenen bspw. die Bezeichnungen von Schiffsteilen nennen, die er im Jenseits dem Fährmann angeben muss, um übergesetzt zu werden. Diese Befragungen sind theoretisch mit Aufnahmeprüfungen in etwaige Gilden vergleichbar.68
Abschließend muss deutlich gesagt werden, dass diese Organisationsformen nicht dazu gedacht waren, die Unabhängigkeit oder die Rechte der Handwerker zu stärken, sondern sie vielmehr der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen. Man kann mit Eyre69 sogar von einer staatlichen Monopolisierung bestimmter Gewerke sprechen. Als Hort nicht verschriftlichten Bauwissens
Arbeitsorganisation und -verwaltung

Abb. 1.14: „Platz der Schriftstücke des Pharao“ dargestellt im Grab des Tjaj in
Der Bau des Königsgrabes als vornehmste Bauaufgabe unterstand unmittelbar dem Wesir, dem höchsten Beamten des Staates und damit auch obersten Bauverwalter.71 In den so genannten Dienstanweisungen des Wesirs aus dem Neuen Reich heißt es:
„Ein jedes Amt – vom höchsten bis zum niedrigsten – soll eintreten in die Halle des Wesirs zur Beratung miteinander. Er schickt aus, um Akazien zu fällen gemäß dem, was im Königshaus gesagt wurde. Er schickt die Verwaltungsbeamten der Landbezirke aus, um im ganzen Land Kanäle anzulegen. …“72
Im Büro des Wesirs liefen also verschiedene Organisationsstränge zusammen. Hier befand sich auch das Zentralarchiv, welches die zum Arbeitsdienst einzuziehende Bevölkerung erfasste. Dadurch hat ein Wesir im Laufe seines Dienstlebens sicher einiges an Bauwissen en passant erworben, aber sein Gesamtaufgabengebiet war viel zu groß, um ihn zu einem Spezialisten werden zu lassen.
Die Staatsverwaltung war im Alten Reich in der königlichen Residenz (Xnw) gebündelt.73 Ihr unterstanden neben (temporär beschäftigten?) Transportarbeitern auch eine eigene Handwerkerschaft.74 Es gab Fälle, in denen als Belohnung für geleistete Dienste das Grab eines Beamten durch Residenzhandwerker ausgeführt wurde. Sarenput I.
Auch das Schatzhaus (pr-HD) war mit dem Bauwesen befasst.77 Der Schatzhausvorsteher war nach dem Wesir der leitende Staatsbeamte.78 Seine Institution war für die Güterverwaltung des Landes zuständig;79 hier wurden neben Lebensmitteln und anderem auch Holz, Steine und Geräte registriert. Das Schatzhaus rüstete die Arbeitstrupps für Bauarbeiten und Expeditionen aus.80 Im Neuen Reich war der Schatzhausvorsteher auch für die Beaufsichtigung von Bauarbeiten zuständig, ihm oblag bspw. die Bezahlung der Arbeiter von
Die Textzeugnisse scheinen auf den ersten Blick darauf hinzudeuten, dass die Armee eine häufig mit Bauaufgaben betraute Institution war, insbesondere bei Steinbruchexpeditionen und Steintransporten.82 Dieser Eindruck kann jedoch fälschlich durch unscharfe Begrifflichkeit bzw. durch die unspezifische Verwaltungsstruktur des Landes entstehen. mSa kann sowohl Armee als auch Expeditionsmannschaft bedeuten, und ein Träger des entsprechenden Vorsteher-Titels jm.j-r-mSa kann nicht nur als General, sondern unter Umständen auch als Expeditionsleiter fungieren.83 Man kann aber sicher annehmen, dass Militär- und Bauwesen sich im Bereich der Arbeitsorganisation, insbesondere im Bereich der Truppenerhebung und -führung, stark gegenseitig beeinflusst haben. Prägend für diese Strukturen war die Zugehörigkeit Einzelner zu einer Großfamilie oder einem Dorf; dies lässt sich für die Transportarbeiter aus den Arbeiterlisten des Papyrus Reisner I–IV aus der 12. Dynastie belegen.84 Die Bezeichnungen der Handwerkertrupps von
Neben der für den Bauprozess fassbaren Verwaltung lassen sich auch Beobachtungen zu bauerhaltenden Verwaltungsstrukturen machen. Eine Art Kataster ist für die Regierungszeit
Diese Institutionen verwalteten das Land in jenen Epochen, die uns aus älterer Fachliteratur als so genannte Blütezeiten bekannt sind. In Zeiten weniger effektiver Zentralgewalt – eine Gewalt, der man einen repressiven Charakter nicht wird absprechen können – entwickelten jedoch auch einige Provinzmetropolen Eigenständigkeit oder gewannen diese wieder. Sie erreichten dabei teilweise Ergebnisse, die vorbildhaft auf andere Provinzen sowie sogar auf die Residenz zurückwirken konnten, wie Kahl
Finanzverwaltung und Zuteilung
Bargeldlosigkeit macht Verwaltung nicht schlanker. Ein Bauleiter einer Großbaustelle musste nicht nur den Bedarf sämtlicher Baumaterialien, sondern den an Werkzeugen, Transportmitteln und -wegen, Unterkunft und Nahrungsmitteln, ggf. auch für Zugtiere etc. kalkulieren und in Absprache mit den zuständigen Verwaltungsstellen decken können. Er musste auch für die medizinische Versorgung seiner Bauarbeiter sorgen, insbesondere bei Steinbruchexpeditionen,93 und Arbeitspausen einplanen.94 Bei staatlichen Unternehmungen bezog die Arbeiterschaft wohl nicht nur ihre Lebensmittel, sondern auch andere Naturalien wie Kleidung95 direkt vom Auftraggeber, dies lässt sich zumindest für das Alte Reich sagen.
Die Beamten wiederum konnten durch Gold (so genanntes Ehrengold) belohnt werden, das jedoch nicht als Zahlungsmittel, sondern vermutlich für die eigene Grabausstattung verwendet wurde. Ihre reguläre Vergütung erhielten sie in Naturalien.
Privatleute mussten für ihre Bauleute bezahlen, in Gräbern des Alten Reiches wird Entlohnung in Naturalien explizit benannt.96 Teilweise wurden die Arbeiter ausgesuchten Beamten, wie schon erwähnt, vom König zur Verfügung gestellt; in manchen Fällen stiftete der König die gesamte Grabausstattung inklusive Sarg und Beigaben.97 Wenn die Auftragnehmer als Staatsbedienstete angestellt waren und die Arbeit ‚nach Feierabend‘ ausführten, konnten sie einen erheblichen Zuverdienst erreichen. So konnte ein Schreiner für einen hölzernen Innensarg das 1,5-fache seines Monatslohnes erlangen.98 Wurden die Arbeiten während der regulären Arbeitszeit ausgeführt, konnte dies zu Klagen vor dem Richter führen.99
Die ungelernte Landbevölkerung wurde zum Arbeitsdienst eingezogen,100 betroffen waren sowohl Ägypter wie – zu einem kleineren Teil – Kriegsgefangene. Die Lebensbedingungen dieser Leute lassen sich teilweise aufgrund ihrer Unterkünfte nachvollziehen, wenn diese in der Nähe der Baustellen kaserniert wurden (z. B.
Das bisher Gesagte bezieht sich im Wesentlichen auf die Zeit bis zum 4. Jahrhundert. Mit Beginn der Ptolemaierherrschaft (332 v. Chr.) veränderte sich die Staatsverwaltung. Schlüsselpositionen wurden nun mit Griechen besetzt, die Hauptstadt
Rechtliche Grundlagen
Schriftlich niedergelegte Gesetze gab es in Ägypten vermutlich ab dem Mittleren Reich, sicher ab dem Neuen Reich;107 aufbewahrt wurden sie vermutlich im Büro des Wesirs.108 In der Mitte des 6. Jahrhunderts (
Viele dieser Gesetze betreffen die Beamtenhierarchie und Amtsmissbrauch. Bauspezifische Gesetze scheint es nicht gegeben zu haben. Aktenkundig sind Diebstahl durch Bauleute oder die Abwesenheit vom Arbeitsplatz112 etc. Der von der Klage Begünstigte war in diesem Fall der Staat:
„der Nekropolenhandwerker Hui, Sohn des Hui-nefer, hat drei xA-Meißel des Pharao – er lebe, sei heil und gesund – gestohlen.“113
Das wertvolle Werkzeug wurde nach Schichtende offenbar eingesammelt;114 allerdings haben Handwerker auch selbst Werkzeug besessen.115
Von wissensgeschichtlichem Interesse sind zwei Fallbeispiele aus dem Codex Hermupolis aus dem 3. Jahrhundert v. Chr.116 Demnach musste „ein Hausbauer, dessen Aushub einer Fundamentgrube zum Einsturz des Nachbarhauses führte, nur dann Schadensersatz leisten, wenn er nicht beschwören konnte, dass dies nicht in böswilliger Absicht geschehen war – offenbar galt der Einsturz dann als höhere Gewalt“. Im Fall eines Wasserschadens durch einen Regenwasserablauf des Nachbarhauses, vermutlich an einem Lehmziegelhaus, wurde ein Ortstermin anberaumt: Die Richter testeten den Ablauf und kürzten ihn, um zukünftigen Schaden zu beheben. Problemen wurde hier nicht durch allgemeine Gesetzte vorgebeugt, sondern sie wurden fallweise gelöst, wenn sie auftraten. Unwissenheit schützte vor Strafe.
1.2.2 Bauplanung und -entwurf
Bauleute und ihre Qualifikation
Die Beamten
Die Ausbildung der Beamten erfolgte offenbar größtenteils durch Abschreiben von Texten aus verschiedensten Bereichen. So wurde sowohl die hochkomplizierte Schrift als auch der bereichsspezifische Stoff erlernt. „Ein wesentliches Element in der Schreiberausbildung war die Mathematik.“121 Erhalten sind uns auch Mathematikaufgaben, die ähnlich den modernen Textaufgaben das Rechnen in Sachzusammenhängen vermittelten.122 Typische Rechenaufgaben waren „Gleichungen, Teilungsaufgaben (Verteilung einer Menge auf verschiedene Empfänger mit gleichen oder ungleichen Anteilen), Flächenberechnungen, Körperberechnungen, Umrechnungen von Getreide zu Brot und Bier, Verproviantierung und Futterverbrauchsaufgaben. […] Das in den mathematischen Texten greifbare Wissen umfasste die vier Grundrechenarten im Bereich der ganzen, rationalen Zahlen und der Brüche, die Rechnung mit den verschiedenen Maßsystemen und deren Teilen, die Flächenberechnung (Dreiecke, Vierecke und Kreise), die Berechnung des Pyramidenrücksprungs und des Pyramidenvolumens, der Halbkugel, des Zylinders, einfache arithmetische und geometrische Progression….“.123 Dazu gehören auch Aufgaben aus dem Kontext der Architektur. Eine besonders aufschlussreiche Quelle
„Eine Rampe von 730 Ellen (Länge) und 55 Ellen Breite soll gebaut werden, mit 120 Hohlräumen, ausgelegt mit Schilfrohr und Balken, mit einer Höhe von 60 Ellen an seiner Spitze, von 30 Ellen in seiner Mitte, mit einer Böschung von 15 Ellen, mit seinem Fundament von 5 Ellen (Stärke). Der Ziegelbedarf ist beim Bauleiter zu erfragen. Die Schreiber sind allesamt versammelt, ohne dass es einen gäbe, der ihn wüsste. Sie vertrauen alle auf dich und sagen: ‚Du bist ein erfahrener Schreiber, mein Freund, entscheide schnell für uns; siehe, dein Name ist hervorgetreten.‘ […] Beantworte uns ihren Ziegelbedarf! Siehe, ihre Maße sind vor dir, ein jeder ihrer Hohlräume beträgt 30 Ellen (Länge) und 7 Ellen (Breite). […]“125
Es folgen Aufgaben zur Berechnung von Arbeitskräften für den Transport eines Obelisken, dessen Maße detailliert angegeben sind, zur Berechnung der Arbeitskräfte für den Abtransport von Sand in einem Gerüst gegebenen Volumens für das Absenken einer Monumentalstatue126 sowie zur Aufteilung von Lebensmittelrationen (Brot, Kleinvieh, Wein) auf eine Truppe, die sich aus verschiedenen Dienstgraden zusammensetzt. Die übrigen Aufgaben beziehen sich auf die Geographie Syriens
Zwei Dinge fallen auf: Erstens enthalten die Aufgaben nie alle Informationen, die zu ihrer Lösung notwendig sind. Wie viele Ziegel für ein Mauerwerk von einer Kubikelle benötigt werden (Ziegelmaße), wie viele Leute eine Kubikelle Granit ziehen können oder wie lange sie für den Abtransport einer Kubikelle Sand benötigen, das alles wird nicht angegeben. Offenbar wurde dieses Wissen vorausgesetzt und musste auswendig gelernt werden. Vielleicht liegt genau hierin die Herausforderung der Aufgabe, der Unterschied zwischen einem kleinen Hilfsschreiber, der stundenlang Zahlenkolonnen durchrechnet127 und einem erfahrenen Bauleiter.
Zweitens betreffen alle Aufgaben, von denen wir aus Übungs- und anderen Texten wissen, die Organisation des Bauvorgangs, nicht den Entwurf oder die Konstruktion. Die Leute, von deren Tätigkeit als Bauleiter wir aus den Schriftquellen wissen, waren also in erster Linie die Organisatoren des Bauvorgangs. Ihre Leistung war es, die anerkannt und belohnt wurde.
Unklar ist das Ausmaß ihrer Spezialisierung. Die mit der Organisation beauftragten Beamten übernahmen auch Aufgaben, die mit Bauen nichts zu tun hatten.128 Nur wenige Personen aus dieser Schicht entwickelten in gewisser Weise das Profil eines Bauspezialisten.129 Nechebu beispielsweise, ein Beamter aus der Zeit Pepis I.
Spezialisierung lässt sich gelegentlich auch für das Neue Reich beobachten. Während in der Ersten Zwischenzeit und im Mittleren Reich aufgrund der schwächeren Staatsgewalt die lokalen Eliten verstärkt eigene Bauaktivitäten entfalteten, setzte im Neuen Reich wieder eine straffere staatliche Organisation und damit auch eine höhere Spezialisierung ein. Listenartig werden in Autobiographien Neu- und Anbauten aufgezählt, meist im Reichsheiligtum des Amun von

Abb. 1.15: Landvermesser in einem Getreidefeld, Darstellung aus dem Grab des Menna,
„I inspected the great monuments which he (Thutmosis I.) made [—] great pylons on its either side of fine limestone […]; august flagstaves were erected at the double façade of the temple of new cedar of the best of the terraces (of Lebanon ); their tops were of electrum. […] I inspected the erection of the great doorway (named): ‚Amon-Mighty-in-Wealth‘; its huge door was of Asiatic copper […] . I inspected the erection of two obelisks, [—] built the august boat of 120 cubits in its length, 40 cubits in its width, in order to transport these obelisks. […].“133
Die Grenzen zwischen den Schichten waren nicht besonders durchlässig (siehe auch Abb. 1.15). Die Behauptung einiger Beamter des Neuen Reiches, sie kämen aus einfachen Verhältnissen, entspricht nicht unbedingt den Tatsachen. Sie zielte vermutlich auf das damals geltende Ideal, aufgrund seiner Fähigkeiten und nicht aufgrund der Herkunft für ein Amt ausgewählt zu werden.134 Das Ideal als solches ist aber bemerkenswert und könnte auf innovativere Anfänge des Neuen Reiches zurückgehen. In der Folge handelte es sich sicher um Angehörige der Elite. Mindestens zwei Bauleiter wurden sogar zu ‚Verklärten‘, also gleichsam Heiligen: Imhotep
Der Hauptverdienst an der Bauleistung lag in den Augen der Zeitgenossen also bei den Beamten.138 Hierzu ist noch eine Quelle interessant, deren Übersetzung leider nicht eindeutig ist.139 Im fünften Regierungsjahr
Die Aufgabe dieser Leute war jedenfalls die Verwaltung der Baustelle. Die Aufzeichnungen, welche die Schreiber der Arbeitstrupps im Tal der Könige täglich verfassten, enthalten keineswegs, wie man erwarten könnte, Angaben über den technischen Fortschritt oder die Art der ausgeführten Arbeiten. Černý bemerkt: „[…] unfortunately their authors and the higher authority to which they where passed on were interested rather in meagre statements, whether at any particular day work was done or not, and whether or not workmen were absent from work or not (with their identity) and for what reason.“142 Es handelt sich also um nichts anderes als Quellen der Personalverwaltung bzw. um einen Rechenschaftsbericht über den Baufortgang.

