3 Energie aus der Tiefe: Geothermie

Rüdiger Schulz

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DOI

10.34663/9783945561188-05

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Schulz, Rüdiger (2011). Energie aus der Tiefe: Geothermie. In: Herausforderung Energie: Ausgewählte Vorträge der 126. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e.V. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

3.1 Geothermische Energie weltweit

Geothermische Energie (synonym Erdwärme oder Geothermie) ist die in Form von Wärme gespeicherte Energie unterhalb der Oberfläche der festen Erde [1].

Abb. 3.1: Lage der geothermischen Kraftwerke zur Stromerzeugung; im „Feuergürtel“ rund um den Pazifik befinden sich die meisten hydrothermalen geothermischen Lagerstätten (Dampf- oder Hochdruckwassersysteme)

Abb. 3.1: Lage der geothermischen Kraftwerke zur Stromerzeugung; im „Feuergürtel“ rund um den Pazifik befinden sich die meisten hydrothermalen geothermischen Lagerstätten (Dampf- oder Hochdruckwassersysteme)

Unter den regenerativen Energiequellen nimmt die geothermische Energie eine Sonderstellung ein, da sie ganzjährig und zu jeder Tageszeit zur Verfügung steht und daher im Grundlastbereich eingesetzt werden kann. In Ländern mit günstigen geothermischen Bedingungen, z.B. in den zirkum-pazifischen Staaten, in Island oder Italien, nutzt man die geothermische Energie bereits seit mehreren Jahrzehnten für die Stromerzeugung zu konkurrenzfähigen Preisen (Abbildung 3.1), in der Toskana schon seit über 100 Jahren. Die weltweit installierte geothermische Kraftwerksleistung liegt derzeit bei rund 11.000 MW [2]. In 24 Staaten wird geothermischer Strom erzeugt; die größten Produzenten (Stand 1.1.2010) sind die USA (3093 MW), die Philippinen (1904 MW), Indonesien (1197 MW), Mexiko (958 MW) und Italien (843 MW). Die jährliche Wachstumsrate liegt bei ca. 4 % (Abbildung 3.2).

Abb. 3.2: Weltweit installierte geothermische Kraftwerksleistung und erzeugter Strom (nach [2]); Angabe jeweils zum 1. Jan. des entsprechenden Jahres. Von 1990 bis 2010 nahm die Anzahl der Länder mit geothermischer Stromerzeugung von 18 auf 24 Länder zu.

Abb. 3.2: Weltweit installierte geothermische Kraftwerksleistung und erzeugter Strom (nach [2]); Angabe jeweils zum 1. Jan. des entsprechenden Jahres. Von 1990 bis 2010 nahm die Anzahl der Länder mit geothermischer Stromerzeugung von 18 auf 24 Länder zu.

Eine weit größere Verbreitung als die Stromerzeugung hat die geothermische Wärmebereitstellung (Abbildung 3.3). In 78 Staaten sind ca. 50.000 MW installiert [3]. In knapp der Hälfte der Länder, wozu auch Deutschland gehört, beträgt die Wärmeleistung mehr als 100 MW.

Abb. 3.3: Weltweit installierte geothermische Wärmeleistung und bereitgestellt Wärme (nach [3]); Angabe jeweils zum 1. Jan. des entsprechenden Jahres. Von 1990 bis 2010 nahm die Anzahl der Länder mit geothermischer Wärmebereitstellung von 30 auf 78 Länder zu.

Abb. 3.3: Weltweit installierte geothermische Wärmeleistung und bereitgestellt Wärme (nach [3]); Angabe jeweils zum 1. Jan. des entsprechenden Jahres. Von 1990 bis 2010 nahm die Anzahl der Länder mit geothermischer Wärmebereitstellung von 30 auf 78 Länder zu.

3.2 Geothermische Energie als heimische Energiequelle

Wie der internationale Überblick zeigt, kann geothermische Energie ganz unterschiedlich genutzt werden. In Mitteleuropa fehlen allerdings aus geologischen Gründen die hydrothermalen Lagerstätten (vgl. Abbildung 3.4).

