2.1 Historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Entwicklung der griechischen Architektur
Dieser Gegensatz zwischen der relativen Homogenität der Architektur und der Vielfalt der Entwicklungen auf gesellschaftlicher und staatlicher Ebene bedeutet keineswegs, dass die Architektur eine von der übrigen Entwicklung losgelöste Sphäre gewesen wäre. Die Beziehungen sind nur nicht so offensichtlich wie in anderen Epochen. So lässt sich beispielsweise innerhalb der Architekturentwicklung selbst keine Erklärung dafür finden, warum etwa die größten, und damit technisch in mancher Hinsicht schwierigsten Bauprojekte keineswegs, wie in vielen anderen Epochen, nicht erst am Ende der Periode realisiert worden sind, sondern im Gegenteil schon sehr früh, nämlich in hoch- und spätarchaischer Zeit. Erklärbar ist das nur, wenn man die Projekte im politischen Kontext sieht, zu dem sie gehörten: Sie waren Werke der älteren Tyrannis, von deren Megalomanie sich spätere Staatswesen erkennbar absetzen wollten. Auch die Organisation des Bauwesens hat sich im Gefolge der gesellschaftlichen Entwicklung nachhaltig verändert. Während die frühen Tyrannen offenbar große Teile ihrer Untertanen für ihre Projekte pauschal zum Dienst verpflichteten, haben die Demokratien die Projekte in vergleichsweise kleine Baulose aufgegliedert, die – soweit erkennbar – unter Leitung eines Architekten von privaten Unternehmern realisiert wurden. Des Weiteren wird man beispielsweise auch die prominente Stellung, die das korinthische Kapitell in hellenistischer Zeit einnahm (und später von den Römern aufgegriffen wurde), kaum erklären können ohne Bezug auf den besonderen Repräsentationsanspruch der hellenistischen Königshäuser, der sich eben nicht in übermäßig großen Bauwerken manifestiert hat.
Als Bezugsebene für entsprechende Überlegungen soll nachfolgend ein ganz knapper Abriss der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der hier betrachteten Epochen vorangestellt sein.1
2.1.1 Archaische Zeit (8.–6. Jh.)
Spätestens zu Beginn der archaischen Epoche, eventuell auch etwas früher, entsteht die Polis, der griechische Stadtstaat, der gleichermaßen Siedlungsform und autonome politische Einheit ist. Die Stadt als reine Siedlungsform wurde als ἄστν bezeichnet. Zur Polis gehörte stets ein meist naturräumlich definiertes Umland, die χὼϱα, für die Produktion der Nahrungsmittel. Wohl häufiger entstand die Polis nicht durch natürliches Wachstum, sondern durch einen formellen politischen Zusammenschluss den συνοικισμόϛ (das ‚Zusammenwohnen‘) verschiedener Dörfer und Weiler, wie etwa Athen auf Initiative des legendären Gründers Theseus.2 Man kennt heute etwa siebenhundert solcher autonomen griechischen Städte. Nur im Norden des Festlandes, in Aitolien
Große Bedeutung für den Prozess der Urbanisierung, und sicher in archaische Zeit zu datieren, ist die sog. ältere Kolonisation. Ihr Schwerpunkt fällt in die Zeit von ca. 750 bis 550/40.3 Ausgelöst vor allem durch Nahrungsmangel, aber auch durch schwere Fraktionierungen in der Bürgerschaft bis hin zum Bürgerkrieg, oder auch durch kriegerische Verdrängung, sendete eine Mutterstadt (μητρόπολιϛ), manchmal auch mehrere Städte gemeinsam, Kolonisten aus. Die Koloniestädte waren politisch unabhängig von ihren Mutterstädten – Steuern werden nur ausnahmsweise abgeführt – und gaben sich selbst Verfassungen. Häufig bildeten die Familien der ersten Kolonisten den späteren Adel. Kolonien wurden meist in unbesiedelten Gebieten niedergesetzt, aber gleichwohl meist sehr früh befestigt. Koloniestädte konnten innerhalb von relativ kurzer Zeit wiederum selbst zu Metropoleis neuer Kolonien werden. Schwerpunkte der älteren Kolonisation waren der nördliche Ägäisraum
Die griechischen Gesellschaft der archaischen Epoche unterscheidet sich in politischer Hinsicht von den vorhergehenden Epochen – der späten Bronzezeit, d. i. in Griechenland
Die Aristokratien vergaben öffentliche Ämter auf jeweils ein Jahr, meist als Wahlamt. (Die Bestimmung der Amtsträger durch das Los ist eine spätere, demokratische Verfahrensweise, weil dadurch die Organisation von Stimmkontingenten durch einflussreiche Adelige verhindert wurde.) Eine Trennung zwischen den ‚Beamten‘ und der Priesterschaft gab es in der Regel nicht, vielmehr gehörte zu den Amtspflichten eines Teils der Beamten wesentlich die Ausübung kultischer Handlungen. Erbliche Priesterämter gab es nur in einigen Heiligtümern.
Parallel zu diesen Aristokratien gab es etwa seit dem 7. Jahrhundert in allen Teilen des griechischen Siedlungsgebietes auch bedeutende Stadtstaaten, die von Alleinherrschern, den sog. Tyrannen, beherrscht wurden. Zu diesen Poleis zählten im Mutterland beispielsweise in Korinth
Der politische Partikularismus der Griechen, der mit der Polisbildung verbunden war, erklärt die hohe Bedeutung regionaler oder gemeingriechischer, ‚panhellenischer‘ Heiligtümer. Zwar wurden die Heiligtümer durch einzelne Städte oder Städteversammlungen kontrolliert, doch galt der Zugang zu den Heiligtümern und den dort abgehaltenen periodischen Festen als Recht aller Griechen. Nur sehr selten wurden einzelne Poleis von der Teilnahme an den Festen und Spielen ausgeschlossen, und das auch nie auf Dauer. Die Heiligtümer erhielten bedeutende Stiftungen von den Städten, etwa den Zehnten der Kriegsbeute, die dem Kultinhaber des Heiligtums geweiht wurde. Für die Entwicklung der Architektur von erheblicher Relevanz waren die Gebäudestiftungen in den Heiligtümern. So bauen einzelne Städte dort eigene ‚Schatzhäuser‘ zur Aufbewahrung von wertvollen Weihgeschenken. Große Tempelbauten wurden entweder durch die verwaltenden Städte finanziert, oft mit Kriegsbeute, oder durch Sammlungen unter den Städten mit besonderer Beziehung zum jeweiligen Heiligtum. Erst ab der Spätklassik wurden Bauten in den panhellenischen Heiligtümern auch von Einzelpersonen gestiftet.
2.1.2 Klassische Zeit (5. und 4. Jh.)
Das fünfte Jahrhundert war im Mutterland durch zwei große Konflikte bestimmt: die Auseinandersetzung mit dem Perserreich, die v. a. die erste Jahrhunderthälfte bestimmte, und den ‚peloponnesischen‘ Krieg zwischen Athen und Sparta, der die Entwicklungen im letzten Drittel des Jahrhunderts dominierte. Im Westen setzten sich die Griechen, annähernd zeitgleich mit dem Sieg über die Perser im Osten, auch gegen eine weitere antike Großmacht durch: Unter den Tyrannen von Syrakus
Die Perserkriege brachten den Griechen im Ergebnis ein teilzerstörtes Land und reiche Beute. Beides galt insbesondere für Athen
Die neugewonnene Machtstellung Athens
Die Rivalität zwischen Athen
Im folgenden 4. Jahrhundert kämpften zunächst die großen griechischen Stadtstaaten untereinander um die Vorherrschaft (Hegemonie), die jedoch von keiner der beteiligten Poleis dauerhaft etabliert werden konnte. Der vorläufige Gewinner dieser Auseinandersetzungen war der alte gemeinsame Feind vom Anfang des fünften Jahrhunderts, das Perserreich, das hauptsächlich durch Geldmittel schon zuvor massiven Einfluss auf den Ausgang des peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta genommen hatte. Der allgemeine Landfrieden von 386 mit Zusicherung der Autonomie der Städte wurde offen den Persern zugeschrieben (‚Königsfrieden‘).
Entscheidend zurückgedrängt wurde der persische Einfluss etwa ab der Mitte des Jahrhunderts durch den Aufstieg des makedonischen Königshauses unter Philipp II.
2.1.3 Hellenistische Zeit (323 bis 31)
Als Epochenbegriff bezeichnet der Hellenismus die Zeit vom Tod Alexanders
Die Ausbreitung der griechischen Kultur als das bestimmende Merkmal der Epoche hatte ihre politische Basis in den Ergebnissen des Alexanderszuges
Diese zunächst durch Eroberungen bedingte Ausbreitung führte zur Übernahme der griechischen Kultur auch durch Staaten und Städte, die niemals von Griechen erobert oder beherrscht worden waren. Ein prägnantes Beispiel dafür ist der mittelitalische Hellenismus, dem auch Rom
Die zunächst noch selbständige hellenistische Staatenwelt unterschied sich bereits grundlegend von der Polisgesellschaft der klassischen Zeit. Auf der einen Seite entstanden als Territorialstaaten die hellenistischen Großreiche der Antigoniden (Makedonien
In griechischen Mutterland entstanden in dieser Phase Staatenbünde, mit denen die autonomen Poleis ihre Freiheit zu sichern suchen. Staatenbünde waren zwar an sich schon viel früher entstanden, doch waren sie in älterer Zeit meist Organisationen direkter oder indirekter Herrschaft einzelner Poleis wie Sparta
Neben den alten Poleis stand die schon angesprochene große Zahl neuer Städtegründungen im Osten, vor allem auf dem Gebiet der heutigen Türkei
Gemeinsam war den alten und den neuen Städten in hellenistischer Zeit, dass das urbanistische Niveau der Städte oft weit höher lag als das der klassischen Poleis. Die Anzahl und die Qualität öffentlicher Bauten stieg erheblich. Viele Städte verfügten über politische und Handelsmärkte, die von Säulenhallen (Stoen) eingefasst, und deren Freiflächen gepflastert wurden. Hinzukamen Theater, Gymnasien und Palästren für Sport und Freizeit, öffentliche Bibliotheken und Amtsgebäude für die Verwaltung. Die meisten dieser Gebäudetypen waren an sich älter, wurden in hellenistischer Zeit aber sehr viel häufiger gebaut, und nicht selten mit sehr viel mehr Aufwand. Ein weiterer Unterschied zur klassischen Epoche war der aufkommende Luxus im Bereich der Wohnhäuser wohlhabender Privatleute. Vorbild waren die Paläste der hellenistischen Herrscher, die ihrerseits keine Vorbilder in archaischer und klassischer Zeit hatten. Der private Wohlstand der Oberschicht führte zudem zur Monumentalisierung der Sepulkralarchitektur. Es entstanden z. B. Grabanlagen mit mehreren Räumen, und teilweise unterirdischen Grabkammern.
Die frühe Phase des Hellenismus war, trotz der vielen Kriege, per saldo in vielen Gebieten eine Periode der Moderne und des Wohlstands. In die umgekehrte Richtung verlief die Entwicklung allerdings nach den Eroberungen der Römer. Ihr Ziel war nicht die Entwicklung, sondern die Ausbeutung der Städte, die bis zur Plündung und Zerstörung sowie zur Versklavung der Wohnbevölkerung reichte, wenn die Städte in Aufstände gegen die römische Herrschaft verwickelt waren. Die Zerstörung Korinths
2.2 Bauverwaltung
Das Prinzip, Entscheidungen und Abläufe von öffentlichen Bauprojekten durch Inschriften dauerhaft und öffentlich zu dokumentieren, ist fast so alt wie der griechische Werksteinbau: die ältesten Fragmente solcher Aufzeichnungen datieren in die Mitte des 6. Jahrhunderts. Wirklich fassbar wird die Verwaltungsorganisation in Inschriften aber erst ab der Mitte des 5. Jahrhunderts in Athen
Die Inschriften lassen sich, entsprechend ihrer Bedeutung im Bauprozess, etwa folgendermaßen typisieren:8
Baubeschlüsse öffentlicher Gremien, teilweise mit Bestimmungen für die Konzeption und Durchführung des jeweiligen Projektes,
Projektbeschreibungen;
Stücklisten mit technischen Spezifikationen, teilweise mit Angabe der jeweiligen Lieferanten;
einzelne Leistungsverträge zwischen Baukommissionen und Unternehmern und deren Abrechnung;
periodische Rechenschaftsberichte der Baukommissionen zur Herkunft und Verwendung von Geldmitteln:
allgemeine, gesetzliche Regeln für das Bauen, und speziell für die vertraglichen Beziehungen von Auftraggebern und Unternehmern (‚Bauvertragsrecht‘ bzw. ‚Verdingungsordnungen‘).
Hinzukommen noch Angaben in Dokumenten der allgemeinen Finanzverwaltung, die vor allem die Baufinanzierung oder Mittelzuweisung betreffen, sowie Ehrenbeschlüsse und Ehreninschriften, die auf Bauaktivitäten der Geehrten Bezug nehmen.
In ihrem Aufbau entsprechen diese Inschriften meist den üblichen Regeln für die Dokumentation von Beschlüssen und Verwaltungsvorgängen. Am Anfang der Inschriften, im sog. ‚Praeskript‘, wird meist angegeben, um welches Gremium es sich handelt, wer Mitglied war und gegebenenfalls in welcher Funktion, und die Datierung.
Gewisse Schwierigkeiten für die Interpretation der Urkunden ergeben sich erstens aus der dezentralen politischen Struktur, d. h. der politischen Autonomie der Poleis. Keiner Stadt war es verwehrt, individuelle Organisationsformen und Amtsbezeichnungen festzusetzen. Selbst in Phasen, in denen die politische Autonomie der Poleis massiv beschränkt wurde, blieb das Bauwesen stets einer der wenigen Bereiche, in denen sich die Autonomie der Städte noch geltend machen konnte. Sprachlich sind die auch in amtlichen Urkunden verwendeten Dialekte kaum ein Problem, eher die Interpretation der handwerklich-technischen Termini. Die bei weitem größte Schwierigkeit in der Auswertung der Bauinschriften liegt jedoch in ihrer Erhaltung: Fast immer sind nur mehr oder weniger große Bruchstücke der Inschriften erhalten, manchmal auch Abschnitte durch Erosion oder Zweitverwendung der Steine unleserlich. Die Zuverlässigkeit der Ergänzungen der Texte durch die Herausgeber ist pauschal nicht zu beurteilen. Vor allem dann, wenn mehr oder weniger standardisierte Formulierungen in periodischen Berichten, Listen, bei Praeskripten usw. verwendet wurden, sind Ergänzungen problemlos möglich. Oft jedoch sind für die Interpretation zentrale Begriffe ergänzt, die zwar das Richtige treffen können, naturgemäß jedoch nicht als Beleg für den entsprechenden Sachverhalt herangezogen werden können.
2.2.1 Die Bauherren
In den gemeingriechischen Heiligtümern trat als Bauherr entweder das leitende Gremium des Heiligtums auf, oder aber auswärtige Stifter. Die Mitglieder der Gremien, die den Heiligtümern vorstanden, wurden meist von der Stadt delegiert, auf deren Territorium das Heiligtum lag, wie für die Boulé von Olympia
Als Person bekannte Bauherrn sind zunächst meist Alleinherrscher wie Könige oder Tyrannen. Den Herrschern der sog. älteren Tyrannis der archaischen Zeit schreiben die antiken Quellen häufig die Initiative für große Bauprojekte zu: Polykrates von Samos
Aus dem 5. Jahrhundert kennt man vereinzelt ‚private‘ Stifter, meist Adelige, die aus wohlhabenden Familien stammten und öffentliche Ämter wahrnahmen. Ab dem späten 4. Jahrhundert kennt man auch Stifter, die durch Gewerbe zu Vermögen gekommen waren. In hellenistischer Zeit hängen städtische Bauprojekte zunehmend stärker von der Finanzierung durch lokale Honoratioren ab. Aufgrund entsprechender Ehrungen und Danksagungen durch die Städte sind einige von ihnen namentlich bekannt.
2.2.2 Baufinanzierung
Erstaunlich ist, dass trotz der oft enorm hohen Kosten und der Probleme mit unzureichenden Finanzierungen, die ja durch Bauten wie die oben genannten bekannt gewesen sein müssen, in den Quellen sich kaum Hinweise auf Kalkulationen von Gesamtbaukosten finden, und zwar auch dort nicht, wo der Baubeschluss erhalten ist. Einfach war die Finanzierung wohl nur dann, und erforderte auch keine weitergehende Finanzplanung
2.2.3 Zuweisungen aus öffentlichen Kassen und Abtretungen von städtischen Einnahmen
Ein bekanntes Beispiel für eine Mischfinanzierung ist der Bau des Parthenon in Athen
Keine Rolle bei der Finanzierung von Bauten spielten in Athen
2.2.4 Eigenmittel der Heiligtümer
Eine Mischfinanzierung, bei der Eigenmittel21 eine Rolle spielten, ist schon für die archaische Zeit aus Delphi
2.2.5 Stiftungen
Stiftungen spielten von Anfang an in den Heiligtümern eine zentrale Rolle bei der Finanzierung. Etwa ab dem 4. Jahrhundert bekamen Stiftungen auch in den Städten immer mehr Gewicht, weil die Poleis wegen des wirtschaftlichen Niedergangs durch die endlosen Kriege selbst für Reparaturen auf die Mittel von Privatleuten angewiesen waren.