Abb. 1.16: Nekropole von
So sehr uns Heutige verwirren mag, dass Entwurf und Konstruktion offenbar nicht von diesen vornehmen Herren ausging,143 so ist doch der hohe Anteil der Organisation an den ägyptischen Monumentalbauten hervorzuheben. Die steinernen Pyramiden der 4. Dynastie (Abb. 1.16) sind dafür das beste Beispiel: Entwurf und Konstruktion dieser Bauten waren von genialer Schlichtheit, die eigentliche Herausforderung lag, mit Ausnahme von Vermessung und Konstruktion der Innenräume, in der Koordinierung von Material und Arbeitern. Allerdings gilt dies nicht in gleichem Maße für die später errichteten Tempel, sodass die Frage nach Entwurfs- und Technikwissen weiter verfolgt werden muss.
Die Handwerker
Spätestens ab dem Alten Reich waren Bauleute wie die gesamte altägyptische Gesellschaft generell hierarchisch stark durchorganisiert, aber offenbar auch spezialisiert, was sich in der Bezahlung, den Berufsbezeichnungen sowie in der Reihenfolge ihrer Nennung in Inschriften widerspiegelt.144 So ist von dem Fall einer Statuenherstellung der 5. Dynastie bekannt, dass daran fünf Gewerke beteiligt waren: 1. Vorzeichner (Hilf- und Umrisslinien), 2. Bildhauer, 3. Polierer, 4. Maler, ggf. 5. Graveur (Inschriften). Vorzeichner und Graveur waren offenbar die angesehensten Berufe, wohl auch weil diese Leute häufig schreiben konnten. Dies wirkte sich nicht notwendig auf die Bezahlung aus. Lediglich „Schreiber und die schreibkundigen Vorarbeiter erhielten pro Monat 7
Sack Getreide à ca. 77 Liter, die Handwerker, gleich welcher Art, 5
Sack, Lehrlinge nur 2 Sack.“145 Interessant ist der Vergleich mit der Lohnliste einer Steinbruchexpedition in das
, Transportarbeiter: 10–
.146

Abb. 1.17: Angabe des Nivellements und des Böschungswinkels in der Baugrube der Mastaba 17 in Meidum
Neben dieser horizontalen Ausdifferenzierung gibt es natürlich eine vertikale, hierarchische. Drenkhahn hat fünf hierarchische Stufen der Maurer nachgewiesen, vom einfachen Maurer (qd.w) bis zum königlichen Maurermeister (mDH.w-qd.w-nswt-m-pr.wj).147 Die Übersetzung des letztgenannten Titels mit ‚königlicher Architekt‘ ist aber ebenso wenig zielführend wie die Gleichsetzung des Beamtentitels ‚Vorstehers aller königlichen Arbeiten‘ mit der uns vertrauten Berufsbezeichnung.
Es gibt sowohl Hinweise auf saisonale Arbeiten, insbesondere in Zusammenhang mit der Nilschwemme, als auch Belege für andauernde Beschäftigung.148 In diesem Punkt muss jedoch sicherlich zwischen qualifizierten Handwerkern einerseits und unqualifizierten Kräften andererseits unterschieden werden. Der Anteil der letztgenannten Gruppe war in Ägypten vermutlich höher als in den meisten anderen vorneuzeitlichen Kulturen; anders ist die Bewältigung der monumentalen Bauprojekte nicht denkbar. Bei ihrem Einsatz waren sicherlich Erntezeiten etc. zu berücksichtigen.
Über die Ausbildung der Handwerker wissen wir sehr wenig. Sie waren wohl in der Mehrheit Analphabeten, unter den Meistern scheint es jedoch auch Schreibkundige gegeben zu haben.149 Dies belegen auch beschriftete Skizzen (Abb. 1.11)150 und Baumarkierungen in ausgeschriebenen Worten oder ganzen Sätzen (Abb. 1.17).151 Von den Arbeitern von
Einiges lässt sich aus der Ausbildung der Maler und Bildhauer schließen, wobei unklar ist, wie sie von den Steinmetzen der Tempelbaustellen abzugrenzen sind. Diese Leute erlernten ihr Handwerk von einem Lehrmeister, nicht selten der Vater oder andere Verwandte, vermutlich im Einzelunterricht.157 Dabei muss betont werden, dass kreative Neuschöpfungen keinen hohen Stellenwert besaßen. Innovation
Handwerker besaßen potenziell eine Sonderstellung in der ägyptischen Gesellschaft, indem sie zwar den Beamten nicht gleichgestellt waren, aber immerhin einen höheren Status als einfache Arbeiter genossen161 – wenngleich dies nicht für alle Epochen und gewiss nicht für alle Personen galt. Eine seltene Wertschätzung erfuhren Handwerker in einer Inschrift
„… Da fand seine Majestät einen einzelnen großen Quarzitblock. Nicht fand man seinesgleichen seit der Zeit des Re. Er war größer als ein Obelisk aus rotem Granit. Seine Majestät war es selbst, die ihn hervorbrachte, als er glitzerte wie sein Horizont. Da ordnete seine Majestät selbst ihn an in ausgewählter Arbeit der erfahrenen Steinmetze in Jahr 8, III. Schemu, Tag 21. Er wurde vollendet in Jahr 9, III. Schemu, Tag 28, das macht 1 Jahr. […]“163
Weiter unten heißt es:
„Als ich (d. König) nachElephantine zog, da erblickte ich einen perfekten Fels (= in den Granitsteinbrüchen von Assuan). und ich übergab euch seine Bearbeitung. Ich war sofort entschlossen, euch die Arbeit aufzutragen. […]“164
Der eigentliche Anlass dieser Schilderung ist die Festsetzung der Löhne der Steinbrucharbeiter; die Stele wurde an einer Stelle aufgefunden, in deren Nähe ihre Unterkünfte vermutet werden.165
„Oh ihr erlesenen Arbeiter und Handwerker, die (ihre) Hand kennen, welche mir Denkmäler meißeln […], Arbeiten aus köstlichem Stein, treffliche Dinge; diejenigen, welche in den Granit eindringen und die in Quarzit bohren(?). Die Starken mit herausfahrendem Arm beim Bearbeiten der Denkmäler, deren Lebenszeit ich, indem ich alle Tempel fülle, verbringen lasse. Die guten Kämpfer, die nicht ermatten; die alltäglich über die Arbeit wachen, um ihre Pflicht zu tun, zuverlässig und tüchtig für das, was man sagt […] Höret, was wir euch sagen! […] Eure Einkünfte sollen eurer Rechtschaffenheit entsprechen. […] Ich bringe eure Einkünfte in jeglichen guten Zustand, damit ihr arbeitet in liebendem Herzen. […] Ich kenne eure schwierigen und korrekten Arbeiten. Man jubelt (bei) der Arbeit daran, wenn der Leib voll ist. […]“166
Bei den hier Angesprochenen scheint es sich um Spezialisten gehandelt zu haben. Es wäre jedoch verfehlt, die in dieser Quelle zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung auf alle Epochen und Handwerksberufe zu verallgemeinern. Die körperliche Arbeit, die mit handwerklicher Tätigkeit verbunden war, trug zu einem im Vergleich zum Beamtentum geringeren Ansehen dieser Arbeit bei. Aus der Lehre des Cheti aus dem Mittleren Reich können wir entnehmen:
„Wenn du schreiben kannst, so wird das besser für dich sein als alle die [handwerklichen] Berufe, die ich dir vorgestellt habe.“ […] „Werde Beamter, dann bist du von Abgaben befreit. (Dieser Beruf) schützt dich vor körperlicher Arbeit, er hält dich fern von Hacke und Joch, und du brauchst keinen Korb zu tragen. Es befreit dich davon, das Ruder zu führen, er dispensiert dich von schwerer Arbeit so dass du nicht vielen Herren unterstellt wirst und zahlreichen Aufsehern. Von allen, die ihr Gewerbe ausüben, gilt, dass der Schreiber ihr Vorgesetzter ist.“167
Angesichts dieser Geringschätzung handwerklicher Tätigkeiten ist nicht zu erwarten, jeglichen Anteil von Handwerkern am Planungs- und Entwurfsprozess in eben solchen Quellen erwähnt zu finden, die von Leuten verfasst wurden, die sich laut der Lehre des Cheti glücklich schätzen durften, keine körperliche Arbeit ausführen zu müssen.
Nachdem die bekannten Fakten über die Ausbildung und den Status der am Bau beteiligten Fachkräfte zumindest überblicksartig zusammengetragen sind, ist eine Frage immer noch nicht beantwortet. Wer war für den Entwurf und die Konstruktion verantwortlich? Steinmann schreibt dazu: „Übrigens ist für das Alte Ägypten
Von einer handwerklichen Berufsgruppe wird vermutet, dass sie für die Verfertigung der Baupläne zuständig war: Der Vorzeichner, der sSA.w-od.wt (wörtlich „Umriss-Schreiber“), fertigte vielleicht nicht nur die Vorlagen und Gitternetzlinien für Reliefs, Statuen etc. an, sondern möglicherweise auch die wie auch immer gearteten Baupläne.170 Ob er der geistige Urheber der Pläne war, ist damit keineswegs geklärt.171
Vermutlich geben die ägyptischen Quellen keine sachdienliche Auskunft zur Urheberschaft von Entwürfen, weil die Vorlagen nach ägyptischem Ideal aus grauer Vorzeit stammten; sie wurden als „von den Göttern geoffenbart angesehen und waren heilig“.172 Die sogenannte Bauurkunde von
„Production requires collaboration between those involved in the development of the idea or concept (‚designers‘), with those involved in the execution of that idea in material form (‚manufacturers‘)“.176 Für die Architektur ist diese scheinbar klare Trennung deshalb so problematisch, weil die Konzeptionierung eines Gebäudes technisches Wissen erfordert. Unter ‚Konzeptionierung‘ wird hier das Zusammenspiel von architektonischem Entwurf, Nutzungsidee und inhaltlicher Bedeutung verstanden. Hierfür müssen die Eliten wesentlich verantwortlich gewesen sein, insbesondere wenn das Konzept innovativ war, also nicht nur Vorbilder kopierte, und/oder religiöse Vorstellungen mit ihm verknüpft waren. Bauherren und Bauverwalter konnten diese Ideen aber nicht im Alleingang in Entwürfe umsetzen, da ihnen offensichtlich das technische Know-how abging. Sie waren also auf engste Zusammenarbeit mit den Handwerkern angewiesen. Inwieweit jene die politischen, theologischen oder sozialen Implikationen durchschauten, die hinter den von ihnen umgesetzten Entwürfen steckten, muss offen bleiben. Reine Befehlsempfänger waren sie aber sicherlich nicht.
Planung und Wissen um Umweltbedingungen
Diese naturräumlichen Gegebenheiten beeinflussten auch die Fundamentierung. Die monumentalen Bauprojekte des Alten und Mittleren Reiches konzentrierten sich auf die Grabarchitektur, die schon aus religiösen Gründen in der Wüste errichtet wurde, vorzugsweise in der westlichen.179 Dort gründete man die Bauten so weit wie möglich unmittelbar auf den anstehenden Fels,180 doch ist in Hanglagen schon seit der 4. Dynastie (
Mit der Verlagerung der Bauaktivität auf die Göttertempel nahm die Bedeutung der Fundamente zu, da diese überwiegend im Tal errichtet wurden. Eine sprunghafte Entwicklung zeichnet sich jedoch zunächst nicht ab. Häufig gründen die Fundamente auf einer bis zu 0,5 m starken Sandschicht, der sowohl technische (Schutz gegen Feuchtigkeit, Erdbeben) als auch religiöse (Reinheit, Urhügelmotiv) Funktionen zugeschrieben werden. Als generelle Tendenz lässt sich zudem erkennen, dass die einzelnen Bauglieder (Wände, Stützen etc.) auf getrennt errichteten Steinlagen gründeten, zwischen denen man mit weniger sorgfältig zugerichtetem Mauerwerk auffüllte.183 Säulen wurden erstaunlicherweise teils auf Schlammziegelfundamenten errichtet.184 Diese Bauten erwiesen sich aus heutiger Sicht, insbesondere aufgrund veränderter Grundwasserstände, als weniger stabil. Diese Beobachtung lässt sich aber nicht eins zu eins auf ältere Epochen übertragen, da zahlreiche Bauten mit mutigen Fundamentkonstruktionen Jahrtausende überdauert haben. Dennoch ist man geneigt, ein sich entwickelndes Erfahrungswissen anzunehmen, da man ab der 26. Dynastie generell größere Sorgfalt auf Fundamente von Tempeln verwandte,185 wobei die Tiefe der Fundamente offenbar der Gebäudehöhe angepasst wurde.186 Ab dieser Zeit hob man tiefe Fundamentgräben aus, verkleidete sie mit Ziegeln und füllte sie mit einem Sandbett, auf dem dann der Fundamentsockel errichtet wurde. Erdbeben können ebenfalls verantwortlich für die technischen Verbesserungen sein, lassen sich aber nicht datieren.
Schlammziegelbauten gründeten im
Insgesamt lässt sich beobachten, dass der für Fundamente betriebene Aufwand im Laufe der Jahrhunderte zunahm, mit einem deutlichen Entwicklungsschub in der 26. Dynastie. Die relative Kontinuität der altägyptischen Kultur bot die Gelegenheit, Bauschäden an vor vielen Generationen errichteten Bauten zu beobachten und zukünftig zu vermeiden; das Bauwerk war hier Wissensquelle
Die Kenntnis von Erdbeben hat sich bereits in Texten des Alten Reiches niedergeschlagen.192 Diese galten als Zeichen göttlicher Präsenz und göttlichen Eingreifens.193 Fundamentierungen auf Sand und insbesondere die Schwalbenschwanzklammern waren wirksamer Schutz vor Erdbeben.194 Erdbebenschäden sind an einigen Gebäuden beobachtet oder vermutet worden, eine umfassende Untersuchung fehlt jedoch.195 Außer der Verbindungstechnik sind Reparaturen offensichtlicher Erdbebenschäden interessant, allerdings sind diese meistens nicht datierbar,196 sodass die Wissensentwicklung nicht im Detail verfolgt werden kann. Für die Verbindungstechnik kann jedenfalls wie für die Fundamente ein zunehmender Aufwand im Laufe der Jahrhunderte beobachtet werden, der sicherlich auf Erfahrungswissen zurückging.
Der Umgang mit klimatischen Belastungen bedeutet in Ägypten in erster Linie Schutz vor Hitze und direktem Sonnenlicht.197 Die diesbezügliche Überlegenheit der traditionellen Baustoffe Nilschlamm und Stein vor modernen Materialien ist insbesondere in unserer durch Wandel geprägten Zeit spürbar – hier geht Wissen verloren. Im Gegensatz zum heutigen Ägypten, wo man repräsentative Balkone favorisiert (ohne sie repräsentativ zu nutzen), bemühte man sich in der Antike, Gebäude nach innen zu orientieren und den direkten Lichteinfall soweit wie möglich zu reduzieren. Fenster verringerte man auf ein absolutes Minimum, verschloss sie mit Gittern aus Holz oder Stein und brachte sie möglichst hoch an, um die Luftzirkulation zu optimieren. Allerdings schwankten die Temperaturen im Laufe des Jahres erheblich – im Winter fallen die Temperaturen heutzutage nachts bis auf 0° C. Diesem Umstand begegnete man in der Wohnkultur weniger mit ausdifferenzierten Grundrissen als mit einer flexiblen Nutzung der einzelnen Räume, dadurch dass „die Baulichkeit über das gesamte Jahr dem Bewohner ein Angebot an Räumen macht, welches im Wechsel der Jahreszeiten gewisse Nutzungszonen nahelegt“.198 Das Ausmaß einer solch flexiblen Nutzung lässt sich heute teils nur erahnen, da meist nur noch die Erdgeschossgrundrisse der oft mehrstöckigen Wohnhäuser rekonstruierbar sind. Denkbar ist etwa eine Nutzung der Erdgeschosse im Sommer und der Obergeschosse im Winter.
Gebäudeentwässerung war durchaus von Bedeutung, da es trotz des Wüstenklimas bereits vor der Errichtung des
Ein Mangel an Umweltwissen lässt sich hinsichtlich der Holzbestände des Landes erkennen. Durch Überrodung wurden die Harthölzer knapp.207 Dies könnte teilweise mit der intensiven Metallverhüttung zusammenhängen.
Wissen um Umweltbedingungen beruhte wohl auf Erfahrungswissen. Denkbar ist allerdings eine Übertragung von Kenntnissen etwa aus der Landwirtschaft (Schlammdämme zur Kontrolle von Bewässerung) auf andere Wissensbereiche (Verhalten von Schlamm bei Regen).
Die ägyptische Architektur war stark von Tradition geprägt, was sich sowohl auf die Gebäudetypen als ganzes als auch auf einzelne Formen bezog. Neuerungen in der Sakralarchitektur waren im Verhältnis zur Länge des fraglichen Zeitraums selten und häufig religiös motiviert. Neue Typen (Pyramiden, Pylone) wurden im Laufe weniger Generationen entwickelt und dann sehr lange beibehalten. Von dieser generellen Tendenz gab es natürlich Ausnahmen.