Bei der oberflächennahen Geothermie [1] wird die Energie dem oberflächennahen Bereich der Erde (meist bis 150 m, max. bis 400 m Tiefe) entzogen, z.B. mit Erdwärmekollektoren, Erdwärmesonden, Grundwasserbohrungen oder Energiepfählen; eine energetische Nutzung ist in der Regel nur mit Wärmepumpen möglich. In der tiefen Geothermie [4] wird die geothermische Energie über Tiefbohrungen erschlossen und meist direkt, d.h. ohne Niveauanhebung, genutzt. Die in tiefen Aquiferen gespeicherten heißen (> 100 °C), warmen (60–100 °C) oder thermalen (> 20 °C) Wässer werden meist direkt (gegebenenfalls über Wärmetau- scher) zur Speisung von Nah- und Fernwärmenetzen, für landwirtschaftliche, industrielle oder balneologische Zwecke genutzt.

Abb. 3.4: Überblick über die verschiedenen geothermischen Speichersysteme (Lagerstätten) und ihre Nutzungsarten.

Abb. 3.4: Überblick über die verschiedenen geothermischen Speichersysteme (Lagerstätten) und ihre Nutzungsarten.

ne Wandlungstechniken, wie ORC-Verfahren und Kalina-Zyklus, ermöglichen heute die Stromerzeugung bei Temperaturen ab ca. 100 °C. Damit wird die geothermische Stromerzeugung auch für „normale“ geothermische Regionen wie Mitteleuropa interessant. Bisher wurde in diesem Temperaturbereich die geothermische Energie nur für die direkte Wärmenutzung, z.B. für Heiz- und Prozesswärme, verwendet. Die Zukunftschancen für eine geothermische Stromerzeugung in Deutschland hat das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) in einem Gutachten [5][6] abgeschätzt. Drei Reservoirtypen – Heißwasseraquifere, Störungen und kristalline Gesteine – wurden als nutzbar eingestuft. Allein für die Heißwasseraquifere (hydrogeothermische Systeme), dem Reservoir mit dem geringsten Potenzial, liegt nach dem TAB-Bericht das Strompotenzial in Deutschland bei 9 EJ; das Wärmepotenzial bei der Kraft-Wärme-Kopplung beläuft sich auf 23 EJ.

Abb. 3.5: Aquifer-Nutzung in Deutschland: Übersicht über Gebiete, die für hydrogeothermische Nutzung möglicherweise geeignet sind: Regionen mit Aquiferen, deren Temperatur über 100 °C (rot), bzw. über 60 °C (gelb) beträgt. 100 °C ist für eine Stromerzeugung, 60 °C für die direkte Wärmenutzung erforderlich.

Abb. 3.5: Aquifer-Nutzung in Deutschland: Übersicht über Gebiete, die für hydrogeothermische Nutzung möglicherweise geeignet sind: Regionen mit Aquiferen, deren Temperatur über 100 °C (rot), bzw. über 60 °C (gelb) beträgt. 100 °C ist für eine Stromerzeugung, 60 °C für die direkte Wärmenutzung erforderlich.

Erste Erfahrungen für diese Art der Stromerzeugung liegen in Deutschland aus vier geothermischen Kraftwerken in Neustadt-Glewe (Mecklenburg-Vorpommern), Unterhaching, Simbach (beide Bayern) und Landau (Rheinland-Pfalz) vor, deren installierte Leistungen aber nur bei etwa 7 MWe liegen. Weitere Anlagen befinden sich in der Bauphase. Die wichtigsten Regionen für eine hydrogeothermische Nutzung in Deutschland sind das Norddeutsche Becken, der Oberrheingraben und das Süddeutsche Molassebecken (Abbildung 3.5); in diesen geologischen Sedimentstrukturen sind entsprechende tiefe, Grundwasser führende Schichten (Heißwasseraquifere) nachgewiesen. Zur reinen Wärmenutzung existieren 12 größere Anlagen (Fernwärme) sowie mehrere kleine Anlagen (Thermalbäder, Gewächshäuser mit einer installierten Leistung von ca. 145 MWt, Stand Ende 2009).

Abb. 3.6: Prinzipbild für eine tiefe geothermische Anlage: Eine Dublette, bestehend aus Förder- und Injektionsbohrung; je nach Aquifer sind die Bohrungen 1.500 bis 5.000 m tief; die installierte Leistung beträgt abhängig von Temperatur und Förderrate 2–60 MWt, bei der Verstromung typischerweise zwischen 3-7 MWe.