Eine sehr früh bereits fest etablierte Form der Stiftung war die Weihung von Kriegsbeute durch Städte oder Einzelherrscher, denn die Vorstellung, ein Sieg sei ohne die Hilfe der Götter denkbar, galt offenbar als Hybris. Gängige Praxis war die Weihung des Zehnten aus der Beute. Üblich waren keine Barspenden, sondern – neben Teilen der Kriegsbeute selbst (wie etwa Waffen) – entsprechend aufwändige Weihgeschenke, die vor allem in den überregionalen Heiligtümern der Selbstdarstellung und Propaganda der Sieger dienten. Viele der bedeutendsten Tempelbauten sind in diesem Sinne als Sieges-Weihgeschenke aufzufassen, wie etwa der Zeustempel in Olympia
Einzelherrscher traten als Euergeten schon früh auf. Nach Plinius
Wohlhabende Privatpersonen als Euergeten von Bauwerken traten vereinzelt bereits früh auf. Schon Themistokles
Die Stiftungen durch Einzelpersonen entwickelten im Laufe der Zeit eigene, relativ feste Formen.38 Der Stifter wurde von der empfangenden Stadt oder dem Heiligtum mit dem Titel Euergetes (‚Wohltäter‘) oder Proxenos mit Niederlassungsrecht (‚Gastfreund‘) geehrt. Die entsprechenden Beschlüsse der Gremien wurden in Form von Inschriften veröffentlicht. Bei bedeutenden Spenden konnte auch eine Ehrenstatue dekretiert werden, oder dem Stifter das Recht zugesprochen werden, eine solche auf eigene Kosten an prominenter Stelle aufzustellen.
2.2.6 Kreditfinanzierungen, Subskriptionen und Umlagen
Soweit erkennbar, wurde von einem älteren Finanzierungsinstrument
2.2.7 Unentgeldliche Arbeit
Frondienste der Bevölkerung bei Bauprojekten sind lediglich für die sog. Ältere Tyrannis bekannt. So ließ etwa Aristodemos
Berichte über Kriegsgefangene, die zur Mitarbeit an Bauprojekten herangezogen wurden, gibt es aus Sizilien
Sklavenarbeit spielt hingegen eine erstaunlich geringe Rolle. Inschriftlich bekannt ist die Steinmetzarbeit der Tempelsklaven in Didyma
2.2.8 Projektmanagement
Ein nur periodisch tagendes Gremium mit umfassender Zuständigkeit wie der Rat einer Stadt oder eines Heiligtums konnte naturgemäß nicht selbst ein Bauprojekt leiten, bei dem ständige Präsenz erforderlich war. Demgemäß wurden die Projekte immer delegiert an einen Repräsentanten des Bauherrn, der zwischen diesem und den Ausführenden vermittelte. Zwei Formen dafür lassen sich unterscheiden. Die erste, weil historisch ältere Form ist die Übergabe des Projekts zur Durchführung an eine einzelne Person mit umfassenden Kompetenzen. Die zweite Form ist die Delegation des Projektes an eine Behörde. Was sich hingegen nirgendwo belegen lässt, sind zwei aus anderen Epochen und Kulturen als Standard bekannte Organisationsformen, nämlich die Übergabe der Bauleitung an den entwerfenden Architekten49 oder eine Bauhütte. Es ist zudem kein Architekt nachweisbar, der als Inhaber eines Bauunternehmens ein komplettes Bauprojekt übernommen hätte.50 Charakteristisch ist für das Bauwesen vielmehr, dass die Oberleitung stets – in Gremien mindestens mehrheitlich – bei Personen lag, die Bauen nicht als Beruf betrieben.
Das archaische System der personalen Gesamtverantwortung
Die Projektleitung durch eine einzelne Person (oder Familie) findet man ausschließlich in archaischer Zeit. Die konkreten Nachrichten darüber sind mehr als spärlich und lassen kaum mehr als die Grundform der Organisation erkennen: Ein sonst unbekannter Agathokles
Die hier angenommene Verpflichtung zum Nachschießen privater Mittel dürfte einige Eckpunkte der archaischen Organisationsformen erklären. Erstens wäre dadurch verständlich, warum die Projektleiter stets reiche Adelige waren und keine kommerziellen Unternehmer, denn nur der Adel konnte sich leisten, erforderlichenfalls Eigenmittel zuzuschießen, die einen Unternehmer nicht hatte oder die ihn ruiniert hätten. Das sicherte zugleich die Exklusivität der Aufgabe, also Prestige für den Leiter, und machte die Aufgabe damit für den Adel würdig. Das Prestige-Motiv wiederum erklärt, weshalb die Bauleitung nicht, wie später, jährlich wechselte, denn nur wenn der Bau als Ganzer einer Person zugeschrieben werden konnte, war der Prestigewert entsprechend hoch, und damit attraktiv für Mitglieder führender Kreise. Es würde schließlich erklären, warum aus keinem dieser Projekte Abrechnungsurkunden, wie sie später üblich wurden, bekannt sind, denn wenn die Projekte ohnehin unterfinanziert waren, war eine Finanzkontrolle durch den Bauherrn überflüssig oder sogar kontraproduktiv, weil sie die persönliche Integrität des adeligen Bauleiters in Zweifel gezogen hätte. Die beschriebene Form der Bauleitung entspräche damit allgemein den Strukturen einer Adelsgesellschaft, die bürokratische Strukturen kaum kannte, und in der personale Beziehungen und Wertesysteme dominierten. Der Normalfall dürfte gewesen sein, dass der vom Adel gebildete Rat einfach eines seiner Mitglieder mit der Gesamtverantwortung beauftragte.
Die überlieferten Nachrichten zeigen jedoch auch die problematische Seite dieser Verfahrensweise. Der erwähnte Agathokles
Die Baubehörden der klassischen und hellenistischen Zeit
Bekannt sind jedoch vor allem die ständigen Behörden, die ausschließlich mit der Leitung von Bauprojekten betraut waren. Hierher rechnen vor allem die Teichopoioi, eine in verschiedenen Städten nachweisbare, ständige Kommission für die Stadtmauern.63 Ähnliche Behörden sind die für die Straßen in Athen
2.2.9 Baukommissionen
„[(Die Phyle) Leontis hatte die Prytanie inne. Beschlossen haben der Rat und da]s [Vol]k, [… war Epistates, Gl]aukosstellte den Antrag: [Für die Athena Ni]ke soll man eine Priesterin, welche d[urch das Los] aus sämtlich[en] Athenerinnen [bestimmt wird, einsetz]en und das Heiligtum mit einer Tür ausstatten in der Weise, wie Kallikrates in seinem Entwurf es festlegt; den Auftrag vergeben sollen die Poletai in der Prytanie der (Phyle) Leontis. […] Einen Tempel soll man bauen in der Weise, wie Kallikrates in seinem Entwurf festlegt, sowie einen Altar aus Marmor. vacat. Hestiaios stellte den Antrag: Drei Männer soll man wählen aus dem Rat; diese sollen, wenn sie gemeinsam mit Kallikrat[es] den Entwurf ausgearbeitet haben, in[formieren den Ra]t, in welcher Weise die Auftr[agsvergabe erfolgen soll…].“
Die stark ergänzten Reste der ersten Zeilen sind das sog. Formular, die den Text als Volksbeschluss (psephisma) ausweisen. Ergänzbar ist es vor allem deshalb, weil es sich um weitgehend standardisierte Formulierungen handelt. Die Angabe der Prytanie datiert den Monat, da die Prytanen nur 35 Tage amtierten. Die Jahresdatierung durch Angabe des Namens des jährlich bestimmten Oberbeamten (archon eponymos) fehlt. Die Inschrift wird wegen der Buchstabenformen (dreigestrichenes Sigma) auf ca. 450 datiert. Der Beschluss durch das Volk und den Rat bedeutet, dass verfassungsgemäß der Beschluss der Volksversammlung vom Rat vorberaten worden war. Dessen probuleuma im ersten Abschnitt der Inschrift wird ergänzt von dem angenommenen Zusatzantrag des Hestiaios.
Inhaltlich sah der Beschluss vor: die Zuweisung einer eigenen Priesterin an das bereits bestehende Heiligtum der Athena Nike (südlich vom Eingang zur Akropolis), den Verschluss des offenbar bereits ummauerten Heiligtums (temenos) durch eine Tür, und den Bau von Altar und Tempel. Der entwerfende Architekt Kallikrates
Erst durch den Zusatzantrag wurde eine spezielle Kommission aus drei Ratsmitgliedern eingesetzt. Ihre Aufgabe war die Vorbereitung der Auftragsvergabe, d. h. ein Leistungsverzeichnis zu erstellen, das als Basis für die Ausschreibung und Vergabe der Werkverträge an verschiedene Unternehmer dienen konnte. Ein Generalunternehmer war offensichtlich nicht vorgesehen, denn sonst wäre keine vorbereitende Kommission erforderlich gewesen, sondern die Volkversammlung hätte direkt den Generalunternehmervertrag ausschreiben und vergeben können. Solche Generalunternehmer sind aus Athen
Um nun das Leistungsverzeichnis zu erstellen, war ein Bauentwurf erforderlich, aus dem das Leistungsverzeichnis abgeleitet werden konnte. Hier liegt der Grund, warum der Architekt Kallikrates
Es sind hier folglich zwei alternative Organisationsmodelle benannt, wobei das Probuleuma für das ältere Modell der Arbeitsteilung zwischen Architekt und ständiger Ausschreibungsbehörde steht, der Zusatzantrag hingegen für die Kooperation von Architekt und Ratsmitgliedern in einer Kommission speziell für dieses Projekt.
Aus der zeitgleichen Arbeit der Parthenon-Kommission (aktiv ab 449) ist bekannt, dass die Kommissionen die Vertragstexte nicht nur formulierte, sondern – nach Bestätigung durch die Volksversammlung, wie im Nike-Dekret vorgesehen – auch die Prüfung und Abrechnung der Vertragsleistungen vornahm. Das wiederum bedeutete, dass die Kommission während der gesamten Projektdauer aktiv war, und die Gelder für den Bau verwaltete, wie für die Parthenon-Kommission ebenfalls belegt ist.
Für die These, dass diese Übertragung der Bauverwaltungsaufgaben von der allgemeinen und ständigen Behörde hin zu speziellen Baukommissionen in dieser Zeit erfolgte, spricht auch eine Inschrift aus dem Heiligtum von Eleusis
Baukommissionen trugen unterschiedliche Amtsbezeichnungen.70 Teils wurden sie einfach allgemein als Epistatai (‚Aufseher‘)71 oder Epimeleten (‚Verwalter‘)72 des jeweiligen Projekts bezeichnet, teils bezieht sich die Bezeichnung auf die Funktion (in Delphi
Die Wahl der Kommissionsmitglieder erfolgte in Athen
Die Amtsperiode blieb in den Beschlüssen meist ungenannt, weil sie den allgemeinen Regeln für die Ausübung von Ämtern entsprach. Ämter wurden als Jahresämter vergeben.84 Vereinzelt war die Amtszeit auch kürzer, wie etwa die des Sekretärs einer Kommissionen in Epidauros mit nur sechs Monaten.85 Die Amtsperiode war also stets wesentlich kürzer als die Bauzeit selbst mittelgroßer Projekte. Da Verlängerung bzw. Wiederwahl nur in Ausnahmefällen vorkam,86 bestand für kein Mitglied die Möglichkeit, wie in archaischer Zeit ein Bauprojekt vollständig zu leiten oder zu kontrollieren. Honorierung ist in einigen Fällen bekannt. Sie liegt jeweils auf dem Niveau der Handwerkerlöhne, eher sogar darunter. Die Epistaten einer Kommission in Eleusis
Die interne Struktur der Kommissionen kennt nur zwei besondere Positionen: den Architekten und Grammateus (‚Schreiber/Sekretär‘). Die Tatsache, dass nie ein Vorsitzender einer Kommission ausgewiesen wird, und zudem, dass die bekannten Kommissionen stets eine ungerade Zahl von Mitgliedern hatten, deutet daraufhin, dass bei unterschiedlichen Meinungen in den Kommissionen abgestimmt wurde, also niemand eine Leitungskompetenz hatte.
Der Kern der Aufgabenstellung war die sachgemäße Verwendung der bereitgestellten Gelder. Das zeigen bereits die älteren Rechenschaftsberichte. Sie nennen die Summe der übernommenen oder neu vereinnahmten Geldmittel, führen die Ausgaben auf (Leistung, Leistungsnehmer, Betrag), sowie die am Ende der Amtsperiode verbliebenen Mittel. Im einzelnen erwähnt wurden der Ankauf von Baumaterialien, die Abrechnung von Werkaufträgen oder die Bezahlung der Handwerker im Tageslohn, sowie die Schlichtung diesbezüglicher Streitfälle. Für letztere konnten gegebenenfalls auch Gerichte herangezogen werden. Mit diesen in den Inschriften greifbaren, eher verwaltungstechnischen Aufgaben und Kompetenzen dürfte die Bedeutung der Kommissionen jedoch noch nicht in jedem Falle angemessen bestimmt sein. Wäre die Arbeit etwa der Parthenon-Kommission auf die bloße Kassenverwaltung beschränkt gewesen, hätte sich wohl kaum jemand wie Perikles – der seinerzeit führende Politiker Athens
Über ihre Tätigkeit hatten die Kommissionen Rechenschaftsberichte abzufassen, die als Inschriften veröffentlicht wurden, also auf Stein und ohne Möglichkeit zur nachträglichen Korrektur bzw. Manipulation. Die Berichtsperioden waren teilweise auch kürzer als die Amtsperioden, wie aus Epidauros
Der offensichtliche Zweck der berichtspflichtigen Kommissionen, die Verhinderung von Unterschlagungen, scheint nicht in jedem Falle durch die neuen Organisationsformen erreicht worden zu sein. Immerhin ein prominenter solcher Fall ist literarisch überliefert für eine Kommission, die man auch aus originalen Inschriften kennt. Für die Schaffung der Gold-Elfenbein-Statue der Athena im Parthenon durch Phidias
2.2.10 Die Syngraphé als Arbeitsgrundlage der Baukommissionen
In dem oben erwähnten Nikedekret war vorgesehen, dass der Tempel nach dem Plan des Architekten Kallikrates
Die Inschrift enthält eine Art Bauplan in Form eines Textes, der bis heute Grundlage für verschiedene Rekonstruktionsvorschläge für die Skeuothek gewesen ist. Jenseits der damit verbundenen Probleme stellt sich im hier diskutierten Kontext vor allem die Frage, warum dieser Text in die Volksversammlung eingebracht und dort auch beschlossen worden ist. Heute würde selbst bei Großprojekten kein Parlament über Blaupausen diskutieren. Die naheliegende Vorstellung, in der direkten Demokratie des athenischen Staates hätte sich die Volksversammlung bis ins Detail mit ihren Bauprojekten befasst, ist bei genauerer Betrachtung kaum tragfähig. Wenn die Volksversammlung sich wirklich mit dem Entwurf als solchem hätte auseinandersetzen wollen, hätte zumindest die Grundrissdisposition in dem Antrag vollständig angegeben sein müssen. Das ist aber nicht der Fall, denn trotz des beachtlichen Umfangs des Textes fehlen dort entwurfsbestimmende Angaben, wie etwa das Joch der beiden inneren Stützenstellungen95.
Umgekehrt sind dort aber wiederum Angaben enthalten, die soweit ins Detail gehen, dass man sich nicht vorstellen kann, dass darüber eine Aussprache in diesem Rahmen hätte stattfinden sollen, wie beispielsweise die Abmessungen der Platten der obersten Schicht des Fundaments, oder die Anzahl der Fundamentplatten unter den Stützen. Beurteilen konnten solche konstruktiven Einzelheiten ohnehin allenfalls Baufachleute, sicherlich jedoch nicht die Mitglieder der Volksversammlung. Nach meinem Verständnis findet sich der Schlüssel für die Antwort auf die Frage, warum solche Projektbeschreibungen trotzdem der Versammlung vorgelegt wurden, in dem schon zitierten Baubeschluss für den Niketempel, bzw. genauer gesagt dem Zusatzantrag des Hestiaios
Aus der Inschrift lassen sich darüber hinaus wichtige Schlussfolgerungen für das Bauwesen dieser Zeit in Athen
2.3 Planung und Bauentwurf
Die hohe Bewertung der planerischen Leistung ist allerdings für den heutigen Betrachter der antiken Ruinen keineswegs evident, und zwar paradoxerweise um so weniger, je mehr dieser Bauten er besucht: Wer etwa die Ruinen der acht dorischen Ringhallentempel von Agrigent
Die Auflösung dieses vermeintlichen Widerspruchs besteht vor allem darin zu erkennen, dass die Architekturordnungen den Architekten Baumuster und Typenarsenale keineswegs so klar definiert vorgaben, dass deren Umsetzung eine Frage allein der Handwerkstechnik war. Zwar gewährleistete der Kanon auf der einen Seite im Bereich Gestaltung der Bauglieder Formen, deren ästhetische Qualität bis heute unbestritten ist. Auf der anderen Seite schuf er aber zugleich Probleme, da die Ordnungen in bestimmtem Sinne nicht widerspruchsfrei waren. Griechische Architekten hatten sich mit spezifischen Systemzwängen auseinanderzusetzen, die sie als Kollektiv selbst geschaffen hatten. Folglich hatten sie sich mit Problemen zu beschäftigen, die es in den Architekturen anderer Epochen schlicht nicht gab. Es ist eines der Hauptanliegen dieses Beitrags, diese spezifischen Probleme der griechischen Architektur zu verdeutlichen. Oder etwas schlichter und allgemeiner gesagt: Es soll etwas von dem deutlich werden, worüber die Architekten überhaupt nachgedacht haben, obwohl sie scheinbar doch ‚immer dasselbe‘ gebaut haben.