Abb. 1.18: Tempel von
Ägypten ist es wie wenigen Kulturen gelungen, einen eindeutig wieder zu erkennenden Stil herauszubilden. Unklar ist, ab welcher Epoche dies ein bewusster Akt war – zumindest in der Frühzeit war man fremden Einflüssen gegenüber sicher offener. Später konnten diese Übernahmen aus anderen Kulturkreisen als Teil der eigenen Vergangenheit empfunden werden.208 Noch später ist es dann diese Vergangenheit, auf die man sich besinnt, um die eigene Identität zu definieren. Im Bereich der bildenden Kunst sind zahlreiche Beispiele von Rückgriffen und – insbesondere bei Statuen – Wiederverwendungen bekannt.209
Die „steinerne Nachbildung“ von Bauten aus vergänglichen Materialien ist kein Alleinstellungsmerkmal pharaonischer Sakralarchitektur, prägte sie aber vielfach. Das klarste Beispiel ist der Grabbezirk des Djoser in
Sakralarchitektur ist vermutlich in allen Kulturen von rituellen Erfordernissen und religiösen Vorstellungen beeinflusst. So weisen beispielsweise die Gräber im Tal der Könige bis gegen Ende der 18. Dynastie einen etwa rechtwinkligen Knick in ihrer Achse auf, wohingegen ab der vom Sonnenkult geprägten Amarnazeit eine gerade Achse die Regel ist. Da die Grabarchitektur die Aspekte der Unterwelt abbilden soll, entwickelt sie sich mit den Unterweltsvorstellungen.211 Die Arbeitsbedingungen waren in Gräbern mit gerade verlaufender Achse dank mehr Licht und Luft zweifellos besser, man kann jedoch ausschließen, dass derartige Überlegungen in diesem Falle eine Rolle gespielt haben. Dennoch ist Hornungs Aussage, die Ägypter hätten „architektonische Änderungen niemals nur wegen ihrer Zweckmäßigkeit oder während eines rein technischen Vorteils vorgenommen“,212 bestenfalls auf die Sakralarchitektur zu beschränken. So gehen die Krypten spätägyptischer Tempel m. E. in ihrem Ursprung auf die praktischen Vorteile einer mehrere Meter starken Mauer mit begehbaren Hohlräumen gegenüber einer ebenso starken massiven Mauer zurück. Derartig starke Mauern waren Teil des Entwurfskonzeptes, das keinen Bezug zwischen Innen und Außen zuließ. Nachdem man begonnen hatte, diese Mauern systematisch mit Gängen zu durchziehen, die über mehrere Geschosse liefen und das Mauerwerk weitgehend aushöhlten, führte man manche dieser Krypten einer kultischen bzw. praktischen Nutzung zu.213 Ihr Ursprung liegt aber in der Bautechnik.
Viel ist über die Orientierung ägyptischer Sakralarchitektur nachgedacht worden und sie hat in der damaligen Architekturvorstellung zweifellos eine große Rolle gespielt.214 Ihre praktische Umsetzung war nicht immer wie gewünscht möglich, weil die Topographie es u. U. gar nicht zuließ – etwa bei Felsgräbern: „… the entrance of a royal tomb was always supposed to be in the south and its end in the north, irrespective of the actual situation of the tomb“.215 Man löste das Problem durch entsprechende Inschriften – wo Süden draufstand, war Süden, auch wenn in dieser Richtung die Sonne unterging.
Andererseits war es oft gerade die Kulttopographie, die eine Orientierung inspirierte. Die altägyptische Wahrnehmung von Landschaft ist unterforscht. Zwar gab es keinen generellen Begriff für Landschaft und Landschaftsdarstellungen waren kein Stimmungsmotiv,216 andererseits hat man die Regelmäßigkeit der Landschaft, den strengen Gegensatz zwischen Wüste und Fruchtland, die Gleichmäßigkeit von Nilüberschwemmung und Windrichtung etc., für das in dieser Kultur ‚ausgeprägte Ordnungsdenken‘ verantwortlich gemacht.217 Für die Architektur liegt es jedenfalls nahe, dass spektakulär aufragende bzw. hoch gelegene Bauten sehr bewusst platziert wurden oder aus anderen Gründen an einer bestimmten Stelle errichtet wurden. Vor allem Jenseitsarchitektur wie Gräber und Totentempel etwa auf dem Plateau von
Nicht zuletzt waren Gärten, Seen, Baumpflanzungen etc. ein offensichtlicher Teil ägyptischer Architektur,222 sowohl im Wohnbau223 als auch im Tempel- und Grabbau.224 Der hohe Organisationsgrad und ein starker Hang zu Geometrie beweisen, dass diese Anlagen Teil der architektonischen Planung waren.225
Sakral- und Profanarchitektur haben sich vielfach gegenseitig beeinflusst. Da der Tempel als Haus des Gottes angesehen wurde und dieser Gott gewissermaßen leibliche Bedürfnisse hatte, wiesen die Tempel Charakteristika des Wohnungsbaus auf. Im Gegenzug wird eine Beeinflussung der Tempelarchitektur durch Entwicklungen im Palastbau vermutet.226 Die Grabarchitektur sucht sich ihre Vorbilder eher in der Sakral- als in der Profanarchitektur.227
Monumentalität ist ein augenfälliges Merkmal der ägyptischen Sakralarchitektur. Die dahinter stehenden Gründe waren vielfältig und die Ausprägung nicht kontinuierlich. Sowohl die Vorstellung des Göttlichen als etwas Monumentales, als auch die Funktion der Bauten als Denkmäler des eigenen ‚kulturellen Gedächtnisses‘ sind genannt worden.228 Die Entscheidung, ob man möglichst groß oder möglichst qualitativ bauen wollte, wurde von den Herrschern offenbar individuell getroffen.229 Thutmosis IV.
Planungsniveau und Planungstiefe

Abb. 1.19: Nekropole von
Zahlreich sind die Versuche, generelle Entwurfs- und Proportionsprinzipien der ägyptischen Architektur zu ermitteln, etwa den goldenen Schnitt oder gleichschenklige Dreiecke. Corinna Rossi hat den Großteil dieser Versuche in einer 2004 erschienenen, umfassenden Arbeit ad absurdum geführt.233 Sie basieren meist auf völlig unzureichendem Planmaterial sowie auf mathematischen Vorgehensweisen, die den Ägyptern nicht vertraut waren.234 Dennoch ist unzweifelhaft, dass altägyptischen Entwürfen Überlegungen zu Proportionen zugrunde gelegen haben, wenngleich es sich nicht um einige wenige, immer wiederkehrende Regeln, sondern um teils einfache, häufiger noch um komplexe Länge-Breite-Verhältnisse gehandelt zu haben scheint. Komplexität kann angesichts eines Maßsystems aus einer Elle à sieben Handbreit bzw. 28 Fingern kaum überraschen.235 Hier besteht, insbesondere mangels detailgenauer Bauaufmaße vollständig erhaltener Architektur, noch Forschungsbedarf.236 Es lassen sich aber bereits aus dem Ordnungsgrad der Bauten und Ensembles einige Schlüsse ziehen.
Einen erheblichen Schub hat die Fähigkeit zur Raumplanung vermutlich durch die riesigen Königsgrabbezirke des Alten Reiches erhalten. Bereits der 277 x 544 m messende Grabkomplex des Djoser (1. H. 27. Jh. v. Chr.) setzt diesbezüglich weitgehende Kenntnisse voraus, die vermutlich bei der jährlichen Landvermessung (Abb. 1.15) nach der Nilschwemme erworben wurden.237 Dass diese Planungen das Einzelobjekt übersteigen konnte, zeigen die neben den Königsgräbern angelegten Privatfriedhöfe des frühen Alten Reiches, etwa in
Großmaßstäblich geplant wurden Gründungssiedlungen, also Arbeiterdörfer (
Eine ausdifferenzierte Planung für Einzelbauten – zu den Methoden im Einzelnen siehe weiter unten – lässt sich aufgrund der Quellenlage nur bei Sakralbauten nachweisen, wurde aber sicherlich auch für profane Großbauprojekte betrieben. Die großräumliche Gesamtplanung scheint sich hauptsächlich in der Grundrissebene abgespielt zu haben, wobei einzelne Elemente wie Türen in die Grundrisse geklappt wurden (Abb. 1.4, vgl. 1.14). Die getrennte Darstellung von Aufriss
Hervorzuheben ist, dass es in der Planungstechnik
All dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir wenig Hinweise auf vollständige, zeichnerische Gebäudeplanung im modernen Sinne haben. Trotz des obligatorischen Verweises auf die Quellenlage darf man in Frage stellen, ob es sie immer gegeben hat. Die starke Kanonisierung des Bauens und die geometrisch stark vereinfachten Gebäudeformen machten es möglich, ein Gebäude sehr weitgehend auf Basis von Worten und Zahlen entstehen zu lassen. Ein Hinweis auf textliche Planungsunterlagen liefern beispielsweise die Bauinschriften einiger Tempel, eine im Neuen Reich entstandene Textgattung250: So verkündet die Bauinschrift des Horus-Tempels von
„Dies ist der große Sitz des Re-Harachte […]: Seine Länge beträgt 105 und seine Breite 63 Ellen. Oh wie herrlich ist seine Höhe, ganz und gar ausgezeichnet mit 22Ellen. Mesenet (Raum I) liegt auf seiner Mittel(achse) als erste Kapelle […]. Seine Länge beträgt 8
Ellen, seine Breite
Ellen. Seine Wände sind dekoriert mit der (Götter)neunheit von Mesenet […]. Schetit liegt rechts (westlich) davon, versehen mit den Schutzgöttern, mit den Maßen 7
+
auf 6
(Ellen) [etc.].“251
Von der Umfassungsmauer heißt es im Text Edfou VII 11,7-8:
„Ihre Länge beträgt 240 Ellen, ihre Breite 90 Ellen, ihre gesamte Höhe 20 Ellen und die Dicke ihres Fundaments 5 Ellen.“
Diese Inschrift verdeutlicht wiederum die intendierte Funktion des Tempels als die Zeiten überdauernde Wissensquelle

Abb. 1.20: Festung von Uronarti, Mittleres bis Neues Reich. Zustand nach Ausgrabung von Dunham
Planungs- und Entwurfstechniken
1Sorgfältig detaillierte Schaupläne, meist auf Papyrus, mit erklärenden Beischriften und/oder Maßen, weisen graphische Elemente (z. B. Wasserlinien) auf, nicht in sich maßhaltig255 (Abb. 1.5).
2Ausführungspläne, selten auf Papyrus, häufiger in Stein geritzt (Abb. 1.7), detailliert und immer Details oder kleinere Bauteile betreffend, in Grundriss und Ansicht unterteilt, in sich maßhaltig, spätestens ab 110 v. Chr. auch maßstäblich verkleinert.256
3Skizzen, auf Ostraka oder Wänden, meist grob in Tinte ausgeführt, oft mit Maßen, nicht in sich maßhaltig (Abb. 1.4, 1.11).257
4Die Architekturmodelle, die mit im weitesten Sinne mit Bauplanung und -ausführung in Zusammenhang gebracht werden können, lassen sich funktional entweder zu den Plänen der Gruppe 1 (Demonstration) oder 2 (Aufführungshilfen) zuordnen. Letztgenannte betreffen wiederum fast ausschließlich Details (Abb. 1.8).258 Manche von ihnen wurden, wohl meist sekundär, als Votivgaben verwendet. Andere scheinen aus dem Ausbildungsbereich zu stammen.259
Zur Planung
Architekturmodelle262 sind ebenfalls in der Bauplanung
Weitaus häufiger waren Detailmodelle von Türlaibungen und Wasserspeiern und insbesondere von Säulen (Abb. 14), die in hoher Zahl erhalten sind, allein das Ägyptische Museum in Berlin und das Ägyptische Museum
1.2.3 Logistik
Transport

Abb. 1.21: Steintransport in
Es wurde jedoch auch über Land transportiert, Straßentrassen
Zusammenfassend ist zu betonen, dass der Transport schwerer Lasten bereits in frühdynastischer Zeit über weite Strecken erfolgte, wie anhand der landesweiten Verwendung des nur im Süden bei