Abb. 3.6: Prinzipbild für eine tiefe geothermische Anlage: Eine Dublette, bestehend aus Förder- und Injektionsbohrung; je nach Aquifer sind die Bohrungen 1.500 bis 5.000 m tief; die installierte Leistung beträgt abhängig von Temperatur und Förderrate 2–60 MWt, bei der Verstromung typischerweise zwischen 3-7 MWe.

Die Heißwasseraquifere sind hochpermeable Gesteinsschichten, deren Mächtigkeit von einigen Dekametern bis zu hundert Metern oder mehr reicht und deren Wassertemperaturen mehr als 100 °C betragen. Es handelt sich entweder um hochporöse Sandsteine oder um andere stark geklüftete oder verkarstete Sedimentgesteine. In Karbonatgesteinen können bevorzugte Fließpfade auf Kluftflächen durch Lösung zu Karsthohlräumen erweitert sein. Bilden diese untereinander ein durchgängiges Netz, haben die Gesteinsschichten eine außerordentliche hohe Durchlässigkeit, die im regionalen Maßstab durchhalten kann.

Die Aquifere werden geothermisch meist mit Dublettensystemen (Abbildung 3.6) erschlossen. Bei einer Dublette wird in der Produktionsbohrung Heißwasser gefördert, häufig mit Hilfe einer Unterwasser-Pumpe. Die Wärme wird an der Oberfläche mittels eines Wärmetauschers auf einen Sekundärkreislauf übertragen, in dem der Dampf für die Stromgewinnung erzeugt werden kann oder aus dem direkt oder mit der Kraftwärmekopplung Wärme für Raumheizung, Brauchwasser oder Prozesswärme ausgekoppelt wird. Das abgekühlte Wasser des Primärkreislaufs wird über die zweite Bohrung wieder in den Aquifer geleitet.

3.3 Hydrogeothermische Systeme

Die Nutzung geothermischer Energie zeichnet sich durch geringe Betriebskosten, aber hohe Investitionskosten vor allem wegen der Bohrungen aus. Da bei der hydrogeothermischen Nutzung nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Bohrungen nicht den gewünschten Erfolg bringen, versuchen Investoren und Projektentwickler das Fündigkeitsrisiko abzuschätzen und gegebenenfalls zu versichern. Das Fündigkeitsrisiko ist das Risiko, ein geothermisches Reservoir mit einer (oder mehreren) Bohrung(en) in nicht ausreichender Quantität oder Qualität zu erschließen. Die Quantität wird dabei über die installierbare Leistung einer geothermischen Anlage definiert:

Die Output-Temperatur To ist die Austrittstemperatur, die nach der Abkühlung des geothermischen Fluids in der obertägigen Anlage (Wärmetauscher, Kraftwerk) erreicht wird; sie wird ausschließlich durch technische und/oder wirtschaftliche Bedingungen bestimmt und hat direkt nichts mit der Fündigkeit einer Bohrung zu tun. Die Input-Temperatur Ti ist die Eintrittstemperatur, die am Bohrlochkopf zur Verfügung steht; sie entspricht im Wesentlichen der Aquifertemperatur: Wärmeverlust durch Transport zwischen Aquifer, Bohrlochkopf und Wärmeanlage können vernachlässigt werden. Die entscheidenden Parameter sind die Fördermenge und die Temperatur im Aquifer. Unter Qualität versteht man im Wesentlichen die Zusammensetzung (Chemismus) des Wassers. Alle bisher bei geothermischen Bohrungen in Deutschland angetroffenen Wässer gelten hinsichtlich ihrer Zusammensetzung für geothermische Nutzung, zwar mit unterschiedlichem technischen Aufwand, als beherrschbar.

Um das Fündigkeitsrisiko zu minimieren und eine Qualitätsverbesserung bei der Projektierung hydrogeothermischer Anlagen zu gewährleisten, wurde in den letzten Jahren mit finanzieller Unterstützung des BMU ein Informationssystem aufgebaut [7]. Dieses Geothermische Informationssystem für Deutschland (GeotIS) ist seit 2009 unter der Adresse www.geotis.de im Internet verfügbar. Es werden Informationen über geologische Strukturen und physikalische Parameter bereitgestellt, die für eine hydrogeothermische Nutzung des tiefen Untergrundes relevant sind. Zusätzlich werden alle wichtigen Daten über bestehende oder sich im Bau befindliche geothermische Anlagen direkt angezeigt [8].