Die wichtigste Quelle für die Analyse antiker Entwurfsverfahren sind die Bauten selbst. Schriftquellen dazu gab es zwar in der griechischen Antike nicht wenige, denn Architekten haben sowohl ihre Werke kommentiert sowie systematische Fragen in Texten behandelt. Allerdings sind alle diese Schriften verloren. Von ihrer Existenz wissen wir nur durch die Bücher des römischen Architekten Vitruv
Eine weiteres Methodenproblem der Rekonstruktion des Entwurfsvorgangs aus den Bauten selbst hängt mit den antiken Maßsystemen zusammen. Schon H. Riemann hatte die Forderung aufgestellt, dass ein vollständig rekonstruierter antiker Bauentwurf auch in antiken Maßeinheiten darstellbar sein müsse. Das Grundproblem dabei ist, dass die Griechen – die anders als die Römer nie zu einer staatlichen Einheit gefunden haben – unterschiedliche Maßeinheiten verwendeten, wie schon durch Herodot
Haufig tritt nun aber der Fall auf, dass zwei metrisch gemessene Maße zwar in klarer Proportion zueinander stehen, jedoch nicht in antiken Maßeinheiten formulierbar sind: Die 16 Daktyloi eines Fußes lassen beispielsweise ein Teilung in fünf gleiche Teile nicht ohne Rest bzw. Brüche mit großen Nennern zu. Die Frage nach der verwendeten Maßeinheit hat zu einer Vielzahl von Publikationen und Vorschlägen geführt, die ausgesprochen wenig konsensfähige Ergebnisse gebracht haben. Es mag hier genügen darauf hinzuweisen, dass beispielsweise für den jüngeren Aphaiatempel auf Ägina
2.3.1 Die Architekturordnungen und ihre Verwendung
Abb. 2.1: Ionische Ordnung (Wiegand and Schrader 1904, Abb. 67, modifiziert).
Eine ionische Ordnung ist auf Abb. 2.1 dargestellt. Den Fuß der Säule bildete die auf eine quadratischen Standplatte (Plinthe) gestellte Rundbasis, deren kanonische attische Form aus der Folge von Wulst – Kehle – Wulst gebildet wurde. In archaischer Zeit wurden in den ostgriechischen Siedlungsgebieten alternativ auch Basen samischen und ephesischen Typs verwendet, wobei letztere in der Spätklassik wieder aufgegriffen wurde.109
Der Schaft der Säule hatte bei kanonischer Ausbildung 24 Kanneluren, die durch Stege von einander abgegrenzt wurden. Die beiden verbundenen Voluten des Kapitells ruhten auf einem ionischen Kyma (‚Eierstab‘). Den oberen Abschluss des Kapitells bildete eine dünne Platte. Der Architrav, der die Säulen verband, war an der Front durch drei nach oben vorkragende Faszien (Leisten) gegliedert und wurde von einem schmalen Kyma bekrönt. Über dem Architrav folgte entweder direkt ein Zahnschnitt (wie auf der Abbildung), oder aber es wurde dazwischen ein Fries eingeschoben. Letzterer konnte reliefiert sein oder glatt belassen bleiben (‚Blankfries‘). Darüber folgte das Geison, d. h. ein Traufgesims. Die Sima, die den Dachrand bildete, gehörte nicht mehr zu den spezifischen Baugliedern der Ordnung.
Alle Elemente der dorischen Ordnung (Abb. 2.2) unterschieden sich von denen der ionischen Ordnung. Eine Basis gab es in der dorischen Ordnung nicht, der Säulenschaft ruhte unmittelbar auf dem Stylobat. Die kanonischen zwanzig Kanneluren liefen in spitzen Graten direkt gegeneinander, also ohne trennenden Steg wie im Ionischen, und waren zudem deutlich weniger tief als dort. Dorische Säulenschäfte waren darüber hinaus stets weniger schlank als ionische Schäfte. Das dorische Kapitell bestand aus dem Hypothrachelion, d. h. dem oberen Auslauf der Kanneluren, der von Anuli (kleine Leisten) abgeschlossen wurde, darüber dem Echinus, ursprünglich einem Wulst, der in klassischer Zeit tendenziell auf einen Kegelstumpf reduziert wurde, und dem abschließenden Abakus, einer quadratischen Platte ohne Ornament. Die Formen des Gebälks wurden bestimmt durch den Triglyphenfries. Er bestand aus einer alternierenden Reihe von Triglyphen und Metopen, wobei bis in das 4. Jahrhundert jeweils zwei Triglyphen und zwei Metopen einem Joch entsprachen, später auch drei oder – vor allem bei Kleinarchitekturen – noch mehr. Die Form der Triglyphen war bestimmt durch die drei vertikalen Glyphen (Kerben), im Zentrum zwei und an den Ecken jeweils ein Halbglyph. Die Glyphen waren im Schnitt meist leicht stumpfwinklig, später auch rechtwinklig. Bekrönt wurden die Triglyphen, ebenso wie die Metopen, von einer einfachen Faszie (Leiste). Die Metopen waren meist einfache Platten, konnten aber auch mit Reliefs versehen werden. Der Architrav hatte ebenfalls eine durchgehende obere Leiste, und dazu, nur im Bereich der Triglyphen, eine Regula, d. h. eine weitere, etwas niedrigere Leiste, an der sechs Guttae (konische Tropfen) angearbeitet waren. Das Geison, d. h. das umlaufende Gesims, war durch Mutuli (Nagelplatten) gegliedert, die ebenfalls den Rhythmus des Frieses wiederholten. Die Mutuli waren üblicherweise mit drei Reihen zu je sechs Guttae verziert. Die vertieften Teile des Gesims zwischen den Mutuli werden als Viae bezeichnet. Der Wechsel von Mutuli und Viae erfolgte so, dass jedem Triglyphen ein Mutulus entsprach, jeder Metope ein Mutulus und zwei Viae. Im Gegensatz zum Horizontalgeison war die Unterseite der Giebelgeisa nicht ornamentiert, sondern als einfache Traufnase ausgebildet. Die Stirn der Geisa war in der Regel mit einem schmalen Kyma bekrönt. Die Sima über dem Gesims war – wie im Ionischen – kein Teil der Ordnung.
Abb. 2.2: Dorische Ordnung (Adler and Curtius 1892, Tf. 26, modifiziert).
Zu den Ordnungen gehörten neben den beschriebenen Formen der Bauglieder von Stützenstellungen auch bestimmte Formen der Ausbildung von freistehenden Mauerzungen. Sie wurden jeweils seitlich durch vorspringende Leisten verstärkt, im Ionischen mit gleicher Tiefe, im Dorischen asymmetrisch, wobei die schmalere Leiste der Außenseite der Mauerzunge zugeordnet war. Durch diese verstärkenden Leisten lief die Mauer in eine Art von Pfeiler aus, der als Ante bezeichnet wird. Bekrönt wurde die Ante in beiden Ordnungen wie eine Säule von einem je eigenen Kapitelltypus, der der rechteckigen Form des Antenpfeilers entsprach. Im Sockelbereich von Wänden und als oberer Wandabschluss wurden oft profilierte Leisten verwendet, sog. Kymatien, wobei ionische und dorische allerdings relativ frei eingesetzt wurden, häufig kombiniert mit dem sog. lesbischen Kyma (einer Art Blattwelle). 110
Der strukturelle Unterschied zwischen den beiden Ordnungen im Bereich der Stützenstellungen besteht darin, dass im Dorischen die Gebälkformen durch ihre horizontale Gliederung einen Rhythmus haben, der auf die Säulenstellung Bezug nimmt. Daraus ergaben sich für den Bauentwurf spezifische Anforderungen und Probleme, die in der ionischen Ordnung mit ihrer ungegliederten, bandförmigen Ornamentik nicht auftraten (s. u.). Als System betrachtet, hat die dorische Ordnung daher eine höhere Komplexität, und war für entwerfenden Architekten entsprechend die anspruchsvollere Aufgabe. Umgekehrt war die Ausbildung der Formen der Bauteile im Ionischen differenzierter, und forderte entsprechend mehr Können auf Seiten der Steinmetzen und mehr Arbeitsaufwand.
Abb. 2.3: Moderne Stützenstellung aus Holz mit Angabe der entsprechenden Termini der antiken griechischen Architekturordnungen (W. Osthues).
Die Ausbildung der elementaren Formen beider Ordnungen lässt sich historisch nicht mehr nachvollziehen, denn sie sind auch an den ältesten der erhaltenen Resten von Steinbauten bereits gültig ausgebildet. Sicher ist nur, dass es sich nicht um Übernahmen aus älteren Kulturen des östlichen Mittelmeers
Was sich hingegen auf Basis einer Vielzahl empirischer Befunde beobachten lässt, ist die weitere Entwicklung der Ordnungen. Dazu zählt in erster Linie die schon angesprochene Beschränkung der Freiräume bei der Ausgestaltung der Formen in klassischer Zeit. Das ist allerdings nicht mit einer Standardisierung gleichzusetzen, denn trotz der strikten Ähnlichkeit der Bauteile ist es in Griechenland
In hellenistischer Zeit verloren die Ordnungen, in allerdings begrenztem Umfang, an Verbindlichkeit. Die Vermischung der Elemente beider Ordnungen innerhalb von Säulenstellungen tritt allerdings nie an Ringhallentempeln auf, die vielleicht durch ihre sakrale Bedeutung stärker als andere Gebäudetypen den kanonischen Ordnungen verpflichtet waren. Vereinfachungen von Formen sind jedoch auch dort zu beobachten.119 Die wichtigste fassbare Entwicklung innerhalb der Ordnungen betraf jedoch nicht die Grundform der Bauglieder, sondern ihre Proportionen. Die Formen der ältesten Säulenstellungen waren stets massiv, um nicht zu sagen, wuchtig ausgebildet,120 was vielleicht mit der mangelnden Erfahrung hinsichtlich der Belastbarkeit des Steinmaterials zu Beginn des Monumentalbaus zusammenhängt. Umgekehrt findet man am Ende der Entwicklung, im Hellenismus, schlanke Säulen und leichte Gebälke, mit denen man sicherlich die tatsächliche Belastungsgrenze von Stütze-Gebälk-Systemen in Stein erreicht hatte. Beide geschilderten grundlegenden Tendenzen, die lange Zeit zunehmende Verbindlichkeit der Ordnungen und die immer gestreckteren Proportionen, gelten jedoch nicht absolut, so dass Datierungen nicht immer darauf gegründet werden können. Das illustriert das Beispiel des kleinen Tempels von Kardaki
Dass zwei so restringierende Architekturordnungen ihre dominierende Stellung fast ein halbes Jahrtausend lang behaupten konnten, erklärt sich paradoxerweise durch ihre Flexibilität: Ihre technische Struktur als Stütze-Gebälk-Systeme war für fast alle Bauaufgaben und Gebäudetypen der Griechen verwendbar. Da die Formen der Bauglieder, obwohl ursprünglich dem Bereich der Sakralarchitektur zugeordnet, keinen direkten Bezug zum Kultus hatten, konnte man gleichsam mit Selbstverständlichkeit auf sie zurückgreifen, als man begann, auch öffentliche Bauten monumental auszugestalten. Die Profanisierung der ‚Würdeformen‘ (W. Hoepfner) gestattete es den hellenistischen Monarchen und Einzelherrschern, sie an ihren Palästen (die es zuvor nicht gab) zu verwenden, und dadurch angeregt fanden die Ordnungen schließlich Eingang in die Sphäre der luxuriösen privaten Peristylhäuser. Selbst in die ‚Unterwelt‘ drangen die Ordnungen ein, denn ebenfalls aus hellenistischer Zeit finden sich vor allem in Makedonien
Abb. 2.4: Grundrissformen griechischer Tempeltypen (W. Osthues).
Das technische Potential der Ordnungen als Stütze-Gebälk-Systeme wird daran deutlich, dass alle in der Epoche neuen Gebäudetypen ohne fundamentale technische Neuerungen auskommen konnten. Die Ordnungen bildeten geradezu eine Art von Baukasten, in dem alles zu finden war, was man brauchte. Wenn man etwa die Propyläen, die große Toranlage am Eingang zur Athener Akropolis genau betrachtet, wird man dort praktisch kein einziges Bauteil finden, dass nicht auch – mit anderer Dimensionierung – am Parthenon vorkommt. Im selben Sinne ließe sich aus den Baugliedern eines Ringhallentempels eine Risalit-Stoa, eine Säulenhalle mit monumentalem Eingang, zusammensetzen. Eine Tholos, d. h. ein Rundtempel, unterscheidet sich im Querschnitt in keiner Weise von einem Peripteros.123 Teilweise sind die Gebäudetypen direkte Kombinationen von Grundrissen unterschiedlicher Gebäudetypen. Ein Peripteros, seiner Ringhalle entkleidet, ergibt einen Anten- oder Doppelantentempel (Abb. 2.4). Eine Ringhalle, nach innen gewendet, ergibt ein Peristyl (einen Säulenhof), wie man ihn in kleinerer Form von den Säulenhöfen luxuriöser Privathäuser kennt und in größeren Dimensionen von den Agorai, den öffentlichen Platzanlagen im Zentrum von Städten. Was hier nur zur hypothetischen Veranschaulichung der universellen Verwendbarkeit der Bauglieder der Architekturordnungen angeführt worden ist, war in der Antike übrigens durchaus eine reale Option, denn bedingt durch den Verzicht auf Bindemittel wie Mörtel im griechischen Werksteinbau124 konnten Bauten abgetragen und an anderer Stelle neu errichtet werden.125 Häufig wurden Hallenbauten abgetragen und deren Bauglieder an anderen Gebäuden weiterverwendet.126 Auch die Römer haben nach der vollständigen Eroberung Griechenlands wiederholt Säulenstellungen abgetragen und in ihrer Hauptstadt an öffentlichen Plätzen oder in Privathäusern wiederverwendet.127
Die Beschränkung der griechischen Bautechnik auf Stütze-Gebälk-Systeme hat die Entwicklungsmöglichkeiten der griechischen Architektur allerdings gleichwohl auch beschränkt. Das gilt vor allem für die maximale lichte Breite von Räumen, die ohne Innenstützen kaum zwölf Meter überschritten hat. Man braucht in diesem Zusammenhang nur darauf zu verweisen, welche enormen neuen Möglichkeiten des Bauens den Römern der Einsatz von gemauerten oder gegossenen Gewölben erschlossen hat.128 Interessanterweise ist die Grenze, die die Verwendung von Stütze-Gebälk-Systemen den griechischen Architekten gesetzt hat, keineswegs absolut in dem Sinne, dass Wölbtechniken den Griechen nicht bekannt gewesen wären. Keilsteintechnik für Bogen und Gewölbe sind nachweislich spätestens ab der Mitte des 4. Jahrhunderts in Griechenland
2.3.2 Die Probleme des Grundrissentwurfs der Ringhallentempel
Die beiden Architekturordnungen bestanden im Kern aus zwei Komponenten: dem seit dem Neolithikum bekannten Konstruktionsprinzip von Stütze und Gebälk, und einem genuin griechischen Arsenal von Formen, die das Aussehen von Stütze und Gebälk bestimmten. Wie kompliziert, und teilweise fast verworren die Diskussion um die griechischen Entwurfsverfahren im Einzelnen auch immer sein mag, so hat sie doch eines zweifelsfrei gezeigt: Die griechischen Architekten haben aus diesen Architekturordnungen Systeme entwickelt, innerhalb derer die Dimensionierungen nahezu aller Bauglieder in Abhängigkeitsbeziehungen zu einander stehen. Die Entwurfsdiskussion versucht im Kern nichts anderes, als diese Abhängigkeitsbeziehungen an den Ergebnissen der Bauaufnahmen, also der modernen Vermessung der Bauten, nachzuvollziehen. Ein Entwurf oder eine bestimmte Methode des Entwerfens gilt dann als gesichert, wenn angegeben werden kann, wie der Architekt das System interpretiert hat, d. h. ausgehend von welchen primären Größen er die weiteren Größen durch welche Formen der Ableitung bestimmt hat, und wie er dabei mit bestimmten, innerhalb der Ordnungen gegebenen Systemzwängen umgegangen ist.