Abb. 1.22: Diese Rekonstruktionszeichnung stellt den
Ein anschauliches Schriftstück aus der Transportlogistik ist uns aus dem Neuen Reich erhalten. Der Schreiber Hori
„The royal scribe, steward and major ofThebes, Huinefer, speaks to the scribe of the district of Thebes, Hori. This letter is brought to you to the following effect: Apply yourself to making them work in the temple of Ramses ‚Beloved of Amun‘. Slack not, be not remiss! Look, a great number of men are there with you, apart from three companies of soldiers, with 600 men in them, 200 (to) each. You shall cause to be dragged these three large stones which are placed at the entrance of the house of Mut, not letting one single day slip by with their corn-ration and their ointment. Look, I spoke with the scribes of the Treasury as well as with the scribes of the granary … Inquire about their work you also, namely (that of ) dragging stone … you having yourself relinquished the road to the soldiers. Let it not come to pass that some idle whilst the others work, their standard bearers having seized the others for the sake of performing their (own) commissions. And when they are finished with the task you shall dispatch the barge to convey stones by water, after you have placed their superiors over them, giving no order to a sock solder to erect the stone. Likewise the people – mind they do not desert the boat on the way so that it becomes like that which has not yet departed. When it reaches you on the day of mooring, let not one single man be idle on the task of emptying it. Look, a great number of men are in it, apart from many captives. … Take note of this!“274
Baustellenlogistik
Ägyptische Baustellen wird man sich stark hierarchisch durchorganisiert vorzustellen haben.276 Als Gewerke nachweisbar277 sind Schreiber, Schmiede, Seiler und Korbmacher, Steinbrecher, Festmacher, Zugkräfte und Schiffer, ferner Ziegler, Schlamm-Anmischer, Mörtelmischer und Gipsmacher, Steinmetzen, Bildhauer, Verputzer und Maler. Sowohl die bauspezifischen Quellen als auch jene, die die übrige Landesverwaltung widerspiegeln, zeigen uns ein Ausmaß an Kontrolle von Mensch und Material, das kaum Raum für individuelles Handeln zu lassen scheint. Die Arbeiterschaft war in feste Gruppen unterteilt, deren Mitglieder in Listen vermerkt und deren Erscheinen täglich kontrolliert wurde.278 Wechselte bspw. während des Transports eines Steinblocks die Schiffsmannschaft, so wurde dies auf dem Block vermerkt.279 Gleichzeitig führten die Schreiber akribisch Buch über sämtliche Materialmengen.
1.2.4 Material
Das verwendete Material ist das Architekturkriterium, das die Ägypter in Selbstzeugnissen am deutlichsten hervorgehoben haben, und das weit mehr als die Dimension, geschweige denn die Struktur eines Gebäudes. Selbst in sehr kurzen Bauinschriften wurde das Baumaterial fast immer genannt.280 Es bestimmte den Wert eines Bauwerks wesentlich mit, wobei Stein wertvoller als Ziegel war. Dies wird insbesondere deutlich, wenn ein Vorgängerbau ersetzt wird: „…das Errichten … eines Tempel aus nubischem Sandstein – aus Ziegeln (gebaut) und sehr verfallen fand meine Majestät (ihn) vor.“281 Die Stiftung eines Tempels wurde durch den Wert des Materials gesteigert, wobei die die Zeiten überdauernde Beständigkeit der Materialien für das Andenken des Stifters von besonderer Bedeutung war: „Seine Majestät war es, der diesen Tempel, den [sein Vater …gemacht hat] – gebaut aus Stein von ewiger Arbeit, mit Mauern darum aus Ziegeln, Türflügeln aus Zedernholz, überzogen mit Kupfer und Türen aus festem roten Granit – vollendete, aus dem Wunsch heraus, dass der große Name seines Vaters … bis zur Ewigkeit dauere“.282
Holz
Die ursprünglich aus Mesopotamien
Die Zeder gilt gewissermaßen als das ägyptische Importbauholz schlechthin, die Tanne spielte jedoch eine mindestens genauso große Rolle. Die Ägypter selbst unterschieden die beiden Nadelhölzer terminologisch: aS = Tanne, mrw = Zeder.285 Tannenholz ist aufgrund seines geraden Wuchses für manche Zwecke besser geeignet. Libanonzedern286 haben 1–2,5 m dicke Stämme und werden 30–40 m hoch, allerdings gabeln sich die Stämme ab etwa
der Höhe, was die Nutzung teilweise einschränkt.287 Das rötlich-braune Holz zeichnet sich durch seine hohe Widerstandsfähigkeit aus.288 Der wohl berühmteste altägyptische Gegenstand aus Zedernholz ist das Boot des Königs
Reiner Holzbau konzentrierte sich nach bisherigem Kenntnisstand im alten Ägypten
Vieles spricht dafür, den Holzskelettbau mit Mattenbehang und Schlammbewurf als die ursprünglichste Bautechnik im
Nach der Verbreitung von Ziegel- und Steinquadermauerwerk wurde Holz entweder zur Eindeckung oder für Stützen eingesetzt, letzteres fast ausschließlich im Ziegel- und Holz-Matten-Bau. In den Königsgräbern der 1. Dynastie wurden die Kammern aufwändig ausgezimmert, um die Bestattung zu schützen.294 Zur Mauerwerksverstärkung wurden vielfach Holzstämme in der Läufer- sowie in der Binderebene und zur Eckverstärkung eingesetzt, insbesondere in Wohnhäusern in ptolemäischer bis spätantiker Zeit,295 bereits davor bei sehr starken Mauern (bspw. Umfassungsmauer, Festungen296) in Läufer- und Binderebene.297 Möglicherweise haben diese Stämme auch als Gerüstauflager gedient.298
Innerhalb der steinernen Tempel muss man sich zudem eine Reihe teils leichter, teils auch größerer Holzarchitekturen – etwa Baldachine oder Pavillons – vorstellen, die wir jedoch nur aus Beschreibungen kennen.299 In der Spätzeit (ab 1. H. 7. Jh.) wurden diese Bauten teilweise in Stein umgesetzt und dann mit Holz überdacht.300 Spannweiten der Dächer von bis zu 13,30 m,301 über deren Konstruktion wir leider nichts Näheres wissen, deuten auf beträchtliche Erfahrungen und Fähigkeiten hin, die vielleicht eher aus dem Schiffsbau als dem einheimischen Holzhausbau stammen, aber auch auf Einflüsse von außen zurückgehen können.
Einen hohen Aufwand verursachten auch die Flaggenmasten, die vor den Tempelpylonen aufgestellt wurden. Da sie den jeweiligen Pylon (Höhe teils über 30 m) überragen sollten, wird diskutiert, ob man manche Masten aus mehreren Stämmen zusammengesetzt hat,302 wobei das Aufrichten das größte Problem gewesen sein dürfte. Kaum weniger komplex wird die Befestigung der Masten an den Gebäuden gewesen sein.303
Daneben war Holz insbesondere im Ziegelbau für Sturze, Gewände, Schwellen, Türblätter, 304 Fenstergitter etc. unverzichtbar, gelegentlich wurde es für Treppenbeläge verwendet.
Der im Neolithikum noch beträchtliche Baumbestand an Akazien, Tamarisken und Sykomoren wurde in der Folgezeit durch den Menschen weitgehend dezimiert.305 Als der Beamte Uni in der 6. Dynastie mit dem Bau von drei Transportschiffen in Oberägypten
Holzimporte aus dem östlichen Mittelmeerraum
Gerade durch den Zwang zur Sparsamkeit wurde Holz sehr gezielt eingesetzt. Die lässt auf eine weitgehende Kenntnis der positiven Materialeigenschaften von Holz schließen, da man sonst ganz darauf verzichtet hätte. Beispiele sind das Einsetzen hölzerner Lagerstücke und Riegellochrahmen in die steinernen Gewände von Türen. Die Verwendung von afrikanischem Eisenholz (Dalbergia melanoxylon)315 für Mauerwerksklammern oder die Fertigung von Holzdübeln aus Eiche (Quercus cerris L.)316 untermauern die naheliegende Vermutung, dass auch die Eigenschaften der verschiedenen Holzarten durchaus bekannt waren und bewusst genutzt wurden. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass man für die gleichen Zwecke auch andere, weniger geeignete Holzarten verwendete.
Spezielle Holzwerkzeuge aus Kupfer sind in Ägypten bereits in frühdynastischer Zeit belegt.317 Da das Zersägen großer Holzstämme mit einer zweihändigen Säge nicht vor der Römerzeit bekannt gewesen zu sein scheint, mussten die Hölzer gespalten werden, was, wollte man gerade Balken erhalten, die Auswahl gerade gewachsener Bäume erforderlich machte.318 Die Fähigkeit, kürzere Bretter zu sägen, kann schon in der frühdynastischen Zeit vorausgesetzt werden und scheint im Laufe des Alten Reiches durch Werkzeugtechnologie gesteigert worden zu sein.319
Naturstein
Die besondere Wertschätzung und Bedeutung von Stein als Baumaterial im Alten Ägypten
Die für das Bauwesen wichtigsten Gesteine328 sind Sandstein und Kalkstein, gefolgt von Rosengranit für stärker belastete Bauteile. Die Verwendung der übrigen Gesteine im Bauwesen war wesentlich durch ihre unterschiedlichen Färbungen motiviert, denen teilweise auch ein symbolischer Gehalt innewohnte. Manche Hartgesteine, die in pharaonischer Zeit nur zu kleineren Objekten verarbeitet wurden, baute man erst in römischer Zeit in größerem Maßstab ab, um sie auch zum Bauen zu nutzen.329
Kalkstein ist relativ leicht zu bearbeiten, jedoch weniger widerstandsfähig als Sandstein. Er steht im

Abb. 1.23: Unvollendeter Obelisk im Granitsteinbruch von
Kalkstein ist als erste Gesteinsart zum massenhaften Bauen mit Werkstein verwendet worden (Djoser, 3. Dynastie, 1. H. 27. Jh. v. Chr.) und dominiert bis in das Mittlere Reich. Die Bedeutung von Kalkstein lässt zu Beginn des Neuen Reiches nach, als in der Region südlich von
Sandsteinvorkommen erstrecken sich entlang des
Die früheste Verwendung von Sandstein als Baumaterial ist aus einem frühdynastischen Grab in
Granit und Granodiorit („schw. Granit“) sind magmatische Gesteine. Beide kommen in der Ostwüste sowie im
Granit und Granodiorit wurden bereits in der 1. Dynastie (Grab des Königs Den
Bei Hartgesteinen wie Granit ist die Frage nach den Werkzeugen besonders virulent. Generell wurde mit Kupfer- bzw. Bronze-, erst ab der Spätzeit (26. Dynastie, um 600 v. Chr.) auch mit Eisenwerkzeugen gearbeitet.348 Ob letztere die Werkzeuge aus Kupferlegierungen gänzlich ablösten, ist jedoch offen. Für den Abbau von Hartgesteinen war man auf Steinwerkzeuge angewiesen. Hier zeigt sich wiederum der Einsatz unzähliger Hilfsarbeiter, denn diese Arbeit war enorm zeitaufwändig. An einem im Steinbruch von

Abb. 1.24: Links: Unfertiges Lilienkapitell in
Kunststein (Ziegel)
Schlamm wurde zunächst als Bewurf von Flechtwerk verwendet, eine Technik, die der Verwendung von Ziegeln vorausgeht und sie bis in die Moderne begleitet.350 Die bisher bekannten frühzeitlichen Verwendungen von Ziegeln in Ägypten lassen sich an den Beginn der Naqada II-Zeit datieren (Mitte 4. Jt.), möglicherweise auch etwas früher, wobei der scheinbare Vorsprung Oberägyptens

Abb. 1.25: Ziegelbrennerei im Gouvernorat Minia
Die Erfahrung, wie sich Nilschlamm unter Feuereinwirkung verhält, konnte bei vielen Gelegenheiten gewonnen werden (Öfen, Feuersbrünste etc.): „The widespread preference for unfired soil architecture was thus through choice rather than ignorance“.353 Dies bestätigt auch die ausnahmsweise Verwendung gebrannter Ziegel (vgl. Abb. 1.25) etwa für Fundamente auf feuchtem Untergrund (
Neben der einfachen Herstellung und den bauklimatischen Vorzügen, die Schlammziegel auszeichnen, mag ihnen eine symbolische Bedeutung angehaftet haben: Schlamm entstammt der Lebensader Nil und die daraus hergestellten Ziegel können jederzeit in fruchtbaren Boden zurückverwandelt werden.357 Miniaturziegel waren auch Teil der Gründungsbeigaben, die unter den Fundamenten eines Gebäudes deponiert wurden.358
Allem Anschein nach unterschied sich die Ziegelherstellung im antiken Ägypten
Prinzipiell ist zu sagen, dass der Schlammziegel nicht nur aufgrund seiner Eigenschaften, sondern häufig aus ökonomischen Gründen dem Stein vorgezogen wurde. Dies ist insbesondere bei materialintensiven Sakralbauten wie Pyramiden und Pylonen zu beobachten.362 Bei Wohnbauten hingegen waren Ziegel das Standardmaterial, und zwar unabhängig vom Status der Bewohner. Von besonderer Bedeutung waren Ziegel für den Gewölbebau.363
Obwohl unterschiedliche Ziegelverbände den ägyptischen Maurern offenbar vertraut waren,364 scheint man Halbziegel, Rollschichten etc. eher zum Ausgleich von Ungenauigkeiten im Mauerwerk als zur Zierde verwendet zu haben. Sonderformen entwickelte man hingegen für Gewölbeziegel, Bodenplatten, Säulentrommeln etc.365 sowie teilweise auch für Bauornamentik wie Hohlkehlen.366 Mittlerweile geklärt scheint die Frage nach der statischen oder symbolischen Bedeutung des Versatzes von Ziegeln in konvexen und konkaven Schichten, die zu einer wellenförmigen Mauerkrone führen und von der 19. Dynastie bis zur Römerzeit belegt sind.367 Wenngleich die symbolische Bedeutung der Mauern als Repräsentanten der Urflut bei Tempelumfassungsmauern eine Rolle gespielt haben könnte,368 so sind die statischen Vorteile der Konstruktion doch nachweisbar und wurden auch bei Profanbauten bewusst genutzt.369 Kemp betont außerdem die ästhetische Komponente der weithin sichtbaren Mauern.
Die bauklimatisch günstigen Materialeigenschaften von Schlamm- und Lehmziegeln sind an anderer Stelle ausführlich behandelt worden.370 Ob sie den Ägyptern bewusst waren, kann man lediglich vermuten. Dass auch die Paläste der Pharaonen aus diesem kostengünstigen Material errichtet wurden, kann dahingehend gedeutet werden. Zur seltenen Verwendung von gebrannten Ziegeln ist hinzuzufügen, dass gebrannter Nilschlamm keine besonders qualitätvollen Ziegel ergibt (Abb. 1.25), deren Vorteile offenbar nur in Ausnahmefällen ausreichten, um den Brennstoffverbrauch zu rechtfertigen.371
Keramik und Fayence
Fayence hingegen wird schon früh als Schmuckelement eingesetzt. Ägyptische Fayence besteht im Gegensatz zur italienischen Majolika nicht aus Ton, sondern ist eine Substanz aus Wüstensand oder gemahlenem Quarz mit Beimengungen von Kalk sowie Natron oder Pflanzenasche.373 Die Masse wurde wie Töpferton geformt, gebrannt und mit einer kupferhaltigen, grün-blauen Glasur (Ägyptisch Blau) überzogen. Neben dem Überzug mit Glasur gab es auch ein als Effloreszenz bezeichnetes Verfahren, bei dem die Glasursubstanzen der Masse beigemischt wurden und während des Brandes ausdampften. Die Fayencetechnologie ist vermutlich eine ägyptische Erfindung, die im islamischen Kulturraum bis in das 20. Jahrhundert angewendet wurde.374 Leider ist es unmöglich, dieser stark ausdifferenzierten Technologie in diesem Rahmen gerecht zu werden.
Die frühesten Fayencefunde (Perlen, Amulette) stammen bereits aus der prädynastischen Periode. Das früheste Beispiel aus der Architektur sind die insgesamt etwa 36.000 Wandkacheln in den unterirdischen Gängen des Djoser-Grabkomplexes in
Glas
Dieses Wissen wird in Ägypten
Gräser und andere pflanzliche Rohstoffe