Das Geothermische Informationssystem ist als digitale Variante eines Geothermie-Atlasses zu sehen, die weitgehend maßstabsunabhängig ist und stets in der aktualisierten „Auflage“ zur Verfügung steht. Sowohl geowissenschaftliche Basisdaten als auch aktuelle Erkenntnisse und Ergebnisse werden bereitgestellt und kontinuierlich ergänzt. Das GeotIS beinhaltet erstmals alle verfügbaren Untergrundtemperaturen und alle geohydraulischen Daten der geothermisch relevanten tiefen Grundwasserleiter in Deutschland. Weitere Aussagen über vorhandene Tiefbohrungen oder seismische Sektionen sowie zur hydraulischen Ergiebigkeit können interaktiv abgerufen werden. Umfangreiche mathematische Modellierungen der geologischen Strukturen und des Temperaturfeldes liefern dreidimensionale Untergrundraster. Anhand von räumlichen Horizontal- und Vertikalschnitten können Interessenten eine erste Bewertung der Chancen zur Nutzung tiefer geothermischer Energie gewinnen. Das System liefert Grundlagen für notwendige Machbarkeitsstudien, die einer Investitionsentscheidung vorausgehen.

3.4 Petrothermale Systeme

Bei petrothermalen Systemen erfolgt die Gewinnung der geothermischen Energie aus dem tieferen Untergrund unabhängig von Wasser führenden Horizonten. Im Wesentlichen wird die im heißen, gering durchlässigen Gestein (hot dry rock – HDR) gespeicherte Energie genutzt. Neben dem klassischen Begriff Hot Dry Rock werden auch die Begriffe Deep Heat Mining, Hot Wet Rock, Hot Fractured Rock oder Stimulated Geothermal System verwendet. Der umfassende Begriff ist Enhanced Geothermal Systems (EGS), der aber auch stimulierte hydrothermale Systeme beinhaltet. Das klassische HDR-Verfahren hat meistens das kristalline Grundgebirge mit Temperaturen im Bereich von 150–200 °C sowie Tiefen von mehr als 3.000 m zum Ziel. Inwieweit dichte Sedimentgesteine mit der HDR-Technik genutzt werden können, ist Gegenstand der Forschung und von Pilotprojekten.

Abb. 3.7: Schematische Darstellung der Untertagsituation für das Hot-Dry-Rock (HDR)-Projekt in Soultz-sous-Forêts (Elsass).

Abb. 3.7: Schematische Darstellung der Untertagsituation für das Hot-Dry-Rock (HDR)-Projekt in Soultz-sous-Forêts (Elsass).

Nach derzeitigem Kenntnisstand ist das kristalline Grundgebirge der oberen Erdkruste geklüftet. Die Klüfte sind z.T. geöffnet, mit hoch mineralisiertem Wasser gefüllt und miteinander durch ein Kluftnetz verbunden, so dass grundsätzlich eine Wasserzirkulation möglich ist. Das kristalline Grundgebirge verhält sich also wie ein Aquifer mit (sehr) geringen Durchlässigkeiten. Nach Abteufen einer Bohrung wird durch das Einpressen von Wasser das natürlich vorhandene Kluftsystem geweitet oder neue Klüfte (fracs) geschaffen. Die natürliche Permeabilität wird erhöht und zusätzliche und bessere Wasserwegsamkeiten werden geschaffen; das Gebirge wird sozusagen „stimuliert“ (Stimulation). Um die notwendigen Durchflussraten (in der Größenordnung von 50-100 l/s) dauerhaft zu erzielen, muss das Riss-System eine Mindestgröße für die Wärmeaustauschfläche aufweisen. Mit der zweiten Bohrung muss der stimulierte Bereich durchteuft werden. Durch diesen „Wärmetauscher“ oder „Durchlauferhitzer“ schickt man Oberflächenwasser über Injektions- und Förderbohrungen, um die Gebirgswärme aufzunehmen. Bei diesem System ist somit Wasser der Wärmeträger, das Gebirge die Wärmequelle.