Abb. 2.5: Grundriss eines dorischen Peripteraltempels (Adler and Curtius 1892, Tf. 24, ergänzt und modifiziert).
Die Diskussion um den griechischen Bauentwurf konzentriert sich sehr weitgehend auf den Typus des Ringhallentempels, und dort wiederum vor allem auf den dorischen Peripteros.130 Das hängt damit zusammen, dass kein anderer Gebäudetypus in allen Epochen gleichermaßen und in hinreichend großer Zahl gebaut worden ist, was Voraussetzung dafür ist, die Entwicklung der Entwurfsverfahren vergleichend analysieren zu können.
Die Grundrisse fast aller Peripteraltempel kann man als eine Kombination von Rechtecken beschreiben, die ineinander verschachtelt sind. Für die Ringhalle sind das die folgenden (Abb. 2.5): die Euthynterie als Oberkante des Fundaments, die Unterstufe und die mittlere Stufe,131 der Stylobat bzw. die Oberstufe, auf der die Säulen stehen, und das Achsgeviert als (gedachte) Verbindung der Mittelpunkte der Ecksäulen. Die genannten Rechtecke haben bei vielen archaischen und bei fast allen klassischen und späteren Peripteroi umlaufend absolut gleiche Abstände. So sind an Fronten und Flanken die Auftritte der Stufen gleich tief, die Säulen stehen jeweils gleich weit entfernt von der Stylobatkante usw. (siehe Abb. 2.5, dort angegeben für den Abstand Ecksäule-Stylobatkante).132 Diese identischen Abstände bedeuten nun aber, dass trotz des identischen Mittelpunkts die Proportionen der Rechtecke nicht exakt gleich sein können. Die Proportionen aller Rechtecke wären nur dann dieselben, wenn Länge und Breite jeweils um einen anteilig oder proportional gleichen, nicht aber um einen absolut gleichen Betrag vergrößert oder verkleinert worden wären. Die äußeren Rechtecke sind daher stets etwas gedrungener proportioniert als die inneren. Dieser Sachverhalt hatte erhebliche Konsequenzen für den Entwurf einer Ringhalle mit umlaufend einheitlicher Säulenstellung.
Es ist heute weitgehend unumstritten, dass der Ausgangspunkt der Entwürfe früher Ringhallentempel die Festlegung der Maße für Länge und Breite des Stufenbaus war, und zwar so, dass Länge und Breite in einem ganzzahligen proportionalen Verhältnis zu einander standen. Diese Vorgehensweise lag gewissermaßen in der Natur der Sache selbst. Der Architekt musste bei Baubeginn als erste konkrete Entwurfsentscheidung Länge und Breite des Stufenbaus angeben, damit die entsprechend bemessenen Fundamente gelegt werden konnten. Länge und Breite des Stufenbaus dabei in ein proportionales Verhältnis zu bringen, ergab sich aus dem Gebäudetypus. Jede umlaufende Säulenstellung hat eo ipso ein ganzzahliges proportionales Verhältnis von Fronten zu Flanken durch die jeweilige Anzahl der Säulen: Bei x Säulen an der Front und y Säulen an den Flanken folglich
. Damit die vorgesehene Zahl von Säulen an Fronten und Flanken später auf dem Stufenbau Platz finden konnten, lag es daher nahe, den Stufenbau entsprechend wie
zu proportionieren. Also etwa: Stylobatlänge zu -breite wie
für einen Peripteros mit
Säulen (
). Dass das Stylobatrechteck zum Ausgangspunkt des Entwurfs gemacht wurde und keines der anderen, oben genannten Rechtecke, lag einfach daran, dass frühe Peripteroi oft ohnehin nur zwei Stufen hatten. Der Grundgedanke einer solchen Vorgehensweise lässt sich demnach als Anwendung einer Formel beschreiben: ‚Stylobatproportion = Säulenverhältnis‘. Angewandt ist diese Formel unstreitig an einigen der frühesten Bauten, wie am Heraion von Olympia
Man kann nun keineswegs unterstellen, dass die frühen Baumeister diese Jochdifferenzierung überhaupt als Fehler ihrer Entwürfe angesehen hätten. Das wurde allerdings in der Folgezeit offensichtlich so gesehen, denn bei jüngeren Bauten der archaischen Zeit ist die Jochdifferenzierung stets erkennbar reduziert, und bei den klassischen Ringhallentempeln vollkommen beseitigt. Als Entwurfsziel wird daher die Reduktion der Jochdifferenzierung von nahezu allen Forschern anerkannt. Über die Methoden, mit denen die Architekten geeignetere Stylobatproportionen bestimmten, besteht jedoch keine Einigkeit. Die Diskussion zeigt vielmehr grundsätzliche Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Art des antiken Entwerfens. Die oben angeführte Vorgehensweise für die Bestimmung des Stylobatverhältnisses (‚Stylobatproportion = Säulenverhältnis‘) ist eine Formel, bei der die Stylobatlänge zu kurz gerät, so dass dort die Säulen gedrängter stehen als an der Front. Einige Forscher nehmen nun an, dass die Architekten das Prinzip, die Stylobatproportion aus dem Säulenverhältnis anhand einer Formel abzuleiten, niemals aufgegeben, sondern lediglich optimiert hätten. Das Ziel der Optimierung wäre also eine Variante der Formel, die längere Flanken ergibt, so dass auf den Langseiten genügend Raum ist, um die Säulen in annähernd gleichem Abstand aufzustellen wie an den Fronten. Konkret bedeutet das folgendes für das obige Rechenbeispiel mit
Säulen: Die obige Formel ergibt
bzw.
bzw.
. Für ein einheitliches Joch wäre eine gestrecktere Proportion von etwa
erforderlich gewesen.134 Diese gestrecktere Proportion ließ sich annähernd durch eine einfache Modifikation der alten Formel ermitteln. Der Grundgedanke dabei war einfach folgender: Wenn bei der alten Formel die Langseite zu kurz geriet, die Säulen dort entsprechend zu dicht stehen würden, dann ließ man dort eine Säule weg, wodurch die verbleibenden Joche größer ausfielen, und damit den Frontjochen ähnlicher waren. Die alte Formel konnte so beibehalten werden, nur dass mit einer Säule mehr gerechnet wurde, als an den Langseiten errichtet wurden. Das bedeutet für das Beispiel mit
Säulen eine Stylobatproportion wie
. Damit lag man schon nahe am Sollwert von
für eine Säulenstellung ohne Jochdifferenzierung. J. J. Coulton hat für einige westgriechische Bauten eben diese Vorgehensweise als Planungsregel
Nach Coulton wurde in nacharchaischer Zeit mit noch weiter optimierten Formeln entworfen. Ihm zufolge ging man dabei allerdings nicht mehr vom Säulenverhältnis, sondern vom Joch und Jochverhältnis aus, berechnete daraus aber wiederum formelhaft die adäquaten Stylobatmaße. Das Joch an den Anfang des Entwurfs zu stellen, hat einen ganz einfachen Grund. Wenn man ein einheitliches Jochmaß an Fronten und Flanken erreichen wollte anstelle der Jochdifferenzierung, dann war der einfachste Weg, diese einheitliche Normaljoch zu Anfang des Entwerfens endgültig festzulegen. Das bedeutete allerdings, dass die Maße für den passend bemessenen Stufenbau aus dem Joch abgeleitet werden mussten, also Fronten und Flanken nicht mehr, wie vorher üblich, die zuerst festzulegenden Größen des Entwurfs bleiben konnten. Konkret würde das folgendermaßen berechnet werden (‚later mainland rule‘): Festlegung des Jochs für Fronten und Flanken auf einen gemeinsames Maß (das sog. Normaljoch); anschließend Berechnung der Stylobatmaße durch Multiplikation des Normaljochs mit der Anzahl der Joche für Fronten bzw. Flanken plus einen Faktor x. Also in obigem Rechenbeispiel: bei Säulen bzw. Jochen Stylobatmaße wie . Dabei ist stets ein Bruchteil des Jochs. Coulton hat dafür verschiedene Werte vorgeschlagen, z. B. , oder auch . Es sind darüber hinaus noch weitere Varianten vorgeschlagen worden, die formelhaft aus dem Säulenverhältnis abgeleitete Rechtecke zum Ausgangspunkt des Entwurfs machen, z. B. ‚Euthynterie-Proportion Säulenverhältnis‘.137
Zu der formelhaften Ableitung der Stylobatproportionen bzw. -maße gehört bei Coulton noch ein zweiter grundlegender Aspekt des griechischen Entwerfens, der direkt mit dem Konzept der Formeln zusammenhängt: Wenn nämlich geeignete Abmessungen des Stufenbaus allein anhand einer Formel (und ggfs. des Jochmaßes) zuverlässig berechnet werden konnten, dann konnte auf Basis dieser wenigen Daten bereits mit der Errichtung des Stufenbaus begonnen werden, bevor noch weitere Teile des Baus durchgeplant worden wären. Coulton hat diese These vom ‚incomplete preliminary planning‘, angeregt durch die Arbeit von Bundgaard (1957) über den attischen Architekten Mnesikles
Eine vollkommen andere Sicht der Entwicklung ist vor allem unter deutschen Bauforschern vorherrschend. Die Grundpositionen dieser Sichtweise sind bereits 1934 von Hans Riemann in seiner Dissertation formuliert worden. Sie unterscheiden sich von den Auffassungen Coultons vor allem in zwei wesentlichen Annahmen. Erstens wird davon ausgegangen, dass bei Baubeginn zumindest in allen Hauptdimensionen individuell ausgearbeitete Bauentwürfe vorgelegen hätten. Zweitens wird der Übergang zur klassischen Epoche grundsätzlich anders interpretiert, denn die Architekten hätten aus den Erfahrungen mit den älteren Entwurfsverfahren radikale Konsequenzen gezogen: Statt weiter anhand von Formeln nach Stylobatproportionen und -maßen zu suchen, die im Ergebnis doch nie ein exakt einheitliches Normaljoch zuließen, stellte man – wie auch Coulton annimmt – das Normaljoch an den Anfang des Entwurfs und berechnete daraus die entsprechenden Stylobatmaße. Auf diese Weise konnte, wie schon angegeben, das Normaljoch gar nicht verfehlt werden.138 Der Preis dafür war allerdings, dass die nunmehr als abgeleitete Größe bestimmten Stylobatmaße kein einfach proportioniertes Rechteck mehr ergaben. Bei solchen Entwurfsanalysen werden die Stylobatmaße der Bauten mit Normaljoch daher nicht mehr, wie bei den archaischen Bauten, als Schlüssel zur Dechiffrierung des Entwurfs angesehen, sondern als „gleichgültig und abgeleitet“.139 So hat beispielsweise H. Bankel (1993), der umfassend den Entwurf des jüngeren Aphaiatempels auf Ägina
An sich hätte sich bei den vom einheitlichen Joch ausgehenden Entwürfen immer mindestens ein einfach proportioniertes Rechteck ergeben, zwar nicht beim Stylobat, wohl aber beim Achsgeviert, denn Länge und Breite des Achsgevierts sind in diesem Fall ja stets Vierfache des Jochs als gemeinsamem Grundmaß. Im obigen Rechenbeispiel der Ringhalle mit Säulen würden sich Joche ergeben, mithin ein Achsgeviert von . Bei ionischen Ringhallen mit Normaljoch ist das auch der Fall. Da an dorischen Ringhallen die Eckjoche – aus Gründen, auf die noch zurückzukommen sein wird – meist um einen bestimmten Betrag verengt bzw. ‚kontrahiert‘ wurden, ging auch die Proportion des Achsgevierts bei dorischen Ringhallen wieder verloren. H. Riemann hat daher angenommen, dass die klassischen Bauten des Mutterlands stets in zwei Planphasen entworfen wurden: zunächst ohne Eckkontraktion, mit proportioniertem Achsgeviert, und anschließend umgearbeitet auf eine Version mit Eckkontraktion, und entsprechend ohne proportionertes Achsgeviert. Es ist allerdings evident, dass man die von Riemann angenommene erste Planphase mit proportioniertem Achsgeviert an einem erhaltenen Bau niemals nachweisen kann, da sie nicht ausgeführt wurde.
Man kann den klassisch-mutterländischen, vom Joch ausgehenden Entwurf als Paradigmenwechsel gegenüber dem archaischen, vom Stylobat ausgehenden Entwurf verstehen. Während die ältere Form des Entwerfens vom Stufenbau, gewissermaßen vom Ganzen, ausgeht, wird im jüngeren Verfahren ein einzelnes Element, eben das Joch, zum Ausgangspunkt gemacht. Oder anders gesagt: der ältere Entwurf verläuft von außen nach innen, der jüngere umgekehrt von innen nach außen. Vor allem aber ist das jüngere Verfahren in dem oben schon angesprochenen Sinn eine Abstraktion, denn hier folgt der Entwurfsprozess nicht mehr dem Bauprozess – also gleichsam der Reihenfolge der Fragen, die die Handwerker im Verlauf des Bauprozesses an den Architekten stellten, zuerst nach den Fundamentmaßen, dann den Stufenmaßen, dann der Säulenposition usw. – sondern der Entwurfsprozess sieht den Bau als ein Gesamtsystem, das von seinem zentralen Element her konstruiert werden muss.
Ein noch weiter gehender Schritt in die prinzipiell gleiche Richtung ist der Entwurf auf Basis eines Moduls. Der Abstraktionsgrad ist bei dieser Form des Entwerfens noch höher, denn während beim Joch-Entwurf ein zentrales Strukturelement des Baus, die Kombination zweier Säulen in einem fixierten Abstand, zum Ausgangspunkt der weiteren Planung gemacht wird, ist beim modularen Entwurf der Ausgangspunkt kein Architekturelement, sondern das Maß selber, eben der Modulus, der Ausgangspunkt. Er dient als universelle Einheit, mit der alle realen Bauglieder durch Teilung oder Multiplikation dimensioniert werden. Prägnante Beispiele für Grundrisse, die auf einem streng modular aufgebauten System basieren, sind Grundrisse, die ein dem Modul entsprechendes Raster zeigen. Zu ihnen gehört der spätklassische Athenatempel von Priene
Das modulare Entwurfsverfahren ist eines von zwei Entwurfsverfahren, die man auch jenseits der Bauten selbst belegen kann, denn es wird von Vitruv
2.3.3 Die Integration von Grund- und Aufriss
Grundsätzlich gab es für beide Ordnungen keinen Grund, den einmal beschrittenen Weg der Systematisierung auf die Grundrissebene zu beschränken, und in der Tat hatte man schon weit vor der Einführung des Normaljochs damit begonnen, die Entwürfe von Grund- und Aufriss zu integrieren. Das Mittel dazu war die Dimensionierung der Bauglieder. Ein zweifellos sehr altes Instrument, mit dem sich eine strukturierte Dimensionierung der Maße von Grund- und Aufriss – also die Verzahnung beider Planungsebenen – bewerkstelligen ließ, war die Verwendung von Proportionen. Sie lassen sich häufig an der Gesamtstruktur oder an zentralen Elementen der Strukturen nachweisen, etwa indem die Breite einer Säulenstellung in einfachem proportionalen Verhältnis zur Höhe der Säulenstellung steht. Für solche Beziehungen gibt es viele Varianten. Eine der häufiger zu findenden ist das Verhältnis von Joch zu Säulenhöhe, nicht selten
(bzw. 22
32). Auch bei der Säule selbst wird nicht selten der untere Durchmesser (gewissermaßen der Grundriss der Säule) im Verhältnis zur Höhe angegeben, wie auch von Vitruv
Proportionen waren zudem ein praktikables Instrument, um Entwurfsideen darzustellen und unter Fachleuten zu kommunizieren. Die Säulenstellungen vieler Bauten unterschieden sich ohnehin im Wesentlichen durch ihre Proportionen, und nur in sehr viel geringerem Maße durch Details bei der jeweiligen Ausbildung der Formen, die durch die Architekturordnungen zunehmend strikter vorgegeben waren. Folglich dürften Architekten eine recht genaue Vorstellung davon gehabt haben, welche Proportionen an den Bauten ihrer Zeit und welche an den älteren gewählt worden waren. Da sie die Bauten ständig vor Augen hatten, konnten sie sich sehr leicht ein Bild davon machen, welche Auswirkungen etwa die Änderung des Verhältnisses zwischen Säulenhöhe und Gebälkhöhe auf das Erscheinungsbild einer Fassade haben würde. Aus den gleichen Gründen verwendet heute noch die Bauforschung sehr häufig Proportionen als Instrument für den Vergleich von Bauentwürfen oder zur Identifikation von Bautraditionen, und nicht zuletzt als Mittel für die Datierung, da die Proportionierungen sich meist den Epochen zuordnen lassen. Man darf schließlich auch ziemlich sicher sein, dass die Proportionierung der einzelnen Bauglieder einen wesentlichen Teil der verlorenen Schriften griechischer Architekten ausgemacht haben, denn Vitruv
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass diese die Gesamtmaße bestimmenden Proportionen verkettet werden konnten mit den Dimensionierungen weiterer Bauglieder. So konnte die aus dem Joch abgeleitete Gesamthöhe des Gebälks durch weitere proportionale Festlegungen auch zur Binnengliederung des Gebälks herangezogen werden (Verhältnis der Höhen von Architrav, Fries und Geison). Nach dem Muster solcher Proportionsketten ist Vitruvs ionischer Tempelentwurf strukturiert.146 Die Verwendung von Proportionsketten führt bereits bei wenigen Schritten häufig zu Brüchen mit sehr großen Nennern. Einige Autoren haben daraus gefolgert, dass griechische Architekten fortgeschrittene Kenntnisse der Bruchrechnung gehabt haben müssten. Im letzten Kapitel dieses Beitrags wird darauf näher eingegangen. Dort findet sich auch eine Beispielrechnung.