Abb. 1.26: Zäune aus Palmblättern in der Oase
Fasern, Häute
Das ägyptische Klima macht es nicht notwendig, Fenster dicht zu verschließen, sodass eine Funktion von Häuten als Fensterverschluss ausscheidet. Prinzipiell sind viele Funktionen für Leder in der Architektur denkbar, für die man zunächst Textilien annehmen würde (Vorhänge, Wandbehänge, Zelte, Sonnensegel, leichte Abdeckungen etc.), jedoch fehlt es an entsprechenden Belegen. Leder wurde außerdem zur Auspolsterung von hölzernen Türdrehpfannen verwendet.388
Metalle
Der größte Kupferbedarf im Bauwesen wird in der Werkzeugherstellung und bei der Verkleidung hölzerner Bauteile bestanden haben. Zapfen und Eckverstärkungen von Türblättern hat man in allen denkbaren Größen gefunden. Die Flaggenmasten vor den Tempelpylonen waren teilweise mit Kupferlegierungen beschlagen. Kupfer fand außerdem Verwendung als Farbpigment.
Eisen kommt in Ägypten natürlich vor, dennoch spielte dieses Metall dort im Vergleich zu Kupferlegierungen eine untergeordnete Rolle.390 Ogden führt dies auf den komplizierteren Schmelzprozess zurück. Er bemerkt zudem, dass mit einfacher Technologie verarbeitetes Eisen kaum Vorteile gegenüber Kupferlegierungen gehabt hätte. Eine etwas größere Verbreitung erfuhr das Material erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr., möglicherweise durch hethitischen Einfluss.
Blei ist möglicherweise das älteste verhüttete Metall.391 Bleivorkommen sind rar in Ägypten, doch lässt sich das Metall ohne weiteres aus Bleiglanz- und Bleiweiß-Erzen gewinnen; beide sind in der Ostwüste zu finden. Das bisher älteste ägyptische Bleiobjekt datiert in die Naqada-Zeit (4. Jt.)392 Der Gebrauch nahm mit Beginn des Neuen Reiches zu, offenbar aufgrund von gestiegenen Importen. Im Bau wurde Blei in der Verbindungstechnik eingesetzt, etwa als Schwalbenschwanzklammern (s. o.) oder zur Fixierung von stark belasteten Dübeln etc.393
Gold, Silber und Gold-Silber-Legierungen wurden zur Dekoration verwendet, beispielsweise von Türgewänden und -blättern oder zum Überzug von Obelisken(spitzen) bzw. Flaggenmasten. Gold und Gold-Silber-Legierungen kommen als Erze in Ägypten vor, ebenso Silber in geringen Mengen.394 Die Verarbeitung erfolgte hauptsächlich durch Hämmern, aber auch, wie bei Kupfer, durch Guss.
Sämtliche oben besprochenen Metalle kommen in Ägypten natürlich vor, wenn auch nicht immer in der gewünschten Menge. Die aggressive Außenpolitik gegenüber
Ebenso wie zur Gewinnung von Stein sandte man Expeditionen zur Entdeckung und zum Abbau von Erzen aus. Ogden vermutet naturräumliche Kenntnisse als Grundlage für die Entdeckung der Vorkommen, etwa die Tatsache, dass kupferhaltige Felsformationen häufig mit Akazien bewachsen sind.395 Inwieweit die Verhüttung, wie in Westasien
Amorphe Bindemittel, Putze und Estriche
Anders als in der griechischen Baukunst spielte Mörtel auf ägyptischen Baustellen eine herausragende Rolle (Abb. 1.27). Dem allgemein anerkannten Forschungsstand zufolge basiert pharaonischer Mörtel auf Gips, seit der Ptolemaierzeit verwendete man auch Kalk.397 Daneben hatte Schlammmörtel, der in der Steinarchitektur nur ausnahmsweise Verwendung fand, große Bedeutung für die Ziegelarchitektur.398

Abb. 1.27: Mauerwerk der Tempelumfassungsmauer in Dendera
Gips wurde seit der prädynastischen Zeit aus natürlichen Gips- bzw. Travertinvorkommen399 gewonnen. Im oberägyptischen .401 Zusammen mit Sand und weiteren Zuschlagstoffen wurde Gips in Ägypten zu Mörtel und Putz, aber auch zu Siegelmasse und Ähnlichem verarbeitet. Spätestens im Neuen Reich scheinen die Ägypter so erfahren im Brennen von Gips gewesen zu sein, dass sie spezielle Mörtel und Putze für besondere Zwecke herstellen konnten,402 etwa für Flickungen403, möglicherweise auch als Gleitfläche in monumentalen Türpfannen.404
Kalk hingegen wird durch den Brand von Kalkstein hergestellt und ist in Ägypten nicht vor der 26. Dynastie,405 regelmäßig erst seit der Ptolemaierzeit belegt.406 Bei 1000° C entsteht aus Kalkstein (
) Kohlendioxyd und Ätzkalk (
). Wird dieser Kalk mit Wasser abgelöscht (
) wird er zu Calciumhydroxid (
). Bei der Verarbeitung entsteht durch die Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft kohlensaurer Kalk oder Calciumcarbonat (calcit,
) wodurch der Mörtel aushärtet.407
In der pharaonischen Steinarchitektur fungierte Mörtel nicht nur als Bindemittel408 oder als Reparatur- und Füllmittel für Klammerlöcher und Ähnliches. Er war ein beim Versatz der Blöcke unerlässliches Gleitmittel (Abb. 1.27).409 Daher ist besonders interessant, dass zahlreiche Proben einen hohen Anhydritanteil aufweisen. Anhydrit ist totgebrannter Gips, der bei Temperaturen ab 170° C entsteht. Bei Brennverfahren über 300° C bindet Anhydrit schlecht, bei über 600° C überhaupt nicht mehr ab.410 Anhydritmörtel eignet sich daher, wie Martinet ausgeführt hat, hervorragend als Gleitmittel, da er wesentlich langsamer abbindet als Gipsmörtel.411 Verluste der Haftungseigenschaften konnten in Kauf genommen werden, da das Mauerwerk deren ohnehin kaum bedurfte. Zusätzlich dienten die Mörtellagen dazu, die Gewichtslast gleichmäßiger zu verteilen.412
Die Frage, warum in pharaonischer Zeit kein Kalkmörtel verwendet wurde, wird mit dem allgemeinen Brennstoffmangel in Ägypten erklärt.413 Dagegen lässt sich einwenden, dass die Brennstoffmenge ab der Ptolemaierzeit, seit der Kalk in Ägypten gebrannt wurde, nicht zu-, sondern abgenommen hat.414 Angesichts von Martinets Überlegungen zum Anhydrit, dessen Herstellung überdies höhere Brenntemperaturen erforderte als Gips, erscheint es nahe liegender, dass die ägyptischen Baumeister den Gips- beziehungsweise Anhydritmörtel ganz bewusst aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften verwendet haben. Dass bei einem Bau wie dem Pylon von
Sand spielte als Zuschlagstoff in Mörteln, Putzen417 und Ziegeln natürlich eine große Rolle, hatte aber zwei weitere wichtige Funktionen: Als Versatzhilfe besonders großer Bauteile418 und als Schleifmittel. Die Schmirgeleigenschaften von Sand haben die Ägypter wie keine antike Kultur zu nutzen gewusst und damit Oberflächen geschaffen, die den an motorisierte Sägen gewohnten Betrachter nicht unmittelbar in Erstaunen versetzen, vor dem 20. Jahrhundert aber größte Bewunderung hervorgerufen haben werden. In der Architektur schätzte man glatt geschliffene Hartgesteine insbesondere in der 4.–5. Dynastie sowie, im Zuge einer Renaissance, in der Spätzeit. Die Fähigkeit, selbst Silex zu glatten und runden Formen zu bearbeiten, wurde aber bereits zu Beginn der 1. Dynastie zu unübertreffbarer Perfektion geführt und zweifellos in der Schmuck- und Steingefäßherstellung entwickelt, bevor sie auf die Architektur übertragen wurde. Auf großer Fläche angewendet war das Abschleifen allerdings, hatte man das Prinzip einmal erkannt, wohl in erster Linie schweißtreibende Fleißarbeit.
1.2.5 Bautechniken und andere technische Verfahrensweisen
Hebetechniken – Gerüste
Der Transport vom Bauhof zur Versatzstelle erfolgte unabhängig vom Höhenunterschied in der Regel mit Rampen420 (Abb. 1.22), über die das Material von Menschen auf Schlitten gezogen wurde (Abb. 1.10).421 Diese Rampen wurden teils massiv (
Als König
Neben der Verfügbarkeit von massenhaften Arbeitskräften mag der Nilschlamm einen großen Anteil am andauernden Erfolg dieser Bautechnik gehabt haben. Einerseits konnte man aus ihm sehr schnell und einfach die Ziegel für die Rampen herstellen, deren Volumen das Volumen der mit ihnen zu errichtenden Gebäude ohne weiteres übersteigen konnte.426 Andererseits hat befeuchteter Nilschlamm hervorragende Gleiteigenschaften (vgl. Abb. 1.10). Die Reibung ist Experimenten zufolge so weit reduziert, dass bei 0% Steigung sechs Mann einen Stein von fünf Tonnen bewegen können.427
Hebetechnik im eigentlichen Sinne wandte man ausschließlich da an, wo Gleittechnik nicht funktionierte. Dies war insbesondere der Fall, wenn man monolithe Sarkophage und ihre Deckel in einen Grabschacht o. Ä. absenken wollte. Hierfür verwendete man häufig Seile und einfache Seilzüge,428 der Flaschenzug war jedoch unbekannt.429
Ein weiteres Hilfsmittel zum Versetzen großer Bauteile war offenbar feiner, trockener Sand, der unter dem Objekt eingebracht und von unten allmählich entnommen wurde, sodass sich der Gegenstand absenkte.430 Erstmals in der Pyramide Amenemhats III.
Die Berechnung der erforderlichen Arbeitskräfte scheint Aufgabe der Beamten gewesen zu sein. In der folgenden Aufgabe aus dem Papyrus Anastasi scheint es um den Versatz einer Kolossalstatue zu gehen (1 Elle entspricht etwa 0,53 m):
„Man sagt zu dir: Entleere das Magazin, das beladen ist mit Sand, unter dem Monument deines Herrn … das geholt worden ist vom (Steinbruch) Gebel Ahmar. Es beträgt 30 Ellen, ausgestreckt auf dem Boden, mit einer Breite (von) 20 Ellen, wenn es vorbeigeht (?) an (?) Kammern, die mit Sand vom Ufer gefüllt sind. Die Zellen/Mauern (?) seiner Kammern sind von einer Breite 4 (auf) 4 (auf) 4 Ellen. Sie haben eine Höhe von 50 Ellen insgesamt, Ablaufventile (?) befinden sich in dem/n Sandhügel/n (?). Du wirst beauftragt, in Erfahrung zu bringen, was vor (ihm) ist. Wieviel Mann werden benötigt, es zu entfernen in 6 Stunden, wenn ihre Arbeitsmoral gut ist? Gering wird ihre Motivation sein, es zu entfernen, wenn die Mittagspause ausbleibt.“432
Leider sind die technischen Angaben des Textes so wage, dass der technische Prozess, geschweige denn die Konstruktion der Baulichkeit aus mit Sand gefüllten Zellen, nicht rekonstruiert werden kann. Interessant ist die Variable der mehr oder weniger motivierten Mitarbeiter.
Versatztechniken
Der Transport großer Steinblöcke über die Horizontale schritt in der Regel ohne Unterbrechung zum Versatz fort, ohne dass Hebetechnik im eigentlichen Sinne zum Einsatz kam. Rampen und Gerüste gingen teils nahtlos ineinander über. Monumentale Steingebäude waren meist während ihrer gesamten Errichtung von massiven Gerüsten umschlossen, die ähnlich wie die Rampen konstruiert waren. Sie dienten zum Weitertransport des Baumaterials an den Versatzort und als Manövrierfläche beim Versatz (Abb. 1.28). Hier konnte man auch Baumaterial zwischenlagern, das nicht unmittelbar zum Einsatz kam.

Abb. 1.28: Reparatur der Pylonbrücke von
Der Versatz erfolgte wie der Transport auf einer Gleitschicht, und zwar aus langsam abbindendem Mörtel (s. o. und Abb. 1.27). Normales Mauerwerk wurde mit Stemmstangen bewegt, Blöcke monumentalen Ausmaßes mit großen Hebeln.433 So war man in der Lage, riesige Lasten kontrolliert zu bewegen.
Verbindungstechniken
Bei der Verbindung von Steinmauerwerk verließ man sich vielfach auf die Schwerkraft der Masse, arbeitete also ohne zusätzliche Verbindung. Allerdings kamen häufig auch Schwalbenschwanzklammern zum Einsatz, und zwar im Laufe der Jahrhunderte in zunehmendem Maße.434 Die Verklammerungen verbanden jeweils nur innerhalb einer Schicht, nicht die Schichten untereinander – möglicherweise genügte hierfür der Mörtel. Ausnahmen von dieser Regel gab es lediglich im Alten Reich, also aus einer Zeit, in der Verklammerungen generell noch selten verwendet wurden.435 Insbesondere in der 3. und 4. Dynastie verhinderte man das Verschieben der Steinlagen gegeneinander an den Ecken oder Mauerkronen durch ineinander verzahnte Horizontalfugen, ab Sesostris I.
Im Schreinerhandwerk wurden durchaus komplexe Holzverbindungen verwendet.438 Neben gestoßenen Verbindungen, die mit Nägeln oder Schnüren zusammengehalten wurden, gab es Nut-Feder- und Zapfenverbindungen sowie Schwalbenschwanzblattungen offenbar bereits in frühdynastischer Zeit. Hakenverbindungen kamen insbesondere beim Schiffsbau zum Einsatz, weil lange Hölzer knapp waren. Da Hölzer im Bauzusammenhang nur selten erhalten sind, lassen sich diesbezüglich leider keine Entwicklungen beobachten.
Aufschnüren und Messen

Abb. 1.29: Ellenstab des Hohepriesters des Ptah, Ptahmose
Die größte Herausforderung des Messens lag naturgemäß in der Streckenmessung,442 und tatsächlich sind hier erhebliche Abweichungen beobachtet worden.443 Erhalten geblieben sind uns Schnüre und Seile sowie Ellenstäbe aus Holz. Darstellungen von Messschnüren für die Feldvermessung (Abb. 1.15) zeigen Knoten als Unterteilungen, die aber für das Bauwesen nicht genau genug gewesen sein dürften.444 Nachgewiesen ist die Verwendung von Schnüren für das Hilfslinienraster von Wanddekorationen: Man spannte die in rote Farbe gespannte Schnur über die Wand, zog sie in der Mitte etwas von der Wand weg und ließ sie zurückschnellen, sodass sie eine rote Linie hinterließ. Die Ellenstäbe weisen in der Regel eine Unterteilung in Handbreit (
Elle) und Fingerbreit (
Elle) sowie deren Bruchteile auf, wobei auch ein Zwei-Ellen-Stab und ein Klappstab gefunden wurden.445
Größere Genauigkeit446 erzielte man auf dem Gebiet der Bestimmung von Ebenen und Achsen. Nivelliert wurde durch Peilen über ein gleichschenkliges, rechtwinkliges Dreieck, dessen Schenkel über die Basis hinaus verlängert waren, dem Buchstaben A vergleichbar. An der Spitze wurde ein Lot befestigt. Überdeckte die Lotschnur die Mittelmarkierung der Basis, so definierte die Basis den Höhenhorizont, der durch das Peilen mit dem Auge über weite Strecken hin verlängert werden konnte, offenbar in hoher Genauigkeit. Die ältesten Messwerkzeuge
Trotz dieser Quellen können keine sicheren Aussagen gemacht werden, wie der Prozess des Aufschnürens konkret ablief: Wie wurde der rechte Winkel abgesteckt?449 Benutzte man ein übergeordnetes Maßnetz (Raster) und nahm die Detailmaße von dort ab oder addierte man die Detailmaße nacheinander? Antworten können nur detaillierte Analysen von Grundrissen, Werkzeichnungen und Bauritzlinien geben.
Bauritzlinien finden sich regelmäßig auf den Fundamentoberflächen von Steinbauten. Die Linien liegen teils (mehr oder weniger exakt) unter der Mauerkante, teils liegen sie in geringem Abstand parallel davor. An manchen Bauten wurden beide Arten von Linien eingeritzt.450 Da die Bossen sehr unregelmäßig vor die Mauern vorstehen, ist es weniger wahrscheinlich, dass die vorstehenden Linien sich auf die Bossen beziehen. Wahrscheinlich benötigte der Steinmetz die vordere Linie zum Abloten, da das Lot immer entsprechend seiner Dicke vor der Mauerflucht hängen musste.
Dachkonstruktionen
Die Entwicklung eines neuen Bautyps im Tempelbau, genauer die Umsetzung kleinerer hölzerner Baldachine in monumentale ‚Kioske‘ (freistehend) und ‚Eingangshallen‘ (einem Bau vorangestellt) aus Stein brachte hohe Spannweiten mit sich. Deren Überbrückung, wollte man die Leichtigkeit der Bauten nicht völlig opfern, war durch Steinbalken nicht machbar, sodass die Dächer wiederum aus Holz gefügt wurden. Spannweiten von 7–8 m kamen häufiger vor; größere Distanzen (13,30 m) überspannte man offenbar das erste Mal unter Nektanebos I. (380–362 v. Chr.) – ein Maß, das in der Folgezeit jedoch nicht mehr erreicht wurde.453