Das natürlich vorhandene Kluftsystem sollte relativ gleichmäßig verteilt sein, um bei den Stimulationen unter dem vorgegebenen Stressfeld eine optimale Größe für die Wärmeaustauschflächen zu erhalten. Rybach [9] fordert beispielsweise eine Mindestgröße für die Wärmeaustauschfläche von mehr als 2 km2. Da granitische Gesteinsverbände i.a. wesentlich rigider auf eine tektonische Beanspruchung reagieren als metamorphe Gebirge, sind sie häufig intensiver geklüftet und daher durchlässiger. Erfahrungen bei verschiedenen Bohrungen haben gezeigt, dass sich durch die Stimulation in der Regel entsprechend dem vorherrschenden Stressfeld ein steil stehendes, ellipsoidförmiges Reservoir ausbildet. Die Reservoirgröße sollte mindestens 0,2 km3 betragen [9]. Daraus ergibt sich ein untertägiger Abstand bei einem Zwei-Bohrloch-System von etwa 1000 m bei einer Länge des unverrohrten Bohrlochabschnittes von etwa 300 m.

Bei den Stimulationsmaßnahmen sollte eine ausreichend große Durchlässigkeit generiert werden. Zu hohe Durchlässigkeit birgt die Gefahr hydraulischer Kurzschlüsse und somit unzureichender Wärmeübertragung. Um dieser Gefahr vorzubeugen und um eine extreme Stimulation singulärer Klüfte zu vermeiden, empfiehlt es sich, die dafür notwendigen Injektionsversuche, falls technisch machbar, abschnittsweise (mit Einsatz von Packern) durchzuführen. Nach derzeitigem Kenntnisstand liegt die Reichweite einer Stimulationsmaßnahme bei mehreren Hundert Metern.

Abb. 3.8: Das weltweit erste geothermische Kraftwerk, das nach dem HDR-Prinzip (siehe Abbildung 3.7) betrieben wird, in Soultz-sous-Forêts (Elsass).

Abb. 3.8: Das weltweit erste geothermische Kraftwerk, das nach dem HDR-Prinzip (siehe Abbildung 3.7) betrieben wird, in Soultz-sous-Forêts (Elsass).

Durch die Stimulationstätigkeiten werden mikroseismische Ereignisse ausgelöst. Insbesondere in Gebieten mit natürlicher Seismizität besteht die Möglichkeit, dass die entstehenden Erschütterungen die Wahrnehmbarkeitsschwelle an der Erdoberfläche überschreiten. Das Auftreten von induzierter Seismizität hängt von der Beschaffenheit des geologischen Untergrundes, den tektonischen Spannungen, Injektionsdrucken bzw. Fliessraten und wahrscheinlich auch von der Größe des stimulierten Riss-Systems ab [10]. Das Auftreten von induzierter Seismizität wird aber bis zu einem gewissen Grade als beurteilbar, prognosefähig und zum Teil als beeinflussbar angesehen. Schlüssel hierzu sind laufende Messungen und Kontrolle des Injektionsdrucks und ein seismologisches Monitoring in der Umgebung der Anlage. Gegebenenfalls sind die Injektionsdrucke bzw. Injektionsmengen zu reduzieren.

Die weltweit erste Stromproduktionsanlage, die nach dem HDR-Prinzip arbeitet, nahm im Sommer 2008 in Soultz-sous-Forêts (Elsass) ihren Probebetrieb auf (Abbildung 3.7, 3.8). Langzeiterfahrungen liegen noch nicht vor.

3.5 Ausblick

Die Nutzung der oberflächennahen Geothermie ist Stand der Technik. Hier gilt es insbesondere das Qualitätsmanagement zu verbessern.

Während sich in Deutschland für die geothermische Nutzung der tiefen Aquifere, nicht zuletzt aufgrund des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), eine Wirtschaftsbranche entwickelt, sind in anderen Bereichen der tiefen Geothermie noch weitere FuE-Maßnahmen notwendig. Bei der Nutzung von Störungszonen fehlen noch gesicherte Angaben über die Größenordnung der hydraulischen Kennwerte. Die Nutzung der überwiegend im Gestein gespeicherten Energie (petrothermale Systeme) mittels der HDR-, bzw. EGS-Technik, befindet sich noch in der Phase der Demonstrationsanlagen.