Eine andere Form, Grund- und Aufrissentwurf miteinander zu verzahnen, war der schon angesprochene modulare Entwurf. Bei dieser Vorgehensweise ist die Integration von Grund- und Aufriss keine eigenständige Entwurfsentscheidung, sondern bereits in der Entwurfsmethodik verankert, denn wenn alle Entwurfsgrößen durch Teile oder Vielfache des Modulus dimensioniert werden, dann sind die Grund- und Aufrissmaße per se proportional mit einander verbunden. Man kann hier also nicht nur über den Grundriss, sondern auch über den Aufriss ein Raster legen, das aus dem Modul gebildet ist.
In der dorischen Architektur waren die Beziehungen zwischen Grund- und Aufriss wesentlich komplexer, denn dort gab es, anders als in der ionischen Architektur, strukturelle Bezüge zwischen Grund- und Aufriss jenseits der reinen Dimensionierung der Bauglieder. Diese Bezüge ergaben sich daraus, dass in der dorischen Ordnung zwei Gruppen von Baugliedern existierten, die diskrete Einheiten darstellten: die Säulenstellung mit ihrem Wechsel von Säule und Säulenzwischenraum (Interkolumnium), die den Grundriss bestimmt, und den Triglyphenfries des Gebälks mit seinem Wechsel von Triglyphen und Metopen, der zum Aufriss gehört. Bezüge zwischen diesen beiden Gliederungen waren schon weit vor der Einführung des Normaljochs etabliert worden. In der kanonischen Form des sog. Zwei-Triglyphen-Systems war der Triglyphenfries des Gebälks mit der Säulenstellung durch einen gemeinsamen Rhythmus synchronisiert, indem jeder Säule und jedem Interkolumnium jeweils ein Triglyph zugeordnet ist, also immer ein Triglyph über jeder Säule und ein weiterer zwischen den Säulen.
Auch wenn diese Zuordnung von Säulen und Triglyphen dem modernen Betrachter selbstverständlich erscheint, so war sie es doch nicht: Die Abstimmung der Position beider Elemente war ein eigener, bewusst vorgenommener Schritt, der weder von der dorischen Ordnung als ein System, noch historisch aus der älteren Holzarchitektur hervorging. Das veranschaulicht bereits das oben gezeigte Bild einer modernen Stützenstellung aus Holz (Abb. 2.3), denn dort ist die Lage die Deckenbalken keineswegs auf die Position der Stützen abgestimmt. In der Antike war es zunächst auch nicht anders, denn die Triglyphen waren anfangs tatsächlich relativ willkürlich, ohne Bezug auf die Säulenstellung auf dem Gebälk verteilt. Das zeigt noch der älteste der großen sizilischen Tempelbauten, der Apollontempel von Syrakus
Hier zeigt sich nun aber die Eigendynamik der gewissermaßen nur erst begonnen Systematisierung: Solange die Joche an den Fronten breiter waren als an den Flanken, mussten auch die Triglyphen bzw. Metopen an Fronten und Flanken unterschiedlich breit ausfallen. Genauer gesagt, entweder waren die Triglyphen breiter, oder die Metopen, und dann war die Proportion nicht realisierbar. Oder aber die Proportion wurde bewahrt, dann waren weder die Triglyphen- noch die Metopenbreiten einheitlich. Das war auch deutlich sichtbar, weil hier ein weiterer Zusammenhang wirkt: Architrav und Fries mussten aus konstruktiven Gründen gleich hoch sein, wie umlaufende Quaderschichten. Das Verhältnis von Höhe zu Breite der Triglyphen bzw. der Metopen musste daher unterschiedlich ausfallen: Bei umlaufend gleicher Frieshöhe waren über den kürzeren Jochen Triglyphen und Metopen jeweils schlanker als über den längeren Jochen. Diese Differenzen reproduzierten sich schließlich in den vom Fries abhängigen Gliederungen: Analog zu den unterschiedlichen Breiten von Triglyphen und Metopen an Fronten und Flanken mussten auch am Geison die Mutuli und Viae unterschiedlich bemessen werden, und ebenso die von der Triglyphenbreite abhängigen Regulae, und selbst die Zwischenräume zwischen den Tropfen der Regulae mussten unterschiedlich bemessen werden. Macht man sich alle diese Maß- und Proportionsunterschiede im Gebälk bewusst, die sich aus der Verschiedenheit der Joche an Fronten und Flanken ergaben, wird nachvollziehbar, woher der Impetus kam, nach Entwurfsverfahren zu suchen, die ein einheitliches Joch an allen Seiten ermöglichten. Die Systematisierung der Grundrisse im Sinne des Normaljochs war vermutlich sogar angestoßen durch die vielen Maß- und Proportionsunterschiede im Gebälk bzw. im Aufriss. In der ionischen Ordnung gab es keine vergleichbaren Abhängigkeiten zwischen Joch und Gebälkgliederung, weil ionische Gebälke nur kontinuierliche, nicht rhythmisierte Ornamentformen hatten (Faszien und Kymatien), die wie ein elastisches Band auf beliebige Jochmaße hin gedehnt oder gestaucht werden konnten.
Das Eckproblem
Der Eckkonflikt war ein Symmetrieproblem in dem Sinne, dass das Eckjoch und das Normaljoch niemals völlig identisch sein konnten. Entweder für das Joch, oder für die Triglyphen- oder die Metopenbreite konnte das jeweilige Normalmaß nicht übernommen werden.148 Der Konflikt entstand durch die Unvereinbarkeit zweier Prinzipien, nämlich erstens dem Grundsatz, dass die Architrave stets breiter waren als die Triglyphen, und zweitens dem in der griechischen Architektur stets beachteten Grundsatz, dass ein dorischer Fries immer mit einem Triglyphen beginnen und enden sollte. Die Breite der Architrave war konstruktiv bestimmt, da sie das übrige Gebälk und große Teile der Dachlast tragen mussten. In der Regel hatten die Architrave eine Breite von etwa vier Zehnteln des Jochs, das sie überdecken. Die Breite der Triglyphen war hingegen rein formal festgelegt. Sie entsprach fast immer etwa zwei Zehnteln des Jochs, was sich wiederum aus der oben angesprochenen Proportion von Triglyphen- zu Metopenbreite ergibt.149 Diese Differenz führte nun dazu, dass der Triglyph an der Ecke des Gebälks nicht – wie der Architrav unter ihm und die übrigen Triglyphen über den Säulen – in der Achse der Säule bzw. des Architravs platziert werden konnte, sondern nach außen versetzt werden musste (siehe Abb. 2.6). Der Konflikt ist ein klassisches Dilemma: Hätte man den Triglyphen über der Ecksäule in die Achse der Säule verschoben, hätte außen an den Triglyphen noch das Fragment einer Metope angefügt werden müssen, damit Fries und Architrav gleich lang gewesen wären. Ein solches Metopenfragment wurde jedoch niemals toleriert. Platzierte man den Triglyphen jedoch an der Ecke, ergab sich, wie auf der Abbildung dargestellt, ein Achsversatz zwischen Triglyphen- und Säulenachse.
Abb. 2.6: Dorischer Eckkonflikt (Adler and Curtius 1892, Tf. 24, modifizierter Ausschnitt).
Dieser Achsversatz bedeutete, dass an der Ecke der Säulenstellung der Achsabstand der letzten beiden Säulen stets kleiner sein musste als der Achsabstand der Triglyphen über diesen beiden Säulen. Wenn die Achsabstände bzw. Säulenjoche alle gleich groß waren, so waren die Achsabstände der Triglyphen über dem Eckjoch größer als normal. Oder umgekehrt, wenn die Abstände der Triglyphen durchgehend einheitlich waren, dann waren die Achsabstände zwischen den Ecksäulen kleiner als normal (sog. Eckkontraktion). Natürlich war auch eine Kombination dieser beiden grundlegenden Vorgehensweisen möglich, d. h. eine Kombination aus Eckkontraktion und Dehnung der Achsabstände der Triglyphen über dem Eckjoch (Abb. 2.7).
Abb. 2.7: Übersicht über die Lösungen des dorischen Eckkonflikts (Osthues 2005).
Nahezu alle denkbaren Varianten, den Eckausgleich in der Säulenstellung und bzw. oder im Fries abzutragen, sind im Laufe der Zeit realisiert worden. Ihnen allen gemeinsam war allerdings, dass sie immer nur verschiedene Gestaltungen des Eckausgleichs darstellten, denn eine Lösung im Wortsinne, bei der an der Ecke der Säulenstellung überhaupt keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten, war unter den oben angegebenen Bedingungen nicht möglich.150
Der Eckkonflikt ist war ein Entwurfsproblem, das, wie die Geschichte seiner Lösungen zeigt, die griechischen Architekten in erheblichem Umfang beschäftigt hat. So hat es über einhundert Jahre gedauert, bis die letzte der entwickelten Lösungen, die einfache Eckkontraktion, realisiert worden war.151 Auch danach wurde die Thematik offenbar weiter verhandelt, was daraus hervorgeht, dass keine der verschiedenen Lösungen sich jemals vollständig durchgesetzt hat. Einen ‚Schluss der Debatte‘ hat es also nie gegeben, obwohl er sozusagen beantragt wurde: Renommierte Architekten der späten Klassik und des Hellenismus wie Pytheos
Systematisch gesehen, war das Eckproblem kein ursprüngliches Problem der dorischen Ordnung selbst. Es war ein Problem, das sich erst aus dem immer weiter gesteigerten Anspruch auf Systematisierung ergab.
Hätte man nämlich, wie noch am Apollontempel in Syrakus
Konsequenzen für den Bauentwurf
Eine der oben erwähnten Lösungen für den Eckkonflikt, die sog. einfache Eckkontraktion, hat besondere Bedeutung sowohl für das antike Entwerfen selbst als auch für die oben schon skizzierte moderne Diskussion dieser Verfahren. Bei der einfachen Eckkontraktion wurde der Triglyphenfries vollständig aus normal bemessenen Triglyphen und Metopen gebildet. Der Ausgleichsbetrag wurde allein durch die Kontraktion des Eckjochs realisiert. Das Eckjoch musste dafür gegenüber dem Normaljoch exakt um den Betrag verkürzt werden, der sich aus der Differenz von Architrav- und Triglyphenbreite ergab. Wäre dieser Betrag verfehlt worden, hätte der Fehler im Triglyphenfries durch verlängerte oder verkürzte Metopen bzw. Triglyphen über dem Eckjoch ausgeglichen werden müssen. Der Fries wäre damit nicht mehr völlig regelmäßig gewesen.
Prinzipiell hatten die Architekten zwei Möglichkeiten, das Maß für die Verkürzung des Eckjochs zu bestimmen. Sie konnten dieses Maß anhand einer Formel berechnen, und zwar derselben Formel, die Richard Koldewey in seinem großen Werk über die westgriechischen Tempelbauten formuliert hat: {AB – TB}
. Das heißt, das Eckjoch musste um die halbe Differenz von Architrav- und Triglyphenbreite gegenüber dem Normaljoch verkürzt werden.154 Dass diese Formel in der Antike bekannt war, ist zwar nicht zu beweisen, aber keinesfalls unwahrscheinlich. Sie könnte in den leider vollständig verlorenen Schriften griechischer Architekten über ‚Symmetrien dorischer Tempel‘ enthalten gewesen sein. Die Lektüre solcher Architekturschriften für die Ausbildung zum Architekten wird bereits von Xenophon
Hieraus ergibt sich eine eindeutige Schlussfolgerung für die oben referierte Diskussion um die griechische Entwurfspraxis. Für Bauten mit einfacher Eckkontraktion sind die beiden Annahmen von Coulton157 und anderen nicht haltbar. Man kann nicht von ‚incomplete preliminary planning‘ sprechen, wenn bei der Verlegung der untersten Fundamentplatten die Gebälkmaße bereits nachweisbar fixiert worden waren. Ebensowenig können die Stylobatproportionen nach Faustregeln (‚rules of thumb‘) festgelegt worden sein, die keinen Bezug zum Gebälk hatten. Denn selbst wenn ein qua Formel festgelegter Stylobat annähernd für die einfache Eckkontraktion geeignet gewesen wäre, so blieb es doch von drei weiteren Faktoren abhängig, ob der Fries tatsächlich regelmäßig ausfallen konnte oder nicht: dem Achsabstand der Säulen von der Stylobatkante,158 der Architrav- und der Triglyphenbreite. Dass diese drei Faktoren mehr oder minder zufällig, ohne entsprechende Vorausplanung in genau passendem Verhältnis zu einander gestanden hätten, ist kaum vorstellbar.
Umgekehrt ist es – mit Coulton – durchaus plausibel anzunehmen, dass an Bauten, bei denen die Eckkontraktion zwar vorhanden war, aber nicht genau dem Ausgleichsbetrag entsprach, so dass weitere Anpassungen im Gebälk notwendig wurden, die Größe der Eckjoche aus der Anwendung von Grundrissformeln resultierte. Das ließ sich praktisch auch leicht realisieren, denn wenn der Baufortschritt den Fries erreicht hatte, konnte dort einfach ausgemessen werden, um wie viel länger oder kürzer als das Normalmaß die Triglyphen und Metopen über dem Eckjoch sein mussten.
2.3.4 Architekturordnungen und Bauentwurf: Architektur als ‚System‘
Die griechischen Architekturordnungen waren zunächst nichts weiter als ein einfaches, nahezu universelles bautechnisches Grundmuster (Stütze – Gebälk), verbunden mit den spezifisch griechischen Formen für Kapitell, Architrav, Geison usw. Die Herausbildung dieser Formen in der frühen Holzarchitektur ist nahezu nicht mehr zu verfolgen. Was man aber nachzeichnen kann, ist die schrittweise Transformation der alten Ordnungen in Systeme, mit stabilen Ordnungsprinzipien, einer großen Zahl von Abhängigkeiten und systemspezifischen Problemstellungen. Diese Transformation setzte voraus, dass die Ordnungen, wenn sie auch ursprünglich keine Systeme waren, so doch gewissermaßen systemfähig waren. Grundmuster wie etwa der Antentempel oder auch der Peripteraltempel gab es bereits in hocharchaischer Zeit, nur wurden sie dort noch mehr oder weniger mit freier Hand abgesteckt,159 später jedoch konstruiert nach Maß und Zahl, und mit hohem Anspruch an Exaktheit. Einen ansatzweise ähnlichen Prozess hat es auch in der Vasenmalerei gegeben. Deren Ornamentformen wurden ebenfalls zunächst mit freier Hand aufgemalt, doch waren viele dieser Formen im Grundsatz geometrisch (Halbkreise, Spiralen, Mäander usw.), so dass schon in protogeometrischer Zeit die zuvor aufgemalten Formen mit dem Zirkel in den Ton aufgerissen werden konnten. Genauso sind die Voluten des ionischen Kapitells, geometrisch gesehen Spiralen, in der frühesten Zeit noch freihändig ausgearbeitet worden, später jedoch mit dem Zirkel konstruiert worden. Die bei weitem wichtigste Voraussetzung, die die Transformation der alten Ordnungen in Systeme möglich gemacht hat, lag aber wohl in der Bautechnik. Das zeigt die Gegenüberstellung mit anderen elementaren Techniken des frühen Bauens: Mauern aus Lehmziegeln waren, strukturell gesehen, ein Kontinuum ohne innere Gliederung, das entsprechend wie ein Band beliebig verlängert oder verkürzt werden konnte. Stützenstellung wie in den griechischen Ordnungen bestanden dagegen aus diskreten Einheiten, die immer eine – regelmäßige oder unregelmäßige – Gliederung hatten, und auch nur um mindestens eine Einheit verlängert oder verkürzt werden konnten. Nur solche gegliederten, rhythmisierten Strukturen, nicht aber bandartige Strukturen wie Mauern konnten bei fortgeschrittener Systematisierung überhaupt zu Problemen wie Jochdifferenzierung oder Eckkonflikt führen. Und noch ein zweiter Aspekt der Stützenstellungen hat in diesem Zusammenhang grundlegende Bedeutung: Stützenstellungen, über Eck angeordnet, tragen das Prinzip des Entwerfens in Proportionen immer schon in sich. Allein das bloße Abzählen der Stützen an Fronten und Flanken zur Benennung ihrer jeweiligen Längen führt direkt zum Planen bzw. Entwerfen in ganzzahligen Verhältnissen.