Abb. 1.30: Herstellung eines Kufgewölbes auf
Bei der Betrachtung der Überreste der pharaonischen Architektur fällt kaum ins Auge, dass die Ägypter auch ausgesprochen fähige Gewölbebauer waren.454 Ziegelgewölbe errichtete man bereits in der Frühzeit.455 Diese wurden ohne Lehrgerüste meist als Kufgewölbe errichtet (Abb. 1.30) und versprachen größere Dauerhaftigkeit als für Tierfraß anfällige Holzdächer, weswegen sie insbesondere im Speicher- und Magazinbau verwendet wurden. Im Wohnbau kamen sie kaum vor, möglicherweise, weil Gewölbebau Spezialistenwissen war, möglicherweise, weil man die Begehbarkeit von Flachdächern schätzte. Goyon u. a. vermuten als weiteren Hintergrund eine mit Gewölben verbundene Jenseitssymbolik,456 allerdings hätte das wohl auch ihre Verwendung im Magazinbau einschränken müssen. Die technischen Möglichkeiten von Kufgewölben wurden mit maximalen Spannweiten von immerhin 8,60 m offenbar nicht ganz ausgenutzt.457
Daneben entwickelte man eine Reihe von so genannten falschen Gewölbeformen (Kraggewölbe, Stemmplattengewölbe), die sich möglicherweise besser mit der horizontalen Versatztechnik (s. o.) vereinbaren ließen als Keilsteingewölbe, die man vorzugsweise mit Hebezeug errichtet. Für diese These spricht, dass Keilsteingewölbe in Ägypten spätestens seit etwa 760 v. Chr. bekannt waren,458 sich jedoch nicht verbreiteten. Vorstellbar ist aber auch, dass das Spezialistenwissen des Keilsteingewölbebaus nur lokal verankert war und nach kurzer Zeit wieder verlorenging; andererseits ist die Technik nicht so komplex, dass sie nicht aus reiner Anschauung hätte kopiert werden können.
Sehr häufig schlug man Felsgrabkammern mit gewölbten Decken aus. Der Gewölbebogen wurde offenbar vorher auf einer Zeichenfläche angerissen und die hier entnommenen Stichmaße auf die Ausarbeitung übertragen (Abb. 1.6).459 Ziegelkufgewölbe wurden hingegen vermutlich nicht konstruiert sondern freihändig angerissen.460
Brücken und Straßen
Wasserwege überspannende Brücken aus dem Alten Ägypten
Dass es Brücken über den oberägyptischen Nil
Dass der Bau von Brücken über den Nil trotz wechselnder Fluthöhen im vorindustriellen Zeitalter möglich war, zeigen die mittelalterlichen Brücken Ägyptens

Abb. 1.31: Feldzugdarstellung

Abb. 1.32: Einfache Brücke über einen Kanal bei
Wasserbau
Dieser Klimawandel wirkte sich bis in das Mittlere Reich aus. Die Könige der 12. Dynastie unternahmen gewaltige Anstrengungen, um die in der Vor- und Frühgeschichte sehr fruchtbare und gegen Ende des Alten Reiches ausgetrocknete Oase
Über die Auswirkung dieser Innovationen
Der
Da die Wüsten für den Fernhandel und die Rohstoffversorgung von großer Bedeutung waren, errichtete man entlang wichtiger Wüstenstraßen Brunnen. Königliche Inschriften lassen die Wertschätzung erkennen, welche die Ägypter selbst der Fähigkeit zum Brunnenbau entgegenbrachten.
„Seine Majestät (Sethos I.) durchzog die Wüste bis zu den Bergen. Sein Herz hatte gewünscht, die Gruben zu besichtigen, aus denen Gold geliefert wird (Goldminen im Wadi Barramija). Nachdem seine Majestät viele Meilen hinaufgezogen war, machte er Rast am Weg, um mit seinem Herzen Rat zu halten. Er sprach: ‚Wie schwierig ist ein Weg, der kein Wasser hat. Was geschieht für die Reisenden, damit der Brand ihrer Kehlen gelöscht wird? Wer stillt ihren Durst?‘ …Nachdem seine Majestät diese Worte zu seinem Herzen gesprochen hatte, zog er in der Wüste umher und suchte einen Platz, eine Wasserstation anzulegen. Gott aber leitete ihn … Es wurden Steinarbeiter beordert, einen Brunnen in den Bergen zu graben. … Er führte sehr reichlich Wasser wie die Höhle der Quelllöcher in Elephantine (= die Nilquellen). … Ein seit den Göttern schwieriger Weg ist leicht geworden unter meiner Regierung.“478
Sein Sohn
„Es geschah eines Tages, dass seine Majestät auf einem Thron aus Elektron saß, … während er Pläne machte Brunnen zu graben auf Wegen an denen Wasser fehlt, nachdem man gehört hatte, dass es viel Gold gibt im Land Akita. Aber auf seinen Wegen fehlt es sehr an Wasser: Wenn [einige von diesen] Goldwäschern zu ihm (= dem Land Akita) gingen, erreichten es nur die Hälfte von ihnen; sie starben unterwegs zusammen mit den Eseln, die unter ihrer Aufsicht waren. Nie gab es welche, die ihren Wasserschlauchbedarf errechnet hatten für die Hin- und Rückreise. Da wurde kein Gold von diesen Bergen gebracht wegen Wassermangels. Darauf sagte seine Majestät dem Wesir, der an seiner Seite war: Rufe die Beamten und Vorsteher, damit seine Majestät nach ihrem Rat fragt. … Da holte man sie sogleich vor den guten Gott (= den König). … Da berichtete man ihnen von der Form dieses Berglandes, als man ihren Ratschlag hinsichtlich des Planes erfragte, den Brunnen auf seiner Straße zu öffnen. Darauf sagten sie vor seiner Majestät: … ‚Welches ist das Fremdland, das du nicht kennst? Wer ist in seiner Klugheit wie du? Wo ist der Platz, den du nicht gesehen hast? … Es wird kein Denkmal errichtet, das nicht unter deiner Aufsicht ist. Es gibt keine Entscheidung ohne dein Wissen. … Wenn du zum Wasser sagst: ‚Komm auf den Berg!‘, dann kommt das Wasser schnell heraus.‘ ‚Was über das Land Akita gesagt wird, ist folgendes‘, sagte der Vizekönig von Kusch vor seiner Majestät. ‚Es ist in einem elenden Zustand wegen Wassers seit der Zeit des Gottes. Man stirbt deswegen in ihm, und es war der Wunsch jedes Königs vorher, einen Brunnen in ihm zu errichten, doch wurde ihnen kein Erfolg zuteil. König Men-maat-Re ( Sethos I.) machte es ebenso, als er einen Brunnen von 120 Ellen Tiefe (ca. 63 m) in seiner Zeit graben ließ. Er wurde aufgegeben auf dem Weg, denn es kam kein Wasser aus ihm. Wenn aber du zu deinem Vater Hapi (dem Gott der Überschwemmung) sagst. ‚Gib, dass Wasser hervorquillt auf der Höhe des Berges‘, dann wird er alles tun, wie du gesagt hast‘.“480
Daraufhin wird der Vorsteher der königlichen Schreiber beauftragt, den Bau eines Brunnens zu veranlassen, der schließlich auch Wasser führt.
In beiden Fällen wird die Lage des Brunnens bzw. die Tatsache, dass er Wasser enthält, auf göttliche Hilfe zurückgeführt, wobei die Entschlossenheit und Weisheit des Herrschers jedoch den Ausschlag gibt. Anschaulich wird der Rat geschildert, der in der königlichen Inschrift als Schauplatz herrscherlicher Überlegenheit erscheint, tatsächlich aber durchaus dem Informationsaustausch gedient haben dürfte. Bei dem ersten Text scheint eine Parallele zu den Berichten vorzuliegen, denen zufolge der König selbst Steinbrüche entdeckt.
Festungsbau
Bis zur Errichtung des
Aus dem Neuen Reich werden z. Zt. Festungen entlang des ‚Horusweges‘ erforscht,484 die weitaus größer sind als die bisher bekannten.485 Die Festung von auf dem
Felsgräber und -tempel