Die Erschließung geothermischer Energie hat großes Potential, einen wesentlichen Beitrag zum Grundlastbedarf an Wärme und Strom liefern zu können. Die TAB-Studie zeigt, dass bis 2030 Geothermiekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1.000 MW für die geothermische Stromerzeugung in Deutschland installiert werden können [6]. Die Umsetzung eines solchen Programms erfordert jedoch erhebliche Anstrengungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich. Schwerpunkte sollten insbesondere auf folgende Bereiche gelegt werden:

Erkundung von geothermischen Reservoiren, Geometrie, Spannungsverhältnisse, Existenz und Lage von Störungsstrukturen.

Wirtschaftliche und bohrtechnische Erschließung von Tiefen zwischen 3.000 und 5.000 m für Reservoire mit normalen geothermischen Gradienten. Dies beinhaltet insbesondere die Erhöhung der Bohrproduktivität, (gerichtetes) Bohren bei großen Durchmessern, bei hohen Temperaturen und in Hartgestein sowie Gewährleistung der Langzeitintegrität der Bohrungen.

Herstellung und Aufrechterhaltung des Thermalfluidkreislaufes sowie Entwicklung von Monitoringmethoden für die Quantifizierung von hydraulischen (z.B. Skinentwicklung), chemischen (z.B. Korrosionseigenschaften) und geometrischen (z.B. Wärmetauschfläche) Parametern.

Optimierung und Monitoring des untertägigen Thermalwasserkreislaufs, einschließlich der Prognosemodellierung der Entwicklung des Reservoirs unter Berücksichtigung thermisch-hydraulisch-mechanisch-chemisch gekoppelter Prozesse.

Energiewandlung bei niedrigen Temperaturen mit besonderer Berücksichtigung der direkten Wärmenutzung und Hybridtechniken.

Literatur

[1] VDI. VDI-Richtlinie 4640: Blatt 1 – Thermische Nutzung des Untergrundes. Grundlagen, Genehmigungen, Umweltaspekte. Berlin, Berlin, Juni 2010

[2] R. Bertani. Geothermal Power Generation in the World, 2005–2010. Update Report. Paper 0008. In: Proceedings World Geothermal Congress 2010 , Bali, Indonesien, 25.-29. April 2010. 41.

[3] J. W. Lund, D.H. Freeston, D. F.. Direct Utilization of Geothermal Energy. 2010 Worldwide Review. Paper 0007. In: Proceedings World Geothermal Congress 2010 Bali, Indonesia, Bali, Indonesien, 25.-29. April 2010. 23.

[4] I. Stober, T. Fritzer, T. F., Obst T.. Tiefe Geothermie – Nutzungsmöglichkeiten in Deutschland. Bonn: BMU, 2. akt. Auflage 2010

[5] R. Jung, S. Röhling, S. R., Ochmann S., O. S., N. Ochmann, N. O.. Geothermische Potenziale zur Stromerzeugung. Ressourcen in Deutschland. In: 20 Jahre Tiefe Geothermie in Deutschland. 7. Geothermische Fachtagung, 6.-8.11.2002, Waren (Müritz). Tagungsband GtV Meppen: Geothermische Vereinigung (GtV), 2002. 29-47.

[6] H. Paschen, D. Oertel, D. O.. Möglichkeiten der geothermischen Stromerzeugung in Deutschland. Sachstandsbericht, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Berlin: TAB, 2003

[7] R. Schulz, T. Agemar, T. A., Alten T., A. T., A.--J. Alten, AJ. A.. Aufbau eines geothermischen Informationssystems für Deutschland Erdöl Erdgas Kohle 123(2): 76-81 (2007): 76-81.

[8] S. Pester, R. Schellschmidt, R. S.. Verzeichnis geothermischer Standorte – Geothermische Anlagen in Deutschland auf einen Blick Geothermische Energie 56/57: 4-8 (2007): 4-8.

[9] L. Rybach. EGS. The State of the Art. In: Tagungsband der 15. Fachtagung der Schweizerischen Vereinigung für Geothermie. Stimulierte Geothermische Systeme Basel, 2004. .

[10] S. Baisch, R. Vörös, R. V., Rothert R., R. R., E. Rothert. A Numerical Model for Fluid Injection Induced Seismicity at Soultz–Sous–Forêts International Journal of Rock Mechanics and Mining Sciences 47: 405-413 (2010): 405-413.

Internet-Links

Geothermisches Informationssystem: http://www.geotis.de

Bundesverband Geothermie Geothermische Vereinigung (GtV): http://www.geothermie.de

Schweizerische Vereinigung für Geothermie (SVG): http://www.geothermie.ch