Aber auch wenn diese elementaren Strukturen der frühen Holzarchitektur gleichsam eine geeignete objektive Basis für die späteren Entwurfssysteme darstellten, so handelt es sich bei der folgenden Entwicklung doch keineswegs um irgendeine Form von Eigendynamik eines Systems. Der entscheidende Impuls für alles weitere war der subjektive Gestaltungsanspruch der griechischen Architekten. Das illustriert schon die Tatsache, dass auch in vielen anderen Epochen und Regionen ebenfalls mit Stütze und Gebälk gebaut wurde, ohne dass daraus vergleichbare Systeme entwickelt worden sind. Die Systematisierung der alten griechischen Ordnungen war ein längerer Prozess. Das entsprechende Interesse der Architekten ist bereits frühzeitig erkennbar, wenn auch zunächst in der schlichten Form, gewissermaßen „Ordnung im Säulenwald“ (G. Gruben) zu schaffen. Zu den ersten solchen Eingriffen zählt die Verpflichtung auf strikte Uniformität funktional gleichartiger Bauglieder. Sie ist offenbar erst in der Steinarchitektur durchgesetzt worden, denn an einigen alten Bauten wie etwa die sog. Basilica in Paestum
Die zweifellos anspruchsvollste Aufgabe bei der Transformation des alten, gleichsam freihändigen Umgangs mit den Ordnungen in eine klar strukturierte Bauplanung war der scheinbar schlichte Anspruch, auch die Jochmaße an Fronten und Flanken zu vereinheitlichen. Uniforme Jochmaße waren viel schwieriger zu realisieren als uniforme Kapitellprofile. Im Kontext dieser selbst gestellten Aufgabe wird auch aus dem Architekten des alten Typs, dessen Stellung dadurch bestimmt ist, dass er handwerklich und technisch qualifizierter ist als die übrigen Steinmetzen, der Architekt im modernen Sinne, dessen primäre Aufgabe das Entwerfen des Bauplans ist. Die geschilderten Schritte auf dem Weg zur Eliminierung der Jochdifferenzierung geben hier einige aufschlussreiche Einblicke. Der erste Schritt in diese Richtung, also die westgriechische Methode, eine der für die Stylobatproportion kalkulierten Säulen der Langseite wegzulassen, war noch reiner Pragmatismus, sozusagen ein handwerklicher Kunstgriff, der kein theoretisches Konzept voraussetzt. Ähnlich wie in einem Brettspiel entnahm man der Grundrissfigur einen Spielstein und passte die Postion der übrigen ein wenig an, und schon war die Figur im Sinne der Regelmäßigkeit deutlich optimiert.
Die später gefundenen Lösungen sind aber schon Ergebnisse einer Analyse der Ringhalle als Struktur, denn sie implizieren eine doppelte Abstraktionsleistung, wie zuvor schon gezeigt wurde: Zum einen war bei diesen Lösungen nicht die Anzahl der Baukörper, d. h. die Anzahl der Säulen, sondern das Verhältnis ihres Abstands voneinander, also das Joch als reines Maß der Ausgangspunkt entsprechender Entwurfsverfahren. Zum anderen emanzipierte sich beim vom Joch ausgehenden Entwerfen der Entwurfsprozess endgültig vom Bauprozess. Der Entwurfsprozess hatte sein eigenes Muster, das keine bloße Vorwegnahme der am Bau notwendigen Schritte mehr war, denn das einheitliche Normaljoch ließen sich nur realisieren, wenn bei der Planung das Joch – oder für den einheitlichen Triglyphenfries das Gebälk – zum Ausgangspunkt gemacht wurde, während das Bauen stets und immer mit dem Legen der Fundamente für den Stufenbau begann. Das modulare Entwerfen war letztlich nur eine weiter getriebene, gleichsam noch abstraktere Variante dieser Verfahren, denn dort wurde gar nicht mehr von einer zentralen Baugruppe wie dem Joch oder dem Gebälk ausgegangen, sondern von einem reinen Maßsystem, einem dem Modul entsprechenden Raster, in das die Grund- und Aufrisse wie in Millimeterpapier eingezeichnet werden konnten. Bei allen diese Verfahren ergab sich zudem zwangsläufig eine wesentlich größere Planungstiefe als notwendig war, solange man mit den älteren Formeln gearbeitet hatte, bei denen eine Jochdifferenzierung akzeptiert werden musste.
Für diese Entwicklung lassen sich keine äußeren Anstöße jenseits des Interesses der Architekten an systematischer Strukturierung angeben. An Stabilität hatte es selbst den Bauten mit vergleichsweise großer Jochdifferenzierung nie gemangelt: Immerhin stehen noch heute Joche der Apollontempel von Korinth
Es bleibt daher die Frage, woher der Impuls zur Strukturierung der Entwürfe seine außerordentliche Intensität, und vor allem seine Dauerhaftigkeit bezog. Man könnte den Anspruch auf strikte Systematik des Entwerfens mit der im Werksteinbau geforderten Präzision in Verbindung bringen, d. h. die Übertragung eines baukonstruktiven Prinzips auf das Entwerfen. Im Werksteinbau ohne Einsatz von ausgleichenden Bindemitteln wie Mörtel war ein exakter Fugenschluss bei manchen Baugruppen zwingend, beispielsweise bei den Lagerfugen von Säulentrommeln, denn bei einem Schaft mit zehn Horizontalfugen zwischen den Trommeln würde die Stabilität der Säule spürbar beeinträchtigt, wenn sich das Lagerspiel von unpräzise gearbeitete Fugen addiert – die Säule würde wackeln. Man kann in diesem Sinne fragen, ob die Präzision in der Schichtung der Säulentrommeln nicht darauf geführt haben sollte, mit der gleichen Präzision auch den Abstand zwischen den Säulen festzulegen. Das ist auch gemacht worden.160 Man findet zudem Belege für eine technisch kaum noch begründbare Präzision an Baugruppen, die kaum Stabilitätsprobleme aufwerfen.161 Eine Fetischisierung von Präzision lässt sich aber trotz solcher Beispiele keineswegs generell unterstellen. Viele Bauten zeigen vielmehr umgekehrt, dass die Baumeister und Handwerker sehr genau wussten, wo Exaktheit aus technischen Gründen gefragt war, und wo nicht. So zeigen die Abakusbreiten dorischer Kapitelle selbst am Parthenon Unterschiede, die im Bereich von Lagerfugen unmöglich hätten toleriert werden können. Einen Weg, der direkt von bautechnisch geforderter Präzision zur strikten Systematisierung von Bauentwürfen führen würde, gibt es demnach nicht. Strapaziert man den Gedanken etwas weniger, bleibt es gleichwohl plausibel anzunehmen, dass zumindest die Baumeister der archaischen Zeit einen Begriff von Qualität entwickelt hatten, der auch beim Entwerfen einen ‚sauberen Fugenschluss‘ verlangte.
Spätestens für die Zeit ab dem 5. Jahrhundert kann man zeigen, dass der vielleicht aus dem ambitionierten Handwerk stammende Anspruch, Größenverhältnisse durch Proportionen in ein klar strukturierten Zusammenhang zu bringen, auch jenseits der Architektur vielfach formuliert worden ist. In allgemeiner Form waren Maß und Zahl als Gesetz des Kosmos schon eine frühe theoretische Grundposition der Pythagoreer. Aufgegriffen wurde dieser Gedanke in der Folge auch von Philosophen wie Platon
Konkreter mit der Entwicklung der Architektur verbinden lassen sich ästhetische Theorien mit explizitem Bezug zur Praxis, die Proportionen ins Zentrum der künstlerischen Arbeit gestellt haben, wie etwa der berühmte – wenn auch im Einzelnen kaum bekannte – Kanon des Polyklet
Übersehen sollte man bei dem Bezug auf solche Theorien allerdings nicht, dass es dafür noch ein zweites Motiv gab. Das Entwerfen wird durch diese Bezugnahmen von einer ursprünglich zum Handwerklichen gehörenden Tätigkeit zu einer angewandten Wissenschaft. Dieser Anspruch ist lange vor Vitruv
2.3.5 Bauzeichnungen
Eine weitere Funktion der Zeichnungen
Vor diesem Hintergrund, sowie der prominenten Stellung der Geometrie innerhalb der griechischen Wissenschaften, und schließlich der geradezu ins Auge springenden Geometrie der Formen der griechischen Architektur, ist es kaum überraschend, dass vor allem die frühe Forschung mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen ist, dass die griechischen Architekten ihre Bauten mit Stift, Lineal und Zirkel entworfen haben. Nach Aufmaß angefertigte Grund- und Aufrissdarstellungen antiker Ruinen wurden daher von vielen Forschern nach geometrischen Konstruktionslinien abgesucht, die aufzeigen sollten, welche Grundsätze und welche Schrittfolgen die Entwürfe widerspiegeln.168
Aber schon der hier mehrfach zitierte Hans Riemann, und nach ihm viele der Architekten, die selbst an Aufnahmen antiker Bauten gearbeitet haben, haben zeichnerische Entwurfsverfahren für die archaische und klassische Zeit mit verschiedenen Einwänden bestritten. So wird darauf verwiesen, dass für das Zeichnen von Plänen, deren Maßstab ausreichend groß war, um Details präzise abgreifen zu können, kein geeigneter Zeichengrund verfügbar war. Antike Papyrosblätter von Büchern hatten eine Breite von nur ca. 45 cm, und wurden bei Buchrollen zwar aneinander geklebt, jedoch ist über große Formate nichts bekannt. Zudem werden weder in Inschriften noch in literarischen Quellen jemals entsprechende Baupläne erwähnt. Hinzukommt, dass für die Visualisierung von Entwurfsideen in Grundrissplänen oder Fassadenaufrissen in den beiden frühen Epochen kaum Bedarf bestanden haben dürfte, da angesichts der Typengebundenheit und der strukturellen Ähnlichkeit der Bauten leicht vorstellbar war, welchen Effekt Änderungen der Proportionen haben würden.169 Akzeptiert werden von diesen Autoren, auch für die früheren Epochen, allein Werkrisse für die Konstruktion von Architekturdetails (dazu ausführlich unten).
Die Annahme, dass die Vitruv
Es gibt jedoch auch ältere Bauten, deren Grundrisse kaum anders als geometrisch ausgearbeitet worden sein können, nämlich die Rundtempel. Für die spätklassische Tholos in Delphi
Fasst man das bisher Angeführte zusammen, so wird man zwar keinen Grund haben zu bezweifeln, dass für den Bau der kanonischen Tempelformen in der Tat kein Anlass bestand, Bauzeichnungen
Eine wesentlich verbesserte Grundlage für das Verständnis der Bedeutung von Zeichnungen
Abb. 2.8: Konstruktionszeichnung eines Säulenschaftes mit angearbeitetem Torus auf einer Wand des Adytons am hellenistischen Apollontempel in Didyma
Unter den erhaltenen Werkrissen findet sich ausschließlich
Die Länge jeder dieser parallelen Linien, gemessen zwischen der Konturlinie und der Achse, gibt so den (halben) Durchmesser des Schaftes auf der Höhe an, die diese jeweilige Linie bezeichnet. Der Radius des Unterlagers der untersten Säulentrommel entspricht also der Länge der untersten Linie zwischen Achse und Kontur, der Radius des Oberlagers der obersten Trommel der Länge der obersten Linie usw. Bei der Ausarbeitung der Endform des Schaftes ergab sich damit für jeden Fuß Höhe der zugehörige Sollwert für den Radius des Schaftes.
Der Werkriss diente nicht allein als Maßvorgabe für die Steinmetzen, die die Maße mit dem Stechzirkel an dem Riss abgreifen konnten, sondern diente zugleich der Konstruktion der Entasis
Die Zeichnung des Torus (Wulst) unter dem Schaft ist ebenfalls zugleich Maßvorgabe und Konstruktion. Sein äußeres Profil war zunächst durch zwei Viertelkreise angegeben, deren Einstichpunkte auf der horizontalen Linie liegen, die die Lage des maximalen Durchmessers des Torus angibt. Der untere Viertelkreis ist jedoch ein zweites Mal gezeichnet worden, wobei der neue Einstichpunkt unterhalb der horizontalen Linie lag, wodurch die Kurve unten stärker einzieht als beim ersten Einstichpunkt. Ähnliche Überarbeitungen einer zuvor entwickelten Grundform lassen sich auch an einem zweiten Riss nachweisen, auf dem Gebälk und Giebel des Naïskos dargestellt sind, eines kleinen tempelförmigen Baus innerhalb des Adyton. Dieser Riss gibt allerdings, anders als der Schaftriss, nicht die tatsächlich ausgeführte Form wider, denn der Naïskos, von dem sich Werkstücke erhalten haben, war deutlich weniger breit als auf dem Riss. Die Zeichnung ist, gerade weil sie verworfen worden ist, definitiv ein Teil des Entwurfsprozesses gewesen.
Entwurfszeichnungen
Vor dem Hintergrund der hier zuletzt beschriebenen Werkrisse ist davon auszugehen, dass zeichnerische Formen des Entwerfens vor allem bei der Konstruktion von Detailformen schon sehr früh eine erhebliche Rolle gespielt haben – wahrscheinlich eine weit größere als in der Grundrissentwicklung.
2.3.6 Paradeigma und Anagraphé
Neben den Bauten selbst und den Werkrissen geben auch die Inschriften Hinweise auf die Arbeitsweise der griechischen Architekten. Zwei Termini spielen hier eine besondere Rolle.
Paradeigma, ‚Beispiel‘, bedeutet zweierlei: zum einen ein einzelnes Exemplar einer Menge gleichartiger Objekte, zum anderen das Vorbild oder Muster für eine Menge entsprechender Objekte. Die letztgenannte Bedeutung ist sicher die, die in den Bauinschriften gemeint ist. Die ältere Deutung der Inschriften sah in Paradeigmata Modelle
Im allgemeinen wird die Interpretation von Paradeigma im Sinne eines Modells von ganzen Gebäuden heute abgelehnt.183 Geltend gemacht wird vor allem, dass Modelle für die grundsätzliche Abstimmung mit dem Bauherrn angesichts der Typengebundenheit der griechischen Architektur kaum erforderlich gewesen sein können. Als Instrument für die Darstellung eines Entwurfs für die Handwerker auf der Baustelle wären Modelle ungeeignet gewesen, denn die Maßstabsreduktion hätte es kaum ermöglicht, die Größen und Formdetails von einzelnen Baugliedern am Modell abzugreifen.
Sehr viel plausibler ist die Deutung von Paradeigma als Musterexemplar für die Anfertigung von Bauteilen mit komplexer Form, die für ein Gebäude in Serien hergestellt werden mussten. Einige dieser Bauteile sind auf andere Weise, also durch Beschreibung oder zweidimensionale Zeichnung, gar nicht vollständig darstellbar. Das gilt vor allem für das korinthische Kapitell. In einem Fall hat sich ein solches Musterstück wahrscheinlich erhalten. Im Heiligtum von Epidauros
Weiterhin gibt es inschriftliche Hinweise auch auf ionische Musterkapitelle. Eine dieser Inschriften stammt aus der Zeit, als Athen
Neben Kapitellen, die nicht rotationssymmetrische Formen hatten wie das dorische Kapitell (hier genügte zur Ausarbeitung eine Schablone mit dem Kapitellprofil), haben auch für alle Elemente der plastischen Bauornamentik sicher Modelle bereitgestellt sein müssen, etwa für die Simen (Traufrinnen) mit Wasserspeiern in Form von Löwenköpfen und die Akrotere, d. h. die floralen oder figürlichen Schmuckelemente an den Ecken und Firsten der Dächer.
Auch einfachere Formen wurden durch Paradeigmata definiert. Eindeutig ist der Hinweis auf die Aufbewahrung eines Musterstücks für die Dachziegel der Skeuothek, des im letzten Kapitel schon erwähnten Arsenals im Hafen von Piräus
Paradeigmata gab es zudem auch für die Verbindungselemente. Inschriftlich nachweisbar ist das Musterstück eines Dübels für die Vorhalle des Telesterions von Eleusis
Aus Holz waren hingegen die Kisten, die in der Skeuothek für die Aufbewahrung der Schiffsausrüstung dienten, für die es ebenfalls ein Paradeigma des Architekten gab.188 Auch aus Holz war eine beiderseits weiß gestrichene Platte (Pinax), die in den Inschriften aus Delos
Weit weniger eindeutig interpretierbar in den Inschriften als der Terminus Paradeigma ist der der Anagraphé. Das Grundproblem ist, dass das zugehörige griechische Verb sowohl ‚aufschreiben‘ bedeuten kann, wie etwa das Einmeißeln einer Inschrift in einen Stein, wie auch ‚auf etwas aufzeichnen‘, also die graphische Darstellung eines Objekts. Zweifelsfrei ist, dass Anagraphé in den Bauinschriften stets auf Anweisungen des Architekten an die Handwerker bezogen ist.