Abb. 1.33: Unvollendetes Grab in der Nekropole von
Die an beiden Seiten des
Obelisken und monolithische Säulen
Diese schon mehrfach erwähnten Monolithe sind wissensgeschichtlich unter mehreren Aspekten interessant.494 Ihre Gewinnung im Steinbruch (Abb. 1.23), ihr Transport per Schiff und schließlich ihre Errichtung erforderte sicherlich Spezialistenwissen. Sowohl die altägyptischen Quellen495 als auch die späterer Epochen schenken ihnen größte Aufmerksamkeit; der Obelisk kann als Inbegriff der logistischen und technischen Herausforderung bezeichnet werden, deren Bewältigung zu allen Zeiten ein großes Spektakel gewesen sein muss. Da die einzelnen Aspekte in den jeweiligen Abschnitten angesprochen werden,496 sei hier lediglich noch einmal betont, dass bis heute nicht geklärt ist, wie die großen Granitobelisken des Neuen Reiches tatsächlich aufgestellt wurden – man kann lediglich ausschließen, dass, wie in späteren Epochen, Seile und Winden verwendet wurden. Der Vorgang wird jedenfalls nicht trivial gewesen sein und Expertenwissen erfordert haben. Nach dem Ende des Neuen Reiches ist dieses Wissen möglicherweise verloren gegangen, denn danach wurden keine großen Granitobelisken mehr errichtet, obwohl sie nach wie vor prominent in Tempel-inschriften erwähnt sind.
Technisch unterscheiden sich Obelisken und Säulen lediglich dadurch, dass im Fall der Säule noch die Schwierigkeit gemeistert werden musste, eine gleichmäßige Rundung zu erzielen.497 Hinsichtlich der Säulen muss man annehmen, dass Ägypten eine Wissensquelle
Farben und Farbpigmente
Das wissensgeschichtlich bedeutendste in Ägypten verwendete Farbpigment war zweifellos ‚Ägyptisch Blau‘501, ein synthetisches Pigment aus Silikat, Kupfer und Kalzium, die unter Hitzeeinwirkung miteinander verschmolzen Farbtöne in grün, türkis, dunkel- und hellblau ergeben konnten. Analysen haben gezeigt, dass fast alle Blautöne und bis in das Mittlere Reich auch die Grüntöne auf diese Mischung zurückgehen. Die ältesten Belege in Ägypten
Reparaturen und Restaurierungen
Wiederherstellungsmaßnahmen an älteren Bauten sind in Ägypten durch Restaurierungsinschriften zahlreich belegt, wobei es sich häufig um Neubauten handelt, die einen Vorgängerbau ersetzen. Allerdings lassen sich auch Reparaturen von Bauschäden und die Ersetzung einzelner Bauteile nachweisen.504 Der berühmteste denkmalpflegerische Akt pharaonischer Zeit ist wohl die Wiederherstellung des großen Sphinx von
Technisch aufschlussreich sind Reparaturen von Baupannen;511 sie zeugen von einem bemerkenswerten Improvisationstalent, das man den in einen strengen Kanon gezwungenen Bauleuten ohne Belege kaum zutrauen würde. Einsturzbedrohte Sargkammern in der Knickpyramide des Snofru
1.3 Arten und Formen des Wissens
1.3.1 Grundlegende Quellen des Wissens
Ein theoriebasierter Wissensbereich war natürlich die Mathematik, genauer Algorithmen und Geometrie. Die uns erhaltenen Aufgaben lassen allerdings nur Anwendungsbereiche aus der Bauorganisation erkennen. Statische Berechnungen haben die Ägypter unserer Kenntnis nach nicht durchgeführt.
Die Erfahrungen, die man im Laufe der Jahrhunderte mit Tragweiten, Lastabtragung, Erdbebenschäden und dergleichen machte, können in mündlich tradierten Regeln festgehalten worden sein. Für schriftliche Regelwerke oder gar einen theoretischen Unterbau gibt es keine Hinweise, aber es ist andererseits nicht vorstellbar, dass jeder Bautrupp gewissermaßen bei Null anfing und frei experimentierte.
Intuitives Handeln lässt sich zuweilen gut an Stellen ablesen, wo die Intuition in die Irre führte, etwa wenn neue Detaillösungen gefunden werden mussten und keine Erfahrungen vorlagen. Theoriebasiertes Wissen wie beispielsweise: „Stein kann man nicht auf Gehrung schneiden, da er so gut wie nicht dehnbar ist und leicht entlang der Sedimentschichtung bricht“ hätte manche Pannen verhindern können.515
1.3.2 Existenzformen des Wissens und seine Tradierung
Beschränkungen von Wissensvermittlung
Die Ägyptologie hat sich in der Frage nach der Bedeutung des Wissens in pharaonischer Zeit hauptsächlich mit der Frage befasst, ob es ein ‚Geheimwissen‘ der Alten Ägypter gab.516 Diese Form des Wissens wird in religiösen Kontexten, Mysterien und Mysterienkulten vermutet. In dem hier behandelten Zusammenhang ist die Frage von Interesse, ob es auch im Bereich des Bauhandwerks Geheimwissen gab, ob Bauwissen also frei zugänglich oder für bestimmte Personen(gruppen) reserviert war. Von dieser Frage hängen wiederum die damaligen Existenzformen des Wissens ab.
Aus der 11. Dynastie sind autobiographische Texte überliefert, in denen Personen sich ihres berufsspezifischen Wissens rühmen. Von Interesse für das Bauwesen ist die Stele des Irtisen, eines Bildhauers aus dem frühen Mittleren Reich (Zeit Mentuhoteps II.
Allerdings hat die jüngere Forschung ähnliches für Fischer, Jäger, Priester, Schreiber und Bildhauer nachgewiesen.519 Im Zusammenhang mit der Götterbilderherstellung heißt es: „Ein Geheimnis, das man nicht sieht und hört, das vom Vater an den Sohn weitergegeben wird.“520 Neben egoistisch-praktischen Erwägungen (Betriebsgeheimnis) vermutet von Lieven: „Da die Handwerker heiliges Gerät und sogar die irdischen ‚Leiber der Götter‘ herstellen, müssen sie aus theologischen Gründen schweigen. Ihre Tätigkeit rückt sie in die Nähe von Schöpfergöttern, die in Ägypten
Die Weitergabe von Wissen wird jedoch nicht nur durch Verbote der Religion oder der Berufsgruppe behindert, sondern auch durch soziale Schranken bzw. decorum.523 Der Priester und Arzt Udjahorresnet
Die komplexe Hieroglyphenschrift machte allein schon die Schreib-Lese-Fähigkeit zum Geheimwissen in Ägypten.526 Das Geheimwissen schlechthin aber sind die Jenseitsbücher. Durch ihren Besitz wurde der König zum Träger allen Wissens, ein Attribut, das allerdings auch in öffentlichen Inschriften betont wird.527 Ziel dieses Postulats ist in erster Linie Prestige: „Restricted knowledge is socially competitive or divisive … .The character of the knowledge is not as significant as is the question who knows it. … It does not matter what the ‚eastern souls sing at sunrise‘; what is important is that the king knows it (and others do not).“528
Personales Wissen
Das bisher gesagte lässt einen großen Anteil personalen Wissens vermuten, also nicht verschriftlichten Wissens in den Köpfen der Handwerker.
In Personen verankertes Wissen, das nicht früher oder später auch objektiviert oder institutionalisiert wird, fördert die Spezialisierung Einzelner. Die Arbeitsteilung unter den Handwerkern war unseren Quellen zufolge schon im Alten Reich sehr hoch. Ihr Wissen, was es auch umfasst haben mag, wurde offenbar vom Vater an den Sohn weitergegeben (vgl. Abb. 1.25, 1.30). Wir können annehmen, dass es im Handlungszusammenhang vermittelt wurde. Diese Tradierungsform von Wissen verstärkt ebenfalls die Spezialisierung.
Im Gegensatz zu den Handwerkern waren Beamte durch ihre Ausbildung zu Generalisten befähigt; die Autobiographien geben nur vereinzelte Hinweise auf Spezialisierung. Wenn sich ein Beamter besonders durch bauliche Leistungen hervortat, so lag die Ursache wohl eher in seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten als an der Struktur von Staat oder Ausbildung. Seine Hauptaufgabe am Bau wird eher gewesen sein, Spezialisten zu koordinieren als sich selbst zu spezialisieren.
Aus diesem Bild stechen wenige Personen hervor. Der bereits erwähnte Ineni
Theoretisches Wissen
Umfang und Charakter des theoretischen Wissens lässt sich nur im Rahmen der Quellenlage beurteilen. Zunächst ist zu sagen, dass es keinerlei Hinweis auf die ursprüngliche Existenz von Standardwerken gibt, die Vitruvs
Aufschlussreich mag zunächst ein Blick auf die Fachliteratur anderer Gebiete sein. Medizinische Texte sind in zahlreichen Einzelschriften aus fast allen pharaonischen Epochen überliefert.534 Es handelt sich meist um Sammelhandschriften, die anwendungsbezogen Krankheiten und ihre Behandlungsmethoden beschreiben. Einige Handschriften sind auf Themen wie Augenheilkunde oder Frauenheilkunde spezialisiert. Typisch ist ein formelhafter Textaufbau: „Wenn du … untersuchst, und du … findest, dann sollst du …“. Die Diagnose- und Heilmethoden sind erfahrungsbasiert, wobei jedoch die Anordnung der Fälle eine theoretische Auseinandersetzung voraussetzt. Seidlmayer hat auf die Verwandtschaft der medizinischen mit den ‚mathematischen‘ Papyri hingewiesen, die „nicht etwa theoretische Traktate, sondern Sammlungen von Modellrechnungen“ seien. „Ebenso wie andere Textgattungen, in denen die pharaonische Kultur Expertenwissen katalogisierte (etwa in den medizinisch-magischen Texten oder in den großen ‚Weisheitslehren‘), sind sie kasuistisch aufgebaut.“535 Trotz der vergleichsweise guten Quellenlage zur Wissensvermittlung in der Medizin ist die Frage, wie die ägyptischen Ärzte ausgebildet wurden – ob im Famulussystem oder im akademischen Unterricht – übrigens weiterhin ungeklärt.536
Hat es derartige Texte auch über Architektur gegeben? Der hohen Überlieferungsdichte der mathematischen und medizinischen Texte steht kein erhaltenes Buch gegenüber, das ausschließlich das Bauwesen behandelt. In
A. von Lieve hat jedoch Anspielungen auf ein Handbuch für Bildhauer in einer Tempelinschrift aus
Die oben erwähnte kasuistische Struktur der theoretischen Texte könnte jedoch auch bedeuten, dass Architekturwissen lediglich anwendungsbezogen vermittelt wurde. Das Buch vom Tempel, das in mehreren Handschriften aus der Römerzeit erhalten ist, vermutlich aber auf ältere Vorlagen zurückgeht, beschreibt alle Aspekte eines theoretischen Tempels, die im konkreten Fall zu realisieren waren.540 Auf einen historischen Abschnitt, der die fiktive Herkunft des Textes aus der ägyptischen Frühgeschichte darlegt, folgt zunächst eine architektonische Sektion mit detaillierten Angaben über den Aufbau eines idealen ägyptischen Tempels und schließlich eine Liste der zu verehrenden Götter sowie Angaben zu Priestern und ihren Dienstpflichten.541 Der Titel des Buches lautet: Vorschrift, die dem Wesir, obersten Vorlesepriester und königlichem Architekten,542 der die Arbeiten Pharaos im ganzen Land leitet, aufgetragen wurde bei der Gründung jedes Tempels von Ober- und Unterägypten, um alle (Dinge) an ihren richtigen Platz im Tempel zu setzen. Vorschrift zum korrekten Verhalten, die jedermann aufgetragen wurde, … beginnend mit den Oberpriestern, die beim Gott543 eintreten bis zum jeweiligen Amt.544
Besprochen werden die Tempelgründungszeremonie, das Ausheben der Fundamentgrube sowie die Anordnung, die jeweilige Anzahl sowie die Funktion der Räume des gesamten Tempels von innen (Allerheiligstes) nach außen (Temenosmauer und sämtliche Nebengebäude) bzw. von unten (Krypten) nach oben (Dachkapellen). Thematisiert werden die Erschließung von Räumen, die zeitliche bzw. personelle Beschränkung ihrer Zugänglichkeit, die Position und Ausrichtung von Statuen, die Anzahl der zu bestimmten Bereichen führenden Türen sowie nicht zuletzt ihre praktische und kultische Funktion545 und ihre symbolische Ausdeutung.546 Maße werden ausschließlich von Umfassungs- und Temenosmauern angegeben,547 und nur für ein Gebäudeteil (Pronaos) wird angegeben, er solle die dahinter liegenden an Größe übertreffen. Weitere Angaben zu Dimension, Konstruktion und Details wie etwa der Belichtung findet man nicht.
Aufschlussreich ist die Vielfalt und Anordnung der genannten Nebengebäude, die entfernt an den St. Gallener
In hierarchischer Ordnung werden die einzelnen Ränge und ihre Dienstpflichten erläutert. Bauaktivitäten sucht man unter den Pflichten der leitenden Priester vergeblich.548 Die untergeordnetes Personal behandelnden Abschnitte sind größtenteils weniger gut erhalten. Von mit dem Bauen verwandten Tätigkeitsbereichen erwähnt wird der Umrisszeichner (?), der Bildhauer, der Oberhandwerker, das aus Steinbruchexpeditionsinschriften bekannte Amt des ‚Obersten der Oberen‘ sowie die für die Mineraliensuche zuständigen ‚Prospektoren‘.549 Die erhaltenen Textstellen machen jedoch nur nähere Angaben zur Statuenherstellung, Bauaktivitäten werden nicht eigens erwähnt. Hier geht es offenbar um das Personal, dass zum Erhalt des bereits fertiggestellten Tempels benötigt wurde.
Autoren- und Leserschaft dieses Buches waren sicherlich Priester bzw. Beamte, da im Kern der Kultablauf sowie die Verwaltung und die verwaltungsbestimmenden Sachverhalte thematisiert werden. Die hier zusammengetragenen Informationen waren zum Entwurf einer Tempelanlage unerlässlich, aber eben auch nicht ausreichend. Technische Details fehlen fast vollständig. Die Grenze zwischen verschriftlichtem und nicht verschriftlichtem Bauwissen verläuft hier klar erkennbar zwischen organisatorischen und inhaltlichen Fragen einerseits und ihrer praktischen Umsetzung andererseits. Die Architekturbeschreibung ist additiv und auf die Raumorganisation und -funktion konzentriert.
Auch die zahlreichen Bauinschriften550 beschreiben Bauwerke als Ansammlungen von Bestandteilen, also Pylon, Hof, Säulenhalle, Tore, Kapellen, Mauern, Dekoration und Ausstattung.551 Im Gegensatz zu dem häufig bezeichneten Material sind Maßangaben auch hier vergleichsweise selten. Die Anzahl oder die Gestaltung von Einzelteilen wie Säulen oder gar technische Details wurden nicht behandelt. Dies änderte sich dann in der Ptolemaierzeit, als etwa in den Inschriften von
Objektiviertes Wissen
Bei einer Kultur, die sowohl in der eigenen Vergangenheit als auch in der Zukunft Jahrtausende überblickte, kann man davon ausgehen, dass die primären Quellen bautechnischen Wissens die Bauwerke selbst waren. Die teils enorm langen Nutzungszeiträume der Tempel und die lange Tradierung von Bautypen und -techniken erlaubten es, die langfristigen Auswirkungen von Materialschwächen oder Konstruktionsfehlern (Fundamente, s. o.) zu studieren und zukünftig zu vermeiden.553 Die Bauten aus dem Alten Reich wiederum boten sich an, wollte man das Konstruktionsprinzip der ewigen Dauer studieren.
Studien historischer Artefakte hat man offensichtlich betrieben und die Erkenntnisse, zumindest seit der Spätzeit, auch in Aufzeichnungen festgehalten (s. u.). Diese Epoche scheint insgesamt weit mehr als bisherige von dem Bedürfnis geprägt zu sein, Wissen zu kodieren. Dies ist insbesondere angesichts der religiösen Texte aufgefallen, die in Form von Handschriften, vor allem aber in Gestalt der Tempelreliefs erhalten sind. Ihre Motive scheinen bis auf die Pyramidenzeit zurückzugehen, ausformuliert findet man sie aber erst zwei Jahrtausende später.
In den gleichen Zusammenhang sind auch einige Objektgruppen gestellt worden. Zahlreich sind die Bildhauermodelle, die, meist aus Kalkstein gearbeitet, den Fertigungsprozess von Rundbildnissen und Reliefs anhand von Hilfslinien und teils bis zur Perfektion, teils nicht zu Ende ausgeführten Arbeitsschritten vor Augen führen, und die ab der 26., vermehrt ab der 30. Dynastie auftreten.554 Inwieweit es sich bei ihnen ausschließlich um Votivgaben oder primär um handwerkstechnische Objekte handelt ist umstritten. Bei den Ellenstäben (Abb. 1.29) geben die verschiedenen Materialien (Holz, Stein), die Beschriftung und teils auch Gebrauchsspuren Hinweise, ob es sich um Gebrauchsgegenstände oder sakrale Objekte handelt.555
Assmann und Sternberg556 haben als Hauptursache für diesen Trend externe Bedrohungen, Xenophobie und eine Angst vor dem Vergessen formuliert, denen Ägypten ab dem zweiten Drittel des 1. Jahrtausends ausgesetzt gewesen sei. Aber unterstellt man dieser Kultur, die sich ihres überragenden Alters vollkommen bewusst war, damit nicht eine Vorstellung, die sie kaum besessen haben kann: die der eigenen Endlichkeit? Lange hat die Ägyptologie in der ägyptischen Spätzeit lediglich den Abgesang einer Hochkultur gesehen; erst in den letzten Jahrzehnten hat man gelernt, in ihr eine Zeit der Systematisierung, der Diversifizierung, also letztlich der Bereicherung zu sehen. Diese Bereicherung, die insbesondere in der Architektur offenkundig wird, besteht sowohl aus Rückgriffen als auch auf Neuschöpfungen. In Objekten kodiertes Wissen spielt in beiden Fällen eine Rolle.
Sogenannte Musterbücher und Architekturzeichnungen
Rückgriffe auf Sujets der Kunst und Architektur vergangener Epochen, die in der Ägyptologie als Archaismus bezeichnet werden, können, wie bereits bemerkt, sowohl auf Archivmaterialien,559 als auch auf einem direkten Studium alter Werke beruhen. Denkmal- und Archivstudien schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus und werden nicht immer gleich gewichtet gewesen sein. Tait
Modelle
In den Architekturdetailmodellen, die mit den Bildhauermodellen verwandt sind, sind nicht nur Formen und Proportionen, sondern oft auch die einzelnen Arbeitsschritte der Fertigung, meist von Säulen und Kompositkapitellen, im Einzelnen demonstriert und kodiert. Sie eignen sich besser als jeder Text zur Archivierung praktischen Wissens. Ihre handliche Größe erlaubte es, sie etwa aus dem Tempelarchiv von
Zuletzt sei auf die Frage eingegangen, ob es sich bei diesen Objekten, wie teils vermutet, nicht grundsätzlich um sakrale Gegenstände ohne praktischen Nutzen gehandelt hat,563 ob die Kodierung des Wissens nicht ein rein religiöser Akt gewesen ist. Diejenigen, welche die Modelle anfertigten, hätten vermutlich zunächst geantwortet, dass die Kodierung von Wissen immer ein religiöser Akt sei. Als zweites hätten sie mit der Gegenfrage antworten können, warum man derart nützliche Gegenstände, wenn man schon in der Lage sei, sie herzustellen, nicht für praktische Zwecke verwenden sollte?
Institutionalisiertes Wissen
Institutionalisiertes Wissen über die Baupraxis spielte im Alten Ägypten
Es gibt eine Reihe von altägyptischen Institutionen, die generell als Orte des Wissens betrachtet werden können: Dies sind die Tempel, und hier insbesondere die sogenannten ‚Schriftrollenhäuser‘. Auch Schulen
Haus der Schriftrollen (pr-anx)
In den ägyptischen Quellen erscheint das ‚Haus der Schriftrollen‘564 als Wissensinstitution schlechthin.565 Die ‚Hungernotstele‘ aus der griechisch-römischen Zeit, die sich selbst als Text des Alten Reiches ausgibt, erzählt beispielsweise, König Djoser
Wenngleich diese Institution an vielen Orten textlich belegt ist, gibt es nur ein einziges als solches identifiziertes Gebäude, eine durch Ziegelstempel als „pr-anx“ bezeichnete Struktur in

Abb. 1.34: Verwaltungsbauten in
Gasse hat den interessanten Versuch unternommen, das Haus der Schriftrollen von
Bibliotheken
Schulen
Zur Verortung des Lernens ist außerdem erwähnenswert, dass man von mehreren Gräbern weiß, dass an bzw. in ihnen Unterricht stattgefunden hat. Offenbar handelte es sich um die Grabstätten von als weise verehrter Persönlichkeiten.582 Diese für den modernen Menschen erstaunlichen Vorgänge vermitteln uns eine Auffassung von Wissen als etwas, das sowohl an Personen, als auch an bestimmte Orte geknüpft ist.
1.3.3 Entwicklung des Wissens
Innovation
Neuerungen wurden eher in der Rückschau gerühmt, wenn sie bereits den Charakter des Hergebrachten erworben hatten. So galt Djoser
Wie gelingt einer solch dogmatischen Gesellschaft überhaupt Fortschritt? Einerseits wurden Neuerungen als positiv wahrgenommen, wenn sie auf bereits Existierendem beruhten, dieses also erweiterten oder verbesserten. Andererseits hat es offensichtlich Phasen rasanter Entwicklung gegeben, in denen Neuerungen notwendig wurden und sich durchsetzen konnten.
Dies trifft sicherlich für die Frühzeit und das frühe Alte Reich zu, in der sich die altägyptische Kultur ausprägte. Diese Epochen blickten noch auf keine Tradition zurück, auf die man sich hätte beziehen müssen oder können. Innerhalb kurzer Zeit fanden enorme Entwicklungen statt; Stein als Baustoff wurde in der 4. Dynastie bereits in einer Weise beherrscht, die in den folgenden zweieinhalb Jahrtausenden kaum noch gesteigert wurde und wohl auch kaum zu steigern war. Das gleiche kann von der Baulogistik gesagt werden.
Innovationsfördernd waren sicherlich Umbruchszeiten, in denen die Zentralgewalt versagte, Institutionen zerfielen und Hierarchien ihre Gültigkeit verloren. Schenkel hat dies für die Bewässerungstechnologie aufgezeigt. Die nach dem Ende des Alten Reiches auftretenden Hungersnöte, die ersten in historischer Zeit, führten zu einem Schub in der künstlichen Bewässerung (Bau von Rückhaltebecken, Erschließung des
Eine Zeit technischer Neuerungen scheint auch die Zweite Zwischenzeit gewesen zu sein, wie Wilde anhand von Metallurgie (Zinnbronze), Glasherstellung und dem Streitwagen beobachtet hat: „Diese Fakten sprechen für eine langsame Diffusion von technologischen Errungenschaften unterschiedlicher Art seit der 13. Dynastie, damit noch vor der eigentlichen Herrschaftszeit der Hyksos.“587 Die vorderasiatischen Hyksos beherrschten Ägypten im 17. und 16. Jahrhundert v. Chr., ihre „Vertreibung“ wird als Beginn des Neuen Reiches angesehen. Tatsächlich brachte diese Phase aber offenbar einen starken Technologietransfer mit sich, von dem Ägypten profitierte. Aber auch lokale Innovationen, die zu dieser Zeit entstanden, wirkten in das Neue Reich hinein, wie etwa das saff-Grab (Abb. 1.19), dessen Erfindung sich Ineni in der 18. Dynastie rühmte, obwohl es im Kern auf die 17. Dynastie zurückgeht.
Diese Phase war mit Ausnahme der Hyksos-Hauptstadt
Im Bereich der bautechnischen Innovationen tritt wiederholt die Spätzeit (Steingewölbe), insbesondere die 26. Dynastie hervor (Fundamentierung, Eisenwerkzeuge, Kalkmörtel). Dies war wiederum eine Epoche, die nicht zu den klassischen ‚Blütezeiten‘ Ägyptens gezählt wird, eine Zeit, in der sich Ägypten Einflüssen von außen stärker öffnete. Gleichzeitig befasste man sich intensiv mit den eigenen kulturellen Errungenschaften und bezog daraus neue Anregungen (Kompositkapitelle). Interessanterweise haben sich manche dieser Innovationen dauerhaft erst in griechisch-römischer Zeit durchgesetzt (Kalkmörtel und Eisenwerkzeuge) bzw. voll entfaltet (Kapitelle).
Dass die Ptolemaierzeit als Epoche zahlreicher Veränderungen gilt, überrascht am allerwenigsten. Anders als die nichtägyptischen Herrscherhäuser vor ihnen griffen die makedonischen Ptolemaier in allen Bereichen in die Verwaltung ein und besetzten Schlüsselpositionen im Land mit ihren Landsleuten. Sie bemühten sich aber in ihrer Hauptstadt gezielt, Griechen und Ägyptern gleichermaßen ein kulturelles Angebot zu unterbreiten. In der pharaonischen Architektur, die zumindest in Oberägypten als neben der griechischen Architektur eigenständig existierend erkennbar ist, hinterließ diese Epoche allerdings weniger Spuren, als man erwarten könnte. Während sich in

Abb. 1.35: Kompositkapitelle aus
Neue Bauaufgaben, -typen und -formen entstanden in pharaonischer Zeit nur selten, hielten sich dafür aber umso länger: ‚echte' Pyramiden (4. Dyn.), Obelisken (6. Dyn.), Pylone (18. Dyn.) und steinerne Kompositkapitelle (26. Dyn.) sind wohl die augenfälligsten Neuschöpfungen dieser Architektur, allerdings haben zumindest einige von ihnen Vorläufer.589 Außer den Obelisken entstanden alle genannten Formen in Epochen, die auch andere Neuerungen erkennen lassen. Ebenso wie Pyramiden und Pylone sind sie Schöpfungen, die in erster Linie aus religiösen Überlegungen heraus entstanden. Kompositkapitelle hingegen könnten insbesondere aus ästhetischen Gründen in Stein umgesetzt worden sein – da nun jede Säule ein anderes Kapitell aus verschiedenen Pflanzenelementen trägt, ist die räumliche Wirkung der farbig gefassten Säulenreihen eine völlig andere als vorher (Abb. 1.35). Da sich die Kapitelle zwar in klar definierte Typen unterteilen lassen, dennoch aber in geringfügigen Details stets voneinander unterschieden sind, könnte man in diesem Bemühen nach Vielfalt und Individualität eine Form der imitatio naturae vermuten, ohne dass ich dies jedoch durch Textquellen stützen könnte. Vielleicht folgte man auch lediglich, ähnlich wie bei den Hieroglyphen dieser Epoche, der Maxime variatio delectat.590
Die wichtigsten Baumaterialien wurden fast alle bereits sehr früh in der Entstehungsphase der Architektur massenhaft verwendet, zunächst Holz und Ziegel, ab der 3. Dynastie regelmäßiges Kalksteinquadermauerwerk. Sandstein hingegen wird auf staatlichen Baustellen erst ab der Zeit landesweit verwendet, als sich das politische Zentrum für zwei Jahrhunderte nach Oberägypten
Wissenszuwächse und Innovationen wurden also nicht nur durch die wirtschaftliche und administrative Potenz des Landes ermöglicht, sondern oft auch durch Krisen, Konflikte, Druck oder Einfluss von außen inspiriert. Dies steht dem Selbstbild der Ägypter entgegen, die sich als eine Kultur wahrnahmen, die auf Tradition und Kontinuität beruhte.
Wissenserhalt und Wissensverlust
Die größten bauorganisatorischen Leistungen scheinen in Zeiten starker Zentralgewalt vollbracht worden zu sein. Das hat wohl weniger epistemische Gründe und ist eher darauf zurückzuführen, dass der Staat die notwendige Ressourcenbündelung durchsetzen konnte. Es ist aber bemerkenswert, dass das erforderliche Wissen etwa zum Transportieren schwerer Lasten, obwohl es in den ‚Zwischenzeiten‘ nicht oder nur sporadisch angewendet wurde, langfristig nicht verloren ging, sondern sogleich wieder praktiziert wurde, sobald die wirtschaftlichen Kapazitäten verfügbar waren. Dies wird zum einen darin begründet sein, dass die Transporttechnik viele Beteiligte erforderte, die zumindest Teilbereiche davon verbreiten konnten (Allgemeinwissen), zum anderen darin, dass es auf einfachen Verfahrensweisen beruhte und auch in kleinerem Maßstab weiterbetrieben werden konnte, sodass das Wissen nie ganz verloren ging. Eine schriftliche Fixierung der notwendigen Kenntnisse ist unwahrscheinlich, allerdings gibt es immerhin Darstellungen (Abb. 1.10).
Über die in den Wissensinstitutionen aufbewahrten Inhalte wissen wir zu wenig, um präzisieren zu können, inwieweit sie zum Erhalt von Wissen über Krisenzeiten hinweg beigetragen haben. Da es jedoch spätestens nach dem Alten Reich stets mehrere bedeutende kulturelle Zentren gab, die über das Land verteilt waren, ist anzunehmen, dass mehrfach kopierte Dokumente nie ganz verloren gingen. Ein großer Teil der uns erhaltenen Schriftstücke sind Abschriften älterer Exemplare, was auch dahingehend gedeutet werden kann, dass man dem Verlust wertvollen Wissens gezielt vorbeugen wollte.
Als weit gefährdeter ist demnach das nicht schriftlich fixierte Handwerkerwissen anzusehen, insbesondere da es als geheim galt und in der Praxis vermittelt wurde. Das Studium alter Denkmäler in der Spätzeit mag ein Hinweis darauf sein, dass in dieser Zeit ein Wissensdefizit wahrgenommen wurde und die regulären Wissensquellen
Nicht angewendetes und nicht entwickeltes Wissen
Ein frappierendes Beispiel für Wissen, das nicht oder nur punktuell angewendet wurde, obwohl es vorhanden war, ist das Keilsteingewölbe. In der Spätzeit, ab ca. 760 v. Chr., wurden einige dieser Konstruktionen errichtet, ohne dass dies einen nachhaltigen Effekt auf die damalige Architektur gehabt hätte. Dies zeigt, dass der Wissensbestand eben nur eines von mehreren Elementen ist, die den Ausschlag für eine bestimmte Bauform geben.
Der Steingewölbebau leitet über zum Brückenbau. Man darf annehmen, dass eine Kultur, die Pyramiden und monumentale Tempel hervorgebracht hat, theoretisch in der Lage gewesen wäre, die zahlreichen, das Land durchziehenden Wasserwege zu überbrücken. Spätestens in der 19. Dynastie hat man dies offenbar auch getan, den Vorgang jedoch scheinbar keiner inschriftlichen Erwähnung für Wert befunden. Man kann natürlich einwenden, die vergleichsweise geringe Bedeutung des Straßennetzes und die um so höhere der Schifffahrt hätten Brücken obsolet, vielleicht sogar hinderlich gemacht. Rostem
Verhältnis Theorie – Praxis
Das technische Bauwissen
Religiöse, also nichttechnische Theorien haben in das Bauwesen hineingewirkt, etwa wenn dem Sonnengott geweihte Tempel ohne Dächer errichtet werden, da seine Strahlen sonst nicht hätten hineinreichen können. Technische Theorien hatten die damaligen Bauleute sicherlich, aber sie lassen sich nicht rekonstruieren. Warum kann Metall Stein schneiden? Warum kann Stein scheinbar unendlich viel Gewicht tragen, zerbricht aber, wenn man ihn als überspannenden Balken zu dünn bemisst? Warum bindet Anhydrit schlechter ab als Gips, obwohl er heißer gebrannt wurde? Dazu hatte man vermutlich eine Meinung, aber wir kennen sie nicht.
Wenn man Mythos als eine Form der Wissenschaft begreift, welche Konsequenzen hat diese Gleichung auf unsere epistemische Fragestellung? Welche Auswirkungen haben mythologische Theorien auf die Wissensentwicklung? Wie denken und handeln Baumeister und Bauleiter, in deren Vorstellungswelt die Erde der Gott Geb
Aus der Sicht der aufgeklärten Menschen müsste man diese Frage schon aus dogmatischen Gründen bejahen: Eine mythische Weltsicht muss den Menschen daran hindern, Ursachenforschung zu betreiben, physikalische Prozesse zu hinterfragen, Theorien zu entwickeln und experimentell zu verifizieren. Der Baubefund hingegen zeigt ein anderes Bild. Die mythische Definition des Erdbebens hat effektiven Erdbebenschutz nicht verhindert, die negative Wahrnehmung der Wüste nicht die Ausbeutung ihrer Bodenschätze usw. Ebenso wenig lassen sich umgekehrt die vergleichsweise gering erscheinenden Leistungen auf dem Gebiet der Mechanik und des Ingenieurbaus mit mythischen Denkweisen erklären, sondern mit der personellen Struktur des Bauwesens. Die Tatsache, dass die Baustellen von Verwaltungsbeamten und nicht von Architekten oder Ingenieuren geleitet wurden, wirkte sich naturgemäß auf die gesamte Bautechnik und damit auf die Entwicklung des technischen Wissens aus. Religiöse Vorstellungen und Mythen verhindern Wissen nicht, sie sind vielmehr das Format, in dem Wissen formuliert und in Zusammenhänge eingeordnet wird. Für den Erdbebenschutz eines Gebäudes ist es völlig unerheblich, ob die Erde durch die Bewegungen einer Gottheit oder der tektonischen Platten bebt.
1.3.4 Schluss
Bevor die wissensgeschichtlichen Ergebnisse zusammengefasst werden können, ist noch auf eine wesentliche Frage einzugehen, und zwar warum die altägyptische Kultur überhaupt eine derart intensive Bauaktivität entfaltet hat. Während Ägyptenreisende Tempel und Pyramiden mit großem Staunen zur Kenntnis nehmen, laufen routinierte Ägyptenforscher leicht Gefahr, den Wald vor lauter Säulen nicht zu sehen: Das übermächtige architektonische Erbe ist kaum zu erfassen, dabei muss die Wirkung der Bauten auf ihre Betrachter in historischer Zeit noch größer gewesen sein als heute.
Will man den Versuch wagen, sich in die Lage eines altägyptischen Rezipienten von Architektur zu versetzen, sollte man sich zunächst vor Augen führen, dass Bauten nicht nur in ihrer Vollendung, sondern auch in ihrer Entstehung wahrgenommen wurden. Großbauprojekte dauerten Jahrzehnte, teils Jahrhunderte. Solange die großen königlichen Nekropolen oder der Reichstempel von
Hier wird deutlich, dass die auf die göttliche Sphäre gerichteten Monumentalbauten selbstverständlich auch auf die Bevölkerung wirkten, und das geschah keineswegs unabsichtlich. Monumentalbauten waren Medien, über die der König und sein Apparat aus Beamten und Priestern den eigenen Herrschaftsanspruch kommunizierten. Nur dieses Potential der Architektur erklärt den immer wieder zu beobachtenden Versuch, die Amtsvorgänger in ihren Bauaktivitäten noch zu übertreffen. Dabei war man so erfolgreich, dass ganze Naturlandschaften unwiederbringlich in Kulturlandschaften, in Artefakte verwandelt wurden – ein Vorgang, den die Neuzeit gut kennt, der aber auf antike Rezipienten übermenschlich gewirkt haben muss. Der königliche Anspruch, ein Gott zu sein, offenbart sich wohl durch keine andere Handlung so wie durch das Bauen.
Durch diese Konkurrenzsituation bekommen die Gebäude nicht nur eine gewaltige räumliche, sondern auch eine ebenso große zeitliche Dimension. Der Blick in die eigene Vergangenheit wird in die Zukunft gespiegelt; die eigenen Bauten sollen von ebenso langer Dauer sein wie die der Vorfahren. Deren Leistungen steckten den Rahmen ab, in dem man sich bewegte. Dies hat zu einer Geringschätzung von Innovation geführt, die naturgemäß jede Entwicklung behindert, andererseits sicherlich die Konservierung von Wissen auch über Krisenzeiten hinweg begünstigt hat. Es lassen sich nur wenige Phasen der ägyptischen Geschichte ausmachen, in denen Innovation massiv stattfand und/oder gefördert zu worden sein scheint. Dafür wurde das erworbene Architekturwissen über baulich passive Perioden hinweg tradiert bzw. nach solchen Phasen erfolgreich wiederbelebt. Dies ist umso bemerkenswerter, als sich nur wenige verschriftlichte Wissensformen nachweisen lassen. Die Bauten selbst waren jedoch eine allgegenwärtige Erinnerung daran, was leistbar war. Da eƒin hoher Prozentsatz der Bevölkerung an den Bauprojekten beteiligt war, war zumindest das Basiswissen vielfach gespeichert und konnte nicht so leicht verloren gehen.
Expertenwissen war freilich gefährdeter. Gewölbebau, Felsgräber und das Aufstellen von Obelisken beispielsweise erfordern ohne Zweifel Spezialisten, und tatsächlich lassen sich hier Brüche beobachten. Als wichtigste Träger des technischen Bauwissens im pharaonischen Ägypten
Dies war zu einem guten Teil dem Reichtum, um nicht zu sagen dem Überfluss an Ressourcen zu verdanken, der dem ägyptischen Bauwesen in seinen produktiven Phasen zur Verfügung stand. Denn diese Ressourcen galt es ja stets zu verwalten. In epistemischer Hinsicht kann man hierin nicht nur förderliche, sondern auch hinderliche Effekte erkennen. Insbesondere die allgemeine Arbeitspflicht bot wenig Anreize zur Ökonomisierung menschlicher Arbeitskraft etwa durch mechanische Hilfsmittel. Stein und Schlamm für die Ziegelproduktion waren so reichlich vorhanden, dass an einer Transporttechnik festgehalten werden konnte, deren Materialbedarf das der Bauwerke um ein vielfaches überstieg. Letztlich aber offenbart sich hier auch ein Beharren auf den sozialen Strukturen, in denen ein Heer ungelernter Transportkräfte einer Minderheit an ausgebildeten Facharbeitern gegenüberstand. Komplexe mechanische Hilfsmittel hätten eine weit größere Anzahl Qualifizierter erfordert. Hätten diese Leute nicht eines Tages eine Verlagerung der staatlichen Bauaktivitäten einfordern können? Man kann nur mutmaßen, wozu diese Gesellschaft fähig gewesen wäre, wenn sie ihre Kräfte etwa auf den Ausbau der zivilen Infrastruktur gerichtet hätte.
Danksagung
Der hier vorgelegte Text ist nicht zuletzt das Ergebnis zahlreicher Diskussionen mit Fachkollegen, denen ich hier meinen Dank aussprechen möchte; stellvertretend genannt seien Wilhelm Osthues, Dietmar Kurapkat und Antonio Becchi. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts ergeht herzlicher Dank an Katja Lembke, Hans-Werner Fischer-Elfert und besonders Stephan Seidlmayer, dem ich wertvolle Anregungen verdanke.
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Fußnoten
Petrie 1940 Wisdom of the Egyptians. Dieses Werk ist allerdings sowohl hinsichtlich der Quellen als auch hinsichtlich seiner Interpretationsansätze so veraltet, dass es selbst schon wieder von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse ist. William M. F. Petrie lebte 1853–1942, siehe Dawso