Das prägnanteste Beispiel ist die sog. ‚Prostoon‘-Inschrift.190 In ihr werden Aufträge vor allem für die verschiedenen Typen von Werksteinen aufgelistet (Stufenblöcke, Stylobatplatten, Metopen, Triglyphen, Geisa u. a.), jeweils getrennt in Aufträge für das Brechen der Steine, den Transport vom Steinbruch zum Heiligtum sowie für Ausarbeitung und Versatz der Bauglieder. Der Auftrag etwa für die Ausarbeitung und den Versatz der dorischen Geisa (Kraggesimse) lautet folgendermaßen:
„To make 47 Doric [Pentelic191] geisa according to the specification to be provided by the architect [πϱὸϛ τὸν ἀναγϱαφέα ὅν ἄν δῶι ὁ αϱχιτέκτων], length 6’, breadth 3 ’, thickness 1 ’, including two corner geisa, and hoist them up an join them so that they fit closely everywhere, without damage – width of joint-fillets ‘ – and connect them with clamps and dowels in molten lead, and level off the upper face of the course.“192
Die Formulierung πρὸϛ τὸν ἀναγραφέα ὅν ἄν δῶι ὁ αρχιτέκτων wurde in der Inschrift nicht weniger als elf Mal verwendet.193 Sie kommt in ähnlicher Form häufig in Bauinschriften vor.194 Was sie inhaltlich bezeichnet, ist im Grundsatz klar, denn die explizit gegebenen Maßangaben definieren lediglich einen rechteckigen Quader von
Fuß, nicht aber ein dorisches Geison. Entsprechend muss die Anagraphé die zusätzlich notwendigen, die Form bestimmenden Angaben zur Ausladung der Hängeplatte, zur Neigung der Oberseite und der Nagelplatten (Mutuli), Höhe der Tropfen (Guttae), Traufnase (Scotia) usw. enthalten haben. Unklar bleibt aber, in welcher Form diese Informationen nachgereicht werden sollten. Bundgaard, der sich ausführlich mit der Deutung des Begriffs Anagraphé beschäftigt hat, kam zu keinem eindeutigen Ergebnis,195 und schiebt entsprechend in die oben zitierte Übersetzung in Klammern als Alternative ein: „[…] according to the specifications (possibly: the diagram) to be provided by the architect.“ Anders Maier, der den Begriff in einer Mauerbau-Inschrift von 337/6 mit „Aufrisse“ bzw. „Baurisse“ übersetzt, und zwar gerade mit Referenz auf die Prostoon-Inschrift.196 Am wahrscheinlichsten ist m. E., dass ein Werkriss gemeint ist, der das Profil des Geisons darstellte, und von dem die Steinmetzen die einzelnen Maße mit dem Stechzirkel abgreifen konnten. Ein solches Profil brauchte jeder Steinmetz für die Weiterarbeit, nachdem die Seitenflächen des Quaders ausgearbeitet worden waren. Noch heute wird in jeder monographischen Darstellung eines griechischen Baus für das Geison eine Profilzeichnung
Für die hellenistische Zeit lässt sich belegen, dass Anagraphé nicht allein einen Werkriss bezeichnete, also eine Darstellung einer Form für den ausführenden Steinmetz, sondern auch eine Konstruktionszeichnung
2.4 Materialien
2.4.1 Holz
Im Steinbau hatte Holz als Baustoff eine quantitativ wie strukturell hohe Bedeutung. Verwendet wurde es in der Regel in etwa derselben Weise wie noch im Steinbau der frühen Neuzeit, nämlich für die Ausstattung der Bauten mit Türen, Fenstern und Treppen, und vor allem für Decken und Dachstühle. Nur wenn ein Bau hohe Ansprüche demonstrieren sollte, wurde das standardmäßig verwendete Holz durch Stein substituiert. Vor allem Tür- und Fensterlaibungen wurden in Stein gefertigt, seltener Kassettendecken. Am Tempel von Sangri auf Naxos
Noch höher war die Bedeutung des Holzes im Lehmziegelbau, also vor allem bei Wohnhäusern, und in der Frühzeit auch bei öffentlichen und sakralen Bauten. Es diente hier zusätzlich zur Aussteifung von Mauern (wie auch an Stadtmauern) und Wänden, und zum Schutz von Mauerzungen (Anten). Zudem waren an Lehmziegelbauten auch Stützen und Gebälke regelmäßig in Holz ausgeführt.
Des Weiteren wurde Holz auf den Baustellen für Werkzeuge201 und Meßzeuge sowie für Maschinen (Gerüste, seltener Kräne) benötigt. Auch brauchte man Holz für das Brennen der Dachziegel und das Schmelzen des Bleis für den Verguss von Eisenklammern. Holzkohle – selten reine Kohle202 – war beim Schmieden der Beschläge, Dübel, Klammern und Werkzeuge erforderlich.
Kaum bekannt sind hingegen reine Holzkonstruktionen.203 Sie werden aber bei Brücken vielfach üblich gewesen sein.204 Ansonsten lassen sich nur einige nur für temporäre Nutzung errichtete Bauten belegen, deren Holz also wiederverwendet werden konnte, wie das ältere Dionysos-Theater am Südabhang der Athener Akropolis.205 Die Gründe für das weitgehende Fehlen reiner Holzkonstruktionen liegen kaum in klimatisch bedingter hoher Brandgefahr – Lehmziegelbauten waren kaum weniger gefährdet –, sondern in den hohen Kosten für hochwertiges Bauholz. Nicht sicher bekannt sind zudem freitragende Holzkonstruktionen ganzer Gebäude (wie Fachwerkhäuser), obwohl die erforderlichen Kenntnisse und Techniken aus dem Schiffbau, und vor allem aus dem Gerüstbau bekannt gewesen sein müssen, denn mit Hilfe der Gerüste und Winden wurden Bauglieder von über 10 to Gewicht versetzt (s. Abb. 2. 15). Nicht nachweisbar verwendet wurde Holz für Fundamentierungen, denn man kennt keine Pfahlgründungen in sumpfigem Gelände, obwohl auf solchem Untergrund einige der größten Tempelbauten errichtet worden sind (Heratempel auf Samos
Holzarten und ihre Verwendung
Anforderungen hinsichtlich der Biege- und Druckfestigkeit stellten vor allem die Tragwerke der Dächer, die die Last der Ziegel und einer eventuell darunter liegenden Lehmschicht zu tragen hatten. Bei den Deckenbalken erforderte die freie Länge entsprechende Dimensionierungen. Die Beschränkung der freien Spannweiten der Decken auf kaum über 12 m dürfte darauf zurückzuführen sein. Bei Decken, auf die Estrich aufgebracht werden sollte (mehrgeschossige Stoen), durfte das Holz nicht zu sehr auf Temperaturschwankungen reagieren, um Rissbildungen im Estrich zu vermeiden. Insbesondere bei den großen Tempeltüren (Höhe bis über 10 m) war das Alterungsverhalten (Verzug) und die Resistenz gegen Fäulnis bei Feuchtigkeit bei der Auswahl, neben ästhetischen Aspekten wie Maserung, zu berücksichtigen. Dasselbe galt für Hölzer, die für Steinverbindungen als Dübel und Schwalbenschwanz-Klammern eingesetzt wurden.208
Das Fachwissen, das sich die Zimmerleute – sicher auch im Austausch mit den Schiffbauern – über die Eigenschaften der lieferbaren Hölzer erworben hatten, muss erheblich gewesen sein, und galt offenbar als so zuverlässig, dass sich wissenschaftliche Autoren wie Theophrast
Baugruppe | Holzart | Ort/Bau |
---|---|---|
Säulen | Eichenholz | Heraion, Olympia |
Stützten | Eichenholz | salle hypostyle, Délos |
Dachstühle | Pinie | Klaros, Delos |
Tanne | Epidauros, Delphi, Delos1 | |
Zeder | Ephesos, Artemision | |
Zypresse | Parthenon, Delphi (alkmaionidischer Apollontempel) | |
Decken | Tanne | Delphi, Eleusis |
Buchsbaum | Erechtheion | |
Ulme | Delos, Apollontempel | |
Zeder | Delos, Apollontempel | |
Zypresse | Epidauros, Asklepiostempel | |
Eiche | salle hypostyle, Delos | |
Fenster | makedonischem Nadelholz | Eleusis |
Empolia (erh.) | Zypresse | Erechtheion |
Empolia (erh.) | Zypresse | Parthenon |
Empolia (erh.) | Olivenholz(?) | Apollontempel auf Delos |
Tab. 2.1: Holzarten und ihre Verwendung.
1Balken von 18 Ellen (ca. 9 m) Länge [Pfette?], IG XI 2, 203 B, Z. 101.
Herkunft, Einschlag, Verarbeitung
Die wichtigsten Liefergebiete für Bauhölzer
Über den Einschlag ist hinsichtlich der Werkzeuge und der Transporttechniken innerhalb der Waldgebiete wenig bekannt. Sehr wahrscheinlich wurde mit Äxten gefällt und die Stämme mit Ochsen zunächst bis zu Verladeplätzen geschleift, die an Wegen oder Flüssen lagen.213 Die Kenntnisse, die der ‚Qualitätssicherung‘ dienten, sollen sogar in Fachschriften niedergelegt worden sein.214 Geschlagen werden sollten Bäume mittleren Alters, der Einschlag in den trockneren Jahreszeiten durchgeführt werden. Laubholz, dessen Rinde am Ort entfernt werden sollte, um das Holz
Holztechnik
Die Art der Holzverbindungen lässt sich nur selten direkt nachweisen,218 doch dürften Verzapfungen und Verdübelungen (auch für die Anbringung von Zierleisten belegt219), wie sie in Rom
Die Verwendung von Nägeln scheint hingegen keine übliche Form der Verbindung gewesen zu sein, denn andernfalls hätte Philon
Zur Verarbeitung zählen schließlich auch die Konservierungstechniken, die das Holz vor Fäulnis und Schädlingen schützen sollten. Bekannt ist, dass die Bemalung (Enkaustik), wenn auch in erster Linie als Ornamentierung gesehen, als Schutzschicht diente, ebenso wie – bei nicht einsehbaren Baugliedern – die aus dem Schiffbau bekannte Beschichtung mit Pech.224 Theophrast
Transportkosten, Preise und politische Bedeutung des Holzexportes
Die Preise für hochwertige Hölzer hatte eine politische Komponente, da auf den Export hochwertiger Hölzer Ausfuhrzölle erhoben wurden (bekannt als Monopol des Königs in Makedonien
2.4.2 Stein
Gesteinsarten
Über Gesteine und ihre Eigenschaften existierte in der griechischen Antike eine Fachliteratur. Schon die ionischen Naturphilosophen hatten sich mit Gesteinen beschäftigt. Von den antiken ‚Steinbüchern‘ erhalten ist eine Schrift von Theophrast
Die für den Monumentalbau wichtigsten Gesteinsarten sind verschiedene Sedimentgesteine, vor allem die harten, grauen Kalksteine und verschiedene Kalksandsteine sowie der Marmor. Der in den Quellen häufig genannte ‚Poros‘ ist geologisch nicht eindeutig bestimmbar, sondern bezeichnete verschiedene Kalksteine, Muschelkalke und Tuffe. Magmatische Gesteine wie Granite, Basalte und Andesite wurden vergleichsweise selten verwendet, und häufig nur in nicht oder kaum sichtbaren Bereichen wie Fundamenten.
Gesteine, die anfällig für Erosion waren, wurden auf den Außenflächen mit einem – meist sehr feinen und dünn aufgebrachten – Kalkputz überzogen, in den Marmormehl eingerührt sein konnte. Solche Putze waren zudem erforderlich, um bestimmte Bauteile mit Farbe zu überziehen.
Die Verwendung der Gesteinsarten richtete sich zwar prinzipiell nach deren natürlichen Eigenschaften, ist jedoch nicht im engen Sinne funktional differenziert. So findet man nur sehr selten Bauten, an denen die statisch kritischen Tragbalken über den Säulen aus anderem Material gefertigt sind als die darüber liegenden Teile des Gebälks (Fries und Gesims), die allein auf Druck belastet werden. Wenn innerhalb des Oberbaus verschiedene Gesteine verwendet wurden, dann meist wegen der Farbigkeit, etwa für Fußböden, oder weil nur bestimmte Gesteine – vor allem Marmor – geeignet waren für bildhauerischen Bauschmuck (Ornamente und Bildreliefs).
Steingewinnung
Steinbrüche wurden schon in mykenischer Zeit betrieben, das erforderliche technische Wissen war also lange vor der hier behandelten Epoche bekannt. Zur Gewinnung von Baumaterial wurden Steinbrüche in nachmykenischer Zeit aber erst seit dem Beginn des Monumentalbaus genutzt, also ab dem späten 7. Jahrhundert.
Normalerweise wurde das Gestein oberirdisch abgebaut. Es gab jedoch auch unterirdische Vorkommen, die abgebaut wurden, wie etwa in Syrakus
Im Steinbruch wurden zunächst die obersten, erodierten Schichten entfernt, deren Material für das Bauen ungeeignet war. Der eigentliche Abbau erfolgte durch Zerspanen und Absprengen.234 Dabei wurde die Schichtung des Gesteins im Steinbruch auf die spätere Einbaulage der Blöcke am Bau bezogen, so dass die horizontalen Schichten im Gestein auch am Bau horizontal erscheinen. Das bedeutete praktisch, dass Wandquader gleichsam liegend, Säulentrommeln hingegen stehend aus dem anstehenden Gestein herausgebrochen wurden.235 Der Gedanke, der dahinter stand, war offensichtlich der, dass vertikal verlaufende Gesteinsschichten in den Baugliedern unter Druck wie Sollbruchstellen gewirkt hätten. In Kauf nehmen musste man zur Vermeidung dieses Problems, dass bei vertikalen Baugliedern wie Säulentrommeln oder Türgewänden sehr tiefe Schrotgräben angelegt werden mussten. Daher kennt man auch Architrave, bei denen die Schichtung am Bau nicht in derselben Ebene liegt wie im Steinbruch, d. h. die Architrave wurden genauso wie Platten aus dem anstehenden Gestein herausgesprengt, und am Bau gleichsam um 90° gekippt.
Für das Brechen der Blöcke wurden zusätzlich zur Oberfläche zunächst ein bis drei Seiten des Steins freigelegt, indem Schrotgräben (bis ca. 60 cm Breite) mit der Hacke oder mit Hammer und Meißel angelegt wurden. Wo möglich, wurden die Schrotgräben dort angelegt, wo härtere und weichere Schichten im Gestein aufeinandertrafen. Zum Absprengen des Unterlagers und der eventuell noch nicht freigelegten Seitenflächen wurden Keile aus Holz oder Metall zum Spalten des Steins verwendet. Holzkeile wurden nach dem Einsetzen in passgenaue Ausarbeitungen gewässert, so dass sie durch das Aufquellen den Stein absprengten. Metallkeile wurden in Reihe eingetrieben, wobei der für das eigentliche Absprengen entscheidende Schlag auf die Keile von allen Arbeitern exakt gleichzeitig ausgeführt werden musste.236 Nicht immer wurde allein die Unterseite abgesprengt, es konnten gleichzeitig auch Seitenflächen abgesprengt werden, was handwerklich anspruchsvoller war, aber effektiver war.
Die abgesprengten Blöcke wurden in der Regel bereits im Steinbruch auf annähernd ihre endgültige Form abgearbeitet. Auf diese Weise war die endgültige Form von einem dünnen Werkzoll eingehüllt, d. h. in Bosse belassen. Das diente dem Schutz der späteren Sicht- und Lagerflächen beim Abtransport aus dem Steinbruch. Die Ausarbeitung der annähernd endgültigen Form bereits im Steinbruch hatte weitere Vorteile. Zum einen war das bruchfeuchte Material leichter, und damit schneller zu bearbeiten. Zum anderen konnte dadurch das Transportgewicht reduziert werden. Der Werkzoll konnte so gering ausfallen, dass an den Trommeln für eine Säule die vorgesehene Entasis
Der Steinsplitt, der beim Anlegen der Schrotgräben anfiel, wurde meist beim Steinbruch gelagert. Große Mengen von solchem Splitt sind heute ein Merkmal, anhand dessen aufgelassene Steinbrüche identifiziert werden können. Um Fundamentgräben von Neubauten aufzufüllen, war der Splitt aus den Steinbrüchen nicht erforderlich, da beim Abarbeiten des Werkzolls auf dem Bauplatz genügend Splitt anfiel. Bei geeignetem Material – Kalkstein oder Marmor – konnte der Splitt auch zum Kalkbrennen verwendet werden.
2.4.3 Lehm, Ton und weitere Materialien
Das unter den angesprochenen Materialien für das Bauwesen quantitativ mit Abstand wichtigste war Lehm. In Form von luftgetrockneten Ziegeln oder als Stampflehm war Lehm das Standard-Baumaterial für Wohn- und Nutzbauten.238 Auch Stadtmauern wurden in klassischer Zeit, und auch später noch, aus Lehmziegeln gebaut (Plataiai, Mantineia). Obwohl preiswert und leicht zu verarbeiten, in diesem Sinne also ‚billig‘, wurden auch nach dem Aufkommen der Werksteintechnik vereinzelt noch Sakralbauten oder anspruchsvolle öffentliche Gebäude mit Lehmziegelwänden errichtet. Zu ersteren gehört der Despoinatempel in Lykosura
Über die Technik des Lehmziegelbaus lassen sich jedoch nur sehr wenig präzise Aussagen machen, da praktisch keine Baureste erhalten sind, falls die Lehmmauern nicht bei einem Feuer (‚sekundär‘) gebrannt, und so erhalten geblieben sind. Lehm hat als Baumaterial verschiedene vorteilhafte Eigenschaften. Leicht zugängliche Vorkommen gab es außer in felsigen Gebieten fast überall. Lehm wirkt stark feuchtigkeitsregulierend, denn Lehm resorbiert die Luftfeuchtigkeit sehr schnell, und gibt bei Trockenheit die aufgenommene Feuchtigkeit auch sehr schnell wieder ab. Zudem wirkt Lehm, vor allem, wenn er mit pflanzlichen Stoffen gemagert wird, als effizienter Dämmstoff. Schließlich ist Lehm bei Zerstörungen in einfachster Weise wiederverwendbar. Eine eingestürzte Mauer etwa lässt sich problemlos wieder aufbauen, wenn der Lehm gewässert und wieder in Formen verstrichen worden ist. Nachteil des Lehms ist, dass er bei Schlagregen oder konstanter Bodenfeuchtigkeit zerfließt, so dass entsprechende Schutzmaßnahmen wie Sockelzonen aus Stein und große Dachüberstände erforderlich sind. Das Bestreichen der Wandaußenflächen mit Kalkmilch oder Kalkputz bietet ebenfalls wirksamen Schutz. Alle genannten Maßnahmen haben die Griechen praktiziert. Insbesondere die Steinsockel von Lehmziegelbauten haben sich häufig erhalten. Bei Wohn- oder Nutzbauten sind diese Sockel zumeist aus Bruch- oder Lesestein zusammengefügt. Bei sakralen oder öffentlichen Bauten wie den oben angeführten Gebäuden wurden die Sockelzonen der Lehmziegelwände aus großen, sorgfältig bearbeiteten und in dichtem Fugenschluss versetzten Steinplatten (Orthostaten) errichtet, also in Werksteintechnik.
Für die Mauern selbst wurde der Lehm zunächst mit Wasser angemacht und aufbereitet. Sog. fetter Lehm mit hohem Tongehalt wurde mit Sand gemagert, damit beim Trocken, bei dem die Ziegel wegen der Abgabe des Wassers schrumpfen, möglichst wenig Risse auftraten. Demselben Zweck diente auch die Beimengung von pflanzlichen Stoffen, vor allem Stroh, das zudem, wie angesprochen, die Dämmeigenschaften verbessert. Der aufbereitete Lehm wurde anschließend mit Hilfe von Holzrahmen geformt und an der Luft zur Vermeidung von Rissen langsam, also wohl eher im Schatten und nicht im Hochsommer, getrocknet. Verlegt wurden die Ziegel in ähnlichen Mustern wie später die Backsteine. Die Fugen wurden mit wässrigem Lehm verstrichen. Nicht zu klären ist, in welchem Umfang die Griechen die als Pisé bekannte Bauweise praktizierten, bei der der sog. Stampflehm schichtweise zwischen Bretterschalen eingebracht und durch Stampfen verdichtet wird. In der Regel verbleibt von einer Lehmziegel- oder Stampflehmmauer nach Auflassen des Gebäudes nur eine formlose Lehmschicht auf Höhe des Steinsockels. Die wenigen durch Brand erhaltenen Reste von Mauern aus Lehm waren aus Lehmziegeln errichtet, so dass man zumindest vermuten kann, dass Pisé seltener war als Lehmziegel. Zudem waren die für Pisé erforderlichen Schalbretter sicher teurer als die relativ kleinen Holzformen der Lehmziegel.
Gebrannter Ton, oder meist eher stark tonhaltiger Lehm, der in speziellen Öfen gebrannt wurde, ist in der griechischen Architektur vor allem für Dachziegel verwendet worden. Hinzukommen am Dach die Traufrinnen (Simen), kleine Palmetten über deren Fugen (Antefixe) und Schmuckapplikationen an Ecken und Firsten (Akrotere, teils floral, teils figürlich), sowie an westgriechischen Dächern Verkleidungsplatten für die vorkragenden Teile des Gebälks, die ursprünglich die Holzgebälke gegen Feuchtigkeit schützten.
Fast keine Rolle spielen in der griechischen Architektur hingegen gebrannte Ziegel bzw. Backstein. In seiner üblichen Form und als primäres Baumaterial kommt er in Griechenland
Die Dachziegel aus gebranntem Ton gelten als griechische Erfindung des frühen 7. Jahrhunderts.239 Im alten Orient und im pharaonischen Ägypten
Die Herstellungstechnik für die verschiedenen Elemente der Dachhaut war auch vor der Einführung des Dachziegels lange bekannt, denn sie war dieselbe wie für die Gefäßkeramik. Auch gab es bereits lange vorher hinreichende Erfahrungen mit dem Brand großer Bauteile, wie die älteren Großgefäße belegen, die zur Aufbewahrung von Getreide und Öl in den Boden eingelassen wurden (sog. Pithoi). Dachziegel wurden aus grob gemagertem Ton hergestellt. Ziegel für besonders aufwändige Bauten wurden vor dem Brand zusätzlich durch Tauchen mit einer dünnen Schicht fein geschlämmten Tons überzogen. Für die Formgebung wurden schon in spätarchaischer Zeit Modeln verwendet, die einheitlichere Ziegelserien ermöglichten als bei den älteren, handgestrichenen Ziegeln.
Die meisten griechischen Dächer haben jeweils zwei Hauptformen von Ziegeln: einen Flachziegel, der den größten Teil der Eindeckung bildet, und einen Deckziegel, der die Fugen zwischen den Flachziegeln überdeckt. Hinzukommen kommen noch besondere Formen für den First und den Dachrand. Man unterscheidet nach der Grundform der Ziegel zwei Haupttypen von Dächern. Beim korinthischen Dach sind die Flachziegel gerade Platten mit leicht aufgewölbten seitlichen Rändern. Die Deckziegel über den Fugen sind im Querschnitt dreieckig in der Art eines Giebels. Beim lakonischen Dach sind die Flachziegel leicht konkav, die Deckziegel stark konvex geformt. Bei Dächern mit gekrümmten Flachziegeln wurden die Ziegel im Lehmbett verlegt, das auf die Holzschalung über dem Tragwerk aufgebracht wurde.240 Bei korinthischen Dächern mit geraden Flachziegeln, die durch Falze untereinander und mit den Deckziegeln verbunden waren, hätte das Lehmbett und die Schalung entfallen können, so dass eine einfache Lattung ausgereicht hätte wie bei modernen Ziegeldächern.
Ziegelformate und -formen wurden häufig speziell für die jeweiligen Bauten hergestellt, und waren somit Teil des Bauentwurfs. Der Bedarf an großen Mengen von Dachziegel hat aber gleichwohl – anders als im Werksteinbau – auch zur Standardisierung der Maße und Formen geführt. Zur Kontrolle der Form und Abmessungen, der sog. ‚tile standards‘, gab es Prüfplatten aus Stein, ähnlich Messtischen für Hohl- und Längenmaße. Die Ziegel konnten dort durch Einlegen mit den Vorgaben abgeglichen werden.241
Eisen und Bronze wurde nicht nur zur Herstellung von Werkzeugen, sondern auch am Bau selbst verwendet, um Werksteine horizontal mit Klammern und vertikal mit Dübeln zu verbinden (zu den Formen s. Abschnitt 2.6 zu Bautechniken). Die schon im Zusammenhang mit den Paradeigmata angesprochenen Bronzedübel, die für die Vorhalle des Telesterion von Eleusis
Weitere Materialien, die im Bauwesen verwendet wurden, waren Farbstoffe. Farbig abgesetzt wurden bestimmte Komponenten der Gebälkornamentik. So wurden bei Bauten dorischer Ordnung die Triglyphen meist blau, die Architravtänien rot angestrichen. Man kann das mehr als nur in Resten heute noch an den makedonischen Kammergräbern in Verghina sehen. Bemalt wurden zudem plastisch ausgearbeitete Ornamentbänder (Kymatien), die gelegentlich auch nur auf Profile aufgemalt wurden. In der dabei angewandten Technik wurden die Farbpigmente durch Bienenwachs, eventuell versetzt mit Öl, gebunden. Aufgetragen wurden die Farben heiß, entweder nach Erhitzen über Kohlebecken, oder mit heißen Spachteln. Daher wird diese Technik als Enkaustik bezeichnet, was im Griechischen wörtlich ‚Eingebranntes‘ bezeichnet. Viele der Farbstoffe wurden importiert, z. B. aus Ägypten
Zu nennen wäre schließlich noch eine Vielzahl anderer Materialien, zu denen beispielsweise Hanf für Seile, Weidenruten für Körbe – die Griechen kannten für den Transport von Sand, Erde usw. keine Schubkarren – und einige andere gehören. Fensterglas war nicht bekannt, obwohl Glas in hellenistischer Zeit als Material für kleinere Gefäße nicht selten ist.
2.5 Logistik
Weiter verkompliziert und gesteigert wurden die Ansprüche an die Logistik häufig durch die Lage der Bauplätze und der Steinbrüche. Selbstverständlich wurde bei Heiligtümern, die auf einem Stadtberg (Akropolis) oder in einem Berghang gelegen waren, die anstehenden Gesteine – falls geeignet – zum Bauen genutzt, womit sehr viel Arbeit eingespart werden konnte, da das Steinmaterial für das Einebnen von Bergkuppen oder die Anlage von Terrassen direkt weiterverarbeitet werden konnte. War hingegen kein geeignetes Steinmaterial am Bauplatz vorhanden, oder sollte in Marmor gebaut werden, mussten nicht nur weitere Transportwege bewältigt werden, sondern auch starke Steigungen. Die Blöcke mussten also zunächst aus den oft in den Bergen gelegenen Steinbrüchen abgelassen, abtransportiert, und anschließend gegebenenfalls auf eine Akropolis hinaufgebracht werden. So wurde der Marmor für die perikleischen Bauten in Athen
2.5.1 Steintransport
Abb. 2.9: Ablassen eines Kapitells aus dem Steinbruch mit einem Schlitten über eine Rampe (Korres and Vierneisel 1992, Nr. 13).
Für das Ablassen der Blöcke aus hochgelegenen Steinbrüchen waren Wagen häufig ungeeignet, weil sie wegen des Gewichts der Ladung auf relativ steilen Rampen nicht ausreichend hätten gebremst werden können. Man verwendete daher Schlitten, die durch die im Vergleich zu Wagenrädern weit höhere Friktion der Kufen wesentlich besser für Gefällestrecken geeignet waren. In manchen Steinbrüchen haben sich die Riefen erhalten, die bei der Verwendung von Schlitten durch den Abrieb der Kufen entstanden sind. Zusätzlich gebremst wurden die Schlitten durch Seile, die über Widerlager liefen (Abb. 2.9).
Bei Straßentransporten wurden gelegentlich von Pferden gezogene Wagen benutzt. Eine antike Quelle erwähnt einen von vier Pferden gezogenen Wagen für Kyrene
Über die Technik der schweren Wagen ist so gut wie nichts bekannt. Auch gibt es keine entsprechenden Reliefdarstellungen. Konkret lässt sich nur angeben, dass Diodor
Praktisch keine detaillierten Informationen finden sich in den Quellen über die Schiffstransporte. Entsprechend ist auch nicht bekannt, welche Schiffstypen eingesetzt wurden, bzw. ob es – wie in römischer Zeit252 – spezielle Steintransporter gegeben hat. Einige Inschriften erwähnten lediglich das Entladen von Steintransportern in den Häfen, die für Transporte in die Heiligtümer von Epidauros
2.5.2 Bewegen schwerer Bauglieder
Nicht alle Bauglieder können auf Wagen verladen worden sein, wie sich schon daraus ergibt, dass die oben erwähnten Maximalgewichte einzelner Bauglieder die Zuladung selbst moderner Lastkraftwagen übersteigen würden. Bekannt sind mehrere Transporttechniken für Bauteile, die nicht auf Wagen oder Schlitten verladen werden konnten. Eine sehr alte solche Technik, die aus dem Alten Orient durch bildliche Darstellungen bekannt ist,255 ist das Bewegen schwerster Lasten mit Rollhölzern, die quer zur Transportrichtung in dichter Folge hintereinander gelegt wurden. Um den zu bewegenden Block auf die Hölzer zu heben, dürften einfache Stemmeisen genügt haben, die an der Seite der Transportrichtung angesetzt wurden, um die Hölzer unterzulegen. Beim Ziehen der Blöcke mit Seilen bzw. Schieben von der Rückseite kommt das jeweils hinterste Holz frei, das dann von Helfern nach vorne gebracht wird, und durch die weitere Vorwärtsbewegung unter den Block gerät. Notwendig für diese Form des Bewegens schwerer Lasten ist vor allem ein sehr fester Untergrund, da ein Einsacken der Hölzer in den Boden ein weiteres Bewegen der Last verhindert. Denkbar ist, dass aus diesem Grund starke Bretter als Laufbahn für die Rollhölzer verlegt wurden, die ähnlich wie die Rollen jeweils von hinten nach vorne umgesetzt wurden. Mit dieser Methode kann selbst ein einzelner Mann mit einfachsten Mitteln – Rundhölzern und Stemmeisen – einen Stein von 0,5 to über kurze Strecken bewegen.256 Rollhölzer werden mehrfach in Inschriften erwähnt, z. B. für das Bewegen von Steinen im Hafen des Heiligtums von Epidauros
Andere Techniken, überschwere Bauglieder zu bewegen, waren erheblich aufwändiger, zugleich aber auch effizienter als das sehr zeitaufwändige Verschieben von Blöcken über Rollhölzer. Beschrieben sind solche Verfahrensweisen bei Vitruv
Abb. 2.10: Vorrichtung zum Transport von Säulenschäften.
Eine Methode war, Säulentrommeln oder -schäfte zu bewegen, indem sie von einem Holzrahmen eingefaßt wurden, an den die Zugtiere angeschirrt wurden. Die Trommel oder der Schaft selbst wurde dabei bewegt wie eine Walze (Prinzipskizze dazu Abb. 2.10). Das hatte gegenüber dem Wagentransport den Vorteil, dass die Fläche, mit der die Säulentrommel auf dem Boden auflag, wesentlich größer war als die von Rädern, wodurch das Problem umgangen wurde, dass die Räder bei weichem Untergrund und hoher Transportlast in den Boden einsackten.
Vitruv
Mit dieser Methode ließen sich allerdings nur zylindrische Bauglieder – Säulenschäfte und Trommeln – bewegen, die sich rollen lassen. Für schwere quaderförmige Bauglieder wie Architrave ist bei Vitruv
Abb. 2.11: Vorrichtung zum Rollen von Quadern (Koldewey and Puchstein 1899, Abb. 98).
Die angesprochenen Beschreibungen von Vitruv
2.5.3 Hebetechniken
Eine mögliche Antwort hat der oben schon erwähnte Architekt des ephesischen Artemisions, Chersiphron
Abb. 2.12: Kran, Typ Trispastos (Wikipedia, Eric Gaba, modifiziert nach Dienel and Meighörner 1997, 12f.).
Kräne, die mit Flaschenzügen bestückt waren, sind aus den älteren Mittelmeerkulturen nicht bekannt. Insofern dürfte es sich um eine griechische Erfindung handeln. Dem würde entsprechen, dass Vitruv
Die Technik der griechischen Kräne ist nur schlecht rekonstruierbar, da die entsprechenden Schriftquellen aus der Kaiserzeit stammen, und keine bildliche Darstellung erhalten ist. Vitruv
Abb. 2.13: Kran, Typ Dikolos (Nix and Schmidt 1900, Abb. 45).
Abb. 2.14: Kran, Typ Tetrakolos (Nix and Schmidt 1900, Abb. 50).
Der Trispastos und das Pentapaston sind identische Konstruktionen, die sich nur durch die Zahl der Umlenkrollen des Flaschenzuges (drei bzw. fünf) unterscheiden. Der Ausleger besteht jeweils aus zwei an der Spitze verbundenen Holzbalken, die ein umgekehrtes V bilden (Abb. 2.12). Ihre geneigte Position wird durch im Boden verankerte Spannseile fixiert. Die Winde ist als Querstrebe zu den V-Trägern angeordnet, und wird durch Speichen per Hand gedreht. Mit einem Kran dieses Typs lassen sich Lasten durch Betätigen der Winde nur in vertikaler Richtung bewegen, was ideal ist etwa für das Beladen eines Wagens, nicht aber für die am Bau erforderlichen Bewegungen. Ein vor den Säulen liegender Architrav muss beim Aufsetzen auf die Kapitelle zusätzlich horizontal, also quer zur Basis des Krans, bewegt werden. Zwei Möglichkeiten sind in dieser Hinsicht denkbar. Zum einen könnte die Horizontalbewegung dadurch erfolgt sein, dass die Spannseile, die die V-Träger halten, entsprechend abgelassen wurden, was allerdings sehr genau kontrolliert erfolgen müsste. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass bei entsprechend großer Höhe die Last mit relativ wenig Kraft in gewissem Umfang seitlich bewegt werden kann (je besser, desto weiter die Spitze des Krans von der am Seil hängenden Last entfernt ist).